Olympia 2024: Spiel mit dem Feuer
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Olympia 2024: Spiel mit dem Feuer

Bewirbt sich Deutschland mit Hamburg oder Berlin um die Sommerspiele 2024? Diese Frage beantworten nicht die Bürger, sondern ein Sport-Gremium in einem intransparenten Verfahren.

Profilbild von Jens Weinreich

Berliner und Hamburger müssen jetzt sehr tapfer sein. Denn sowohl der Berliner Senat als auch Hamburgs Olympiaplaner lancieren in diesen Tagen Werbekampagnen, mit denen sie lokale Olympiabegeisterung suggerieren und mahnende Stimmen übertönen wollen. „Wir wollen die Spiele“, heißt es im offiziellen Berlin. „Wir sind Feuer & Flamme“, klingt es aus Hamburg, wo die Handelskammer als treibende Kraft dieses Mega-Projekts agiert, für das Milliarden aus öffentlichen Kassen bereitgestellt werden müssten. Der innerdeutsche Wettbewerb um die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2024 ff. nimmt Fahrt auf. Präzise betrachtet ist das aber nur ein Duell von Werbern, Sportfunktionären, Politikern und anderen Propagandisten, unterstützt von lokalen Medien. „Wir können Olympia“, wird in beiden Metropolen behauptet, Elbphilharmonie hin, Hauptstadtflughafen her.

Die Olympiadiskussion bewegt noch keine Massen, obwohl Olympische Spiele das Leben in diesen Städten auf Jahre beeinflussen und die Infrastruktur prägen würden. Veranstaltungen an der Basis, ob von Befürwortern oder Skeptikern organisiert, wurden bislang mäßig besucht. Ich war unlängst als Diskutant von den Berliner Linken geladen, die zu den Olympiagegnern zählen, und sprach dort vor gerade mal 20 Gästen; auf einer anderen Veranstaltung des Landessportbundes zählte ich vom Podium aus etwas mehr als 100 Besucher. Doch Deutschland wird sich bewerben: So haben es nicht etwa die Bürger in Berlin oder Hamburg beschlossen – nein, die sollen erst später an die Wahlurne, im Herbst 2015 –, so hat es das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) festgelegt. Die DOSB-Vollversammlung bestätigte die Vorgabe ihrer Führung Anfang Dezember 2014 in beängstigender Einstimmigkeit. Der DOSB, der sich maximal im Promillebereich an den Bewerbungskosten beteiligt, ist gemäß des olympischen Grundgesetzes (Olympic Charter) wieder Herr des undurchsichtigen Verfahrens, das ich in den kommenden Monaten hier ausführlich beleuchten werde.

Forsa-Umfrage wird entscheidend sein

Am 15. Februar wird in Hamburg die neue Bürgerschaft gewählt. Diese Wahlen hätten sich ohne sonderlichen Aufwand mit einem Referendum über die Olympiabewerbung verbinden lassen. Daran aber hatten Sport und Politik kein Interesse. Von den derzeit in der Bürgerschaft vertretenen Parteien sind nur die Linken gegen Olympia. Ende Februar lässt der Einheitssportverband DOSB in Hamburg und Berlin vom Forsa-Institut repräsentative Umfragen durchführen – deshalb werden jetzt die Werbekampagnen gestartet. Bislang ist die Zustimmungsrate in Hamburg etwas höher als in der Hauptstadt. Protestpotenzial existiert hier wie dort, selbst wenn die NOlympia-Initiativen (Hamburg, Berlin) bisher kaum Zulauf fanden und weit weniger elegant agieren als vor Jahren die Opposition in München.

Gut getimte Demonstrationen, an denen mehrere tausend Leute teilnehmen, können die Entscheidung des DOSB beeinflussen. So wie Angang der 1990er Jahre mindestens zwei Demos mit mehr als 10.000 Menschen und einige kernige Botschaften die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) beeinflusst haben. Berlin wurde auf der IOC-Session am 23. September 1993 in Monte Carlo mit nur neun Stimmen im zweiten Wahlgang abserviert. Die Sommerspiele 2000 gingen an Sydney, das in der Nacht vor der Wahl noch zwei abtrünnige afrikanische IOC-Mitglieder kaufte und 45:43 gegen Peking gewann.

Für 2024 ist dem DOSB das Stimmungsbarometer wichtiger als alle technischen Kriterien, an denen Olympiaplanungen (Hamburg, Berlin) eigentlich gemessen und verglichen werden müssten. Ein nachvollziehbarer Bewertungskatalog existiert nicht. Das DOSB-Präsidium entscheidet deshalb willkürlich und wird bereits Mitte März seinen Favoriten benennen, offenbar mit Tendenz zu Hamburg. Dieser präsidialen Empfehlung wird die für den 21. März einberufene Vollversammlung folgen. Eine Ablehnung ist nicht vorgesehen. Dann steht Deutschlands Olympiabewerber fest, wenngleich sich die Planungen der beiden Interessenten arg im Rohstadium befinden und die holzschnittartigen finanziellen Kalkulationen kaum einer Überprüfung standhalten.

Nur zwei Milliarden Euro aus öffentlichen Kassen für Olympische Spiele? Das ist ein schlechter Witz, auf dessen Grundlage derartig weitreichende Entscheidungen nicht gefällt werden dürften. Zudem dominiert in Deutschland traditionell eine Unkultur im Umgang mit Steuermitteln, schon im Rahmen von Bewerbungen, so hatte es zum Beispiel der Landesrechnungshof Berlin vor zwei Jahrzehnten in seiner rudimentären Aufarbeitung der Berliner Olympiabewerbung 2000 moniert. Damals wurden zahlreiche Skandale produziert und weitgehend unkontrolliert 51.305.684,12 D-Mark aus öffentlichen Kassen verpulvert – mindestens. 40,3 Millionen aus dem Berliner Haushalt, 11 Millionen vom Bund. Heute ersetzt man „DM“ flink mal mit dem Euro-Zeichen und kalkuliert mit 50 Millionen Euro für die Bewerbungsphase bis zum Sommer 2017, wenn das IOC in Lima die Entscheidung fällt.

So läuft das hierzulande immer bei Olympiabewerbungen. Da wächst nichts organisch von unten, da sind keine Visionäre am Werk, die Risiken eingehen und in derlei Großprojekte investieren (Geist, Arbeit, Geld), da toben sich Sportbürokraten aus.

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Auch deshalb sind deutsche Offerten zuletzt vier Mal in Folge international grandios gescheitert: Berchtesgaden (Winterspiele 1992), Berlin (Sommerspiele 2000), Leipzig (Sommerspiele 2012, mit vorherigem innerdeutschen Wettbewerb zwischen Hamburg, Stuttgart, Frankfurt am Main und Düsseldorf Rhein-Ruhr) und München (Winterspiele 2018). Beim fünften Anlauf, ausgerechnet bei der bislang nachhaltigsten und sinnvollsten aller Bewerbungen, wurden zum ersten Mal die Bürger befragt, bevor das nationale Olympiakomitee entschied: In München, Garmisch-Partenkirchen sowie den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land lehnte die Bevölkerung im November 2013 eine neuerliche Olympiabewerbung für 2022 mehrheitlich ab. Unmittelbar darauf stellte der DOSB für 2024 die Weichen. Jetzt sollen es die ungleich teureren Sommerspiele sein.

Widerstand aufgeklärter Bürger

Plebiszite scheuten die Olympiaplaner in der Politik und im DOSB (oder dessen Vorgänger-Organisationen NOK und DSB) Jahrzehnte lang wie der Teufel das Weihwasser. Der sportpolitische Komplex machte das stets unter sich aus, die Bürger hatten die Zeche zu zahlen, aber keine Stimme. Was der Sport wollte, setzten die Sport-Lobbyisten in den Parteien durch. Dieses System geriet in den vergangenen Jahren allerdings ein wenig ins Wanken – und das ist das größte Verdienst einer smarten und kampfstarken bayerischen Olympia-Opposition. Sie setzte für die Winterspiele 2018 spät einen Bürgerentscheid in Garmisch-Partenkirchen durch, den sie noch verlor. Für 2022 gewannen die Olympiagegner bei der Abstimmung in allen betroffenen Kommunen und Kreisen.

Nicht nur in Bayern wurde deshalb die Bewerbung eingestellt. Auch in der Schweiz (Kanton Graubünden) und in Polen (Krakau) stimmten aufgeklärte Wähler gegen die Olympischen Winterspiele 2022. In Schweden (Stockholm) und Norwegen (Oslo) beugten sich Politiker den Umfrageergebnissen und beendeten die milliardenschweren Abenteuer. Ein Bewerber nach dem anderen verabschiedete sich, das hatte es in der olympischen Geschichte noch nicht gegeben. So bleibt dem IOC am 31. Juli auf seiner Vollversammlung in Kuala Lumpur nur die Wahl zwischen zwei Nationen, deren Machthaber wenig von Bürgerentscheiden halten: zwischen China (Peking und Zhangjiakou) und Kasachstan (Almaty).

Mega-Events gehen tendenziell an Staaten mit Demokratie-Defiziten, ich habe das in meinem aktuellen, über Crowdfunding finanzierten Ebook „Macht, Moneten, Marionetten“ unter anderem mit einer Datenanalyse aller Großereignisse seit 1980 belegt. Die Sportkonzerne, ob nun das IOC oder der Fußball-Weltverband FIFA, lieben traditionell diese profiträchtigen Joint Venture mit Despoten. Das IOC steuert nun allerdings notgedrungen dagegen und will nach dem Desaster der Winterspiele 2022, als man unbedingt Oslo haben und ein Wintermärchen kreieren wollte, für die Sommerspiele 2024 andere Optionen generieren. Die Bewerbung für 2024 ist Teil einer groß angelegten Image- und Propaganda-Kampagne des IOC und seines deutschen Präsidenten Thomas Bach, der im September 2013 die Macht übernahm.

Meldeschluss für 2024 ist am 15. September 2015. Drei Nationen stehen als Bewerber fest: Deutschland (mit Hamburg oder Berlin), Italien (Rom) und die USA (Boston). Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich Bach gerade mit dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi getroffen und Hoffnung auf die Spiele 2024 gemacht. Renzis Vorvorgänger als Regierungschef, Mario Monti, hatte Roms Bewerbung für 2020 noch aus grundsätzlichen finanziellen Erwägungen abgelehnt. Das Risiko war ihm zu groß, die Forderungen des IOC zu monströs.

Bach ermuntert professionell jeden potenziellen Bewerber. Das ist sein Job. Mehr darf da nicht hinein interpretiert werden. Nun wird vor allem in Deutschland unter den Jüngern des Thomas Bach, der von 2006 bis 2013 den DOSB leitete, behauptet, mit der so genannten Reform-Agenda 2020 beschreite das IOC völlig neue Wege. Olympische Spiele würden billiger und nachhaltiger, heißt es - das aber muss erst bewiesen werden. Das IOC nehme mehr Rücksicht auf die Interessen der Gastgeber, heißt es - dafür gibt es einige Anzeichen. Doch hat sich das Regelwerk keinesfalls kolossal verändert. Noch handelt es sich nur um Versprechen.

„Reformen sind mehr als Kosmetik“, behauptet der langjährige hauptberufliche Wirtschaftslobbyist Thomas Bach (Siemens, Ghorfa, Philipp Holzmann u.v.a.m.). Die Neujahrsbotschaften des FDP-Mitglieds und Ober-Olympiers wurden in den Lokalblättern „Hamburger Abendblatt“ und „Berliner Morgenpost“ veröffentlicht. Ein ähnlicher Text erschien im „Boston Globe“, unmittelbar bevor sich das US-amerikanische Olympiakomitee USOC vor zwei Wochen auf den Olympiabewerber Boston festlegte. Das IOC braucht Bewerber aus demokratischen Nationen, es will mit einem großen Bewerberfeld für 2024 protzen und die Agenda 2020 stärken. Mit allen Mitteln will es verhindern, dass die Offerten in Deutschland und den USA in Bürgerentscheiden gestoppt werden.

Wer interessiert sich sonst noch für die Spiele 2024?

  • Eventuell die Türkei, es wäre die sechste Bewerbung von Istanbul. Aber die Türkei will sich auch, wie Deutschland, für die Fußball-Europameisterschaft 2024 bewerben. Beide Events in einem Sommer sind unmöglich, das hat es bisher nicht gegeben. Doch plötzlich fabulieren Bach und seine Verbündeten Hörmann (DOSB) und Wolfgang Niersbach (Präsident des Deutschen Fußballbundes/DFB) über einen Super-Sportsommer 2024.
  • In Paris wird in Kürze eine Machbarkeitsstudie vorgelegt. Danach sollte die Entscheidung über 2024 fallen. Bürgermeisterin Anne Hidalgo war bislang eher skeptisch und musste ihren Präsidenten François Hollande ausbremsen, einen glühenden Olympiabefürworter. Inwieweit die Ereignisse um das Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ die Diskussion beeinflussen, ist noch nicht abzusehen.
  • Aserbaidschans Diktator Ílham Alijew, der im Juni 2015 die milliardenschweren ersten European Games ausrichtet, wird mit Baku wohl zum dritten Mal in Folge ins Olympia-Rennen gehen.
  • Dass sich Katar mit Doha auch für 2024 wieder bewirbt (wie für 2016 und 2020), darf trotz der weltweiten Diskussionen über die Fußball-WM 2022 fast vorausgesetzt werden. Katar kauft alles und jeden, nicht nur im Sport. Der Jung-Emir Tamim Bin Hamad Al-Thani ist übrigens seit 2002 selbst IOC-Mitglied.
  • Möglich wäre eine Olympiabewerbung von Wladimir Putins Heimatstadt St. Petersburg. Russlands Präsident ist der mächtigste Mann des olympischen Weltsports, das habe ich in „Macht, Moneten, Marionetten“ mit der Datenanalyse des Olympic Power Index zu belegen versucht. Trotz des Krieges in der Ukraine und aller damit verbundenen Turbulenzen wäre St. Petersburg ein aussichtsreicher Kandidat.
  • Außerdem wird hartnäckig Südafrika als Olympiabewerber gehandelt. Interesse hatte zunächst Durban, das sich nun aber gegen Edmonton (Kanada) um die Commonwealth Games 2022 bewirbt (die Entscheidung fällt am 2. September 2015). Eine Machbarkeitsstudie für 2024 wurde inzwischen in der Provinz Gauteng (mit Johannesburg) erstellt. Zuletzt hieß es, Südafrika könne sich als Land für 2024 bewerben und damit die Agenda 2020 des IOC austesten. Bisher ließ das IOC nur Bewerbungen von Städten zu. Südafrika könnte ein neues Modell kreieren. Die letzten Signale vom Kap aber lauten: Die Commonwealth Games 2022 haben Priorität.
    Olympiabewerbungen sind Weltpolitik, sie sind Rechnungen mit vielen Unbekannten. In diesem Frühjahr will das IOC mit den Interessenten gemeinsam an den Plänen arbeiten – das ist neu und entspricht den Verheißungen der Agenda 2020. Den bisherigen zwei Bewerbungsphasen wurde diese dritte Beratungsphase vorgeschaltet. Das Procedere wurde den 205 Nationalen Olympischen Komitees (NOK) und den 35 Weltverbänden in den olympischen Sportarten vergangene Woche in diesem Brief erläutert.

In Deutschland versuchen die Olympiabewerber unterdessen, plebiszitäre Elemente den eigenen Interessen anzupassen. In Berlin verabschiedete der Senat am Dienstag den Entwurf eines so genannten Olympia-Volksbefragungsgesetzes, das die Opposition vehement ablehnt und das Wissenschaftler der Hochschulen Osnabrück und Ludwigsburg für verfassungswidrig halten. Demnach soll am 13. September 2015, zwei Tage vor Meldeschluss beim IOC, in einem unverbindlichen Referendum, an das sich der Senat zu halten verspricht, die Frage beantwortet werden:

„Soll sich Berlin um die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 und gegebenenfalls 2028 bewerben?“

Eine Frage.

Wenn das nur so einfach wäre.


Im nächsten Beitrag zur Olympiabewerbung 2024 werde ich mich wahrscheinlich mit Boston befassen und der Frage nachgehen, ob die Amerikaner tatsächlich eindeutig favorisiert sind, wie manche deutsche Medien erzählen, und was es mit dem olympischen TV-Vertrag in Höhe von 7,75 Milliarden Dollar auf sich hat. In mancherlei Hinsicht ähnelt das Konzept von Boston - und die damit verbundenen Probleme - den Überlegungen in Berlin. Allerdings verfügt Boston bereits über einen olympiatauglichen Flughafen, den Berlin möglicherweise auch 2017 noch nicht hat, wenn das IOC die Spiele 2024 vergibt.

Da dieses Projekt Krautreporter heißt und da ich ohnehin seit vielen Jahren versuche, meine Arbeit in einem öffentlichen Diskussionsprozess zu machen (wo es möglich ist), biete ich liebend gern an: Schreiben Sie mir, welche Themen Sie zur Olympiabewerbung erörtert haben möchten. Sämtliche Hinweise, Korrekturen, Tipps, Wünsche, internen und externen Dokumente sind jederzeit willkommen.


Aufmacherfoto: The Korean Olympic Committee (CC BY-SA 2.0). Das Bild zeigt IOC-Präsident Thomas Bach 2014 in Sotschi, wie er die Olympische Fahne an den nächsten Gastgeber der Winterspiele, an PyeongChang (Südkorea) übergibt.