„Die Alten haben keinen Grund, eine Revolution zu machen“
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Interview: „Die Alten haben keinen Grund, eine Revolution zu machen“

Fefe gehört nicht nur zu den bekanntesten Mitgliedern des Chaos Computer Clubs, sein spartanischer Blog zählt zu den beliebtesten in Deutschland. Jung & Naiv hat ihn auf der Konferenz 31c3 getroffen und sprach mit ihm über alternativen Journalismus, Pegida, den Sinn von Geheimdiensten und anstehende Revolutionen. Zweiter Teil des J&N-Specials von der Jahreskonferenz des Chaos Computer Clubs

Profilbild von Interview von Tilo Jung

https://www.youtube.com/watch?v=zT3rPlniIEI

Fefe, hast du auch einen richtigen Namen?

Ja, Felix von Leitner.

Felix, wie war dein letztes Jahr so?

Sehr intensiv. Das merke ich am Ende des Jahres immer, weil ich die Materialsammlung mache für einen Vortrag, den ich hier auf dem CCC-Kongress mache. Einen Jahresrückblick auf ein paar Folien zusammengestutzt zu sehen, da merkt man schon, es war ein intensives Jahr. Es ist mehr passiert als sonst.

Bist du eigentlich Blogger, Journalist oder Hobbyblogger?

Das weiß ich selber nicht so genau. Ich habe mich mit einem Anwalt unterhalten und der meinte, ich wäre Journalist, also presserechtlich gesehen. Aber ich sehe mich selbst als Blogger und auch nicht als beruflichen Blogger, ich habe ja einen richtigen Beruf. Das ist auch gut so. Denn wenn man davon abhängig ist, ist man angreifbar. Ich könnte also jetzt aufhören und es würde mich nicht in meinem Lebensunterhalt einschränken. Das ist gut, wenn man als Journalist nicht damit bedroht werden kann, dass man rausfliegt und dann ist man auf der Straße.

Wenn du dich selbst nicht als Journalist siehst, welche Journalisten magst du?

Naja, ich sehe mich schon von der Funktion her als Journalisten, aber nicht als einen, dessen Aufgabe es ist, die Wahrheit zu transportieren oder jetzt alle Seiten zu zeigen, sondern ich bin eher ein Meinungsjournalist. Ich bemühe mich darum, zwar schon die Meldung zu bringen, aber ich nehme mir es durchaus raus, nur eine Seite zu zeigen, wenn ich finde, die andere ist schon repräsentiert genug in den Medien.

Hast du ein Beispiel?

Eigentlich geht meine gesamte Berichterstattung in die Richtung: Ich suche mir immer die Sachen raus, wo die Regierung Scheiße baut. Und wenn sie mal etwas gut machen, das ist eh selten, aber wenn sie es dann mal tun, sehe ich nicht die Notwendigkeit, nochmal darüber zu berichten.

Hast du irgendwann festgestellt: Hey, ich habe die falsche Seite unterstützt oder die falsche Seite gepusht?

Ich versuche nicht, Seiten zu pushen, sondern ich versuche, deren Positionen auch zu transportieren. Wenn jemand eine Position vertritt, die mir zuwider ist, dann ist das kein Grund, das nicht zu publizieren.

Mmh.

Sondern im Gegenteil: Es ist auch Aufgabe in Interviews Leute zu Wort kommen zu lassen, die nicht meine Position vertreten. Das ist doch der Stil von einem Interview, dass du danach einen Erkenntnisgewinn hast. Wenn der nur Sachen erzählt, die du auch findest, wo ist die Erkenntnis?

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Muss ich im Interview nicht dazwischen gehen, wenn der Mensch was sagt, was ich nicht unterstützen kann, was ich unanständig finde? Muss ich nicht dazwischen gehen als Journalist? Als deutscher, guter Journalist?

Nein, im Gegenteil. Man muss die reden lassen. Ein gutes Interview zeichnet sich dadurch aus, dass der andere sich um Kopf und Kragen redet und es nicht merkt. Je mehr er abgleist, desto mehr muss man ihn labern lassen.

Wir kennen das selbst: Warum wird der Vorwurf gemacht, dass man als Propaganda-Gehilfe am Ende dasteht?

Ja, „ein Forum bieten“ – das ist der Ausdruck, der immer kommt an der Stelle. Das finde ich absolut unangebracht. Die Aufgabe des Journalisten ist nicht, eine Meinung vorgefertigt zu haben und reinzudrücken, sondern dem Zuhörer oder Leser alle Fakten an die Hand zu geben, damit der sich selbst eine Meinung bilden kann. Das ist häufig nicht komplett zu trennen. Es ist aber nicht meine Aufgabe, den Gast vorzuführen, wenn ich ein Interview gebe, im Gegenteil. Sondern der soll die Gelegenheit haben, seine Position zu äußern und zwar am besten auch Sachen, die er bisher noch nicht gesagt hat. Je weiter ab vom Mainstream, oder je besser der sich verplappert, desto besser das Interview. Aus meiner Sicht.

Sollte der Journalist nicht dem Leser klar machen, welche Meinung er haben soll?

Nein, der Journalist kann natürlich seine eigene Position vertreten und sagen: Das geht jetzt aber zu weit. Aber das sollte man nach dem Interview machen, damit der andere Gelegenheit hat, vorher noch daneben zu greifen.

So einfach?

Ja.

Magst du so Journalisten wie Ken Jebsen?

Was heißt mögen? Er erfüllt einfach eine Aufgabe, die ansonsten leider etwas untergeht. Er macht quasi noch mehr Meinung und interviewt Leute, die schon in die Richtung gehen, die er eh vertritt. Das finde ich schon ein bisschen schade. Ich fände es besser, wenn er auch die Gegenseite interviewen würde. Sein Interviewstil hat meiner Ansicht nach zu viel davon, dass er seine eigene Position darstellt und zu wenig, dass er den anderen reden lässt. Aber an sich ist das eine legitime Sache von einem Journalisten, das kann man tun.

Ist das Journalismus?

Ja, klar ist das Journalismus.

Von anderen kommt: Der sei Verschwörungstheoretiker, dem muss man gar nicht erst zuhören, er sei Antisemit und so.

Dieser Vorwurf wird leider ein bisschen zu leicht benutzt. Ken Jebsen ist ein paar Mal ausgerutscht. Klar, das kann man ihm vorwerfen, aber das heißt nicht, dass alles, was er sagt, vergiftet ist.

Es gibt Beispiele von Whistleblowern. Ich habe gerade noch über Snowden mit jemanden geredet, der ist auch so ein Verfassungspatriot der USA und das ist eigentlich nicht meine Seite. Und James Bamford, der hier auf dem Kongress geredet hat, der hat das erste große Enthüllungsbuch über die NSA geschrieben. Der hat hier Thesen vertreten wie: Er möchte das amerikanische Imperium umdrehen, dass es nicht mehr böse Sachen macht, sondern gute Sachen. Aber er will immer noch ein amerikanisches Imperium haben. Die meisten Leute, die uns wichtige Erkenntnisse gebracht haben, vertreten nicht immer nur gute Positionen. Sondern im Gegenteil. Aber man muss denen trotzdem zuhören. Und deswegen heißt das ja auch Meinungsbildung, weil es nicht darum geht, den Leuten vorgefertigte Sachen zu geben, sondern ihnen die Grundlagen zu geben, damit sie selber ihre Meinung bilden können.

Warum haben Journalisten aus traditionellen Medien Angst oder warum warnen sie so vor alternativen Journalisten?

Das ist eine interessante Frage. Es gibt auch nicht die eine Antwort drauf. Sondern das ist die Kombination daraus, dass wenn man in einem etablierten Medienhaus, Axel Springer ist so eines, die sind bekannt dafür, dass sie eine explizite Anti-Antisemitismus-Policy haben. Wenn man da Redakteur ist, hat man so ein Blatt Papier unterschrieben, wo drauf steht „Israel ist unser Freund“. Und natürlich verteidigen die das auch außerhalb des Berufes und innerhalb der Medien. Das gibt es aber auch in anderen Verlagen natürlich. Es ist nichts gegen einzuwenden, wenn die Leute ihre Positionen so haben. Aber anderen Leuten das Journalist-Sein abzusprechen, nur weil die andere Positionen vertreten, ist absolut nicht zu verteidigen. Die werden das alle vor sich rechtfertigen können, warum sie das tun. Es ist nicht nachvollziehbar so etwas zu tun. Ich sage nicht, man muss den Nazis und Antisemiten zuhören. Aber man muss offen genug sein, dass man Leute von vornherein nicht als doof bezeichnet und ihnen nicht zuhört. Das ist gerade bei Pegida das Problem, dass es sich der Journalismus einfach macht und sagt, denen muss man nicht zuhören, die sind alle doof. Das mag zu einem gewissen Teil stimmen, aber das heißt nicht, dass wir denen nicht zuhören müssen, sonst verstehen wir das Problem einfach nicht.

Jebsen organisiert auch diese Montagsfriedendemos. Passt das zusammen? Können wir als Journalisten auch Demos organisieren?

Das war mir gar nicht bewusst, dass er das mit organisiert. Ich dachte, er spricht da nur. Der Übergang von Journalist zu Aktivist ist fließend. Das hängt davon ab, wie viel journalistischen Anspruch man an sich selbst hat. In Gerichten gibt es: Wenn der Richter irgendwie persönlich davon profitiert, aus irgendwas, was mit dem Fall zu tun hat, dann darf er nicht urteilen. Und ähnlich sollten das auch Journalisten handhaben. Das ist immer nicht so einfach zu erkennen, wenn man in der Mitte des Gefechts ist. Und ich persönlich habe auch durchaus über Sachen berichtet, wo ich mich selbst als Aktivist sehe. Von daher kann ich nicht die große Keule rausholen und das verurteilen. Man sollte es sich selbst schon wert sein, zumindest zu versuchen, sich aus den Sachen herauszuhalten, wo man Aktivist ist. Ich muss aber auch als Aktivist irgendwie meine Sachen äußern können! Sonst wäre ich ja kein Aktivist. Insofern ist das der Vorteil von Blogs gegenüber von Zeitungen: Die Trennung ist nicht so scharf. Da kann ich beides sein: Aktivist und Journalist.

Pegida hattest du angesprochen. Die werden gleich verallgemeinernd als bescheuert und dumm und als Rassisten bezeichnet. Diese Friedendemos werden tot geschwiegen oder als Versammlung von Verschwörungstheoretikern benannt. Warum wird so wenig darauf eingegangen, dass sich Menschen versammeln?

Die Politik geht natürlich voraus und framed die Sache: Das sind alles Doofe, da muss man sich nicht drum kümmern. Aus Angst, weil dort eine neue Bewegung entsteht, die ihnen womöglich gefährlich werden kann. Die Bevölkerung muss vor sich selbst rechtfertigen, warum sie nicht mitläuft. Und die einfachste Rechtfertigung ist: Die sind alle doof. Da machen es sich ganz viele Leute sehr, sehr einfach und wollen gar nicht wissen, was die eigentlich vertreten an Positionen. Sonst müsste man mit sich selbst ins Reine kommen: Warum bin ich gar nicht dabei?

Sind bei Pegida alle doof?

Glaube ich nicht. Da gibt es sicher einige Leute, mit denen ich jetzt nicht essen gehen würde…

Haben die relevante Anliegen?

Das muss man pro Anliegen klären. Da gibt es einige dazwischen, die gut sind. Aber es ist auch viel Rassismus dabei. Das will ich nicht in Abrede stellen. Es ist besonders krass, dass so etwas in Sachsen entstehen kann, wo der Anteil der Muslime so homöopathisch gering ist, dass ich die Bedrohung nicht nachempfinden kann, die einzelne Leute da empfinden. Im Großen und Ganzen gibt es hier eine Gruppe von Menschen, die mit dem System an sich unzufrieden ist. Pegida ist eher so der Wasserhahn, wo der Druck entweicht. Der Druck kommt eben nicht nur von den offenen Positionen, die sie vertreten, sondern das sind viele Leute, die das Gefühl haben, dass ihnen niemand zuhört. Und wenn die Gesellschaft kommt und ihnen explizit nicht zuhört, ich glaube, dann zieht das einfach noch mehr von den Leuten an, die das Gefühl haben, dass ihnen keiner zuhört und sie deswegen mitlaufen. Gar nicht, weil sie unbedingt die Positionen teilen. Das Gefährlichste an dieser Sache ist, dass einzelne Leute sich festlegen darauf, bei Pegida mitzulaufen, aber aus anderen Gründen, und sich genötigt sehen, die andere Positionen mitzuvertreten. Die Presse kommt hin und fragt: Sind Sie Rassist? Und dann stehst du dann da als Demonstrant und denkst: Na, eigentlich bin ich kein Rassist. Und dann kommen eben doch rassistischen Sachen. Ich glaube gar nicht, dass die meisten Leute dort Rassisten sind, oder mehr als die Durchschnittsbevölkerung. Einen gewissen Anteil an Rassismus haben alle Deutschen in sich. Dazu kann man stehen oder man kann ihn wegleugnen. Aber zu sagen, die sind alle doof, ist nicht die Lösung.

Hat die Islamophobie in den letzten Jahren zugenommen?

Ja, definitiv. Aber das ist nicht faktenbasiert. Das Narrativ in der Presse seit Jahren ist: die fiesen islamischen Terroristen. Ich habe neulich ein paar Zahlen herausgesucht, wie viele Leute tatsächlich an islamischen Terroranschlägen gestorben sind und das ist vernachlässigbar. Mehr Leute werden vom Blitz getroffen pro Jahr. Es gibt überhaupt keine Bedrohung durch den Islamismus. Man kann es nicht nachweisen. Was es gibt, sind irgendwelche angeblichen Terroranschläge, die der BND verhindert haben will, aber wo es nicht genug Details gibt, um zu klären, ob die wirklich stattgefunden hätten oder ob die nicht von irgendwelchen V-Leuten angezettelt wurden. Die Frage ist natürlich, ob man das trennen kann: die Angst vor dem Islamismus und die Angst vor dem Islam. Es ist nicht ganz einfach, den Faden zu ziehen. Das eine ist nur ein Ausdruck des Anderen und eigentlich hat niemand ein Problem damit, wenn irgendjemand dem Islam angehört. Es ist eher das Gefühl, man geht durch Berlin-Kreuzberg und die Schilder sind alle türkisch. Das ist ein Rassismus. Mir ist es scheißegal. Wenn das alles Christen wären, hätten die Leute immer noch ein Problem damit. Das Problem ist, dass eigentlich niemand zuhört und wir nicht verstehen, was eigentlich das wirkliche Problem ist. Wir hören nur Parolen, auf die das zusammengedampft wird. Ich glaube nicht, dass es etwas mit dem Islam zu tun hat, sondern das ist einfach Ausländerangst. Das Gefühl, wir werden verdrängt. Und das ist meines Erachtens keine rationale Angst, sondern die wird geschürt. Leute haben Angst.

Bei Panorama haben sie jemand bei Pegida interviewt, der meinte: Mir ist die Rente gekürzt worden, ich habe immer weniger und so weiter. Und gleichzeitig…

Das sind legitime Beschwerden. Man kann auch nicht sagen, dass der keinen Grund hat auf der Straße zu sein. Aber der läuft mit, weil viele Leute auf der Straße sind. Und weil man nicht gehört wird, wenn man als einzelner Rentner durch die Gegend läuft und sagt: Meine Rente ist gekürzt.

Aber sie treten trotzdem nochmal nach unten, auf die noch Schwächeren.

Das ist leider ein menschlicher Reflex. Der ist sehr bedauerlich, den gibt es aber überall. Das ist kein Pegida-Special. Das kann man überall beobachten. Hartz IV ist im Grunde die Idee, dass wir nochmal nach unten treten. Die gesamte Gesellschaft schaut sich das an und sagt: Naja, wenigstens hab ich nicht Hartz IV. Das ist ein Reflex. Man definiert sich darüber, dass es Leute gibt, denen es noch schlechter geht: Wenigstens bin ich nicht Hartz IV. Es ist seit vielen Jahren so, dass die Mittelschicht von der Statistik her weniger Einkommen hat, real, durch Inflation und so weiter. Die Politik schafft irgendwann, damit es Leuten noch schlechter geht. Obdachlose oder so. Eigentlich will man eine klare Abgrenzung haben, damit die Leute Abstiegsangst bekommen. Abstiegsangst ist ein wichtiges Instrument in der Politik, um die Leute dazu zu bringen, dass sie eben doch noch einmal CSU wählen oder CSU oder SPD, es kann ja nochmal nach unten gehen. Das ist die Karotte in der Demokratie, die man den Leuten vor die Nase baumelt. Hartz IV ist der Ausdruck davon, dass man sagt: Guck mal, die Leute da unten.

Siehst du Parallelen zu der Tea Party in Sachen Pegida?

Durchaus. Das ist natürlich ein politisches Spektrum, das ist schon vergleichbar. Auf der anderen Seite laufen bei Pegida nicht nur CDU- und AfD-Leute mit. Das sind auch Linke. Die rassistische Komponente ist ausgeprägter bei uns. Die ist aber auch bei der Tea Party groß. Insofern kann man das schon vergleichen.

Die Tea Party ist eine politische Bewegung geworden…

Das ist ja bei uns auch so. Die AfD ist historisch kein Ausdruck von Pegida aber das ist schon eine große Überlappung in den Bevölkerungsgruppen, die Anhänger sind.

Du hast gerade vom Blitzschlag gesprochen. Sagt unser Verfassungsschutz, Blitzschläge sind die größte Gefahr für die deutsche Bevölkerung – vor den Islamisten?

Es gibt eine Sesamstraßen-Episode, die ist ganz gut illustriert. Da läuft Bert mit einer Banane im Ohr rum. Und der andere fragt, warum läufst du mit der Banane im Ohr rum? Das hilft gegen Krokodile. Wir haben aber gar keine Krokodile! Siehst du, es wirkt! Das ist das, was der Verfassungsschutz macht: Wir haben so wenig Anschläge, weil wir hier so eine gute Arbeit machen. Das kann natürlich keiner prüfen, da die Daten alle geheim sind. Man kann es ihnen glauben oder man kann es ihnen nicht glauben. Aber wenn man guckt, was für Anschläge die angeblich verhindert haben wollen, da wären wahrscheinlich mehr gestorben als bei Blitzschlägen, wenn man der Propaganda glaubt. Aber das ist immer noch viel weniger als im Straßenverkehr oder sonst wo sterben. Es ist immer noch sehr, sehr wenig. Mehr Leute erfrieren im Winter, als dort gestorben wären. Es gibt so viele Sachen, vor denen wir mehr Angst haben müssen als vor Terror. Da könnte man eine ganze Comedy-Show damit füllen!

Findest du den Verfassungsschutz gut oder großartig?

Scheiße! Ich finde, der gehört zugemacht.

Warum?

Weil das viel Geld kostet, mit dem man zum Beispiel Hartz IV aufstocken könnte.

Wir haben gestern mit James Bamford gesprochen. Ich fragte, ob er Geheimdienste kompatibel findet mit Demokratien. Constanze Kurz sagt zum Beispiel: Nein, das geht nicht.

Das sehe ich auch so. Was sagt James Bamford?

Der findet schon.

Also wir hatten gestern hier auch einen Vortrag von einem NSA-Menschen gehabt, der auf dem Teufelsberg stationiert war. Der hat einen Teil seines Vortrags mit Rechtfertigungen verbracht, warum man Geheimdienste braucht. Natürlich muss sich jeder, der in dem Metier gearbeitet hat oder da eine Weile verbracht hat, sich irgendwelche Rechtfertigungen zurechtgelegt haben. Wenn man faktenbasiert rangeht, stellt man fest, dass die Kosten in keinem Verhältnis stehen zu den Vorteilen stehen, die wir aus der Existenz von Geheimdiensten ziehen. Von daher würde ich die alle zu machen. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe uns vor fremden Geheimdiensten zu schützen. Dennoch haben wir den NSA-Skandal! Allein deswegen kann man den zumachen. Er hätte den NSU verhindern sollen, das war auch ein kompletter Reinfall. Die paar Fälle, wo ein bisschen Licht darauf gefallen ist, waren alle Totalschaden auf Seiten des Verfassungsschutzes. Insofern würde ich fragen, wie wir es rechtfertigen, dass wir die überhaupt noch haben.

Wir haben über 20 Geheimdienste in Deutschland. Wir haben den BND, diese Landesverfassungsschutz-Sachen, den MAD. Die würdest du alle zumachen?

Ich würde den Landesverfassungsschutz auch zumachen, ja.

Keine Geheimdienste mehr in Deutschland?

Ja.

Dann wäre Deutschland nur der weiße Fleck.

Aber es hilft doch eh nicht. Der einzige Grund, warum wir Geheimdienste haben, ist, dass wir andere angreifen können. Das finde ich nicht vertretbar in einer Demokratie. Wir sind von Freunden in der EU umgeben. Wenn sollen wir denn ausspionieren? Wir sind Technologieführer. Und defensiv funktioniert es offensichtlich nicht. Insofern würde ich dafür kein Geld ausgeben wollen.

Wenn du sagst, Geheimdienste passen in keine Demokratie, vielleicht sind wir einfach keine Demokratie?

Das kann man natürlich hinnehmen und sagen: Dann sind wir eben keine Demokratie. Ich finde nicht, dass wir das einfach machen sollten. Es gehört natürlich mehr dazu. Wir dürfen auch keine Panzer mehr verkaufen, sondern müssen einfach mal ein paar moralische Standards entwickeln und uns an die halten. Wir haben Streuminen geächtet und bauen die jetzt nicht mehr. Und so müssen wir eben auch mit Malware umgehen und mit Panzern. Wenn wir Panzer nach Saudi-Arabien verkaufen, dann haben wir kein moralisches Standing, irgendjemanden irgendetwas vorzuwerfen. Das ist meines Erachtens so. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Bundesregierung da keine großen Worte findet gegenüber den USA. Denn wir sind einer der größten Waffenexporteure der Welt. Wer sind wir denn, um irgendjemanden zu sagen: Was ihr tut, ist böse?

Gehst du wählen?

Ja, natürlich.

Warum?

Weil ich am System teilnehmen möchte. Ich kann mich nicht beschweren, wenn ich nicht gewählt habe.

Hört sich aber nicht so an, als ob du CDU-, SPD- oder Grünen-Wähler bist.

Ja, es wird immer schwieriger eine Partei zu finden, die noch Punkte vertritt, die ich vertretenswert finde. Aber wenn ich überhaupt nicht wählen gehe, dann wähle ich proportional die Parteien, die am Ende gewinnen. Dann habe ich CDU gewählt. Und das geht nicht.

George Carlin sagte mal: Ihr seid schuld. Wer wählen geht, ist Schuld an dem ganzen Kram und nicht diejenigen, die nicht wählen.

Die Routine kenne ich. Das kann man so sehen. Ich finde, wenn du nicht wählen gehst, kannst du auch nichts sagen. Und er sagt auch nichts. Er kritisiert nicht die Parteien für das, was sie tun, sondern er kritisiert Teile des Systems. Polizei und so. Das kann man tun und wenn einem das reicht. Aber mir reicht das nicht.

Es gibt auch den Spruch: Wenn man etwas ändern will, sollte man nicht wählen gehen.

Nein, anders herum. Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten. Es stimmt natürlich irgendwie. Einer meiner Kritikpunkte ist häufig, wir müssen Demokratie wieder herstellen. Das ist auch sympathisch an der Piratenpartei gewesen, dass die gesagt haben: Solange wir einfach in der Basis des Systems, diese Grundfundamente, solange die schon nicht transparent und nachvollziehbar sind, ist der Rest eigentlich Wurst. So einfach darf man es sich nicht machen. Aber ein Funken Wahrheit ist schon drin. Wenn wir nicht irgendwo anfangen und sagen, wir wollen zurück zu einem demokratischen Rechtsstaat, wird das nicht einfach passieren. Wir müssen arbeiten. Wir können nicht einfach sagen: Naja, dann geht es nicht. Bei mir kommen in letzter Zeit eine Menge Mails an, wohin man denn jetzt auswandern soll. Das ist auch keine Lösung. Wo soll man denn hingehen? Es ist überall scheiße.

Glaubst du, dass wir irgendwann eine Revolution erleben werden?

Nein, das glaube ich nicht. Da habe ich mit dem Herrn Schirrmacher, als er noch gelebt hat, von der FAZ ein langes Gespräch geführt. Er hat ein sehr gutes Argument gehabt: Nach einer Revolution brauchst du 10, 20 Jahre, bis sich das gelegt hat und bis du einen Vorteil von der Revolution hast. Das heißt, eine Revolution findet statt, wenn über die Hälfte der Bevölkerung oder der Leute, die eine Revolution machen würden, noch lang genug leben danach, um nach den 20 Jahren ein Gutteil ihres Lebens noch vor sich zu haben und die Vorteile davonzutragen. Und das ist einfach von der Altersverteilung her nicht mehr der Fall.

Deutschland wird zu alt?

Nein, das ist einfach: Die Alten haben keinen Grund, eine Revolution zu machen. Weil das erstmal schlechter wird nach der Revolution. Und sie werden wahrscheinlich nicht mehr alt genug werden, um die Vorteile und die Nachteile einer Revolution mitzunehmen, so war das Argument. Das fand ich erstaunlich schlagend. Da habe ich bis heute noch kein gutes Gegenargument gefunden. Ich fürchte, das stimmt.

Aber es gilt für Deutschland. Amerika und Südeuropa, die sind ja jünger.

Es ist ja schön, wenn die eine Revolution haben. Aber solange die in den Verträgen drin stecken, die wir ihnen aufgedrückt haben, hilft ihnen das nichts. Ich würde es ihnen gönnen. Und man kann auch austreten aus Verträgen. Also ich habe mich schon ein bisschen lustig gemacht darüber, dass die Briten angedroht haben aus der EU auszutreten, um die Menschenrechtskonvention loszuwerden.

Eigentlich fände ich es gut, wenn es mal einen Präzedenzfall dafür geben würde, aus Verträgen auszutreten. Weil man gemerkt hat, wir haben eine neue Regierung und wir wollen das nicht mehr mittragen. Eigentlich kann man aus so etwas wie TTIP austreten. Man kann auch aus der NATO austreten. Man hat ja nicht seine Seele verkauft an der Stelle. Eigentlich fände ich es gut, wenn da mal ein bisschen Dynamik in die Politik käme. Wenn man sagt, wir gucken uns mal an was man alles für Verpflichtungen unterschrieben hat über die Jahrzehnte. Und dann treten wir aus, wenn wir das nicht mehr wollen. Die Amerikaner sind flexibel genug, zum Beispiel aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten mit den Russen. Der ist einfach nicht verlängert worden. Das ist auch für uns eine Option. Aber das wird hier überhaupt nicht diskutiert. Es ist gut, wenn man darüber mal nachdenkt.

Müssen wir eigentlich in der NATO sein? Gegen wen verteidigen wir uns eigentlich? Wir reden immer, ob die Türkei in die EU kommt, aber warum sind wir eigentlich in der NATO? Das ist per se kein Vorteil, dass wir in der NATO sind. Wir können einen Bündnisfall ausrufen, wenn wir angegriffen werden. Aber wer soll uns denn angreifen?

Es wurde bisher nicht einer angegriffen.

Wir haben es verhindert, wir sind umgeben von anderen Ländern und da müsste der Angreifer erst einmal durch. Reicht ja, wenn die in der NATO sind, oder? Es gibt die Option, aus solchen Verträgen auszutreten. Und das muss man eigentlich mal machen. Nicht austreten, aber zumindest gucken, ob man als Land in allen Verträgen noch drin sein muss. Im Moment haben wir es so, dass Sigmar Gabriel sagt, die Rüstungsverträge mit Saudi-Arabien, da kann er nichts machen. Das ist ein Vertrag, den die Vorregierung beschlossen hat. Das darf einfach in Zukunft keine gültige Ausrede mehr sein. Es darf nicht gehen, dass wir einfach irgendwelche Sachen unterschreiben und die nachfolgende Regierung kann das nicht mehr ändern. Wozu wählen wir denn, wenn wir Verträge haben? Wenn die Vorregierung so viel Schaden anrichten kann – in die nächsten Legislaturperioden hinein! Das geht nicht! Es gibt zu viele kleine Sachen, die man einfach mal ändern könnte. Und das wäre so eine, die mir am Herzen liegt: Die Vorregierung darf nicht Immunität haben vor Strafverfolgung. Man muss einfach irgendwelche Konsequenzen androhen können, wenn Völkerrecht gebrochen wird oder so. Aber das wird bei uns überhaupt gar nicht diskutiert.

Nach dem Kosovo-Krieg hätte man sagen können, die Grünen kommen jetzt in den Knast, weil sie Völkerrecht gebrochen haben. Das haben sie selbst zugegeben. Das hat Schröder neulich zugegeben. Man hätte sagen können: Ja, mach mal eine Anklage. Aber so etwas wird nicht diskutiert bei uns. Das finde ich schade. Das wäre so ein Silberstreif, den ich mir wünschen würde. Aber was man konkret machen könnte, da fällt mir außer Wählen auch nicht viel ein. Eine Revolution sehe ich nicht, ehrlich gesagt. Aber ich frage natürlich immer wieder gerne, wo sie bleibt. Ich hätte es schon gerne. Aber solange die Revolution nicht in Deutschland ist, werden die Auswirkungen eher gering sein.


In der ungekürzten Videofolge gibt Fefe unter anderem seinen Ausblick aufs neue Jahr ab und beurteilt die anstehenden Neuwahlen in Griechenland und Israel.

Gespräch: Tilo Jung; Produktion: Alex Theiler; Transkript: Anne Juliane Wirth