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Wir sind beim CCC, da waren wir letztes Jahr schon. Diesmal ist es der 31. Chaos Communication Congress. Wer bist du?
Ich bin Alec Empire und wurde hier als Musiker eingeladen, eine Rede zu halten zum Thema wie wir, wie ich bestimmte Themen, die oft schwer zu vermitteln sind, aus der Hackerszene zum Beispiel, über Musik oder Kultur insgesamt transportieren kann.
Musik soll das machen?
Genau. Es gibt viele Leute, die kann man sonst nicht erreichen. Wir kennen das ja. Ein Beispiel, was jeder vielleicht sofort versteht, ist Film. Wenn man eine Doku sieht, vielleicht sogar in Spielfilmform, da verstehen plötzlich Leute viel schneller, als wenn du ihnen ein Buch gibst. Warum das so ist, weiß ich nicht. Aber ich habe in den letzten 20 Jahren erfahren, dass man mit Musik Leute auch ködern kann, dass sie sich fragen: Worum geht’s da? Und dann informieren sie sich weiter. Ich bin mir natürlich bewusst: Ein normales Musikstück, ein Song, hat drei Minuten. Da kann ich natürlich nicht unendlich viel Informationen reinstecken.
Da kannst du nicht erklären, was Snowden enthüllt hat?
Nicht ganz. Aber was man auf jeden Fall machen kann, ist, Themen ansprechen und die Leute emotional so erreichen, dass sie sich fragen: Hey, warum ist das eigentlich so wichtig? Und ich merke, dass auch viele aus der Hackerszene, als sie jünger waren, durch unsere Musik erst zum Hacken gekommen sind. Dass Leute gesagt haben: Hey, Musikvideo… Ich habe vorhin auch etwas gezeigt. 1990 oder so, das ist schon ein Weilchen her, da waren die 15 oder 16 Jahre alt und haben plötzlich die Welt aus einem anderen Blickwinkel gesehen. Und das ist, was Musik sehr gut kann. Jeder kennt das: Man hört Musik, und es ist fast wie eine Art Soundtrack zum Film im Leben, der sich abspielt. Das ist jetzt ein bisschen übertrieben. Aber wenn man die Musik gut findet, dann passiert es. Das kennt vielleicht jeder: Man hat sich verliebt, hört den einen Song. Und dann passt es gerade perfekt. Und das kann dich dann 50 Jahre begleiten, und du bist dann Opfer davon, weil dein Gehirn assoziiert das halt mit einem bestimmten Gefühl. Und das ist eingebrannt und sehr stark. Deswegen haben viele Leute Angst, in der Popmusik politische Themen aufzugreifen. Weil sie wissen, sie stellen sich einer Diskussion. Sie sind angreifbar.
Indem man eine Position bezieht?
Genau. Also Musiker generell versuchen anzuecken. Wenn man jetzt die Popmusik sieht – und das ist, was viele Leute machen.
Du nicht! Ich kenne deine Musik ja.
Nein, genau. Ich nicht. Aber ich versuche mal zu erklären: Popmusik ist meistens so, dass du versuchst, eine größtmögliche Menge an Menschen zu erreichen. Das sehen viele Leute als normal an. Aber es war nicht immer so in der Musikgeschichte. Früher haben oft Adlige oder die Kirchen Aufträge erteilt: Komponisten, schreibt mal Musik! Da haben die meisten Leute in der Bevölkerung gar keine Musik gehört. Musik war nicht auf Tonträgern vorhanden. Und dann hat vielleicht einer mal auf der Ukulele beim Dorffest gespielt. Aber die Leute umgab die Musik nicht im Alltag. Die haben eher selber Musik gemacht, abends, und so.
Und selbst gesungen…
Genau. Es war eher so eine Community… Wie sagt man auf Deutsch? Ja, etwas, das man mit Freunden und Familie gemacht hat, auch zusammen. Das ist sehr verloren gegangen, seitdem Musik vermarktet wird und auch elektronisch erhältlich ist. Man sagt: Du kannst nicht so gut singen wie der bekannte Künstler. Ich lege – damals – lieber die Schallplatte auf. Dann wurde es CD. Jetzt ist es der Computer, auf dem man irgendetwas Digitales abspielt – ob es eine MP3 ist oder was auch immer. Das muss man eben verstehen.
Das ist so ein bisschen wie bei einem Dinner. Stellt euch vor, du hast ein Weihnachtsessen mit der großen Familie! Wenn du da ein Thema ansprichst, bei dem nicht alle einer Meinung sind. Zum Beispiel: Der Student sagt, wir brauchen mehr staatliche Gelder, weil ich keinen Nebenjob machen will. Da kann es sein, dass sich der Opa aufregt: Ja, früher bin ich auch mit weniger ausgekommen. Das ist vereinfacht gesagt, aber ich glaube, jeder kennt diese Situation, dass man manchmal sagt: Ich vermeide lieber, dieses Thema anzusprechen, sonst gibt es wieder ein Drama. Irgendwer steht auf und knallt die Tür, und irgendwer fängt an zu heulen und dann gibt es einen großen Streit…
Stressvermeidung.
So eine Gleichmäßigkeit, wo man versucht, bloß keine Wellen zu erzeugen. Lieber alles wie bei einem See auf gleicher Ebene halten. Und das machen ganze viele Musiker, weil sie Angst haben anzuecken. Und der Witz ist – und das habe ich versucht zu erklären –, ich weiß nicht, ob es vielen auch bewusst geworden ist: Popmusik ist im Verhältnis zur ganzen Bevölkerung sehr klein. Wenn du nach Verkäufen gehst, dann verkaufen viele der Topkünstler nicht mal eine Million Platten auf der Welt oder Downloads oder andere Formate. Wenn du nur mal Amerika als Markt siehst, das sind 300 Millionen Leute, die einen Fernsehen haben und so weiter. Da ist es eigentlich ein absoluter Witz, was Beyoncé zum Beispiel macht. Im Verhältnis ist das eine Minderheit von Menschen, trotzdem glauben alle daran, das repräsentiert die Mehrheit. Ich glaube, dass wir durch das Internet eine Chance haben, Leute zu erreichen, die Popmusik noch nie interessiert hat. Es gibt viele Genres, und es gibt Heavy Metal und Klassik und so weiter. Aber ich glaube, der Trend wird noch zunehmen. Es gibt viele Leute da draußen, die noch gar nicht ihren Musikgeschmack gefunden haben. Es ist jetzt eine große Chance, durch die Technologie Leute zu finden, die man davor nicht erreicht hat. Wenn man eben etwas anderes macht, was eben nicht reinpasst, zum Beispiel ins tägliche Radioprogramm. Wo es auch ganz klar ist – und das wissen viele Leute nicht unbedingt immer: Die Leute sitzen im Auto, wenn sie zur Arbeit fahren, dann sollte es halt kein Generve geben, und dann wird natürlich bestimmte Musik einfach aus Prinzip nicht gespielt. Das sieht man immer, wenn du dir die Heavy Metal Musik anguckst: Die Festivals sind mit die Größten, die es gibt. Aber du hörst die Musik eigentlich nicht im Radio tagsüber, du hörst vielleicht Spezialsendungen, irgendwo mal abends oder so.
Weil Heavy Metal zu politisch ist?
Nein, weil Heavy Metal meistens zu aggressiv klingt für Leute, die zum Beispiel zur Arbeit fahren.
Aber das könnte doch richtig sein: auf dem Weg zur Arbeit ein bisschen aggressiv werden.
Ich bin eh dafür, dass diese Regeln aufgebrochen werden! Aber viele, die in den Medien arbeiten, sagen: So hat man das immer gemacht. Warum sollen wir das denn jetzt anders machen? Und dann wundert man sich, dass viele Leute vielleicht ihr Handy ans Autoradio anschließen und die Musik hören, die sie selber hören wollen. Oder bestimmte Sendungen. Die Leute hören dann eben Podcasts im Auto. Das ist auch so ein Beispiel: Früher hieß es immer, man soll nicht so viel reden im Radio. Denn wenn Leute im Auto sitzen, dann lenkt es sie ab. Das ist zu viel, zu kompliziert, die Leute wollen einfach nur Musik hören. Wir sehen mit Podcasts, wenn wir das weltweit mal so ein bisschen betrachten, wie es wächst: Deutschland ist vielleicht noch nicht so ein Podcast-Land, aber in Amerika kommen die auf ganz andere Zahlen. Da kann man nicht mehr sagen, dass es Leute nicht interessiert, wenn sie eine Stunde zur Arbeit fahren, was Interessantes zu hören.
Ganz kurz: Der erfolgreichste Podcast aller Zeiten – ich weiß nicht, ob du das gehört hast –, ist dieses „Serial“, der ist erst ein paar Wochen alt.
Um was ging’s da?
Das ist so ein bisschen true-crime.
Ach so.
Eine Staffel über zwölf Folgen, true-crime. Das hatte am Ende mehr Hörer oder Downloads als ein Staffelfinale von „Mad Men“ im Fernsehen.
Ja, super!
Podcasts kommen wirklich! Du meintest gerade, Popmusik sei unpolitisch?
Eigentlich schon. Vor allem seit dem Irakkrieg.
War Popmusik vielleicht schon immer so oder war Popmusik vielleicht mal politisch?
Es gab immer beides, es war in einer Balance. Musiker haben früher, also zum Beispiel in den 60er Jahren, eben nicht diese Ängste gehabt. Das sind nicht oft die Musiker allein, das sind auch deren Managements, das ist die Musikindustrie, die eben sagt: Hey, dazu sollten wir mal lieber nicht Stellung nehmen. Ein gutes Beispiel, wovon die Leute vielleicht auch gehört haben, sind die Dixie Chicks. Als der Irakkrieg losging, haben die sich als erste Band öffentlich geäußert, dass es falsch ist, wenn man noch keine Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak hat, das man da gleich irgendwie einmarschiert.
Sie hatten ja recht.
Aber sie wurden gleich so verteufelt, dass sie überall auf die schwarzen Listen gesetzt wurden und ihre Karriere einen sehr starken Knick gemacht hat. Und das ist mit ganz vielen Künstlern passiert, genau in dieser Zeit. Das Internet hat eine Atmosphäre der Angst geschaffen. Wenn du Facebook- oder Twitter-Follower hast, da gibt es das Phänomen auch. Wenn du ein Thema ansprichst, was nicht alle gerne mögen, dann verlierst du Follower. Ich kenne das von mir selber. Ich habe immer eine sehr eigene Meinung zu bestimmten Themen, wenn es um diese „Umsonstkultur“ zum Beispiel geht. Es gibt Vorteile, es gibt aber eben auch Nachteile, und darüber habe ich vorhin gesprochen. Es gibt diese eine Sichtweise, die wird immer wieder wiederholt. Und wir sehen einfach, dass das nicht funktioniert, also dieses Ding.
Aber irgendwann wird es funktionieren vielleicht….
Aber wir haben schon eine Generation verloren. Und ich finde es interessant, dass Leute, die sich sehr rational mit encryption, also Verschlüsselung, beschäftigen, dass sie, wenn es um solche Themen geht, die Fakten komplett ausblenden, die auf dem Tisch liegen. Wir haben eine Hierarchie geschaffen im Internet, in der einige wenige alles Geld machen. Und der Rest wird eigentlich Richtung Hobbymusiker gedrängt. Diesen starken Independent-Bereich, den wir in den 90ern oder 80ern gesehen haben, wir nennen das immer so mid-sized, also mittelgroße Bands, die spielen keine Stadien, sondern die spielen vielleicht vor 1.000 Leuten oder 500 Leuten. Sie werden immer weiter abgedrängt in die Bedeutungslosigkeit – durch diese Struktur, die wir im Internet haben! Du musst dir vorstellen: Früher konnten weniger Leute veröffentlichen, ist klar. Dadurch hat man viele Sachen nicht mitbekommen. Manche Leute sagen, es gibt mehr Kreativität als je zuvor. Ich denke, es gibt genauso viel Kreativität, aber die wird jetzt mehr wahrgenommen, und zwar in der Form, dass man auf Youtube geht.
Da sitzt einer mit der Akustikgitarre und singt eine Coverversion und hat die hochgeladen. Das ist völlig in Ordnung. Früher wäre es vielleicht jemand gewesen, der hätte das auf Video aufgenommen und es seinen Freunden gezeigt. Aber die Leute erreichen dann nicht unbedingt die Massen an Leuten. Das ist immer dieses Versprechen: „Hey, du kannst auch ein Star werden“, eigentlich wie bei solchen Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“. Dieses: Hey, macht mit. Und du kannst berühmt werden.
Ist „Deutschland sucht den Superstar“ nicht etwas Demokratisches?
Nein, weil es steht fest, wer gewinnt. Es ist eine Show!
Warum?
Es ist keine demokratische Wahl.
Die Zuschauer entscheiden doch am Ende.
Nein, das ist so. Das haben die schon längst zugegeben. Es wird in die Richtung so getrieben, dass du eine gute Fernsehshow hast und gute Werbung verkaufen kannst. Es geht nicht darum rauszufinden, was das Publikum wirklich gutfindet. Das kann man daran sehen, dass die „Stars“ ganz schnell wieder verschwinden. Wenn das Publikum wirklich, also die Massen, ihren „Star“ ausgewählt hätten, dann würden die nicht sofort wieder abwandern. Man kann jetzt sagen, Musik ist schnelllebig – stimmt! Aber es gibt viele Stars, die halten sich über Jahrzehnte. Deswegen ist dieses System, so Stars zu finden, anscheinend nicht so gut, weil man nur einen sehr kurzzeitigen Effekt hat. Von Erfolg, der dann auch fragwürdig ist.
Da ist die Show also das Making-of und nicht das eigentliche…
Na klar! Es geht darum, einfach nur zu richten. Wenn du wirklich kreativ bist, und du begibst dich da rein, ist das wie bei den Gladiatorenkämpfen. Du wirst geschlachtet. So reagieren die meisten. Wenn du mal siehst, wie Menschen sich drüber lustig machen und das aburteilen… negativer kann es nicht sein! Und die meisten Leute bleiben nicht kreativ, sondern gehen wie geprügelte Hunde raus und wollen nie wieder etwas mit Musik zu tun haben. Jeder, der mit Musikern arbeitet, weiß, dass es genau die falsche Art und Weise ist, Kreativität zu fördern, indem man Personen sofort niedermacht, wenn sie ganz am Anfang stehen. Jeder Klavierlehrer kann dir das sagen! Es gibt vielleicht bestimmte Schüler, bei denen du sagst: Okay, da muss ich auch mal ein hartes Wort sagen. Aber wenn du Leute so fertigmachst wie in diesen Fernsehshows oder eben auch online, das muss man auch sagen. Wenn sie etwas auf Youtube hochladen, sind sie happy und sagen: Hey, ich wollte nur was hochladen! Und dann siehst du den Hass. Manchmal gibt es Beispiele, die große Aufmerksamkeit erregen, weil es einfach viele Leute besonders blöd oder lächerlich finden. Jemand, der gerade anfängt, etwas zu machen oder vielleicht - sagen wir mal - 14 Jahre alt ist, da es kann sein, dass die Leute nie wieder Musik machen, sich nie der Öffentlichkeit stellen. Ich finde es schade, dass wir nicht im Internet ein System schaffen können, das Leute fördert, dass sie besser daraus hervorgehen und weiterkommen. Das ist so ein Mob-Verhalten… jemanden sofort anzugleichen, konform zu machen. Du passt nicht rein,…tuuusch, kommt der Hammer auf den Nagel.
Es wird sofort bewertet. Es wird keine Zeit gegeben.
Mal ganz ehrlich: Wenn man etwas veröffentlicht, muss man sich der Kritik stellen. Ist ja klar. Das kenne ich auch bei meiner Rede… Ich hätte noch langsamer reden müssen, damit ich verstanden werde.
Du stellst dich auf ein Podest oder wirst dahin gestellt. Ich war hier eingeladen. Und dann muss man damit klarkommen, dass Leute sagen: Ja, sorry. Werft ihn den Löwen vor! Da habe ich ein großes Selbstbewusstsein, weil ich einfach schon sehr lange Musik mache. Weil ich mir überlege, wie ich zu bestimmten Themen stehe und einfach weiß, dass ich aus Spaß nicht einfach so einen Gedanken anspreche, sondern fest davon überzeugt bin. Deswegen kann ich in einem Stadion stehen vor Leuten, die alle auf mich einschreien. Ich würde dort trotzdem stehen, auch wenn mich alle anschreien – ich lasse mich davon nicht beeindrucken.
Aber introvertierte Leute, da sehen wir nicht, dass sie von dem Internet profitieren. Und das ist sehr schade, weil in der Musik oder in der Kunst generell - also alles, was mit Kreativität zu tun hat - genau diese Leute oft die besten Sachen gemacht haben. Leute, die eher in sich gekehrt waren, die auch Einzelgänger waren, die Sachen als Außenseiter gesehen haben, die eben nicht aus der Masse hervorgegangen sind, sondern die uns gezeigt haben: Hey, es gibt einen anderen Blick. Und das sagt viel über uns selber aus – als Publikum oder Gesellschaft. Wenn man sich dafür interessiert, zum Beispiel für Rassismus, dann macht es nicht unbedingt Sinn, Leute aus der Mitte der Gesellschaft zu fragen, sondern dann muss man die Leute fragen, die Opfer von Rassismus sind. Und das gilt auch für andere Themen, die Musiker vortragen, die einfach nicht mehr gehört werden. Wir verschenken sehr gute Leute! Da wird so drüber gegangen, weil man irgendwie hohe Klickzahlen erreichen will und Werbung verkaufen will.
Der Markt entscheidet.
Der Markt entscheidet – kann gut sein. Aber es ist sehr kurzfristig gedacht. Der ganze Kram, den Google macht und Facebook und so weiter: Wenn der Inhalt flöten geht, bricht das Kartenhaus in ein paar Jahren zusammen. Man muss andere Sachen auch fördern. Da ist es auch ganz interessant, wenn man sich traditionelle Plattenfirmen anguckt, die immer als die Bösen gelten. Die meisten Leute hier würden sagen: Ja ,die ganzen bösen Plattenfirmen, die wollen uns irgendetwas nicht geben, was total gut ist, und deswegen muss das Internet her, und das reißt die Grenzen ein.
Das sind die Gatekeeper.
Genau! Ich wollte kein Fremdwort benutzen. Aber Gatekeeper… Wie sagt man das jetzt auf Deutsch?
Türsteher?
Die Einlasser. Diese Sichtweise gilt für manche Bereiche, aber die ist aber eigentlich zu vereinfacht. Zum Beispiel, wenn man sich elektronische Musik anguckt. Damals hat die Musikindustrie gedacht, so Ende der 60er, Anfang der 70er: Es gibt diese Synthesizer und neue Geräte, die hören sich an wie die Zukunft. Und da investieren wir, da stecken wir einfach Geld rein. Wir verstehen auch nicht, was das eigentlich ist und warum. Aber das wird auf jeden Fall irgendwo hinführen. Die haben investiert, und dann gab es viele Platten, oft waren das Sachen wie klassische Musik, mit Synthesizern gespielt, oder solche Sachen. Oder Pop-Hits, die waren dann oft elektronisch gemacht. Oft auch ohne Gesang. Instrumentals. Das kennt man vielleicht teilweise so aus Zeichentrick- oder Kinderfilmen. Oder in der Werbemusik vielleicht. Du gehst in den Supermarkt, und dann läuft eine elektronische Version von einem Hit Anfang der 70er, aber es flunkert im Hintergrund. Und man konnte 1975 sagen: Haha, die sind alle gescheitert, das hat nicht funktioniert. Man geht zur Diskomusik, wo es viele entscheidende Experimente gab, die dann Ende der 60er, Anfang der 70er gemacht wurden, um eigentlich die 80er Jahre einzuleiten. Was die Leute zehn Jahre vorher gemacht haben, war unheimlich wichtig, sonst würden wir alle die Musik gar nicht so hören, wie wir sie jetzt hören. Das wäre nicht durch Mob-Verhalten entschieden worden. Die Frage ist: Können Hacker und Musiker etwas schaffen, was das ersetzt? Wenn traditionelle Plattenfirmen irgendwann verschwinden, dann fehlt uns das. Uns fehlt, dass in Experimente investiert wird. Hohe Qualität, die ganz schnell gemacht wird zum niedrigen Preis, geht einfach nie! Jeder, der Filme oder Musik macht, der weiß, dass es nicht geht.
Das sollte die Aufgabe sein, die auch Hacker angehen müssen. Ich sehe, dass es viele Opfer dieser falschen Denkweise gibt. Viele Hacker sehen sich immer als außerhalb, die haben damit nichts zu tun. Vieles dieser Denkweise basiert auf einer eigentlich falschen Philosophie. Du wirst immer in einen ganz harten Konflikt geraten, wenn du andere Leute so angreifst, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen können zum Beispiel. Es ist Wahnsinn, dass sich alle irgendwie streiten um das Urheberrecht, anstatt dass wir sagen: Hacker und Künstler sollten sich zusammentun und wir sollten ein System schaffen, wovon alle profitieren. Wo nicht immer die einen gesehen werden, die klauen und die anderen, die es produzieren. Die sind dann sauer und hören entweder auf oder holen die Rechtsanwälte.
Warum kann man das Problem nicht anders lösen? Das muss gehen. Ich habe noch keine Lösung. Das ist wie Umweltverschmutzung: Du kannst dieses System nicht aufrecht erhalten! Ich denke wirklich zehn Jahre voraus und sage nicht: Nächstes Jahr geht die Welt unter. Wenn Leute anfangen, darüber nachzudenken, könnte das viel besser werden.
Du hast vorhin gesagt, Musiker sollen darüber nachdenken oder wieder sagen, was ihnen wichtig ist. Glaubst du überhaupt, dass viele Musiker wissen, was wichtig ist?
Nein. Es gibt Musiker, die machen einfach Musik, und dann gibt es auch Musiker, die sich Sorgen machen um ein bestimmtes Thema und wollen das ausdrücken. Genau diese Leute sollten nicht in der Angst leben, ständig festgenagelt zu werden, bloß weil sie mal ihre Meinung sagen. Das finde ich immer schon mal falsch: Eine Gesellschaft, in der Leute Angst haben, ihre ehrliche Meinung zu sagen… Ich sehe das hier zum Beispiel, wenn ich bei Twitter gucke. Wenn jemand nicht übereinstimmt mit meiner Meinung, wird sofort meine Musik runtergemacht. Ich dachte so, mir geht es gar nicht um meine Musik. Ich mache die Musik nicht, damit sie jedem gefällt, also so blöd bin ich noch nicht! Sonst würde ich ganz andere Musik machen.
Popmusik?
Auf jeden Fall würde ich nicht den Weg gehen, den ich gehe. Man muss sich angewöhnen zu sagen: Hey, da kommen Themen auf den Tisch, über die sollten wir mal diskutieren. Und die können halt anders auf den Tisch kommen – zum Beispiel in Form von Musik, Büchern oder Filmen oder Fotos, also alles, was Kreativität angeht - als dass immer irgendein Politiker vorträgt oder jemand, der Aktivist ist. Weil die einfach viele Leute nicht erreichen.
Wir sehen das mit Überwachung: Wir haben es nicht geschafft, seit 2013 wirklich die große Mehrheit der Leute zu bewegen. Es müssten nicht 10.000 hier sein, hier müssten eigentlich 100.000 Leute sein, mindestens. Es müsste größer sein als Rock am Ring oder so. Es ist nicht so. Weil die meisten Leute es einfach nicht verstehen, warum es für sie wichtig ist. Und sie werden es nicht verstehen, wenn wir nicht die richtige Sprache finden – und das kann Musik zum Beispiel machen.
Wie soll das mit der Sprache funktionieren?
Erstmal müssen wir damit mehr experimentieren. Wichtig ist, dass Hacker sich Leute suchen, die das umsetzen. Das Problem, was wir haben, sind eigentlich alte Leute. Man müsste das eigentlich umsetzen mit Schlagermusik. Das fand ich total lustig, weil so habe ich noch nie gedacht. Für mich ist immer so: Alte Leute kann man nur sehr schwer umstimmen.
Stefanie Hertel muss ein Überwachungslied singen?
Ja! Wenn sich Helene Fischer oder so dazu äußern und vielleicht auch sogar ein Beispiel bringen würde. Der Punkt ist: Wir kennen viele Beispiele – aus der DDR. Wenn du persönliche Schicksale nimmst und die beschreibst, ist es vielen Leuten klar, dass es sie auch treffen kann.
Vielleicht gibt es diese persönlichen Schicksale nicht, weil die NSA doch vielleicht nicht so schlimm ist?
Das ist die Frage. Wollen wir verhindern, dass es Massen an Opfern gibt? Es war gerade Mauerfall, 25 Jahre. Jetzt ist vielen Leuten klar, dass es in der DDR doch mehr Opfer gibt, als es während der DDR-Zeit bekannt war. Wollen wir es erst darauf ankommen lassen, dass es massenhaft Opfer gibt?
Dieses System mit der Technologie in Verbindung gibt es noch nicht Ewigkeiten, und es ist nur eine Frage der Zeit. Solche Sachen fangen nicht immer sofort an mit Dauerterror, sondern die steigern sich. Was man übrigens auch am Dritten Reich sehen kann. Viele Amerikaner verstehen es immer nicht. Wir in Deutschland können das gut nachvollziehen, weil wir hatten zwei wirklich krasse Systeme letztes Jahrhundert. Viele Leute können sich diesen extremen Wandel oft gar nicht vorstellen, die kennen das vielleicht aus Geschichtsbüchern und so, aber es ist etwas anderes, wenn du das durchlebt hast.
Ist der Unterschied nicht so ein bisschen… Drittes Reich, DDR – das waren Diktaturen. Die Leute hatten keine Chance, die konnten sich nicht wehren dagegen, dass sie überwacht wurden.
Deswegen sollen wir uns jetzt ja wehren.
Ist das die Konsequenz, dass wir noch die Chance haben zu sagen: Nein, wir wollen das nicht?
Ja, natürlich.
Aber es passiert nicht. Also vielleicht wollen die Leute das ja?
Ich bin davon überzeugt, dass es viele Leute in zehn Jahren sehr stark interessieren wird, weil sie vielleicht sehen, dass sie gar keine Jobs kriegen, aufgrund irgendwelcher Sachen, die sie mal gesagt haben im Internet, oder dass Versicherungen sie nicht aufnehmen. Man muss nicht der radikale Terrorist sein oder jemand, der irgendwie „Das Kapital“ neu schreibt und irgendwie alles stürzen will, damit man davon Opfer wird.
Wir sind an so einem Scheideweg und müssen die Wege finden. In den letzten anderthalb Jahren haben wir es nur bis zu einem bestimmten Punkt geschafft. Es muss weitergehen! Es ist vielleicht ein längerer Weg, als man denkt. Man muss anfangen und daran arbeiten und sich auch eingestehen: Mist, die und die Sachen funktionieren einfach nicht so, wir kommen da nicht ran. Wir können jemandem erklären, der sein Smartphone benutzt, warum ist es wichtig, es einfach bewusster zu benutzen. Viele Leute sind faul. Genau diese Faulheit ist oft das Hauptproblem. Dass Leute herein marschieren in Desaster, weil sie sich davor keine Gedanken gemacht haben, was sie da eigentlich tun. Wir haben es auch gesehen mit der Umweltverschmutzung. Es ist nicht so, dass die Menschen immer erst über die Klippe springen müssen. Uns macht es zum Menschen, dass wir vorausschauen können, dass wir handeln können.
Im ungekürzten Gespräch der Videofolge geht es unter anderem noch um die Probleme von „Atari Teenage Riot“ mit dem deutschen Index und Spotify sowie darum, ob Alec Empire noch wählen geht.
Gespräch: Tilo Jung; Produktion: Alex Theiler; Transkript: Anne Juliane Wirth