Der Affe und das Mädchen
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Der Affe und das Mädchen

Eine Kurzgeschichte in fünf Teilen. Rückschau: In Teil III wurde Schauspielerin Anahita ein Vertrag in einer Kochshow in Aussicht gestellt. Von Mathieu lernte sie, was es bedeutet, gastrosexuell zu sein.

Profilbild von Olga Grjasnowa

Was ist bislang passiert?


Auch an jenem Morgen strahlte die kalifornische Sonne. Anahita fuhr entlang des Ozeans, die Wellen schlugen hoch, zwischen den einzelnen tauchte Surfer auf und ab. Sie zündete sich eine Zigarette an.

Anahitas Fernsehsender wollte zuerst eine Pilotfolge produzieren, um sie dann einem Testpublikum vorzuführen. Geplant war ein einziger Drehtag, und Anahita war auf dem Weg nach Teherangeles, einem Stadtteil zwischen Beverly Hills und West Los Angeles, in dem Auswanderer aus dem Iran wohnten.

Tatsächlich waren in diesem Viertel die meisten Schilder auf Persisch und nicht etwa auf Englisch, es gab Farsi-sprechende Frisöre, Persisch-Unterricht für Nicht-Iraner, Buchhandlungen, Banken, Nagelstudios und natürlich Restaurants. Doch Anahita wusste, dass zumindest die letzteren ihr keine Geheimnisse verraten würde. Sie ging in eine kleine Buchhandlung am Westwood Boulevard hinein und fragte in einer Sprache, die sie seit einem Jahrzehnt nicht mehr gesprochen hatte, nach einem Kochbuch. Der Verkäufer, ein hochgewachsener Mann mittleren Alters, der in seinem Laden Hausschuhe trug, präsentierte Anahita gleich drei. Es waren großformatige Ausgaben, auf Englisch geschrieben und in den USA verlegt.

„Haben Sie auch welche auf Farsi?“, fragte Anahita.

„Die hier sind besser“, entgegnete der Verkäufer und lächelte, etwa so, wie er seine Enkelin anlächeln würde, wenn diese ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätte.

„Darf ich die anderen trotzdem sehen?“

Der Verkäufer zuckte mit den Schultern und brachte auch die anderen Bände. Insgeheim musste Anahita dem Verkäufer recht geben, die persischen Ausgaben hatten kaum Bilder, die Anweisungen waren eher an eine erfahrene Köchin gerichtet und nicht etwa an eine blutige Anfängerin, zudem hatte Anahita Mühe, ihre einstige Muttersprache fließend zu lesen. Vorsichtshalber beschloss sie, alle Bände mitzunehmen, und hoffte, dass ihre Kreditkarte nicht streiken würde. Ihr erstes Gehalt würde erst nach der abgedrehten Pilotfolge ausgezahlt werden. Sie war nun in der Endauswahl für die Rolle.


Mit diesen Büchern ging sie in einen Friseursalon und ließ sich dort auf der Wartebank nieder. Abbas war noch immer in der kleinen Tragetasche, die sie ihm gekauft hatte. Er trug eine rote Mütze und eine Windel. Von weitem sah er aus wie ein kleiner Säugling, doch als die Empfangsdame des Salons sich nun über ihn beugte, entfuhr ihr zuerst ein Schreckensschrei, doch dann lachte sie, laut und herzlich.

„Wie heißt er?“, fragte die Frau. Sie war von einer mittleren Statur, weder dünn noch dick, hatte eine goldumrandete Brille und ein extrem weißes Gebiss. Ihr Gesicht war ebenfalls ein wenig überpflegt.

„Abbas“, sagte Anahita.

„Beißt er?“, fragte sie.

„Affen beißen nicht“, sagte Anahita und errötete.

„Bis die nächste Epidemie ausbricht, was? Wer von euch beiden braucht einen Haarschnitt?“

Ein Lehrling legte Anahita einen Umhang um und schamponierte ihr Haar, wobei er auch die Kopfhaut gründlich massierte. Abbas verhielt sich ruhig. Anahita wurde zu ihrem Platz geführt.

„Wie hättest du es gerne?“, fragte die Frisörin. Auch sie beugte sich mit einem besorgten Gesichtsausdruck über den Babykorb.

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Anahita schob Abbas unter sich und die Tüte mit ihren neuerworbenen Büchern möglichst demonstrativ auf die kleine Kommode neben dem Spiegel und hoffte, dass die Tüte die Aufmerksamkeit der Frisörin auf sich lenken würde.

„Bitte schneiden Sie nur die Spitzen.“

„Ok.“

Nun war Anahita froh darüber, dass sie in Abbas’ morgendliches Fläschchen etwas von ihren Beruhigungsmitteln beigemischt hatte. Abbas lag ruhig in seinem Korb und schlief, scheinbar unbekümmert.

„Versuchst du, kochen zu lernen?“, fragte die Frisörin Anahita.

„Ja.“

„Sehr gut.“

Das Gespräch stockte, da die Frisörin sich auf Anahitas Haar konzentrierte.

„Kochen Sie?“, fragte Anahita, ihre Stimme klang verzweifelt.

„Natürlich.“

„Was kochen Sie?“ Anahita bemerkte, dass die andere zu kurz schnitt.

„Pasta.“

„Pasta?“

„Hm.“

„Sie kochen nicht persisch?“

„Kaum, das dauert so lange.“

„Haben Sie noch Erinnerungen daran, wie ihre Mutter gekocht hat?“

„Wir hatten ein Dienstmädchen.“

„In Teheran?“

„Ich bin Amerikanerin.“


Für die Aufzeichnung der Pilotfolge bereitete Anahita nichtsdestotrotz ein klassisches persisches Menü zu, das sie zuvor im Internet gefunden und in ihrer Küche probegekocht hatte: Ālbālu Polo, Safranreis mit Sauerkirschen, der zuerst in gesalzenem Wasser gekocht, dann zusammen mit Butter, Safran, Kirschen und einer Teigkruste gegart und schließlich mit Pistazien garniert wird.

Während sie den Reis abgoss, erzählte sie, dass die meisten Iraner bereits einen speziellen Reiskocher benutzen, bei dem die Kruste nicht anbrennen kann. Aber eigentlich sei das Gerät vollkommen überflüssig. Anahita schaute in die Kamera und versuchte so zu wirken, als ob sie wüsste, was sie tat. Sie hatte alle Informationen ausschließlich aus dem Internet und jenen Kochbüchern, die sie im persischen Teil der Stadt gefunden hatte. Anahita erzählte, dass sich die Esskultur im Iran nicht ändere. Die festlichen Tafeln ihrer Altersgenossen sähen genauso aus wie die ihrer Eltern und Großeltern, serviert werden würden dieselben Gerichte, gekocht nach Rezepten, die unverändert von einer Generation zur nächsten überliefert würden.

Genauso wie die Rezepte, die sie gerade den Zuschauern präsentierte. Zum Reis gab es ein vergleichsweise unkompliziertes Hühnchen, und als Dessert machte sie Bastani Sonnati, Safranreis, mit Rosenwasser und Pistazien. Abbas saß während der ganzen Aufnahmen neben ihr auf der Arbeitsplatte, manchmal reichte er ihr sogar einen Löffel.


Den letzten Teil der Weihnachtsgeschichte könnt ihr morgen lesen.


Illustration: Veronika Neubauer