Der Affe und das Mädchen
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Der Affe und das Mädchen

Eine Kurzgeschichte in fünf Teilen. Rückschau: In Teil II wurde Schauspielerin Anahita von ihrem Agenten unter Druck gesetzt, sich mit TV-Kochsendungen zu befassen. Sie passiert scheinbar spielerisch die Castings. Jetzt tritt Mathieu in ihr Leben.

Profilbild von Olga Grjasnowa

Was ist bislang passiert?


Anahita wurde ein Vertrag in Aussicht gestellt, weswegen sie nervös an ihrem viel zu kurzen Kleid zupfte und sich im Badezimmer des zuständigen Redakteurs ihre Lippen mit einem roten Lippenstift nachzog. Ein klein wenig Farbe blieb auf ihren weißen Zähnen hängen.


Der zuständige Redakteur hieß Matthew, wobei er vor ein paar Wochen entschieden hatte, seinem Namen einen französischen Akzent hinzuzufügen, und sich fortan Mathieu nannte. Er bestand darauf, Anahita seine Küche zu zeigen. Sie würde der eines Sterne-Restaurants in kaum etwas nachstehen. Abbas musste sie dafür zu Hause lassen, sie wusste, dass er ihr das so schnell nicht verzeihen würde.

Mathieus Haus lag in einer Gegend, die Wohlstand ausatmete – Anahita fuhr an mehreren privaten Kindergärten und einer High-School vorbei, die Vorgärten und die Pools waren gepflegt und angenehm großzügig, die Häuser lichtdurchflutet, ihre Bewohner waren weiß und schlank.

Als Anahita Mathieus Wohnzimmer betrat, bemerkte sie nicht nur die weichen Teppiche, den Kamin und den rustikalen Holztisch im Wohnzimmer, sondern auch die Familienfotos, auf denen eine blonde Frau mit Pagenkopf und stockdünnen Armen zwei lachende Jungen umarmte. Daneben stand ein Weihnachtsbaum, erbärmlich mit ein wenig Holzspielzeug geschmückt. Mathieu schob Anahita sofort weiter.

„Komm, ich zeig dir meine Küche“, sagte Mathieu zu ihr. Seine Küche sah teuer und zu groß geraten aus, die Oberflächen bestanden aus Granit und gebürstetem Stahl. Mathieu besaß einen Herd mit acht Herdplatten, die alle unbenutzt aussaßen, einen überambitioniert großen Kühlschrank, und aus dem Augenwinkel machte Anahita ein Sous-Vide-Gerät aus.


Sie hatte bereits gelernt, dass die Esser im Westen nur noch Symbole konsumierten. Bei ihrem ersten Casting hatte sie Artischocken mit Foie Gras und Poularde in Halbtrauer, also mit Trüffeln unter der Haut serviert und versichert, dass sie für die zukünftigen Zuschauer bodenständiger kochen würde, aber zeigen möchte, dass sie durchaus auch anspruchsvolle Wünsche befriedigen könnte. Während sie also die Trüffel schnitt und unter die Haut jener Poularde schob, erzählte sie der Kamera von der orientalischen Küche Irans, einer ganz und gar natürlichen, ohne künstliche Aromen, ihre Mutter hätte zu Hause nur die besten Produkte verwendet, alle von lokalen Herstellern. In Wahrheit war ihre Mutter eine entsetzlich schlechte Köchin, die nichts außer Nudeln zubereiten konnte. Aber selbst die Nudeln waren jedes mal so verkocht, dass Anahita sie schon als Dreijährige fragte, ob sie denn wenigstens einmal etwas Erträgliches machen könnte.

Ihre war Mutter eine starke Frau, die die Dinge in die Hand nahm und die Familie durchbrachte, insbesondere nachdem ihr Ehemann sie und ihre vier Kinder verließ. Unterordnung und Genuss waren ihr fremd gewesen.

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Als Dessert servierte Anahita einen Schokoladenkuchen mit flüssigem Kern und selbstgemachtes Eis. Die Poularde war ein Überbleibsel aus ihrer Zeit als Aushilfe in einem französischen Restaurant. Der Kuchen kam aus der Packung und das Eis aus dem nächsten Supermarkt, aber da die Aufnahmezeit schon überschritten war, beschränkte sich die Crew lediglich darauf das Ganze zu essen, auf die Zubereitung achtete niemand.

Mathieu hatte allerdings recht schnell ausgerechnet, dass die Sendung großzügig von einer Allianz von Bio-Supermärkten unterstützt werden könnte. Anahita hat ihr Äußeres indessen vorsichtshalber dem neuen Konzept der Sendung angepasst: kaum Make-up, das Haar lang und lockig, die Kleidung dezent und teuer.


Nun stand Mathieu in seiner Küche, einsam und verloren, das Hemd ein wenig zu eng und zu weit aufgeknöpft, ein paar winzige Schweißperlen auf der Stirn und die unaufdringliche Bräune eines Seglers. Er schenkte sich ein Glas Wein ein, degustierte ihn, wobei aus seinem Mund ein für Anahita fast unerträglich peinliches Geräusch kam. Anahita versuchte die Irritation aus ihrem Gesicht zu verbannen. Nachdem er den Wein endlich hinuntergeschluckt hat, goss er ihr ebenfalls Wein ein. Sie schluckte ihn geräuschlos.

„Das hier ist mein Paco-jet, mit ihm mache ich Eis auf Sterne-Niveau, allerdings habe ich dafür auch die Haushaltskasse geplündert.“

„Und deine Frau hatte nichts dagegen?“

Mathieu tat, als habe er die Frage nicht gehört: „Das Gerät wird nur in einer ganz kleinen Menge hergestellt. So etwas gab es im Iran wohl eher nicht, was?“ Mathieu versuchte, sanft Anahitas Ellbogen zu berühren, sie schüttelte seinen Griff ab.

„Und das ist mein Salamander. Ein höhenverstellbarer Grill. Exzellent!“ und riss sie unsanft hinter sich her, damit Anahita noch ein Gerät bewundern konnte.

„Weißt du“, wird er ihr später sagen, nachdem sie ein mittelmäßiges Mal verzehrt hatten und er nun eine Crème Brûlée mit roter Beete als Dessert servierte: „Ich bezeichne mich als gastrosexuell.“

Anahita missverstand und atmete erleichtert auf. Seine Knie rutschten näher an ihre heran.

Er las die Erleichterung in ihrem Gesicht und beeilte sich zu sagen: “Nicht homosexuell,
g a s t r o s e x u e l l. Es ist nichts falsch daran, wenn Männer kochen. Frauen kochen, was sie können, Männer, was sie wollen.”

Anahita stand auf, verabschiedete sich schnell von Mathieu und verschwand.


Auf dem Weg zu ihrem Haus passierte sie wieder die Garnison von Obdachlosen. Sie fuhr langsamer und trat dann schnell das Gaspedal durch. Abbas schlief ruhig in ihrem Bett. Sie kuschelte sich an ihn.



Illustration: Veronika Neubauer