Die „Wichtige Information“ kam vor zwei Monaten per E-Mail. Drin stand, dass meine Packstation „zeitweise außer Betrieb genommen und abgebaut werden“ müsse. Das war schlecht. Aber die Nachricht ging weiter: „Wir werden den Automat gegen eine neue Packstation austauschen, damit Ihnen zukünftig mehr Fächer zur Verfügung stehen.“ Das war gut. Seit wenigen Wochen steht nun auf dem Discounter-Parkplatz ein neuer Apparat, der schon aus der Entfernung giftig gelb zwischen den blätterlosen Bäumen leuchtet. Ein metallgewordenes Beispiel für den Siegeszug des Online-Handels und der mitgeschleiften Zustellbranche. 176 Fächer für ganz kleine, mittlere, große und ganz große Pakete zum Selbstabholen. Weit mehr als doppelt so viele wie davor.
Am Wochenende war ich da, um ein sorgfältig verpacktes Weihnachtspaket einzulegen. Ging nicht. Die Station meldete, sie sei voll. Neue Pakete müssen leider draußen bleiben.
Es ist zum Heulen. 2.750 Packstationen gibt es derzeit in deutschen Städten: Riesige Aufbewahrungsapparate, an die registrierte Kunden des Paketversenders DHL Pakete direkt adressieren und dann rund um die Uhr mit Kundenkarte und Geheimnummer abholen können. Theoretisch. Praktisch hat DHL mit seinen Packstationen ein ähnliches Problem wie Berlin mit seinem neuen Flughafen: Wenn der morgen aufmachen würde, wäre er auch augenblicklich an der Kapazitätsgrenze.
Dabei ist die Idee dahinter genial. Vor 13 Jahren schon, als der Boom des Online-Handels in dieser Form noch gar nicht absehbar war, testete die Deutsche Post – damals noch unter ihrem eigenen Logo – in den Pilotstädten Dortmund und Mainz die ersten Automaten: wuchtiger und technisch komplizierter als die platzsparenden Nachfolger, die heute bloß noch ein verschämtes Regendach aufgesetzt kriegen. Für Paketempfänger war das System ein Segen. Weil unsere Pakete immer dann ankommen, wenn wir nicht zuhause sind. Und die Packstation das lästige Anstehen in der Postfiliale ersparte, zumal Pakete an den Stationen später auch frankiert und eingelegt werden konnten.
Es muss ein großer Schock für die Post gewesen sein: Das System funktionierte, die Kunden waren zufrieden. Also wurden Packstationen in immer mehr deutschen Städten aufgestellt. Und bei Kritik an der Schließung klassischer Postfilialen konnte das Unternehmen darauf verweisen, für Alternativen gesorgt zu haben.
280.000 Fächer für unsere Online-Bestellungen
Wie viele Kunden den kostenlosen Service heute nutzen, sagt DHL nicht – lediglich, dass sich sechs Millionen Menschen auf der Plattform paket.de im Internet registriert haben (wo neben der Packstationteilnahme auch „Wunschnachbarn“ festgelegt werden können). Allein in diesem Jahr kamen 300 neue Automaten dazu. „Wir beobachten permanent die Auslastung einzelner Standorte. Dies kann bedeuten, dass unwirtschaftliche Standorte abgebaut und andere deutlich erweitert werden. Somit ist nicht die Zahl der Automaten, sondern vielmehr die Fächerkapazität die entscheidende Größe. Diese konnte in 2014 von 250.000 auf rund 280.000 Fächer erhöht werden“, sagt DHL-Sprecherin Dunja Kuhlmann auf Krautreporter-Anfrage.
Doch das scheint alles nicht zu helfen. In den sozialen Medien häufen sich die Beschwerden, weil Pakete, obwohl sie an Packstationen adressiert wurden, doch wieder in Filialen landen. Der Kundenservice ist hilflos und rät:
https://twitter.com/DHLPaket/status/426409122419195904
Auf die Frage, wie DHL das Problem bewertet, wiederholt die Sprecherin die Satzbausteine aus vorigen Antworten und ergänzt: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zur Auslastung aus Wettbewerbsgründen keine konkreten Angaben machen.“
“Die Umleitungen in eine Postfiliale oder eine andere Packstation [sind] verhältnismäßig gering.”
DHL
Dabei gleicht es vor allem jetzt in der Weihnachtszeit einem Roulette-Spiel, ob eine Packstation-Sendung dort ankommt, wo sie hin soll. Anstatt in der Filiale werden Pakete häufig auch in andere, weiter entfernte Automaten eingelegt. Die Sprecherin sagt: „Die meisten Nutzer einer Packstation möchten vorzugsweise ihre Sendung in einer anderen Packstation anstelle einer Postfiliale abholen.“ Ja, es sei denn, die andere Packstation liegt weder auf dem Weg zur Arbeit noch auf dem nach Hause, sondern gefühlt am Nordpol. Es scheint ganz so, als habe DHL das Problem nicht verstanden: Kunden wollen ihre Pakete dort einsammeln, wo es ihnen möglichst wenig Arbeit macht, also am besten: in der Nähe. Ohne dass dafür Umwege oder eigene Anfahrten notwendig wären. Bei der Verteilung scheint dieses Kriterium aber oft keine Rolle zu spielen.
Im Grunde existiert das Problem, das viele Paketempfänger mit der Packstation haben, für das Unternehmen nicht einmal. „Die Umleitungen in eine Postfiliale oder eine andere Packstation [sind] verhältnismäßig gering“, sagt Kuhlmann. Eine Prozentzahl nennt DHL nicht.
Der Eindruck vieler regelmäßiger Kunden ist ein anderer. Bei Facebook und Twitter berichten sie davon, wie zwei Pakete am selben Tag ankommen, aber nur eines davon in der adressierten Packstation landet, und das andere in der Filiale. Sie fragen sich, ob umgeleitete Sendungen nicht dafür sorgen, dass andere Packstationen schneller voll sind, DHL das Problem also nur verschiebt. Sie schreiben von Registrierungsproblemen, nicht freigeschalteten Accounts und fehlenden Benachrichtigungen über angekommene Pakete. „Zeit Online“ veröffentlichte gerade den Beitrag eines Lesers, der von einer Anmeldungs-Odyssee berichtet.
Innerhalb weniger Jahre ist es DHL gelungen, sein Automatensystem so zu überlasten, dass die Nachteile bei der Nutzung inzwischen größer sind als bei der Direktzustellung nach Hause, wenn dort niemand die Tür aufmacht. Viele Kunden lassen ihre Online-Bestellungen längst wieder ganz klassisch an den Nachbarn oder ins Büro schicken. Da ist wenigstens das Risiko eines Fantasieumwegs geringer. Sogar DHL selbst legt seinen Kunden Alternativen nahe: „Nutzen Sie die Möglichkeit, Ihre Sendungen direkt an eine Postfiliale Ihrer Wahl zu bestellen“, wirbt der Konzern im Internet. In genau die Filialen, von denen in den vergangenen Jahren zahlreiche abgebaut wurden, und die deshalb zu Stoßzeiten, wenn die meisten Leute Zeit zum Paketabholen haben, noch überfüllter sind als vorher. Also genau das, was die Nutzung der Packstation ursprünglich umgehen sollte.
Verpackungsmüll und Vandalismus
Dass DHL das Netz seiner Stationen nicht drastisch ausweitet, hat einen einfachen Grund: Das System ist teuer. Nicht nur der Automaten, sondern auch der Standorte wegen. Idealerweise werden Packstationen dort aufgestellt, wo viele Menschen sowieso vorbeikommen: auf Supermarktparkplätzen, an Tankstellen, an Bahnhöfen. Dadurch entstehen DHL zusätzliche Kosten: „Wir zahlen Miete an nahezu allen Standorten“, bestätigt Kuhlmann.
Und es geht nur so lange gut, wie es keinen Ärger mit dem Vermieter gibt – zum Beispiel, wenn der merkt, dass der Platz vor seinem Laden zur Müllhalde verkommt, weil Packstation-Kunden keine Lust haben, übergroße Versandkartons mit nach Hause zu schleppen und sie wegen fehlender Entsorgungsmöglichkeiten einfach an der Station liegen lassen. An manchen Standorten hängen deswegen seit einiger Zeit Hinweise: „Wir bitten Sie, Ihr Verpackungsmaterial nicht hier vor Ort zu entsorgen. Ihr DHL-Team.“ Der Verpackungsmaterialberg liegt direkt darunter. „In der Regel hat der Empfänger ein eigenes Interesse daran, die Sendung mit Verpackung zu transportieren“, erklärt Kuhlmann dazu. Es könne sich also „nur um Einzelfälle handeln“, die man „gemeinsam mit unseren Partnern individuell“ löse.
Es ist eine durch und durch praktische Herangehensweise, mit der das Unternehmen die Schwächen und Nachteile seines Systems in den Griff zu bekommen versucht: Es erklärt sie einfach alle zu „Einzelfällen“.
Dass DHL damit den gewaltigen Vorsprung aufs Spiel setzt, den der Konzern sich erarbeitet hat, scheint die Verantwortlichen nicht zu beunruhigen. Die setzen lieber auf den neuen „Paketkasten“ für Vorgärten, der für Bewohner von Mehrfamilienhäusern in der Stadt aber nicht in Frage kommt (mehr Informationen für KR-Mitglieder). Ein Zusammenschluss der Konkurrenten Hermes, DPD, GLS und UPS hat kürzlich angekündigt, eigene Abholkästen zu entwickeln.
Dabei würde ein Blick ins Ausland genügen, um zu erkennen, dass der Online-Handel, sobald seine Kunden irgendwann nicht mehr zufrieden sind, die Lösung selbst in die Hand nehmen wird. Unter anderem in Großbritannien arbeitet der Versandriese Amazon direkt mit Supermarktketten zusammen und integriert eigene Abholstationen, sogenannte „Amazon Locker“, in deren Märkte.
In den Niederlanden kooperiert der Buchversender Bol.com mit der Supermarktkette Albert Heijn (die zum selben Konzern gehört) und bietet Kunden an, Bestellungen in die Läden zu liefern. Ein automatisches Abholen funktioniert dort zwar nicht, der „Afhaalpunt“ ist nichts anderes als ein verschlossener Schrank, der von einem Mitarbeiter an der Service-Theke geöffnet werden muss. Dafür bietet Bol.com den Service seit Mitte 2013 quasi landesweit in nahezu allen Albert-Heijn-Filialen an, von denen zumindest in der Stadt viele bis 22 Uhr geöffnet haben. Dagegen kann jede noch so schicke Packstation wenig ausrichten.
Noch etwas haben die Supermarkt-Abholpunkte den Packstationen voraus: Sie sind nicht so anfällig für Vandalismus. Schmierereien sind noch das geringste Problem. Kunden berichten zum Teil von mutwilligen Zerstörungen. In Mannheim reagierte DHL und machte die Packstation im Vorraum einer Postfiliale nur noch zu den Öffnungszeiten der Filiale zugänglich – sehr zur Verwunderung der Nutzer. Damit hatte sich auch der Rund-um-die-Uhr-Abholvorteil erledigt. Kein Problem, auch hierbei handelt es sich dem Unternehmen zufolge – um Einzelfälle. Sprecherin Kuhlmann erklärt: „Es gibt einige wenige Standorte, die davon betroffen sind. Die Erreichbarkeit dieser Standorte ist im Postfinder hinterlegt.“ Anders gesagt: Schauen Sie halt selbst, wie Sie an den Mist kommen, den Sie ständig im Internet bestellen.
In Mannheim hat sich derweil eine „Lösung“ für das nicht vorhandene Problem gefunden: DHL hat die Packstation einfach ganz abgeschaltet.
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Aufmacherfoto: Peer Schader