Ezz al Zanoon starrt die Wand an, an der Bilder des Verstorbenen hängen. Ali bei der Arbeit, Ali bei der Preisverleihung, ein Porträt, auf dem er freundlich lächelt. „Ich habe das Bild von Ali gemacht, zwei Tage vor seinem Tod“, sagt Ezz. „Ich sagte noch scherzend zu ihm, wenn du stirbst, werden wir uns mit diesem Porträt an dich erinnern.“
Schweigend sitzt der 22-Jährige auf dem Schreibtischstuhl, auf dem sein Freund, Kollege und Mentor Ali Abu Afash bis vor vier Monaten saß. Der Journalist arbeitete für die Presseagentur AFP und kümmerte sich im Doha Center for Media Freedom um ausländische Journalisten. Er kam im letzten Krieg ums Leben, als er über eine liegengebliebene israelische Rakete berichtete, die entschärft werden sollte. Sie explodierte.
Manchmal wünsche er, er hätte den Krieg nicht überlebt, sagte Ezz einmal, als wir zusammen durch Gaza spazierten. Gaza ersticke ihn, die Enge, er will raus, wie alle dieser Generation, die während der Blockade aufgewachsen sind und zu jung waren, als man Gaza noch hätte verlassen können.
Sein Bruder Mohammed war Fotograf. 2006 folgte Ezz seinem Bruder, als dieser gewaltsame Ausschreitungen fotografieren wollte. Kurze Zeit später sah er zu, wie die Rakete eines israelischen Kampfflugzeuges seinen Bruder traf, er stand hilflos daneben, als Mohammed auf dem Gehsteig blutete. Trotz schwerer Verletzungen im Gesicht überlebte Mohammed, fotografieren konnte er jedoch lange Zeit nicht mehr, nachdem sein Gesicht von dem Anschlag entstellt wurde. Er gab Ezz seine beiden Kameras, der damals 16-Jährige begann zu fotografieren.
Ein Jahr später kam Ezz’ anderer Bruder im Kreuzfeuer der Hamas-Fatah-Kämpfe ums Leben. Wieder ein Jahr später wurde sein Bein beinahe von Raketensplittern zerfetzt. Ein halbes Jahr lang konnte er nicht laufen. Dann brach der erste Krieg aus. Vier Jahre später der zweite, und Ezz fotografierte. Und fotografierte.
Der dritte sei jedoch der schlimmste Krieg gewesen, der längste und intensivste. “So viele tote Kinder”, sagt Ezz oft. Die Erinnerung trifft ihn willkürlich. Immer wieder, als wir zusammen für diese Fotogeschichte für Krautreporter unterwegs waren, erinnert er sich: An dieser Kreuzung kamen zwei Kinder um, hier war das Haus der Familie X, hier war eine Schule, dort wurde ein Mann auf seinem Motorroller von einer Rakete getroffen.
Gaza ist so klein, man kann der Erinnerung nicht entfliehen.
Ezz hat die dunkle Seite Gazas fotografiert, seine bewegenden Bilder aus dem Krieg waren in der „New York Times“, im „Wall Street Journal“, im „Time“-Magazin.
Für Krautreporter haben wir uns zusammen auf die Suche nach den anderen Seiten Gazas gemacht, nach Augenblicken, in denen das Leben die Erinnerung überwältigt, auch wenn es manchmal nur kurze Momente sind.
„Beautiful Gaza?“, fragte Ezz mich oft. „Was willst du? Sieh doch in die Gesichter! Es gibt keine lachenden Menschen in Gaza.“
Es gibt sie. Wenn man das weinende Auge zudrückt und das lachende weit aufreißt. Das versuchen 1,8 Millionen Menschen jeden Tag im Gaza-Streifen.
Abu Saoud ist in ganz Gaza bekannt für seine Süßigkeiten.„Knafe Nabulsi“ isst man hier, heißer Käse bedeckt mit sirupbegossenem Teig, darauf geröstete Pistazien. Im Laden riecht es nach Butter und Gebäck, draußen verkaufen Kinder, nicht älter als zehn Jahre alt, Luftballons für einen Schekel das Stück (20 Cent).
Ein überdachter Markt in Schujaeyya, einer Nachbarschaft im Osten Gaza-Stadts. Hier erhält man alles, was man will. Gefakte Adidas- und Converse-Sneakers, Unterwäsche, Lippenstift, Elektronik.
Nach Sonnenuntergang in Gaza-Stadt: Jeden Abend, wenn die Sonne untergegangen (und der Strom ausgefallen) ist, verwandelt sich der Park in der Mitte Rimals, der großen Einkaufsstraße von Gaza-Stadt, in einen Mini-Vergnügungspark.
Es gibt kaum jemanden in Gaza, der Mr. Kasem nicht kennt. Die Eisdiele ist die älteste Gazas, 1950 wurde sie von Kasem eröffnet. Nun leiten sie seine vier Söhne. Egal, wann man kommt - immer, Tag und Nacht, stehen die Menschen Schlange.
Gaza-Strand: Wohin die Reise für diese drei Männer geht, ist nicht klar. Eines aber ist gewiss: Spätestens nach sechs Seemeilen, rund elf Kilometern, müssen sie umkehren. Da beginnt israelisches Militärgebiet.
Seit 2011 gibt es den Metro-Supermarkt in Gaza -Stadt. Mehr als 3.000 Produkte erhält man hier, darunter Milka-Schokolade und Schogetten, Froop-Joghurt und Ariel-Waschmittel. Fast alles wird aus Israel geliefert. Im Krieg war Metro der einzige Supermarkt der Stadt, der jeden Tag geöffnet hatte.
Gazas Strandpromenade, die „Corniche“, ist ein beliebter Ort für Familien. Sie kommen zum picknicken oder gehen spazieren. Paare genießen den Blick auf das Mittelmeer.
Levade - einmal außerhalb der klassischen Reitkunst: Reiten ist ein beliebter Sport in der arabischen Welt. In Gaza gibt es drei Reitklubs, die sich miteinander messen.
Vergnügungspark in Gaza.
Eine Party zwischen den Häusern. Die Männer tanzen Dabke, den ausdrucksvollen Tanz, der in Palästina Tradition hat
Hinter der Jahrhunderte alten Omari Moschee beginnt die Altstadt, einer der belebtesten Orte Gazas. Marktstände, ein Spittelladen, in dem es vom Pflaster bis zu Kleinmöbeln alles gibt, Metzgereien und Schneider liegen dicht and dicht.
Es ist Winter und damit Clementinenzeit in Gaza. Die Märkte sind voll von den süßen orangen Zitrusfrüchten, für die der Streifen einst berühmt war.
Ein Vater mit seiner Tochter im Park, der die Einkaufsstraße Rimal in der Mitte teilt.
Jeden Freitag treffen sich Motorradfahrer in der Stadt, um sich gegenseitig mit Tricks und Stunts zu beeindrucken.
Alles glänzt und strahlt in hellem Licht in der engen überdachten Gasse in Gazas Altstadt. liegt der Goldmarkt, der Kissariya Markt, der 1576 von den Mameluken gebaut wurde. Heute sieht man weniger Handelsmänner und mehr lächelnde junge Frauen, die mit ihren Müttern kommen, um ihren Hochzeitsschmuck auszusuchen.
Frisch verheiratet. Ein Hochzeitspaar fährt in einer Limousine durch Gaza Stadt.
Blick auf Gaza-Stadt vom Hafen aus
Im Oktober reiste Krautreporterin Victoria Schneider nach Gaza, um das Leben jenseits der schwarzen Fernsehbilder zu erkunden. In der vergangenen Woche erschien eine Reihe von Geschichten, die in den vergangenen zwei Monaten entstanden sind, über Menschen und ihre Versuche, sich von der Situation nicht unterkriegen zu lassen.Abschluss der Serie ist dieser Foto-Essay mit den Bildern von Ezz al Zanoon. Weitere Artikel der Serie:
- Der Traum vom Leben
- Lieber lachen als weinen
- Gazas Anti-Tourismus
- Das Erdbeer-Dilemma
- Gazas Smile Seller
Aufmacherfoto: Ezz al Zanoon