Abdallah ist wie ein Engel im Schifa-Krankenhaus. Die Zimmertüren stehen offen, in jedem Raum liegen fünf, sechs Patienten nebeneinander, dazwischen wuseln Ärzte und Krankenpfleger. Das Licht geht kurz aus, dann wieder an. Es ist der alle acht Stunden wiederkehrende Moment, in dem in Gaza-Stadt der Strom ausfällt und der Generator die Versorgung übernimmt. Abdallah sagt in jedem Zimmer kurz „Hallo“, und überall beginnen die Menschen zu lächeln.
Sie kennen Abdallah. Er ist der junge Mann, der in Gaza Lächeln verschenkt. Vor einem Jahr fand der 24-Jährige einen Smiley-Button auf der Straße. Am nächsten Tag begann er, in den Läden nach Smileys zu suchen. Er wollte die kleine Freude weitergeben, die ihm der Fund bereitet hatte. Gaza brauchte es. “Drei Wochen dauerte es, bis ich einen Smiley in Gaza fand – zu drei Schekel wurde der Pin damals verkauft.”
Heute findet man an den Ständen, die die Haupteinkaufsstraße Rimal säumen, überall Paletten von Smileys, große, kleine, zwinkernde Smileys und Smileys mit zugekniffenen Augen. Abdallah hat sein fliegendes Inventar inzwischen aufgestockt: Er kauft nun auch Sticker, Schlüsselanhänger und bastelt Masken aus Pappmaché.
Auf Arabisch nennt er sich „Bae al Ibtsamat“ – der Lächeln-Verkäufer. Doch der wirkliche Sinn geht in der Übersetzung verloren: Geld ist das letzte, was der junge Mann aus Schujaeyya von den Menschen will. Er will ihnen Hoffnung geben.
Zuerst verteilte er Smileys nur an die Kinder im Krankenhaus, dann an alle Patienten, inzwischen gibt er sie an alle, die aussehen, als könnten sie ein Lächeln gebrauchen. In der Universität, im Café, in der Bank.
Am Anfang war das leichter gesagt als getan. Die Menschen fühlten sich persönlich beleidigt. „Die Situation in Gaza ist nicht gut“, sagten sie. „Wie können wir so tun, als würden wir uns freuen?“
Abdallah widerspricht. “Unsere Situation wurde uns ja von außen aufgezwungen, wieso sollten wir uns ihr hingeben? Wir haben nichts davon, wenn wir uns davon runterziehen lassen”, sagt er. Die Smiley-Anstecker sind ein Zeichen des Trotzes: In Gaza sei alles um einen herum schlecht, mit seiner Einstellung wolle er sich dem widersetzen. Außerdem verlange sein Glaube von ihm, optimistisch zu bleiben und mit Dingen nicht negativ umzugehen.
Wie fast jeden Tag verbringt Abdallah den Nachmittag im Dialyseflügel des Schifa. Vor eineinhalb Jahren begann er dort, als Freiwilliger zu helfen, obwohl er weder Krankenpfleger ist noch Medizin studiert.
Im Krieg ist der 24-Jährige jeden Tag mit dem Krankenwagen ins Schifa gekommen, eine andere Fortbewegungsmöglichkeit gab es nicht. Jeden Tag verbrachte er Zeit mit Patienten, machte Spaziergänge mit ihnen durchs Krankenhaus und schenkte ihnen Smiley-Anstecker.
„Abdallahs Kampagne hat uns alle zusammengeschweißt“, sagt Abdelkarim Anwar Esayes, ein Krankenpfleger. An seiner Brust haftet ein Smiley. „Wir Pfleger und Ärzte sind oft so damit beschäftigt, alle rechtzeitig zu behandeln, dass wir uns nicht um die Laune der Patienten kümmern können.“
Der Krieg habe Gaza verändert. Die Menschen sehnten sich mehr denn je nach etwas, das ihnen Hoffnung gibt, sagt Abdallah. Die Botschaft der kleinen gelben Gesichter sei stärker, als die der Essenspakete der Hilfsorganisationen. Milchpulver oder Mehl seien endlich, sagt er, eine positive Haltung nicht.
Auf dem Weg aus dem Krankenhaus trifft Abdallah Mona Letluli, die mehrmals pro Woche zur Blutwäsche ins Krankenhaus kommt. Sie ist mit ihrer Tochter Scheyma gekommen, die Zehnjährige rennt strahlend auf Abdallah zu, als sie ihn sieht. Ihre Mutter erinnert sich noch gut an den Tag, als Abdallah ihr ein Lächeln geben wollte. „‘Denkst du, ich bin ein kleines Kind?’“, habe ich ihn gefragt”, sagt Mona lachend. „Ich dachte, er will mich veräppeln.“ Heute sind sie gute Freunde.
Die Kampagne verbreitet sich. In Gaza laufen überall Leute mit Smiley-Ansteckern herum. Seit Al Jazeera über den Smile-Seller berichtete, habe er mehr als 3.000 Likes auf Facebook, und Menschen aus anderen Ländern fragten an, ob sie die Kampagne kopieren könnten. Darunter eine Gruppe aus Syrien, auch dort ist Krieg, auch dort brauchen die Menschen ein Lächeln.
„Hey, Scheyma, ich hab hier was“, sagt Abdallah, „willst du’s mir abkaufen?“ Aus der Vordertasche seines großen schwarzen Rucksacks holt er eine Handvoll Anstecker hervor. Scheyma lacht, zupft am Ärmel des Freundes. „Den großen will ich, nicht den kleinen. Gib ihn mir, gib ihn mir!“ Er grinst, schließt die Hand mit den gelben Ansteckern. „So einfach ist das nicht. Ich verkaufe dir einen.“ Sie raufen für einen kurzen Moment, am Ende gibt er nach, gleich drei Smileys staubt Scheyma ab. Doch nur der große Anstecker mit dem Zwinkern bekommt einen Ehrenplatz auf ihrer Brust.
Im Oktober reiste ich nach Gaza, um das Leben jenseits der schwarzen Fernsehbilder zu erkunden. Das Ergebnis ist eine Reihe von Geschichten, die in den vergangenen zwei Monaten entstanden sind, über Menschen und ihre Versuche, sich von der Situation nicht unterkriegen zu lassen. Weitere Folgen:
- Der Traum vom Leben
- Lieber lachen als weinen
- Gazas Anti-Tourismus
- Das Erdbeer-Dilemma
- Foto-Essay: Aus dem Leben
Aufmacher-Foto: Khaled Zaid