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Drehflügler. Den Fachbegriff kann Ursula von der Leyen mit klitzekleiner Kunstpause aufsagen, mit mokantem Lächeln. Fast wie in den Tagen im Dezember 2013, in denen sie als frisch bestellte Verteidigungsministerin mit ihrem Nicht-Wissen militärischer Details kokettierte. Zwölf Monate später gebraucht sie das Wort immer noch genau so. „Drehflügler, das sagen die Militärs zum Hubschrauber“, sagt von der Leyen dann, und in dem Begriff klingt alles mit, was sie nicht sagt: Komische Welt, in die ich mich da verirrt habe.
Ein Jahr ist die CDU-Politikerin, ausgebildete Ärztin und frühere Familien- und Sozialministerin jetzt Chefin von rund 183.000 Soldaten und immer noch gut 93.000 zivilen Beschäftigten, Chefin der Streitkräfte des mächtigsten EU-Landes und eines der wichtigsten NATO-Mitglieder. „Ich will keinen Tag missen. Aber das waren die härtesten zwölf Monate meines Lebens“, gab sie nach diesem Jahr der „Bild“-Zeitung zu Protokoll.
Nun war es auch ein Jahr, in dem die schnell aufeinander folgenden sicherheitspolitischen Entwicklungen selbst einen Amtsinhaber mit mehr sicherheitspolitischer Erfahrung mächtig gefordert hätten: Ukraine-Krise und Verhältnis zu Russland, eine islamistische Terrormiliz fast an der Südflanke der NATO, dazu eine nicht-militärische, aber genau so ernsthafte Bedrohung durch die explodierende Ebola-Epidemie in Westafrika. Als wäre das nicht genug, jagten sich in diesem Jahr die Hiobsbotschaften aus der Bundeswehr selbst: defekte Hubschrauber, Technik-Probleme allerorten, noch nicht mal genug einsatzbereites Material, um der NATO zugesagte Verpflichtungen einhalten zu können.
Von der anfänglichen Koketterie mit dem Neuen, die von der Leyen bei ihrer ersten Afghanistan-Visite wenige Tage nach Amtsantritt am vierten Advent 2013 verbreitete, ist in diesen zwölf Monaten außer dem immer wieder eingestreuten Drehflügler wenig geblieben. Allerdings auch nicht allzu viel von den Ankündigungen, die sich wie ein roter Faden durch das erste Jahr der ersten deutschen Verteidigungsministerin zogen. Immer wieder erregte von der Leyen Aufsehen mit ihren öffentlichen Äußerungen, mit dem, was sie auf den Weg bringen wollte und will. Die Ergebnisse sind dagegen noch, nun, überschaubar.
Vielleicht geht das gar nicht anders bei einem solchen Dickschiff wie dem Verteidigungsministerium und den Streitkräften. Ein Apparat, der über Jahrzehnte seine eigene Dynamik entwickelt und schon viele Ressortchefs er- und überlebt hat. Nicht nur mit Soldaten, sondern auch Tausenden von Beamten, die die Beschaffung milliardenteurer Technik organisieren, nach Gesichtspunkten, die manchen Verteidigungsminister an den Rand der Verzweiflung gebracht hatten. Wenn nicht sogar seine politische Reputation schädigten, wie im Fall des von-der-Leyen-Vorgängers Thomas de Maizière und der Riesendrohne „Euro Hawk“.
Drei Staatssekretäre und den Rüstungsdirektor gefeuert
Diese Abläufe vor Augen, agierte die neue Ressortchefin gleich zu Amtsantritt mit einer Härte, wie man sie bei Übernahme des inzwischen vierten Ministeramtes – zuvor hatte sie eines in Niedersachsen und zwei im Bundeskabinett inne – zwangsläufig gelernt hat: Einem parlamentarischen und einem beamteten Staatssekretär überreichte sie noch im Dezember die Entlassungspapiere. Zwei langjährige Weggefährten brachte sie aus ihrem bisherigen Amt, dem Arbeitsministerium, auf diese Posten mit. Einen weiteren beamteten Staatssekretär, Vertrauter ihres Vorgängers, und den langjährigen Rüstungsdirektor feuerte sie gut zwei Monate später, als ihr die Probleme im Beschaffungsapparat klar wurden.
Auf den Staatssekretärsposten rückte Monate später eine McKinsey-Beraterin nach, die von der Leyen aus früherer Zusammenarbeit kannte. Und der Präsident der Riesen-Beschaffungsbehörde in Koblenz, dem „Bundesamt für Ausrüstung, IT und Nutzung der Bundeswehr“ (BAAINBw), so versichern glaubhaft mehrere Quellen, war schon kurz davor, seine persönlichen Sachen zusammenzupacken – nur die rechtlichen Probleme, an die Stelle des Zivilisten einen General zu setzen, hätten ihm vorerst den Job gerettet. Dagegen muss der bisherige Abteilungsleiter Haushalt, Paul Jansen, zum Jahresende seinen Posten räumen. Und wird durch einen Beamten wieder aus dem Arbeitsministerium ersetzt.
Mit einem auf sie eingeschworenen Leitungsbereich, in dem ein ebenfalls seit Jahren zu ihrem Umfeld gehörender Pressesprecher über die Außenwirkung wacht, ging also die neue „Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt“ über die Streitkräfte in ihr erstes Amtsjahr. Erst blieb sie noch auf vertrautem Terrain: Beim Antrittsbesuch in Afghanistan umging sie die im Hangar aufgebaute Drohne und betonte bei jeder Frage, dass es um die Menschen gehen müsse, nicht um Gerät und Technik. Ihre ersten Ankündigungen im Januar dieses Jahres galten auch dem Feld, das ihr als ehemalige Familien- und Sozialministerin offensichtlich das vertraute schien: Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsumfelds der Soldaten, Kindertagesstätten und flexible Arbeitszeiten. Das Missverständnis, von der Leyen sei eine Ministerin für die weichen Faktoren des Militärischen, nahm da seinen Anfang – und ließ sich nie ganz ausrotten.
Noch im Januar zeigte die neue Ministerin aber, dass sie auch die Kunst der sicherheitspolitischen Ankündigung beherrscht. Damals, am Ende dieses Jahres kaum vorstellbar und kaum noch jemandem in Erinnerung, bewegte ein Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland, und auch die Verteidigungsministerin:
Die Lage in Afrika ist ernst. Es bahnt sich in der Mitte Afrikas eine humanitäre Katastrophe an, die zu einer Destabilisierung der gesamten Region führen kann.Deshalb begrüße ich sehr, dass heute die Europäische Union beschlossen hat, dass sie ihr Engagement in Zentralafrika im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für Afrika verstärken möchte.
Ursula von der Leyen
Den hehren Worten folgte ein Auslandseinsatz der Bundeswehr, den der Bundestag im Jahr 2014 als neue Mission beschloss. Nachdem die Europäische Union wochenlang mit den Mitgliedsländern über Kampftruppen verhandelte, die schließlich die Georgier stellten, erklärte Deutschland seine Beteiligung in der Zentralafrikanischen Republik: vier Stabsoffiziere, ein Evakuierungsflugzeug bei Bedarf und Luftfracht mit gecharterten ukrainischen Maschinen. Mehr blieb nicht von der kraftvollen Aussage der Ministerin: „In Zentralafrika entfaltet sich ein blutiger Krieg zwischen Christen und Muslimen. Wir können nicht zulassen, dass der Konflikt die ganze Region in Flammen setzt.“
Für die sparsame Bundeswehr-Beteiligung gab es gewichtige innenpolitische Gründe – nicht zuletzt eine erkennbare Müdigkeit, angesichts eines schrumpfenden Afghanistan-Engagements etwas Größeres neu zu beginnen. Doch es passte schon damals nicht so ganz zu der nächsten Ankündigung, mit der von der Leyen öffentlichkeitswirksam auftrat. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dem internationalen sicherheitspolitischen Szene-Treff, legte sie im Konzert mit Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach.
Aus der Aufzählung der damals, Ende Januar, aktuellen weltpolitischen Krisen – von Ukraine oder dem Islamischen Staat war noch keine Rede – folgerte die Verteidigungsministerin knallhart: „Diese Krisen und Konflikte betreffen uns unmittelbar. Diese Krisen und Konflikte betreffen jeden, der sich verantwortlich fühlt für internationale Stabilität. (…) Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland niemals eine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht. “
„Gleichgültigkeit ist keine Option“ - die Aussage von der Leyens wurde von ihren politischen Gegnern schnell als Ansage an eine Dominanz militärischer Lösungen ausgelegt. Bewahrheitet hat sich das im zurückliegenden Jahr nicht. Und das nicht nur, weil das traditionelle Gegengewicht zu Chef oder Chefin des Verteidigungsressorts, nämlich der Außenminister, als SPD-Politiker peinlich darauf achtete, dass mehr Übernahme von Verantwortung nicht als mehr militärisches Engagement verstanden wurde. Entscheidend dürfte gewesen sein, dass die internationale sicherheitspolitische Lage vor allem mit der Entwicklung der Krise in der Ukraine immer brisanter wurde – aber nicht die Verteidigungspolitik, sondern die Außenpolitik gefragt war. Zu Recht stellten Bundeskanzlerin Angela Merkel,Steinmeier und von der Leyen immer wieder in den Vordergrund, dass keine militärische Lösung dieser Krise möglich sei: Wenig Raum für die Verteidigungsministerin, mit ihrem Ressort zu punkten.
Aber das hatte von der Leyen auch gar nicht nötig. Sie konzentrierte sich auf die Kampagne, die sie schon in ihren ersten Amtstagen angelegt hatte: „Aktiv. Attraktiv. Anders“, tönten Ministerium und Truppe für das neue „Attraktivitätsprogramm“, mit dem die Bundeswehr sich als ganz normaler und vor allem auch attraktiver Arbeitgeber präsentieren will: Zeitgemäße Unterkünfte für Soldaten, die für junge Männer und Frauen selbstverständliche Dinge wie Flachbild-Fernseher und Internet auf der Stube vorsehen. Kindertagesstätten für berufstätige Ehepaare, die es bei den Streitkräften genauso gibt wie bei jedem zivilen Konzern. Und, bedeutsam für eine Pendlerarmee, in der viele Soldaten immer weitere Wege zu ihrem Arbeitsplatz zurücklegen: simple verwaltungstechnische Verbesserungen, wie seltenere und vor allem abgestimmte Versetzungen oder die dauerhafte Wahl zwischen Erstattung der Kosten für einen Familienumzug und Trennungsgeld für die Wochenendpendler.
Das klang nicht nach Sicherheits- oder Verteidigungspolitik und rief viele lästernde Kritiker der lächelnden Ministerin auf den Plan. Die hatte allerdings erkannt, dass die Bundeswehr sich dringend etwas überlegen muss, um den Bedarf an neuen Soldaten - mehr als 20.000 Bewerber werden pro Jahr als Ersatz für ausscheidende Zeitsoldaten benötigt - im Wettbewerb mit der Industrie auch langfristig zu sichern.
Doch auch die besten Arbeitsbedingungen, die „weichen Faktoren“ des harten Soldatenberufs, können die Probleme eines nicht funktionierenden Arbeitsplatzes nicht aufwiegen. Während im Apparat fleißig am Attraktivitätsprogramm gewerkelt wurde, holten die Fehler und Versäumnisse der vergangenen Jahre die Ministerin ein.
Marode Hubschrauber, Panzer, Transall-Maschinen
Auf einmal häuften sich die Hiobsbotschaften aus der Truppe. Marinehubschrauber, die wegen eines Risses im Heck nicht mehr abheben durften. Transportpanzer, die mehr in der Werkstatt standen, als über Truppenübungsplätze fuhren. Flugzeuge, die ihren Start wegen technischer Fehler abbrechen mussten. Betagte Transall-Transportmaschinen, die selbst die Vereinten Nationen für den Einsatz im westafrikanischen Mali nicht mehr gebrauchen konnten.
Das alles spielte sich vor den Augen der Öffentlichkeit ab. Vergeblich wartete von der Leyen in der Kurdenhauptstadt Erbil im Nordirak auf ihre Soldaten, die kurdische Kämpfer in die Bedienung der von Deutschland gelieferten Waffen im Kampf gegen die islamistische Terrormiliz ISIS unterweisen sollten. Die Ausbilder hingen nämlich tagelang fest, weil eine Transall nach der anderen defekt war und ausgetauscht werden musste.
Im Verteidigungsausschuss des Bundestages präsentierten die Inspekteure von Heer, Luftwaffe und Marine im September Berichte über ihr Gerät, in denen zwar das meiste mit einer grünen Ampel versehen war. Auf kritische Nachfragen der Abgeordneten folgte dann so etwas wie ein Offenbarungseid: Dass alles wie geplant einsatzbereit war, bedeutete das keineswegs. Noch nicht mal die der NATO zugesagten Kampfjets, so eine der kleinlauten Meldungen, hatte die Luftwaffe einsatzbereit in ihren Hangars stehen.
Die desaströse Lage fällt zwar – noch – nicht in die Verantwortung der Verteidigungsministerin von der Leyen. Doch schon im Februar hatte sie die Weichen gestellt, das Problem maroden und veralteten Geräts ebenso wie das verspäteter Lieferung neuen Materials in den Griff zu bekommen: Damals feuerte sie nicht nur Staatssekretär und Rüstungsdirektor, sondern kündigte auch eine externe Untersuchung von wichtigen Rüstungsprojekten an.
Diese Untersuchung, vor allem von der Beratungsfirma KPMG, lag dann Anfang Oktober vor und bestätigte, was Kenner der Truppe und ihrer „Materiallage“ auch zuvor schon mehr oder weniger wussten: Die für Milliarden Euro bestellte neue Ausrüstung kommt oft zu spät, kostet mehr als zuvor vereinbart und leistet nicht das, was die Truppe braucht. Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, brachte das bei der Vorstellung seines Jahresberichts süffisant auf die Formel: „Das jüngste externe Gutachten für das Verteidigungsministerium zu den Ursachen der Mängel stützt sich auch auf die Prüfungen des Bundesrechnungshofes. Die Gutachter kommen heute im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen und Schlussfolgerungen wie der Bundesrechnungshof.“
Die gut eine Million Euro für die externe Studie waren für die Verteidigungsministerin dennoch gut angelegtes Geld: Mit den Ergebnissen, ob neu oder nicht, kann sie den Druck auf ihren Apparat wie auf die Rüstungsindustrie erhöhen – und sich als als die Ressortchefin profilieren, die das aus dem Ruder gelaufenen Beschaffungswesen der Bundeswehr auf Kurs gebracht hat. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich allerdings erst später zeigen.
Denn kurzfristig muss auch von der Leyen zusammen mit ihrer Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder in diesem Bereich zurückstecken: Der Versuch, die von ihrem Vorgänger ausgehandelte Vereinbarung mit dem Luftfahrtkonzern Airbus über die reduzierte Lieferung von Hubschraubern auf eine neue Basis zu stellen, blieb nur mäßig erfolgreich: Die geschlossenen Verträge, bedauerte das Ministerium, ließen leider nur wenig Spielraum für eine Änderung.
Damit ist die Baustelle Rüstungsmaterial nicht die, auf der die Ministerin derzeit öffentlich punkten kann. Folgerichtig bemühte sich von der Leyen auch, ein Thema schnell abzuräumen, das ebenfalls ihrem Vorgänger eine ärgerliche öffentliche Debatte beschert hatte: Die Frage, ob die Bundeswehr bewaffnete Drohnen anschaffen sollte – ein Schritt, den das Militär vehement befürwortet, der aber in der deutschen Wahrnehmung eng mit den umstrittenen gezielten Tötungen des US-Geheimdienstes CIA zum Beispiel in Pakistan und im Jemen verbunden ist.
Drohnen leasen statt kaufen?
Während de Mazière sich mit der öffentlichen Diskussion abmühte, ein Gespräch unter anderem mit Kirchenvertretern dazu suchte und sich zwischenzeitlich auch für die Einschätzung von Drohnen als „ethisch neutraler Waffe“ rechtfertigen musste, löste von der Leyen das Problem elegant. Nach einer öffentlichen Anhörung des Verteidigungsausschusses kam sie mit dem pragmatischen Vorschlag, solche Drohnen vielleicht zu leasen – vor allem aber dem Bundestag im Ernstfall die Entscheidung zu überlassen, ob diese unbemannten Flugzeuge auch mit Waffen eingesetzt werden sollten.
Der Vorschlag im Sommer markierte vorerst das Ende der politischen Debatte in Parlament und Regierung über das Reizthema Kampfdrohnen. Denn seitdem, so heißt es, arbeitet das Ministerium an dem Thema, Zwischenstände oder Ergebnisse gibt es bislang nicht. Noch nicht einmal die Frage, ob die Bundeswehr wie geplant die bei den USA angefragte Beschaffung von Drohnen des Typs „Reaper“ (Sensenmann) weiter folgt, ist endgültig entschieden. Sagt jedenfalls das Ministerium. Beendet ist die Diskussion damit natürlich nicht – aber erst mal aus dem Scheinwerferlicht heraus.
Dafür ist von der Leyen, ganz Polit-Profi, versiert und ambitioniert genug, auch mit ganz anderen Themen schnell Aufmerksamkeit zu gewinnen. Im September überraschte sie mit dem Aufruf an die Soldaten und zivilen Bundeswehr-Mitarbeiter, sich freiwillig für den Kampf gegen das Ebola-Virus in Westafrika zu melden. Ein für das Militär, bei dem Einsätze in der Regel befohlen werden, eher unüblicher Vorgang. Vor allem aber: Selbst den eigenen Apparat hatte die Ministerin mit ihrer Aktion im ARD-Morgenmagazin offensichtlich kalt erwischt. Das Ministerium tat sich jedenfalls schwer zu erklären, auf welcher rechtlichen Grundlage und unter welchen Rahmenbedingungen die Freiwilligen in diese nicht ungefährliche Mission ziehen sollten.
Eilig bemühte sich die Bundeswehr, die im ministeriellen Aufruf gemachten Versprechen zu erfüllen. Schon die Zusage, jeder an Ebola Erkrankte werde umgehend nach Deutschland zurückgeholt, war so einfach nicht einzulösen: Dafür hatte die Truppe gar nicht das Material. Allein dafür wirbelte der Sanitätsdienst, geeignete Transport-Isolatoren zu beschaffen. Entlastung bei diesem publikumswirksamen und für die eigenen Leute so wichtigen Problem schaffte dann ausgerechnet das Auswärtige Amt: Das hatte bei der Lufthansa die Umrüstung eines Passagierjets zur fliegenden Isolierstation in Auftrag gegeben. Und erst der zivile Airliner mit dem neuen Namen „Robert Koch“ löste das Versprechen der Verteidigungsministerin ein.
Schneller als Apparat, Debatte und Regeln
Ein bisschen schneller vorpreschen, als es der Apparat, der Stand der politischen Debatte und bisweilen auch die Regeln zulassen: Das hat Ursula von der Leyen in ihrem ersten Amtsjahr immer wieder vorexerziert. Bisweilen geriet das schnell wieder in Vergessenheit – wie der Vorschlag, basierend auf einer Absprache am Rande des NATO-Gipfels im September, einen Waffenstillstand in der Ukraine mit Bundeswehr-Drohnen zu überwachen. Das Wehrressort ergänzte die gemeinsame Linie mit dem Auswärtigen Amt um die Absicht, den Drohnen-Bedienern schwer bewaffnete Fallschirmjäger zum Schutz mitzugeben. In der Kaserne in Seedorf strichen die Soldaten schon mal vorsorglich ihre Autos in weißer Farbe für eine Mission unter dem Dach der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die „Bild“-Zeitung bekam das mit und schrieb prompt vom „deutschen Kampfeinsatz in der Ostukraine“. Damit war das Thema durch, die OSZE wehrte sich gegen eine solche militärische Komponente in ihrer Arbeit, die Entscheidung wurde dauer-vertagt.
Bisweilen wagt sich die Ministerin auch weit vor, ohne dass es auffällt. Auf dem NATO-Gipfel hatten alle Mitgliedsländer eine schnell einsetzbare „Speerspitze“ beschlossen; Truppen, die innerhalb weniger Tage in jedem Land in der Allianz als Vorhut einer Abschreckungstruppe bereit stehen – eine Reaktion auf die Ukraine-Krise und das Vorgehen Russlands. So schnell, das ist politischen wie militärischen Planern in der NATO klar, wird der Plan nicht zu verwirklichen sein. Doch eine „vorläufige sehr schnelle gemeinsame Einsatztruppe“ soll es bereits im kommenden Jahr geben – mit erheblicher deutscher Beteiligung.
Das Angebot dazu unterbreitete Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker, gemeinsam mit seinen Kollegen aus den Niederlanden und Norwegen, Anfang Dezember der Führung des Bündnisses und einer Tagung seiner Außenminister. Sicherlich nicht ohne Billigung seiner Chefin. Dass das deutsche Panzergrenadierbataillon 371, die „Marienberger Jäger“, als „Gefechtsverband“ schon im kommenden Frühjahr die NATO-Vorhut stellen dürften: Großes Aufsehen oder gar eine öffentliche Debatte hat das nicht ausgelöst.
Das könnte bei einem anderen von-der-Leyen-Vorschlag noch mal anders aussehen: Noch vor Weihnachten, überlegte die Ministerin laut in einem Interview, stehe möglicherweise eine Entscheidung über zusätzliche deutsche Soldaten im Nordirak an. Als Ausbilder für die Kurden im Kampf gegen den Islamischen Staat. Inzwischen hat sich von der Leyen mit dem Außenminister und den „Verfassungsressorts“ Innen- und Justizministerium verständigt: Noch vor Weihnachten will das Bundeskabinett einen solchen Einsatz beschließen.
Doch dabei bleibt einiges noch ungeklärt. Zum Beispiel das rechtliche Problem, in welchem „System kollektiver Sicherheit“ dieser Einsatz stattfindet, wie es das Grundgesetz vorschreibt: Was im Irak passiert, unterstützt Deutschland im Rahmen einer von den USA angeführten Freiwilligen-Koalition, nicht aber im Auftrag von Vereinten Nationen oder NATO. Eine solche lose Koalition als „System kollektiver Sicherheit“ zu interpretieren, ist eine Neuerung der Regierungspolitik.
Die Debatte und die Abstimmung über die neue Irak-Mission ist für Januar 2015 vorgesehen, im gleichen Monat will das Ministerium auch den Abgeordneten den detaillierten Vorschlag für den neuen Beschaffungsvertrag für die Hubschrauber vorlegen: Mit der bekannten Mischung aus Einsatz-Problemen, Attraktivität für den dringend notwendigen Nachwuchs, Materialmängeln in der Bundeswehr und der anstehenden Neuordnung des milliardenschweren Beschaffungsprozesses geht Ursula von der Leyen in ihr zweites Amtsjahr.
Und in diesem zweiten Jahr wird sich entscheiden, ob die 56 Jahre alte Ministerin nach all den Ankündigungen auch etwas erreicht. Nach zwölf Monaten Einarbeitungsphase fängt für Ursula von der Leyen die richtige Arbeit erst an. Ob sie auf dem schwierigen Feld Verteidigungs- und Sicherheitspolitik reüssiert oder, wie etliche ihrer Vorgänger, schwächer aus dem Amt herauskommt als sie hineingegangen ist? Die Oppositionspolitikerin Agnieszka Brugger, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, hat einen sarkastischen Rat für die Ministerin parat: „Sie muss aufhören, mit ihren Ankündigungsoffensiven zu simulieren, dass sie sich der Probleme annimmt.“
Aufmacherfoto Thomas Wiegold: von der Leyen bei ihrem ersten Afghanistan-Besuch im Dezember 2013
Der Text wurde gesprochen von Alexander Hertel von detektor.fm