Herr Atzberger, im aktuellen „Shopping-Center Report“ des EHI steht, der Boom der Einkaufszentren sei vorbei. Im Moment hat man eher das Gefühl, das Gegenteil se_i_ der Fall.
Marco Atzberger: Das kommt Ihnen vielleicht so vor, weil in Berlin mit dem LP12 am Leipziger Platz und dem Bikini Berlin am Zoo zwei besondere neue Konzepte eröffnet haben und deshalb auch die Aufmerksamkeit in den Medien groß war. Grundsätzlich ist die Feststellung weiter richtig: Der große Boom ist vorbei. Es gibt weiter Neueröffnungen, aber deutlich weniger als noch vor zehn Jahren. Wir beobachten aber, dass die Konzepte immer spektakulärer werden.
Ist das die Voraussetzung, um mithalten zu können?
Die „Mall of Berlin“ renoviert ja sozusagen einen ganzen Stadtteil von Berlin. Das Bikini setzt auf Sonderflächen, wo sich Designer zeitlich begrenzt einmieten können. Das hat einen ganz anderen Charakter als das, was wir sonst von Einkaufszentren gewohnt sind. Es geht darum, ein eigenes Profil zu entwickeln und das Center als Marke bei den Kunden zu etablieren. Zum Beispiel durch besondere Mieter, außergewöhnliche Architektur oder einen Mix aus Gastronomie und Unterhaltung.
Gilt das für alle Städte gleichermaßen?
Wir sehen, dass Betreiber selten in Städte unter 70.000 Einwohnern gehen. Aber das kommt im Einzelfall sehr auf das Einzugsgebiet und die Verteilung der Kaufkraft am jeweiligen Ort an.
Nun lässt sich die Kaufkraft aber nicht beliebig steigern. Auf wessen Kosten eröffnen die neuen Zentren?
Es ist ganz klar ein Wettbewerb der Standorte. Viele ältere Center stehen vor der Herausforderung, sich neu erfinden zu müssen, um noch attraktiv zu bleiben.
Auch die neuen haben es zum Teil schwer: Im Frankfurter Skyline Plaza, das 2013 eröffnet wurde, klagen Händler über viel zu wenig Betrieb.
Shoppingcenter sind in der Tat keine Selbstläufer mehr. Das Skyline Plaza hat einen sehr ruhigen Start erlebt. Das hängt aber auch damit zusammen, dass das Europaviertel, in dem es steht, noch nicht voll entwickelt ist. Die Herausforderung besteht darin, den Kunden einen eindeutigen Grund zu geben, warum sie in genau dieses Center zum Einkaufen kommen sollen. Konkurrenz gibt es ja nicht nur durch andere Center, sondern auch mit dem wachsenden Online-Handel.
Entstehen dadurch Probleme für die Entwicklung der Innenstädte?
Dieser Widerspruch – Shoppingcenter gegen Innenstadt – stammt aus den 90er Jahren. Damals sind viele Zentren auf der grünen Wiese hochgezogen worden. Mittlerweile hat man verstanden, dass Center – wenn sie sinnvoll in die Stadt integriert werden – auch ein Gewinn sein können. Sie müssen sich zur Stadt hin öffnen, anstatt als geschlossene Einheit zu funktionieren. Wir beobachten in jedem Fall, dass die meisten Eröffnungen heute in Innenstädten passieren. Die Betreiber gehen dort hin, wo die Leute einkaufen wollen. Das gilt auch für Ikea, das in Altona sein erstes Möbelhaus in der Stadt eröffnet hat.
Kritiker befürchten,dass die Geschäfte in der Nachbarschaft deswegen schließen müssten.
Es kann auch gelingen, die angrenzenden Einkaufsstraßen zu beleben, weil Kunden, die wegen Ikea kommen, auch in die umliegenden Geschäfte gehen. Das Haus in Altona ist nicht so abgeschottet, wie wir das von den Möbelhäusern an den Autobahnen kennen. Die Gastronomie im ersten Stock ist von der Einkaufsstraße gut einsehbar, die Ausstellung zum Teil ins Erdgeschoss verlegt. Ich glaube, das ist weit mehr als ein Werbe-Gag. Viele junge Menschen besitzen kein Auto mehr, sehen das auch nicht als erstrebenswert an und können von Händlern mit abgelegenen Standorten kaum noch erreicht werden. Deshalb reagieren die Unternehmen.
Das heißt, wir können uns darauf einstellen, dass in den kommenden Jahren noch mehr solcher Großprojekte in den Städten verwirklicht werden?
Viele Städte fordern Shoppingcenter inzwischen aus eigener Initiative an, um die Schließung von Warenhäusern zu kompensieren. Durch die Insolvenz von Hertie und die Schließungen bei Karstadt sind Immobilien freigeworden, deren Leerstand sich auf ganze Einkaufsstraßen auswirkt.
Es wird spekuliert, der neue Karstadt-Eigentümer René Benko könnte einzelne Häuser in Shoppingcenter verwandeln. Ist das realistisch?
Das entspräche einer kompletten Neuerfindung von Karstadt. Es gibt ja schon heute in den Kaufhäusern so genannte Shop-in-Shop-Konzepte und Flächen, die von Lieferanten selbst bewirtschaftet werden. Die Frage ist natürlich, ob sich der Händler überhaupt noch als solcher versteht – oder bloß noch die Fläche zur Verfügung stellen will. Grundsätzlich funktionieren Shoppingcenter deshalb so gut, weil dort Spezialisten die Ware führen. Wenn es gelänge, eine solche Spezialisierung bei Karstadt einzuführen, könnte das Erfolg haben. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Zögen dann in kleineren Städten nicht einfach H&M und der O2-Shop aus der Fußgängerzone in den Karstadt – und das Problem hätte sich nur verlagert?
Das ist nicht auszuschließen. Auf der anderen Seite drängen viele neue Händler in die Städte, die das ausgleichen könnten. Vor zehn Jahren hat noch niemand von Primark und TK Maxx gesprochen. Es gibt da einen stetigen Wandel. Und die Aufgabe eines erfolgreichen Centers ist es, die interessantesten Mieter an sich zu binden.
Interview zum Text: „Der ganze Rummel“