Lieber lachen als weinen
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Lieber lachen als weinen

Keine Arbeit, keine Zukunft, keine Hoffnung? Nicht mit Mahmud Zuaiter und seiner Crew. Mit ihrer Comedyshow trotzen sie dem schwierigen Leben im Gaza-Streifen, auch wenn dort Lachen und Weinen oft nah beieinander liegen.

Profilbild von Reportage von Victoria Schneider, Gaza

https://www.youtube.com/watch?v=nFtG3ZZKCSk&index=2&list=PLDwn0qXLqH683tm8joIRjc0u5eVrckOkn


Die Kamera ist aufgebaut, der Barstuhl steht bereit, das Rampenlicht ist an. Nur die Schleife sitzt nicht richtig. “Mahmuuuuuud!”, schreit Thaer Moner. Er ist der Produzent der Show, sitzt hinter der Kamera und wartet auf seinen Protagonisten, der sich vor dem Spiegel das schwarze Accessoire zurechtrückt. Mahmud Zuaiter glättet sein pastellgrünes Hemd. Schnell, schnell muss es gehen, die Zeit ist knapp, der Strom fällt bald aus.

Dann betritt er das Studio, gibt seinem Partner Hescham einen Klaps auf den Hinterkopf, sie treten ins Licht. Das verschmitzte Grinsen in ihren Gesichtern heißt: Gleich kommt etwas Gutes.

Mahmud setzt sich auf den Barstuhl und beginnt aus dem Stand zu erzählen. Er leitet die neue Folge ein: Es geht um Liebe. Er spricht schnell auf Arabisch, doch seine Mimik und seine Gestik sind so lustig, dass man allein vom Zusehen lachen muss.

Mit „Bsyazalma“ - „Schluss jetzt, Jungs“ - haben der 29-Jährige und sein dreiköpfiges Team etwas Besonderes geschaffen. Ihre Show ist eine von nur wenigen Stand-up-Comedyshows im palästinensischen Fernsehen und die einzige, die im Gaza-Streifen produziert wird.

Die Show macht sich über die Gewohnheiten in der palästinensischen Gesellschaft lustig, es geht um besorgte Mütter oder nervige Liebhaber, um immer größer werdende Smartphones und die Sucht, das eigene Gesicht ständig in Selfies festzuhalten. Mit ihren Themen treffen sie genau ins Schwarze.

“Wir sind ordentlich gekleidet, wir benutzen keine Schimpfwörter und sprechen über Dinge, mit denen sich jeder identifizieren kann”, sagt Mahmud. “Wir machen Fernsehen für die ganze Familie, deshalb mögen uns die Leute.”

Mahmud Zuaiter, Thaer Moner, Ibrahim und Hescham Adnan in ihrem selbstgebauten Studio

Mahmud Zuaiter, Thaer Moner, Ibrahim und Hescham Adnan in ihrem selbstgebauten Studio Foto: Victoria Schneider

Vor zwei Jahren begannen die vier jungen Männer, die alle aus der Mitte des winzigen Landstreifens an der Mittelmeerküste kommen, Sketche zu produzieren, die sie auf Youtube zeigten - erst auf der Seite ihrer Firma, Tashwesh Productions, dann auf dem offiziellen Channel der Sendung. Jetzt bekommen ihre Clips bis zu einer Viertelmillion Klicks, auf Palestine TV laufen ihre zehnminütigen Sketche zur Hauptsendezeit.

https://www.youtube.com/watch?v=kqcNuT8utRs

Es ist nicht einfach, in einem der politisch aufgeladensten Flecken der Welt unpolitisch zu bleiben. Doch Mahmud und seine Crew rühren Politik nicht an. Noch nicht. “Erst wenn wir 100 Prozent der Bevölkerung hinter uns haben, werden wir politische Sketche machen”, sagt Mahmud. Vorher lohne es sich nicht, zu problematisch sei die politische Lage. In Gaza regiert die islamistische Hamas, im Westjordanland Mahmud Abbas’ Fatah-Regierung. Erst neulich musste ein Komödiant ins Exil nach Jordanien gehen, weil er den Präsidenten attackiert hat, sagt Mahmud.

Mit dem Vertrag mit Palestine TV generiert die Gruppe zum ersten Mal ein Einkommen aus ihren Witzen. Die 20.000 US-Dollar, die sie für 30 Sketche bekommen, sind zwar nicht genug, um auf Dauer vier Menschen zu ernähren. Für Gaza ist das eine große Summe.

„Wir haben ein Problem in Gaza mit der Förderung von Kunst und Kultur“, sagt Mahmud. „Es wird ganz einfach nicht gefördert.“ Künstler zu sein, ist kein Beruf. Laut dem palästinensischen Büro für Statistik sind mehr als 45 Prozent der männlichen Bevölkerung Gazas arbeitslos. Tausende Universitätsabgänger zählt Gaza jedes Jahr. Sie gehen ab in eine Gesellschaft ohne Arbeit.

Keiner der jungen Männer von Bsyazalma hat einen Job. Hescham ist Ingenieur, Thaer hat einen Abschluss in Medienwissenschaften. Ibrahim, der Vierte im Bunde, studiert Mathematik. Mahmud hat zwei Universitätsabschlüsse, er hat Arabisch und Medienwissenschaften studiert und vorher eine Ausbildung als Krankenpfleger absolviert.

Er hatte einen Job unter der Fatah-Regierung, die 2007 von der islamistischen Hamas aus dem Gaza-Streifen verwiesen wurde. Die rund 60.000 Regierungsangestellten Gazas bekamen aus Ramallah (Westjordanland) den Befehl, nicht länger zur Arbeit zu gehen – ihr Gehalt bekommen sie seitdem trotzdem überwiesen. Mahmud Zuaiter hat das Geld genutzt, um Comedy zu produzieren.

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Anfang des Jahres haben sie das Studio im Haus seiner Verwandten in Deir al Balah verlassen und eine Dreizimmerwohnung im Zentrum Gaza-Stadts gemietet – die Firma. All ihre Zeit verbringen die Freunde hier, sie schlafen hier, sie essen hier, sie arbeiten hier. Eines der drei Zimmer ist zum Produktionsstudio umgewandelt, in einem anderen stehen die Kulissen und Materialien. Ein königlicher Stuhl, ein aus Pappe gebastelter Panzer. Plastik-Kalaschnikows und Perücken.

Den Krieg verarbeiteten die Jungs von Bsyazalma zu Sketchen. Ihre Requisiten bauen sie sich selbst.

Den Krieg verarbeiteten die Jungs von Bsyazalma zu Sketchen. Ihre Requisiten bauen sie sich selbst. Foto: Victoria Schneider

“Mein Vater erkennt mich gar nicht mehr, wenn ich einmal in der Woche vor der Haustür stehe”, sagt Hescham. “Das hier ist meine Familie.”

“Ich bin der Vater, ich zahle für alles”, stimmt Mahmud ein. “Wenn ich das Geld vom Fernsehen überwiesen bekomme, kaufe ich uns Essen, ich kaufe meiner Familie Kleidung, gebe Thaer und Hescham Geld für Zigaretten”, sagt er. “Das ist ein Problem, sie müssen aufhören zu rauchen!”

“Ja, das ist unser größtes Problem in Gaza: Die Zigaretten sind viel zu teuer geworden!”, ruft Hescham völlig empört.

Es ist ein guter Tag, alle sind gut gelaunt. Sie lachen viel und herzlich. “Wir lieben das Leben hier in Gaza”, sagt Hescham. “Doch im Inneren sind wir alle tot.”

Nach der Arbeit - falls es Strom gibt - belohnt sich die Crew mit einer Runde Playstation.

Nach der Arbeit - falls es Strom gibt - belohnt sich die Crew mit einer Runde Playstation. Foto: Victoria Schneider

Comedy gibt’s nur, wenn Frieden ist

Das Gaza-Büro von Palestine TV liegt im obersten Stock eines Hochhauses im Stadtteil Tel al Hawa. Es sieht nicht gerade aus wie in einer Produktionsfirma: Am Treppenaufgang stehen rauchende Männer, in den Zimmern sitzen rauchende Männer und trinken Kaffee.

“Wir haben großes Potenzial in der Show dieser Jungs gesehen und wollten sie unterstützen”, sagt Mo’en al Helow, der Leiter des Büros. Der Raum ist stickig vom Qualm, den er im Sekundentakt auspustet. Er raucht und raucht und raucht. Hinter ihm sieht man durchs Fenster das grau-weiße Häusermeer Gaza-Stadts. Neben dem Schreibtisch hängt eine Karte der Region. Palästina ist der Titel. Von Israel ist keine Rede.

Man sieht al Helow an, dass er Comedy trotz des Erfolges nicht hundertprozentig traut. Er sagt, sie waren sich am Anfang nicht sicher, ob sich die Jungs bewähren können. Deshalb gaben sie ihnen zunächst einmal einen Vertrag für einen Monat. Die erste Staffel von Bsyazalma wurde im vergangenen Jahr ausgestrahlt, mit großem Erfolg.

“Die Leute mögen die Show, die Themen sprechen ihnen aus der Seele.” Nach dem Erfolg der ersten Staffel haben sie in diesem Jahr das Gehalt erhöht, von 250 US-Dollar pro Sketch auf mehr als 600 Dollar. Bsyazalma sollte in diesem Jahr zur besten Sendezeit im Ramadan laufen - nach dem Fastenbrechen, wenn die meisten Familien vor dem Fernseher sitzen.

Doch das gilt nur, wenn Frieden ist. 2014 wurden nur fünf Episoden gezeigt, dann brach der Krieg aus. “Wenn Menschen vor unseren Augen sterben, können wir nicht so tun, als sei alles froh und heiter.” Im Krieg strahlte Palestine TV 24 Stunden Nachrichten aus.

Die Staffel wurde auf Anfang November verschoben. Dann kamen die Unruhen auf dem Tempelberg in Jerusalem, und wieder war kein Platz im Programm für Komik.

Seit Bsyazalma im Fernsehen läuft, ist es unmöglich geworden, mit Mahmud Zuaiter durch die Straßen zu gehen. Blicke wandern, Finger zeigen, Mädchen kichern. Alle zehn Meter bleibt er stehen, die Kinder erkennen ihn schon von weitem. Nicht wegen seiner Größe - er ist über 1,90 Meter - man kennt Mahmud Zuaiter in der Stadt.

Egal, wohin Mahmud geht, er ist stets umgeben von kleinen und großen Fans.

Egal, wohin Mahmud geht, er ist stets umgeben von kleinen und großen Fans. Foto: Tashwesh Productions

Eine Woche später treffe ich Mahmud vor dem Tor der Azhar Universität, eine von fünf Universitäten und Hochschulen der Stadt. Es ist ein warmer Wintertag, am Straßenrand stehen Nuss- und Gummibärenverkäufer, wir schlängeln uns an Ständen mit Büchern und Handyschalen vorbei in Richtung “Firma”. Mahmud zieht alle Blicke auf sich.

Mit riesigen Schulranzen auf den Rücken kommen die Kinder angerannt, sie wackeln ihm hinterher wie Küken ihrer Mutter, gucken begeistert zu ihm auf. Geduldig posiert er für Fotos, unterhält sich mit seinen kleinen Fans. Er lacht. Freut sich über die Freude, die er den Leuten bringt.

Dann gehen wir an dem Loch vorbei, das einst eines der größten Gebäude der Stadt war, der 15-stöckige Bascha Turm, der am vorletzten Tag des Krieges bombardiert wurde. Der gigantische Trümmerberg ist inzwischen weggeräumt, es bleibt eine von Steinbrocken umrandete Grube. Stahl ragt aus dem Schutt, die Straße ist voller Staub, die Wände der nebenstehenden Gebäude sind eingerissen.

Im Gegensatz zu Nachbarschaften wie Shuja’iya, Beit Hanun oder Khuza’a, ist das Zentrum von Gaza-Stadt zu großen Teilen ganz geblieben. Trümmer gibt es trotzdem genug, alle paar Straßen liegt der Schutthaufen eines zerbombten Hauses oder einer Moschee. Sie erinnern an den Krieg, den alle als den schlimmsten der drei Kriege beschreiben, die Gaza seit 2008 erlebt hat.

Er hat tiefe Wunden in Gaza hinterlassen. In der Landschaft und in den Seelen.

“Die israelische Armee rief meine Schwester an und fragten, wie viel Zeit wir brauchen, um zu evakuieren”, sagt Mahmud, als wir die Trümmer passieren. “Alle waren bei uns, die ganze Großfamilie, ungefähr 80 Menschen.” Die Zuaiters dachten, ihr Haus in Deir al Balah in der Mitte des Gaza-Streifens wäre ein sicherer Zufluchtsort. Als der Anruf kam, sagte Mahmuds Schwester auf seine Anweisung hin, sie brauchen eine halbe Stunde, die israelische Armee antwortete, es müsse schneller gehen. Ein halbe Stunde später filmte Mahmud mit seinem Handy, wie sein Elternhaus von mehreren Raketen dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Eine Woche vorher hatte er bereits seinen Cousin verloren, er arbeitete für Hamas. “Ich lache noch, aber der Krieg hat etwas mit meinem Herzen gemacht”, sagte Mahmud, als ich ihn in diesem Jahr zum ersten Mal traf. “Vor dem Krieg waren wir hoffnungsvoll, es lief gut, wir sahen eine Zukunft.” Jetzt seien sie innerlich verwundet.

Es ist kein guter Tag. Obwohl keiner offensichtlich schlecht gelaunt ist, ist die Stimmung niedergeschlagen, als wir in die Wohnung kommen. Der Rest der Crew sitzt am Tisch und spielt Karten. Der Strom ist mal wieder aus, und arbeiten kann die Crew nur mit Elektrizität. Derzeit haben die Menschen in Gaza zwischen sechs und acht Stunden am Tag, manchmal tagsüber, manchmal in der Nacht. Sie drehen gerade an der dritten Staffel von Bsyazalma, die im nächsten Ramadan ausgestrahlt wird.

Es ist einer der Tage in Gaza, an dem die Herzen schwer sind, ohne dass es eine Erklärung dafür gibt. “Vielleicht sind wir alle verrückt geworden nach dem Krieg”, sagt Hescham. “Der Stress, die Anspannung, es war hart”.

Der Krieg lieferte viel Material für schwarzen Humor: Hier spielt Hescham einen "Müllsammler", der sich auf Raketen spezialisiert.

Der Krieg lieferte viel Material für schwarzen Humor: Hier spielt Hescham einen “Müllsammler”, der sich auf Raketen spezialisiert. Foto: Tashwesh Productions

Sie waren den Großteil der 50 Tage, die der Krieg im Juli und August dauerte, in der Firma, haben versucht, die zwei, drei Stunden Strom am Tag produktiv zu nutzen. “Sonst wären wir durchgedreht”. Vom Balkon aus sieht man über den Osten der Stadt, man sieht Israel, die Grenze ist nur vier Kilometer entfernt. Im Krieg sahen sie die Raketen in den Streifen fliegen.

Nichts sei besser geworden seit dem Ende der Gewalt. Im Gegenteil.

Die Aussicht vom Balkon der Firma: Dort, wo das Häusermeer endet, ist die Grenze zu Israel.

Die Aussicht vom Balkon der Firma: Dort, wo das Häusermeer endet, ist die Grenze zu Israel. Foto: Victoria Schneider

“Wir haben den ständigen Konflikt zwischen Hamas und Fatah, sie töten uns von innen”, sagt Mahmud. “Wir haben Israel und Ägypten, die uns vom Rest der Welt isolieren.” Dabei träumen die Künstler von Großem. Thaer will ein Kino aufmachen, Hescham will verreisen. Mahmud will sich ein Auto leisten können, alle wollen eine bessere Zukunft.

“Wir können es nicht leugnen”, sagt Mahmud seufzend, “das Leben ist einfach wunderschön hier in Gaza”. Sie lachen. “Es ist so schön, ich könnte sterben”, sagt Hescham. Mehr lachen. Das ist ihre Art mit der Situation umzugehen. Denn Lachen ist immer noch besser als Weinen.


Im Oktober reiste ich nach Gaza, um das Leben jenseits der schwarzen Fernsehbilder zu erkunden. Das Ergebnis ist eine Reihe von Geschichten, die in den vergangenen zwei Monaten entstanden sind, über Menschen und ihre Versuche, sich von der Situation nicht unterkriegen zu lassen. Weitere Folgen: