November 2014 in Moskau, Dinner eines internationalen Modelabels. Ich war vor sechs Jahren schon einmal hier, doch jetzt traf ich auf ein Moskau in der Luxuskrise. Putins Embargos und die Sanktionen der westlichen Markenwelt kreieren hier eine neue Situation unter Reichen, Oligarchen und Socialites - den gesellschaftlich relevanten It-Girls.
Noch 2008 war das anders. Als ich damals im September die Launchparty für die russische Ausgabe des Magazins „Tatler“ besuchte, schien jedes Limit für eine neue Moskauer Luxusgesellschaft gesprengt. Man feierte mit einer Bootsparty an der Moskwa bei eiskalten Temperaturen, und zwar mit Feuerwerk, der Titelmelodie von “Dallas” und unbezahlbarem schottischen Whisky. Der Chefredakteur des britischen „Tatler“, Geordie Greig, hatte sich an diesem Abend in der hintersten Ecke der Party herumgedrückt und schaute ein wenig überrascht, welche Gesellschaft sich vor ihm auftat.
Wenn man so will, ging es damals, 2008, also um nichts. Außer, anständig zu feiern, richtig auszusehen und den Westen mit dessen Luxus- und Jetsetgebaren eindeutig zu überbieten. Doch Ukraine-Krise, “Pussy Riot” und Putin transformierten das Bild dieser neuen Gesellschaft und ihrer Luxusgeschöpfe von damals.
Die Zeiten sind vorbei, und es scheint, als ob die Stimmung in der Glamour-Community wegen der “P”-Situation, also Putin, Richtung manisch-depressiv tendiert. Man akzeptiert den Mann zu 100 Prozent. Oder man ist von dem Mann und der Situation genervt. Zu 100 Prozent. Jedoch nicht nur von Putin. Auch von “propagandistisch” empfundenen Artikeln in der US-Presse. Das hat Folgen. Die Socialite, wie wir sie noch aus den beginnenden 2000ern kennen, existiert heute nicht mehr. Sie ist zwei Modellen gewichen.
Einmal dem der neuen Nationalistin, wie Anna Prizkau sie in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ beschreibt: “Putin ist das neueste Paar Louboutins, das sich jetzt viele junge russische Frauen anziehen, die erfolgreich sein wollen, weil man mit ihm sehr weit kommt.”
Und dann die Mädchen, die auf eine sehr individuelle, russische Weise ihren Weg gehen und sich dabei nicht aufhalten lassen. „Czarinas“, Zarinnen, nennt man sie nicht ohne Grund. In Moskau sprach ich mit drei solchen Frauen über die aktuelle Situation und darüber, wie sie sich in den neuen Zeiten bewegen und verhalten.
Ekaterina Mukhina
Beim Dinner am Abend hatte Ekaterina Mukhina den meisten Männer und Frauen die Sprache verschlagen. Sie trug eines der besten Kleider. In Weiß. Es war rückenfrei, glänzte und zeigte Mukhinas perfekte Knochenstruktur. Sie könnte darin Staatsempfänge bestreiten, doch Mukhina ist Stylistin - und Bloggerin. Ihre Tochter Mascha ist Thema ihres Blogs und modelt dort neben anderen schönen, russischen Kindern.
Mukhina zählt zur neuen „Russian Fashion Mafia“, und das Wort hat mit klassischen mafiösen Strukturen nichts zu tun. Es steht für eine neue Gattung von Mädchen, die in der Modewelt so genannt werden und derzeit dort für Furore sorgen, auf den Schauen der Welt zu finden sind. Die “Czarinas” eben.
Am anderen Morgen beim Interview ist Mukhina erstmal nicht wiederzuerkennen. Sie schleicht durch das Hyatt Hotel Richtung Frühstücksraum. Wir sind dort gleich verabredet, doch es ist interessant, sie eine Weile zu beobachten. Sie hat mit der Glamour-Russin von gestern nichts mehr gemeinsam. Sie trägt einen dunkelblauen, simplen Baumwollmantel, kein Make-up. Ihr Haar ist ungefönt, lässig, wie man es an Pariserinnen sieht. Überhaupt könnte man sich Mukhina als Pariserin im Marais vorstellen. Ekaterians Look hat etwas internationales, er spricht eine internationale Modesprache und keine dezidiert russische mehr. Sie fällt im Frühstücksraum auf. Die anderen Russinnen um uns herum tragen Lederhosen, Juwelen und Modeshirts, komplettes Make-up morgens um zehn. Die Russin an sich geht nicht unfrisiert auf die Straße. Und wenn es ein Land gibt, in dem man eine sogenannnte Bling-Bling-Existenz immer noch ungestört genießen könnte, ist es Russland.
Ich frage sie bei einem Tee mit Zitrone nach dem “P”-Wort für Putin. “Viele Leute in der Modewelt reagieren pragmatisch. Dennoch. Ich glaube die Angst davor, was passieren wird, ist größer als das, was wirklich in diesem Moment passiert„, antwortet sie. “Ich glaube, das Bankensystem wird in den nächsten Jahren mehr unter der Situation leiden als die Luxuswelt. Mein Business ist noch in Ordnung. Alles läuft gut. Ich habe Kunden und fliege immer noch an dieselben Orte.” Einiger dieser Kunden sitzen in Kasachstan - einem der Orte, an denen die Luxusindustrie boomt. “Dort leben viele Leute mit sehr viel Geld. Ich style eine Menge Kunden vor Ort und berate sie. Die Leute dort geben noch viel Geld für Gold und Juwelen aus. Kasachstan ist eine sichere Bank für russische Stylisten.”
Ab und zu fährt Mukhina in die Ukraine, denn sie arbeitet auch für die ukrainische „Vogue“. Die Situation vor Ort ist ihr nicht geheuer. Und ab und zu ist die Zusammenarbeit etwas “passiv-aggressiv, ich reagiere dann nicht”.
Ekaterina, oder Katja, wie sie von Freunden genannt wird, ist in den 80er-Jahren in Moskau geboren worden. Ihre Kindheit ist “sowjetisch”, wie sie sagt. “Ich habe als Kind sechs Tage die Woche vier Stunden jeden Tag Gymnastik gemacht. Meine Hausaufgaben habe ich nachts erledigt.” Ihre Großmutter ist die wichtigste Person in ihrem Leben. Modemäßig. “Sie hatte nichts. Sie trug immer dasselbe Kleid und nähte alles selbst. Die Geschäfte waren ja leer. Aber sie hat trotzdem etwas draus gemacht.” Mit dieser Zeit möchte Mukhina nichts mehr zu tun haben und ihre Tochter Mascha auf ein Internat nach London schicken. “Es ist ein Problem, in Russland zu studieren. Es gibt Nachteile, und man muss strengen Regeln folgen. Bis heute”, sagt sie, und es klingt sowjetisch. All das sei ihr fern. Sie will, wie ihre Kolleginnen, mitmachen, mitwirken auf einer internationalen Ebene.
In Ekaterina Mukhinas Augen ist die digitale Mode-Queen Moskaus Miroslawa Duma die Königin der neuen Businessbewegung. “Sie hat den Bogen raus, wie man so ein Business führt.”
Wollen wir nochmal über Politik sprechen? Sagen wir, „Pussy Riot“? In den ganzen Tagen in Moskau hatte niemand über die Aktivistinnen gesprochen. Das fand ich ungewöhnlich. Hatte man doch außerhalb Russlands und in Amerika immer das Gefühl, den meisten jungen Leuten, die mit einem neuen Russland zu tun haben, würde der Name täglich auf der Zunge liegen, und das Pussy-Riot-Modell wäre eine favorisierte Variante, auf Putin zu reagieren.
Doch Mukhina ist über die Band not amused: “Ich weiß nicht, wie ich sie finden soll. Sie waren in ‘House of Cards’, sie stellen im Moma in New York aus und tanzen nackt in der Kirche herum. Aber jetzt mal ehrlich, das ist nichts Politisches, wenn du deinen nackten Hintern in einer Kirche zeigst. Russische Revolutionäre waren immer gebildet und haben so etwas nicht getan. Ab und zu kommen mir die beiden wie zwei Kuriositäten vor, aber nicht wie politische Figuren.”
Xenia Sobtschak
Am Dinnerabend fällt Xenia Sobtschak durch ihre Handtasche in der Form eines riesigen Lippenstifts auf. Jeder hatte am Abend einen Blick darauf geworfen. Man schaut darauf, was Frau Sobtschack trägt. Sie ist eine Legende unter den neuen It-Girls oder “Czarinas” und galt einmal als Paris Hilton von Moskau. Heute aber hat Sobtschak ihre Hilton-Phase verlassen, bewegt sich Richtung Hillary Clinton und hält mit Brille und in seriöser Bluse auf einem Independent-Sender Vorträge über die Gefahr, die von Putin ausgeht. Das funktioniert unter anderem, weil sie bekannt ist.
In einem Interview 2012 mit „Harpers Bazaar“ behauptete sie: “96 Prozent der Russen erkennen mich.” Es war zu dieser Zeit, als Sobtschak sich, damals einige Zeit in New York, zu ihrem neuen Dasein als Glamour-Aktivistin bekannte. “Ich kann mich doch auch um politische Ungerechtigkeit kümmern, wenn ich Chanel-Absätze trage”, sagte sie dem Magazin.
Xenia Sobtschak stammt aus einem Haushalt, der, so könnte man sagen, ein emotionales Verhältnis zu Wladimir Putin hat. Ihr Vater Anatoli Sobtschak war 1991 bis 1996 Bürgermeister von St. Petersburg. Putin und Sobtschak waren eng befreundet. Sobtschak hat Putin angeblich zum Aufstieg verholfen, und Putin half Sobtschak daher auch angeblich im Gegenzug, das Land zu verlassen, als dieser wegen Korruption vor Gericht sollte.
2000 aber stirbt Sobtschak, plötzlich und unerwartet. Gerüchte machen die Runde. Er sei vom Kreml und der Regierung, zu dieser Zeit noch Boris Jelzin, unter Druck gesetzt worden. Der Tod kommt plötzlich. Angeblich ein Herzinfarkt. Bei der Beerdigung weint Familienfreund Putin am Grab.
Xenia Sobtschak erfindet sich nach dem Tod ihres Vaters ein neues Ich in Moskau: das des modernen, konsumfreudigen, neurussischen Socialite. Sie modelt, ist auf dem “Playboy”-Cover zu sehen und moderiert 2004 die Show “Dom2”, eine Art hartgesottenes, russisches „Big Brother“. Oder “Top Model po-russki” , das Pendant zu “Germanys Next Top Model”. Es ist der Beginn eines “schizophrenen Lebens”, wie sie sagt.
Während ich am Strand in Miami sitze und darauf warte, das schönste Model auszuwählen, lese ich Henry Kissingers Bücher über russisch-amerikanische Beziehungen. Manchmal fühle ich mich wie Cathérine Deneuve in ‘Belle de Jour’, eine Prostituierte am Tag und eine perfekte Frau bei Nacht. Ich bin wie Jekyll und Hyde.
Xenia Sobtschak, 2012 in “Harpers Bazaar”
Ab 2012 beginnt Sobtschak die wachsende Macht von Familienfreund Putin in Frage zu stellen. Sie unterstützt die Anti-Putin-Bewegung in Moskau. Sie hat über die Jahre beobachtet, wie mächtig Putin geworden ist, und sie kann es einschätzen. Sie kannte ihn lange vorher. Und das sehr gut. Eine Weile geht Xenia Sobtschaks Protest gut, denn sie ist durch die alte Freundschaft ihres Vater zu Putin scheinbar geschützt. Doch im Mai 2012 wird ihre Wohnung in Moskau durchsucht, sie wird verhaftet, und es scheint darum zu gehen, die Paris Hilton von Moskau ruhig zu stellen. Die Razzia in ihrer in Moskau bedeutet einen großen Einschnitt in ihrem Leben und beweist, dass ihre Warnungen vor Putin nicht ungerechtfertigt sind.
Sobtschaks TV-Show “Gosdep” (übersetzt “State Department”) auf MTV Russland wird nach nur einer Sendung eingestellt. Zu politisch. Zu Anti-Putin, da Sobtschak den Anti-Korruptionsblogger und Kreml-Kritiker Alexej Nawalny eingeladen hat. Seitdem gehört sie zur führenden, glamourösen Anti-Putin-Liga. Für die Zukunft erwartet sie, dass die junge russische Elite das Land verlassen wird. Ja, sogar neue Staatsbürgerschaften beantragen wird. “Alles, worüber meine Freunde sprechen, ist ein Visum„, sagte sie der britischen Boulevard-Zeitung “Daily Mail„. “Sie senden mir Nachrichten wie: ‘Xenia, da gäbe es die bulgarische Staatsbürgerschaft, es gibt neun Optionen bis Ende November.’ Und: ‘Ich habe meine in der tschechischen Republik bekommen.’”
Vor kurzem erst saß Xenia Sobtschaks bei Doschd, einem neuen, politischen, kremlkritischen Hipstersender, bei dem sie selbst moderiert. Diesmal saß sie vor der Kamera, um ein Interview zu geben und zum ersten Mal war zu sehen, dass die Paris-Hilton-Zeiten vorbei sind. Sie ist auf dem Weg zur angstlosen Staatsfrau. Der Besitzer des Kaufhauses Gum und Kremlkenner Michail Kusnirowitsch begrüßte Sobtschak beim Dinner mit größtmöglicher Bewunderung: “Sie hat das Zeug zur Präsidentin. Sie ist klug. Und schön.”
Miroslawa Duma
Das Mädchen im hellblauen Mäntelchen und kleinem, schwangeren Bauch in der Mitte des wichtigsten Tisches am Dinnerabend heißt Miroslawa Duma. Duma ist mächtig. Sie ist eine der wichtigsten Geschäftsfrauen, wenn es um neue russische Mode-Ikonen geht. Mira, wie ihre Freunde und die Website “Russian Fashion Mafia” sie nennen, wird auf allen Modenschauen der Welt wegen ihrer Outfits fotografiert. Nicht mehr nur deshalb. Ihre Firma Büro 24/7 ist ein Infoservice für Fashion-Insider. Eine Art „Huffington Post“ für Modeinteressierte aus Russland, Kroatien, Ukraine, Kasachastan, Aserbaidschan, Mittlerem Osten und Australien. Duma möchte sich mit ihrem Geschäft nicht auf diese Länder beschränken. Sie will mehr. “Amerika ist großartig, ich liebe es”, sagt sie beim Abendessen. Aber sie ist von den Sanktionen des Westen genervt. Duma ist weit gekommen. Jeder Blogger, der den Mode-Ikonen bei den Schauen auflauert, wird sie fotografieren.
Am anderen Tag kann ich bei einem Mittagessen im “Vogue Café” erkennen, wie Duma funktioniert. Nicht wie ein Opfer einer Situation. Sie bestellt uns Borschtsch und Hühnerlebersalat. Den müsse ich probieren. Vorher könne ich die Stadt nicht verlassen. Vor ihr liegt ein neues iPhone 6 und ein altes Blackberry. Es piepst alle drei Sekunden. Sie ignoriert es und lässt ihre Finger (mit einem großen, diamantenen Ehering) auf dem iPhone liegen. Das piepst nicht. Die Hühnerleber ist scharf, und Duma testet, ob ich alles aufesse.
Mira Duma ist die “Geschäftsfrau” unter den neuen russischen „Czarinas“. Sie stammt aus dem reichen Sibirien. Ihr Vater war dort einst Senator. “Es gab nichts. Und raus konnte ich auch nie, weil es zu kalt war„, erklärt Duma. Sie muss in dieser Zeit ihre ganze Energie gesammelt haben, denn die Geschwindigkeit und Kraft, die Mira nach ihrem Job bei der russischen “Hapers Bazaar” als Modechefin an den Tag legte, ist unerreicht**.** Dumas Raketenstart begann genau an dem Punkt, als die wohlhabenden Modekunden in Russland keine Angst mehr hatten, ihren Reichtum durch Labels zu zeigen. “Nach so langer Zeit ohne Mode explodierte die Sache. Der Reichtum ist nach der Perestroika gewachsen und groß geworden. Aber nicht die russischen Modelabels”, sagt sie. Duma ist in dem Sinne keine Russin mehr. Sie ist längst tauglich für einen Job wie der, den Yahoo-Chefin Marissa Meyer inne hat. Wer Dumas Outfits googelt und ihren Instagram-Account plündert, kann an ihr den Look der neuen Businessmädchen erkennen: proper, clean, nicht übermäßig sexy. Der Look ist zum Männeraufreißen nicht geeignet. Duma macht all das, was Marissa Meyer sicher auch machen würde. Zum Beispiel ihrem kleinen Sohn eine chinesische Nanny besorgen, damit er bald Mandarin spricht. “Ich liebe Chinesen. Viele meine Freunde sind von dort. Und neulich habe ich zu meinem Mann gesagt, wir brauchne eine chinesische Nanny”, sagt Mira. Duma ist außerdem eine moderne Strategin. Statt ihrem Ärger über die Haltung der Amerikaner zum Putin-Konflikt Luft zu machen, zitiert sie ein Interview mit Oliver Stone, in dem dieser sich an Dumas Stelle über die US-Medien echauffiert.
Nach der Hühnchenleber ist das Thema für Mira Duma dann aber abgeschlossen. Sie hat noch eine Menge wegen dem Launch ihrer Website in Australien zu tun. Und der muss mindestens perfekt werden.
In drei Tagen Moskau hatte ich drei Mädchen getroffen, die Putin in gewisser Weise als Nebensache sahen. Ab und zu war das gespenstisch. Aber es ergab Sinn. Die drei wollten nicht mehr zurück. Sie wollten nach vorne. Wo auch immer das sein würde.
Offenlegung: Diese Geschichte entstand am Rande eines Besuchs von zwei Shop-Eröffnungen der Firma Gucci, über die ich für eine deutsche Tageszeitung berichtete. (Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieser Offenlegung hatten wir geschrieben, Gucci habe die Reisekosten getragen. Das stimmt nicht. Wir haben den Satz gestrichen.)
Aufmacherbild: Foto: Victor Boyko