Break Even – Der unbekannte Ölpreis
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Break Even – Der unbekannte Ölpreis

Jeder kennt den Ölpreis und jeder weiß, dass er die Welt verändern kann. Aber in den letzten Monaten ist durch Fracking ein anderer Preis sehr wichtig geworden. Das Problem: Kaum einer kennt ihn.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Zwei Monate nachdem ich diese Geschichte geschrieben habe, wirkt sich der niedrige Ölpreis auf die US-Frackingindustrie aus. Volles Update am Ende des Artikels.


Drei Preise bestimmen den Treibstoffmarkt. Den ersten, den Benzinpreis, verflucht man meist in Familienrunden, bei Vereinstreffen und in der Kaffeeküche. Viel getan hat sich da im vergangenen Jahr nicht. Er ist ein wenig billiger geworden, wird aber noch billiger werden, wenn alles mit rechten Dingen zugeht.

Denn der zweite Preis, der Rohölpreis, auf den die Menschen in den Wirtschaftsredaktionen und Buchhaltungsabteilungen schauen, ist stark gesunken, seit die Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) Ende November beschlossen hat, weder mehr noch weniger Öl zu fördern.

Saudi-Arabien ist das wichtigste Mitglied der OPEC, und es hatte einen dritten Preis analysiert, bevor es die anderen Mitglieder des Öl-Kartells zu der Entscheidung drängte, um Öl zu verbilligen. Ein Vorstand des russischen Ölkonzerns Lukoil hat ihn im Kopf, wenn er meint, dass Saudi-Arabien mit dieser Entscheidung nach Amerika schiele – und der „New Yorker“ schaute auf diesen Preis, als er von „OPECs Krieg gegen Fracking“ sprach. Dieser dritte Preis hatte nicht nur begonnen, den Ölmarkt zu verändern, sondern auch die Weltpolitik.

Bei der Bedeutung, die er gerade einnimmt, müsste man annehmen, dass hunderte Analysten und Statistiker ihn beobachten. Aber kaum einer weiß, wie hoch er genau ist.

Dieser dritte Preis ist der so genannte Break-Even-Preis der amerikanischen Fracking-Branche: Er beziffert, was Öl kosten muss, damit sich dessen Förderung mit der umstrittenen Technik lohnt. Und mehr noch: Es gibt so viele Break-Even-Preise wie es Fracking-Felder gibt.

Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und chemischen Zusätzen in den Boden gepumpt, um das darin enthaltene Gas und Öl aus dem Gestein zu lösen. Die Technik ist gar nicht so neu, aber umstritten. Sie wird erst seit ein paar Jahren im großen Stil eingesetzt und hat die USA zu einem der größten Energieproduzenten der Welt gemacht; der britische Economist nannte dieses neue Energiewunderland kurzerhand „Saudi Amerika.“ Aber Fracking ist teurer als die konventionelle Förderung in den Golfstaaten. Quellen sind aus physikalischen Gründen weniger ergiebig, ständig müssen neue Felder erschlossen werden, viel Geld muss investiert werden. Ein amerikanischer Energieanalyst fasste es so zusammen: „Das Geschäft ist wie ein schmelzender Eiswürfel. Wenn du nicht wächst, stirbst du.”

Ein Fass Öl (159 Liter) zu fördern, kann in einigen Feldern etwas über 50 Dollar kosten und in anderen 120 Dollar. Aber wie gesagt: So richtig weiß das niemand. In der Grafik unten ist zu sehen, was die Ölmarktexperten großer angesehener Finanzinstitute für die Break-Even-Preise der zwei größten Fracking-Felder in den USA halten, für „Bakken“ in North Dakota und „Eagle Ford“ in Texas. Bei dem texanischen Feld schwanken die Schätzungen um fast 100 Prozent:

Als ob das nicht genug wäre, wissen die Fracking-Firmen auch nicht genau, wie viel Öl in ihren Feldern liegt – oder sie wissen es, wollen es aber nicht sagen. Der Chart unten zeigt, welche Zahlen die US-Fracking-Firmen der Börsenaufsicht melden und welche sie potenziellen Investoren präsentieren.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn eine Firma wie Goodrich Petroleum den Leuten, die ihr Geld geben sollen, sagt, dass sie auf knapp 19mal mehr Reserven sitzt als den Leuten, die sie kontrollieren sollen, werde ich unruhig.

Die Firmen haben nicht mehr genug eigenes Geld, das sie einsetzen können, um ihre Felder zu erschließen. Sie müssen an die Geldbeutel anderer Menschen rankommen, deswegen machen sie sich selbst etwas hübscher, als sie sind. Das hat ungefähr im Sommer 2011 angefangen. Damals wurde die Schere zwischen dem, was die Ölfirmen verdienen und dem, was sie fördern, immer größer. Nach Angaben der U.S. Energy Information Administration beträgt diese Lücke allein bei ausgewählten großen Firmen 100 Milliarden Dollar.

Bloomberg hat noch ein paar genauere Zahlen für 61 Firmen. „Die Schulden der Fracking-Firmen haben sich in den letzten vier Jahren fast verdoppelt, während der Gewinn nur um 5,6 Prozent gestiegen ist.“ Ein Dutzend der 61 Firmen geben mindestens zehn Prozent ihrer Verkaufserlöse für Zinszahlungen aus.

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Das Geld stamme zumeist aus Junk Bonds, sagt die Deutsche Bank. Also aus jenen Anleihen, die bei der Finanzkrise 2008 zu zweifelhafter Berühmtheit gekommen sind. Damals wurden an viele zu arme Menschen viel zu große Häuser verkauft, die später dann die Zinsen nicht mehr zahlen konnten, was wiederum die Kreditgeber in die Bredouille brachte.

Fassen wir das Ganze nochmal zusammen: Es ist kein Allgemeinwissen, zu welchem Preis kostendeckend gefrackt wird und wie viel gefördert werden kann. Die Fracking-Firmen feilen an ihren Zahlen und müssen Hunderte Milliarden Schulden aufnehmen, um überhaupt noch arbeiten zu können. Fracking ist eine Wette auf den steigenden Ölpreis. Öl muss teurer werden, damit das Spiel funktioniert, alle ihre Schulden bedienen können und die Branche nicht crasht.

Und so hat sich der Ölpreis in den letzten zwei Jahren entwickelt.

Ups.

Dieser Crash kommt mit großer Wahrscheinlichkeit. Und Saudi-Arabien hat das von Anfang an gewollt. Es drängte mit allem politischen und wirtschaftlichen Gewicht, das es inne hat, die OPEC dazu, die Fördermenge nicht zu kürzen und den Preis so auf Talfahrt zu schicken. In zwei, drei Jahren, so hoffen die Saudis, haben sie sich der lästigen Ölkonkurrenz aus den USA entledigt. Bis dahin heißt es für die alten Ölmächte schlicht Zähne zusammenbeißen. Obwohl manche deutlich größere Schmerzen ertragen werden müssen, Wladimir Putin und Nicholas Maduro etwa, die Präsidenten von Russland und Venezuela.

Denn klar: auch Ölstaaten haben „Break-Even-Preise“. Dort werden sie aber anders definiert. Während die privaten US-Firmen nur ihre Förderung rentabel laufen lassen müssen, müssen die staatlichen Energiemultis gleich ein ganzes Land mitfinanzieren. Renten, Sozialversicherungen, Straßen, das alles wird mit Ölmilliarden bezahlt. „Break-Even-Preise“ sind dort jene Ölpreise, bei denen die Staaten einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können. Wie hoch diese Preise sind?

Man hat wieder nur eine Ahnung, mehr nicht. Zudem verändern sich diese Preise von Jahr zu Jahr.

Für die europäischen Autofahrer bringt der fallende Öl- und Benzinpreis übrigens nicht so viel, wie man annehmen könnte. Denn es wird teurer, in Dollar zu tauschen.

Für viele Europäer wird es also auch teurer, Dinge zu kaufen, für die man in Dollar zahlen muss. Öl zum Beispiel. Das ist ein so genannter Wechselkurseffekt. Dass es ihn gibt, ist sicher.


Der Ölpreis wirkt, die Frackingindustrie muss sparen - Update 10.2.

Die Strategie der Opec zahlt sich aus. Weil der Ölpreis so niedrig ist, muss die Ölindustrie in den USA sparen. Knapp 2000 Arbeiter wurden bereits entlassen während die restliche Wirtschaft in den Staaten kräftig wächst. In diesem Jahr werden nochmal 16.000 dazu kommen. Gleichzeitig geht die Zahl der Bohrtürme zurück und Ölgigant Chevron machte deutlich weniger Gewinn im letzten Quartal. In der Fracking-„Boomtown USA“ Williston in North Dakota müssen Restaurants schließen und das Gerangel um die Jobs wird wieder größer. Aber: Die Opec hat ihr Ziel noch lange nicht erreicht. Denn bisher kürzen die Unternehmen unnötige Ausgaben, einige werden auch ihre Schulden nicht mehr bedienen können und in die Pleite gehen. Aber zurück werden jene Firmen bleiben, die an profitablen Stellen das Öl fördern. Die Internationale Energieagentur (IEA) sagt voraus, dass bis 2020 keine andere Ölindustrie ihre Förderung so stark steigern kann wie die amerikanische.

In circa vier Monaten werde ich dieses Thema nochmal aufgreifen. Wie genau schreibe ich in der Anmerkung rechts.

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Aufmacherfoto: Irekia - Eusko Jaurlaritza / Flickr (CC BY 2.0)