Diese Beere hilft gegen den Tod
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Diese Beere hilft gegen den Tod

Superfoods sollen besser, reiner und gesünder sein als andere Lebensmittel. Ihr Erfolg spricht aber eher für unser schwieriges Verhältnis zum Essen.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Vor zehn Jahren kaufte ich in San Franciscos China Town in einer Teehandlung einen Becher grünen Tee, frisch aufgebrüht. Jedenfalls glaubte ich, dass ich einfach nur Tee bestellt hatte. Als die nette chinesische Dame, mit der ich mich auch auf Englisch kaum verständigen konnte, mir den Pappbecher über den Tresen reichte, sah ich schrumpelige, rote Klümpchen in der Flüssigkeit schwimmen. Das machte mir ein bisschen Sorgen. Ich hatte an diesem Tag schon dehydrierte Tausendfüssler, Seegurken und Haifischflossen im Angebot gesehen. Aber die Neugier siegte und ich aß eins der Dinger. Zu meiner Erleichterung war es eine Art Beere. Sie schmeckte nicht schlecht - süß und leicht bitter. Ich trank den Tee aus und warf den Becher weg. Mir war nicht klar, dass ich einem künftigen Superstar begegnet war.

Mittlerweile hat die Beere aus meinem Tee eine Riesenkarriere gemacht. Man hat sie als Superfood entdeckt, als ein Lebensmittel also, das angeblich mehr kann als normales Obst oder Gemüse. Sie soll unfassbar gesund sein. Die kleinen, roten Beeren seien “Wunderfrüchte”, erklärt ein Ernährungsportal im Internet, sie würden “nahezu alle für den Menschen wichtigen Nährstoffe” in sich vereinen. Sie mache “glatte rosige Haut” und könne “den Alterungsprozess verlangsamen”, schreibt eine Frauenzeitschrift. Andere gehen noch viel weiter: Die Beeren sollen gegen Krebs helfen, gegen Diabetes, Herzkrankheiten, klinische Depressionen, Stress und sexuelle Störungen, Bluthochdruck und sogar Alzheimer.

Die Beere des Gemeinen Bocksdorns

Die Beere des Gemeinen Bocksdorns Foto: Frank Suffert

In den USA ist die Beere längst ein Star, in Deutschland wird sie es gerade. Medien berichten über sie, Bücher werden über sie geschrieben, Naturheilkundler loben sie. Jedes Lebensmittel, dem man diese Frucht zusetzt, wird sofort zum Lifestyle-Produkt und kann an hippe, gesundheitsbewusste Großstädter verkauft werden. Dabei nennt man sie allerdings lieber bei ihrem exotischen Namen, Goji-Beere (angelehnt an die chinesische Bezeichnung ‘gǒuqǐ’) als bei ihrem deutschen: Gemeiner Bocksdorn klingt einfach nicht gut.

Superfood: Vor ein paar Jahren kannte diesen Begriff noch keiner. Niemand weiß wirklich, wo er zuerst aufgetaucht ist. In der Szene der Ernährungsbewussten sind Superfoods längst etabliert: Nicht nur die Goji-Beere, sondern auch ihre südamerikanische Schwester, die Acai-Beere, die gerne in Smoothies gerührt wird. Die neuen Rohschokolade-Riegel, die man im Bioladen kaufen kann, sind Superfoods, und auch das malzig schmeckende Maca-Pulver, das als Stärkungsmittel und Libido-Verstärker verkauft und Lebensmitteln zugesetzt wird.

Superfood auch in Grün

Superfood auch in Grün Foto: Frank Suffert

Auch Brennnesseln werden oft als Superfood bezeichnet, ebenso Avocados, Kohl und Spinat. Deren Superfood-Status ist allerdings erheblich kleiner, als der, den die Exoten haben. Der Grund dafür ist einfach: Das Marketing für Brennnesseln ist schlecht, denn sie sind einfach nicht sexy genug. Und vor allem: Mit exotischen Superfoods lassen sich große Gewinne machen, mit Brennnesseln eher nicht.

Das Superfood-Versprechen

Zu einem Superfood gibt es fast immer eine gute Geschichte: Es sind besondere Lebensmittel, die in alten Traditionen schon lange verwendet werden und die vor kurzem für den Westen “entdeckt” wurden. Gerne kommen sie aus Gegenden, die besondere Reinheit versprechen: Die Goji-Beere etwa, ein Heilmittel in der traditionellen chinesischen Medizin, wird vor allem aus China angeboten, Händler geben als Herkunftsort aber gerne “Tibet” an, oder “aus dem Himalaya”, weil das sympathischer klingt.

Die Acai-Frucht wiederum kommt aus Brasilien, wird von Regenwaldbewohnern angeblich “Frucht des Lebens” genannt und seit 3.000 Jahren von Heilkundigen gegen allerlei Krankheiten eingesetzt. Die Maca-Wurzel, heißt es, wurde schon von den Inka geschätzt und in ihrer sagenumwobenen Stadt Machu Picchu verzehrt.

Es ist nicht so, dass diese Geschichten rundum erstunken und erlogen wären. Sie werden aber geschönt (“die Himalaya-Wunderfrucht”) und gezielt an ein westliches Publikum vermarktet, das sein Vertrauen in heimische Lebensmittel verloren hat. Noch nie wussten wir mehr über Lebensmittel als jetzt, und noch nie war unser Verhältnis zum Essen komplizierter. Superfoods stehen für ein Versprechen, das man normalen Lebensmitteln kaum noch abnehmen kann: Sie sind gut für uns. Normalen Lebensmitteln glaubt man das nicht mehr. Das ist ein Problem, denn wir nutzen Nahrungsmittel ja nicht bloß, um irgendwie satt zu werden, sondern auch, weil Essen glücklich machen kann, ein soziales Ereignis ist, ein Gefühl von Zuhause gibt. Aber Milch macht angeblich krank, Zucker sowieso, Soja ist auch nicht mehr das Wahre, über Fleisch brauchen wir gar nicht erst reden. Sogar Brot, einst das Symbol für einfaches, gutes, heimeliges Essen, ist kaputt, denn es enthält Gluten und meistens Weizen_,_ der uns, glaubt man dem Beststeller „Die Weizenwampe“, fett und krank macht. Superfoods dagegen sind die Helden der Nahrung: Sie geben uns das, was unser Essen uns vorenthält. Sie machen nicht nur satt, sie machen glücklich und gesund. Aber wie es häufig mit Heldengeschichten ist: Die Wirklichkeit der Superfoods ist deutlich weniger glamourös als ihre Legende.

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Die Superfood-Strategie

In diesem Fall hat die Legende viel mit gutem Marketing und wenig mit wirklich relevanten Fakten zu. Der Lebensmittelmarkt ist schwierig, weil der Mensch nur begrenzt viel essen kann und will. Irgendwie muss man ihn also dazu kriegen, immer wieder andere, möglichst teure Dinge zu konsumieren. Wachstum in der Lebensmittelbranche findet vor allem in den Bereichen „Gesundheit“, “Convenience” und “Genuss” statt.

Superfoods decken im besten Fall alle drei Kategorien ab. Sie sind lecker, problemlos zu snacken und gesund.

Zu billig, zu umständlich: Äpfel

Zu billig, zu umständlich: Äpfel Foto: Frank Suffert

Das passt zur Zielgruppe trendbewusster, gut verdienender Menschen in Städten, die zehn Stunden am Tag vor dem Bildschirm sitzen und ihr schlechtes Gewissen zwischendurch mit einem Superfood-Smoothie beruhigen. Der Red Bull des Hipsters ist der Maca-Shake. Extra für diese Kunden wurde der Begriff “Lifestyle-Lebensmittel” erfunden. Ein “Lifestyle”-Lebensmittel funktioniert dann, wenn es eine Gruppe Menschen anspricht, die sich gerne als Vorreiter in Sachen gesunder, cooler Ernährung sieht. Lifestyle-Konsumenten sind wichtig, weil sie Trends setzen. Sie sind die ersten, die 26 bis 30 Euro für einen Liter Goji-Saft bezahlen, oder 29,90 Euro für 150 Gramm Acai-Pulver, oder 3 Euro für einen 40-Gramm-Schoko-Maca-Riegel. Deswegen lieben Marketing-Strategen Superfoods, deswegen gibt es Bücher mit Titeln wie “Successful Superfood Strategy”. Man beachte das Wort “Strategie”, denn Superfoods werden nicht super geerntet, sie werden dazu gemacht. Karl Crawford, der beim früheren neuseeländischen Forschungsinstitut Hortresearch gearbeitet hat, und Julian Mellentin, der jahrelang als Berater und Analyst in der Lebensmittelbranche tätig war, schreiben in “Successful Superfood Strategy”: “Superfrüchte sind das Produkt einer Strategie, nicht ein Erzeugnis, das an einem Baum hängt.”

Dass diese Strategie aufgeht, sieht man daran, dass immer mehr Superfood-Produkte in On- und Offline-Läden, Restaurants und Cafés auftauchen. Natürlich hat auch der nach eigenen Angaben europäische Smoothie-Marktführer “Innocent” mittlerweile ein Acai-Getränk auf dem Markt. In einer britischen Werbeanzeige sah man vor einigen Jahren das Smoothie-Fläschchen auf einer sehr grünen Wiese stehen. Der Slogan dazu: “Acai kommt von einem Baum, nicht aus einem Labor”:

Man hätte auch weniger poetisch schreiben können: Acai wirkt wie eine Medizin, ist aber keine. Denn genau das macht den besonderen Reiz von Superfoods aus. Man trinkt ein paar Schlucke dünnen Obstbreis und hat das Gefühl, gleich ein bisschen gesünder geworden zu sein (selbst wenn man nicht krank war). Zur Markteinführung des Acai-Smoothies in Deutschland veröffentlichte Innocent eine entsprechende Pressemitteilung :

Die Zutaten dieser exotisch-herben Mischung enthalten eine besonders große Anzahl an Antioxidantien, die dem Körper helfen, gesund zu bleiben. Aktuellen Studien zufolge steigt mit zunehmender Umweltbelastung der Bedarf an diesen pflanzlichen Hilfsstoffen im Körper.

“Innocent” verzichtet dabei auf den Begriff “Superfood”, wahrscheinlich aus Vorsicht. Denn Superfoods sind so beliebt (und die Bezeichnung so beliebig) geworden, dass die EU den Händlern mittlerweile verboten hat, ein Lebensmittel “Superfood” zu nennen, wenn dessen gesundheitliche Wirkung nicht wissenschaftlich belegt und von der EU anerkannt worden ist. Was man über welches Lebensmittel sagen darf, steht in der europäischen Health-Claims-Verordnung. Goji-Beeren oder Acai tauchen dort nicht auf.

Die Health-Claims-Verordnung ist ein Versuch, Händler daran zu hindern, die lukrative gesundheitsbewusste Kundschaft mit unbegründeten Gesundheitsversprechen zu locken. Das hat dem profitträchtigen Markt der sogenannten Functional Foods - das sind Lebensmittel, die mit zusätzlichen Stoffen angereichert worden sind - einen herben Schlag versetzt. Man darf jetzt nicht mehr einfach behaupten, Joghurt sei aufgrund probiotischer Kulturen “gut fürs Immunsystem”. Auch Superfoods sind von der Health-Claims-Verordnung betroffen. Aber sie haben gegenüber Functional Foods den Vorteil, dass man ihnen keine Stoffe zusetzen muss. Sie sind angeblich einfach von Natur aus anderen Lebensmitteln überlegen (deswegen sind sie auch bei Bio-Kunden beliebt). Trotzdem funktioniert ein Lebensmittel nur dann als Superfood, wenn seine Wirkung “wissenschaftlich” erwiesen ist. Eine gute Story über uraltes Volkswissen ist hilfreich, reicht aber noch nicht.

Genau hier haben Händler ein Problem, denn wissenschaftlich fundiert sind die Aussagen über Superfoods, mit denen sie gerne werben würden, nun einmal nicht. Es gibt durchaus Studien, die positive Effekte im Laborversuch gezeigt haben, aber die Forschung ist noch längst nicht an einem Punkt, an dem eine endgültige Aussage wie „Goji-Beeren helfen gegen Krebs“ gerechtfertigt wäre. Deswegen dürfen die Händler das auch nicht behaupten. Zum Glück für die Händler darf aber jeder andere über Superfoods sagen, was er möchte. Deswegen gibt es im Internet massenhaft Informationen (von Büchern ganz zu schweigen) über die angeblich wissenschaftlich erwiesene Wunderwirkung von Superfoods gegen Krankheiten. Man darf Goji-Beeren also nicht direkt mit Verweis auf ihre Anti-Krebs-Wirkung verkaufen, man darf aber einen Text in einem vermeintlich rein informativen Internetportal über diese Wirkung schreiben, neben dem dann ein Link zu einem Internetshop steht.

Das kann Auswüchse annehmen, über die Verbraucherzentralen nicht gerade glücklich sind. Deren Ernährungsexperten haben ohnehin keinen leichten Job, weil alle paar Jahre neue Lebensmittel auf den Markt geworfen werden, die gesünder und besser sein sollen als all das unbefriedigende Zeug, das wir bisher gegessen haben. Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW sieht Superfoods als Verbrauchertäuschung.

Es sind ganz normale Lebensmittel, denen irgendwelche Wunderwirkungen zugesprochen werden.
Angela Clausen, Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen

(Eingeloggte Krautreporter-Mitglieder können das ganze Interview mit Angela Clausen lesen)

Schwierig ist es besonders mit Ernährungsportalen, die im Ausland sitzen, wie das “Zentrum der Gesundheit”, das nach eigener Aussage “die beliebteste Internet-Adresse zum Thema alternative Gesundheit im deutschsprachigen Internet” ist. Auf den ersten Blick wirkt die Seite nicht schlecht, es gibt dort unzählige Artikel zu Gesundheitsthemen und alternativen Heilmethoden. Die Texte wirken dadurch seriös, dass unter ihnen wissenschaftliche Studien als Quellen aufgelistet sind. Schaut man sich aber etwa die Quellen unter dem Text über Goji-Beeren genau an, merkt man, dass ein normaler Leser mit diesen Studien wenig anfangen kann. Sie sind größtenteils in wissenschaftlichem Englisch abgefasst und für den Laien kaum verständlich.

Smoothie - die Alge macht den Unterschied

Smoothie - die Alge macht den Unterschied Foto: Frank Suffert

Wenn man sich die Mühe macht, sie dennoch genauer zu lesen, merkt man, dass die angeblich wissenschaftlichen Beweise gar keine sind - zumindest nicht so, wie es im Text des Ernährungsportals dargestellt wird. Es werden Studien zu Laborversuchen mit Krebszellen und Goji-Beeren-Konzentrat verlinkt, bei denen die Forscher feststellten, dass Goji-Konzentrat hemmend auf Krebszellen wirken kann. Für den Laien klingt das gut - denn das scheint ja zu bedeuten, dass Goji-Beeren gegen Krebs helfen. Genau diesen Schluss kann man aus der Studie aber eben nicht ziehen. Zellversuche mit
Beeren im Labor sagen nichts darüber aus, wie die Frucht im Körper wirkt.“Hier werden ganz bewusst und äußerst dreist Studieninhalte falsch dargestellt und einseitig aufgearbeitet. Gleichzeitig findet massive Produktwerbung für die eigenen, meist wenig sinnvollen und mehr als zweifelhaften Produkte statt”, sagt die Ökotrophologin Susanne Sachs von der Verbraucherzentrale Hessen.

(Eine ausführlichere Erklärung von Susanne Sache über die Aussagekraft von Laborversuchen können eingeloggte Krautreporter-Mitglieder hier lesen.)

Besonders gerne wird bei Superfoods auf den ORAC-Wert verwiesen, um ihren “Super”-Status zu rechtfertigen. ORAC steht für „Oxygen Radical Absorbance Capacity“, es ist also ein Messwert für die antioxidative Wirkung. Antioxidantien wirken im Laborversuch gegen freie Radikale, die dafür bekannt sind, dass sie DNA, Zellmembranen und Arterien beschädigen können, weswegen sie mit Krebs, Alterungsprozessen und Herzkrankheiten in Verbindung gebracht werden. Die Formel, die Konsumenten daraus ableiten: Superfoods enthalten besonders viele antioxidative Inhaltsstoffe. Je mehr Superfoods ich esse, desto also geringer meine Chance, Krebs und Herzkrankheiten zu bekommen. Und desto größer ist auch der Anti-Aging-Effekt meiner Ernährung.

Leider funktioniert das nicht so einfach. Denn der ORAC-Wert ist laut Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW ein reiner Laborwert, der sich beim Menschen nicht wieder findet. “Darüber hinaus ist meist auch nichts über die Bioverfügbarkeit der antioxidativen Inhaltsstoffe bekannt. Der ORAC-Wert trifft also keine Aussage zur gesundheitlichen Bedeutung eines Lebensmittels”, sagt Clausen.

Man muss Superfoods deshalb nicht als leeren Schrott abtun, es kann sich um durchaus gute und gesunde Lebensmittel handeln. Natürlich kann es auch sein, dass in den nächsten Jahren weitere Forschungen an exotischen Superfoods neue Ergebnisse bringen werden. Bisher allerdings fehlen die Beweise. Die Wirkung von Nahrungsmitteln auf den Körper ist ein wahnsinnig komplexer Prozess, der noch nicht wirklich verstanden wird.

Acai - oder doch besser Schwarze Johannisbeere?

Acai - oder doch besser Schwarze Johannisbeere? Foto: Frank Suffert

Bisher ist der kommerzielle Hype speziell um die teuren Exoten also nicht gerechtfertigt. Zumal es wirklich genug heimische Superfoods gibt. Niemand kann ernsthaft sagen, ob Acai-Beeren in irgendeiner Weise besser sind als Schwarze Johannisbeeren. Sicher ist allerdings, dass man Schwarze Johannisbeeren immerhin saisonal frisch bekommen kann, Acai-Beeren dagegen erreichen uns immer verarbeitet, als Pulver oder gefrorene Pulpe.

Umso erstaunlicher ist die große Karriere der exotischen Beeren und ihrer Kollegen. Es wäre leicht, Händlern und Marketing-Strategen die Schuld dafür zu geben, dass wir viel Geld für angeblich besondere Lebensmittel ausgeben, die vielleicht nicht besser sind als das, was der Obsthändler um die Ecke verkauft, oder was auf einer wilden Wiese wächst. Aber so einfach kann man es sich nicht machen. Anscheinend sind wir bereit, Lebensmitteln mit Gesundheitsversprechen Vertrauen zu schenken, ohne dafür einen besonderen Grund zu haben. Und dieser Trend wird nicht aufhören, er wird eher noch größer werden. Die Lebensmittelbehörde FDA in den USA hat festgestellt, dass es einen “Health Claim”-Effekt gibt: Demnach tendieren Menschen dazu, ein Produkt mit einem eindeutigen Gesundheitsversprechen wissenschaftlich glaubwürdiger zu finden als ein Produkt, das nur den Nährstoffgehalt anzeigt.

Der Arzt und Autor Ben Goldacre schreibt in seinem Buch Bad Science:

Wir lieben dieses Zeug. Es wird uns nicht angetan, wir laden es ein, und wir kaufen es, weil wir in einem einfachen Universum leben wollen, in dem es Gerechtigkeit gibt, einfache Antworten und vorhersagbare Konsequenzen. Wir wollen, dass Tabletten komplexe soziale Probleme wie Leistungen in der Schule lösen. Wir wollen, dass Beeren uns vor dem Tod schützen und den Unterschied zwischen uns und den lausigen Tölpeln um uns herum herausstellen. Wir wollen hübsche, nette Geschichten, die der Welt Sinn geben, und wenn man uns dazu zwingt, über irgendetwas Kompliziertes nachzudenken, öffnen wir den Mund, produzieren eine oder zwei Blasen und schweben dann weg - gelangweilt und völlig unbeeindruckt - um uns andere Ende unserer glänzenden Goldfischglases zu drücken und Goji-Beeren zu essen.

Letztlich muss man zu dem Schluss kommen, dass wir anscheinend exotische Superfoods mit Sonderwirkungen haben wollen, auch wenn die Beweislage dünn ist. Der psychologische Effekt einer Beere “aus dem Himalaya” ist wohl einfach größer als der einer Kirsche aus Frankfurt. Deswegen werden Superfood-Stories von Fans und Händlern so gerne romantisch aufbereitet und weitererzählt. Deswegen lebt diese Legende.Der Glaube an die Kraft einer nicht nur ausgewogenen, nicht nur gesunden, sondern überlegenen Ernährung macht den Erfolg exotischer Superfoods erst möglich.

Eins aber ist sicher: Egal, wie groß der Ruhm der Goji-Beere zur Zeit ist, wir werden bald genug von ihr haben. Superfoods sind wie Kinderstars, ihre Tage an der Spitze sind gezählt. Wir brauchen immer wieder neues Heldenobst. Die Acai-Beere ist bereits auf dem absteigenden Ast, ihre Verkäufe haben den Zenit überschritten. Bald wird irgendein neues Superfood auftauchen. Vielleicht sind als nächstes Beeren aus arktischen Gebieten dran, der Marktbeobachter “Invenire Intelligence” hat ihnen schon eine große Zukunft als Superfood vorausgesagt. Aber egal, was als nächstes kommt: Getrocknete Tausendfüßler werden wohl kaum das nächste große Ding werden. Obwohl man bestimmt eine super Geschichte dazu erzählen könnte.