Ein Ausflug in die Datenminen
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Ein Ausflug in die Datenminen

Deutsche Medienhäuser kämpfen in ihren Zeitungen und Magazinen meist engagiert für den Datenschutz. Doch manche handeln gleichzeitig mit ihren Kundendaten.

Profilbild von Theresia Enzensberger und Hannes Grassegger

„Zeit“-Leser sind wertvoll. Die Leserschaft der renommierten Wochenzeitung „zeichnet sich durch einen überdurchschnittlich hohen sozialen Status und einen überdurchschnittlich hohen Bildungsgrad aus und lebt in guten Wohngegenden (…) Durch ihr hohes Einkommen besitzen sie eine überdurchschnittlich hohe Kaufkraft für exklusive Markenprodukte und eignen sich insbesondere für die Ansprache rund um die Themen Lifestyle, Geldanlagen und Kreditkarten.” So zumindest steht es im Katalog von AZ Direct, der Firma, die die Namen und Adressen, kurz: persönliche Daten der “Zeit”-Leser, anbietet.

Während die Redaktion der „Zeit“ seit Jahren engagiert gegen den Datendiebstahl durch Geheimdienste anschreibt und über die Gefahren des Missbrauchs persönlicher Daten aufklärt, bietet der Verlag des Blattes seine eigenen Kundendaten auf dem freien Markt an. 374.900 Leser der „Zeit“ hat AZ Direct auf Lager, Mindestabnahmemenge 10.000. Diese Zahlen finden sich in einer kürzlich veröffentlichten Studie des österreichischen Netzforschers Wolfie Christl. Finanziert von der österreichischen Arbeiterkammer, hat er mehrere Jahre zum Thema „Kommerzielle Digitale Überwachung im Alltag“ recherchiert.

Privatsphäre als Handelsware: "Zeit"-Leserschaft im AZ Direct Katalog

Privatsphäre als Handelsware: “Zeit”-Leserschaft im AZ Direct Katalog Quelle: Katalog AZ Direct

In Christls Studie wird ein umfassendes globales Wirtschaftsmodell untersucht, das persönliche Informationen wie Namen, Alter, Geschlecht oder auch Einkäufe im Netz wie einen Rohstoff schürft, handelt und weiterverarbeitet. Eine Branche, die mit Informationen über Dritte handelt, aber mit Informationen über sich selbst knausert. Das alles ist lange bekannt, wurde viel und kontrovers diskutiert, und auch die Firma AZ Direct, eine Tochter der Bertelsmann AG, existiert bereits seit 1968. Neu an Christls Studie ist die Übersicht des deutschsprachigen Markts für persönliche Daten dieser Art. Eher durch Zufall geriet dabei der „Zeit“-Verlag in Christls Studie, an einer Stelle, an der die sogenannten Data-Broker im deutschsprachigen Raum beschrieben werden.

Sandra Kreft, die im Verlag der „Zeit“ für „Magazine und neue Geschäftsfelder“ zuständig ist, weist darauf hin, dass der Handel mit Daten im Verlag einen verschwindend geringen Anteil vom Gesamtumsatz ausmache. Welche Leser der „Zeit“ aber davon betroffen sind, scheint unklar. Zwar wirbt der Katalog von AZ-Direct unter der Bestellnummer 1548200 mit „aktuellen Lesern und ehemaligen Abonnenten“. Auf Nachfrage zeigt sich Rainer Esser, Geschäftsführer der „Zeit“-Verlagsgruppe, jedoch überrascht über diese Angaben. Daten aktueller Abonnenten würden auf keinen Fall herausgegeben, sagt er.

Woher kommen nun diese Angaben im Katalog der Datenmakler? AZ Direct gibt auf Nachfrage an, dass die „Listeigner“ die Daten „permanent selbst pflegen“: „Wir bieten die Daten nicht selbst an – sondern vermitteln sie, wenn wir vom Besitzer der Daten den Auftrag dazu bekommen. Bei diesem sogenannten Listbroking kann ein werbetreibendes Unternehmen Kundendaten von einem Listeigner anmieten – zum Beispiel Abonnentenadressen von einer Zeitung. Der jeweilige Listeigner beauftragt uns als Makler mit der Vermarktung seiner Adressgruppen.“

Über 50.000 „Stern“-Abonnenten

Auf eine Anfrage von Krautreporter zum Umfang des Datenhandels in der Branche reagiert auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger zurückhaltend. Anja Pasquay, Pressereferentin des Verbandes, schreibt: “Bis vor wenigen Jahren war die Vermietung von Abonnentendaten für die Zeitungsverlage ein absolutes Tabu. Inzwischen scheint es davon einige – und mit der Betonung auf wenige – Ausnahmen zu geben.”

Zu diesen „Ausnahmen“ gehören wohl auch die Zeitschriften des Gruner+Jahr Verlags, ebenfalls Teil der Bertelsmann-Gruppe, inklusive „Stern“, „Neon“, „art“, „GEO“ und „Brigitte“. Allein vom „Stern“ werden Daten von 51.800 Abonnenten im Katalog angeboten. Über die Leser heißt es dort: “Sie sind anspruchsvoll, pflegen einen individuellen Lebensstil und sind bereit, dafür auch die entsprechenden Investitionen zu tätigen.”

Namen, Adressen und Interessen von "Stern"- und "Neon"-Lesern gibt es für ein paar Cents.

Namen, Adressen und Interessen von “Stern”- und “Neon”-Lesern gibt es für ein paar Cents. Quelle: Katalog AZ Direct

Die rechtliche Grundlage der Praxis ist das “Listenprivileg”. Es handelt sich dabei um eine Ausnahmeregelung im deutschen Datenschutzrecht, nach der die Nutzung von personenbezogenen Daten und der Weiterverkauf an Dritte erlaubt ist. Das gilt laut Bundesdatenschutzgesetz nur dann, wenn ausgeschlossen werden kann, dass das „schutzwürdige Interesse des Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung überwiegt“.

Meist werden diese Daten jedoch nicht nur an Dritte, sondern auch an Vierte und Fünfte weitergegeben. Gruner+Jahr arbeitet zum Beispiel nicht direkt mit AZ Direct zusammen, sondern übergibt die Daten an eine andere Firma, die sie dann weitervertreibt. Florian Glatzner, Referent für Datenschutz und Netzpolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband, beklagt, die Situation für die Kunden werde immer unübersichtlicher. Zwar könne man der Nutzung der Daten widersprechen, durch die verschiedenen Zwischenhändler werde es aber immer schwieriger nachzuvollziehen, an welche Stellen man sich wenden müsse.

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Beate Uhse und katholische Wochenzeitung

2009 sollte eine Erneuerung des Listenprivilegs in Kraft treten. Im Gegensatz zur jetzigen Situation, wo der Verbraucher einer Weitergabe der Daten ausdrücklich widersprechen muss (Opt-Out), wäre dann eine ausdrückliche Zustimmung der Kunden nötig gewesen (Opt-In).

Diese Änderung wurde jedoch wieder verworfen – aus den Bereichen Marketing, Werbewirtschaft und Versandhandel kam heftige Kritik. Ausgerechnet der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger drängte darauf, die Regelung nicht zu ändern. “Das Gesetz darf in der jetzigen Form nicht verabschiedet werden. Es würde die Zei­tungs­verlage unzumutbar schädigen”, schrieb der Verlegerverband in einer Pressemitteilung. Die Verlage seien auf die Werbung von potenziellen Neukunden angewiesen, so das Argument.

Die geltende Ausnahmeregelung erlaubt es auch, die Daten nach “Zugehörigkeit” zu ordnen, in jenen Listen, die der Regelung ihren Namen geben. Die Anzahl der Listen, und das ist der Kernpunkt, ist nicht beschränkt – es können also beliebig viele Listen mit jeweils anderen Eigenschaften erworben und kombiniert werden. AZ Direct bietet Listen mit Namen wie “spendenaffine Akademiker“, “passive Ältere” und “kulturell Aktive” an.

Wolfie Christl, der Verfasser der Studie, sagt: “Die Tragweite der Erkenntnisse über die Kunden hängt vom Selektionsprozess ab, denn aus der Zusammenlegung verschiedener Daten kann man sehr weitreichende Informationen ziehen.” So sei es einem Kunden möglicherweise nicht recht, gleichzeitig auf der Liste von Beate Uhse und der katholischen Wochenzeitung “Tag des Herrn” zu stehen.

Wirklich heikel werde es, wenn es um wirtschaftliche Informationen gehe, sagt Christl. Die Firma Infoscore ist, wie AZ Direct, eine Tochterfirma von Arvato und gehört somit ebenfalls der Bertelsmann AG. Zu den Dienstleistungen der Firma gehören auch die heiklen Bonitätsprüfungen. Christl sagt: “Da kann man nur hoffen, dass die Daten aus den verschiedenen Tochterfirmen streng getrennt werden.”

Wie wertvoll die Leser der „Zeit“ sind, das lässt sich nun also quantifizieren: Derzeit kosten ihre Daten 16 Cent pro Kopf.


Titelfoto: r2hox, Flickr (CC BY-SA 2.0)