Dieses Interview begleitet die zweiteilige Reihe „Serbische Paraden”, die sich mit Serbiens prekärer Position zwischen Ost und West beschäftigt.
Stefan, wie sehen die Serben Russland?
Die meisten Serben haben prorussische Gefühle, so ist das schon seit Jahrzehnten. Wenn die Serben Russland betrachten, sehen sie auch den Vater der slawischen Völker. Diese Gefühle sind natürlich bis zu einem gewissen Grad romantisch. Letztlich ist Russland auch nur eine große Macht mit eigenen Interessen, die auf den Balkan als eine Einflusssphäre schaut. Aber im Vergleich zu den USA oder zu Großbritannien ist sie weniger heuchlerisch. Russland redet nicht über Menschenrechte und benutzt dann uranhaltige Munition. Russland ist ehrlich und sagt einfach: Kommt mir nicht in die Quere.
Und wie ist das Verhältnis zur EU?
Unsere Regierung hat keinen Spielraum für ihre Politik. Sie macht, was ihr gesagt wird. Deswegen bin ich auch gegen die EU. Brüssel versucht zu kontrollieren, was wir mit unserer Wirtschaft machen.
Ja?
Belgrad hat zum Beispiel den serbischen Markt für europäische Produkte geöffnet und alle Zölle abgeschafft. Jetzt verkaufen die Europäer ihre Waren in Serbien, aber serbische Firmen haben kaum eine Chance auf deren Märkte zu kommen, weil die Standards der EU so hoch sind, dass diese Firmen sie nicht erfüllen können. Das ist Neo-Kolonialismus, verstehst du?
Warum wehrt sich Serbien nicht?
Wir sind halbe Peripherie. Wir sind zu schwach und klein, um etwas zu machen. Dabei müssten wir doch jetzt etwas gegen die Krise im Land tun - und ich denke nicht, dass das neoliberale System, das auf Kürzungen im öffentlichen Sektor fußt, dem Land hilft. Wir müssen investieren, wir brauchen Großprojekte, und die Regierung sollte wichtige Industrien kontrollieren.
Welche Alternativen bleiben Serbien?
Russland ist gut, dort besteht eine große Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten aus Serbien. Außerdem sind dort die Standards tiefer. Aber ich möchte es nochmal betonen: Ich bin nicht naiv, Russland schaut auch hier vor allem nur auf seine eigenen Interessen. Serbien selbst muss wieder stärker werden. Vielleicht können wir uns in ein paar Jahrzehnten wieder einen geeinten Balkan einrichten. Wir müssen mit unseren Nachbarn kooperieren. Aber eine Sache ist klar: Wir brauchen vorher in Serbien eine Art Aufklärung. Wir müssen unsere Gesellschaft modernisieren, nicht für die EU, sondern für uns.