Welches war der gefährlichste Erreger, den Sie bisher verfolgt haben?
Das war im Jahr 2003 das Virus, das SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) verursacht. Wir waren vorgewarnt worden, dass ein infizierter Passagier am Flughafen ankommen würde. Wir haben ihn dann unter Sicherheitsmaßnahmen aus dem Flugzeug in die Isoliereinheit gebracht, wo er erfolgreich behandelt wurde. Wir mussten aber die mitreisenden Familienangehörigen und die, die direkt um den Infizierten herum saßen, auch unter Beobachtung stellen, um eine Ausbreitung zu verhindern.
Da konnten Sie die Betroffenen ja noch im Flugzeug ansprechen. Was machen Sie, wenn ein Infizierter erst ein paar Tage nach einer Flugreise anfängt, Symptome zu entwickeln?
Das läuft im Grunde immer nach dem selben Schema ab: Wir befragen den Patienten nach seinen Aufenthaltsorten in den vergangenen Tagen der Inkubationszeit, also der Zeit der Ansteckung bis zum Auftreten der Krankheitssymptome, und mit wem er da welche Form von Kontakt hatte. In der Regel sind die Kranken sehr kooperativ. Sprachbarrieren überwinden wir im Falle mit der Hilfe von Übersetzern.
Und dann beginnt die Suche.
Genau. Wenn wir Namen haben, suchen wir in den Daten der Einwohnermeldeämter nach Kontaktinformationen, sofern uns keine Telefonnummern der Kontaktpersonen vorliegen. Das Infektionsschutzgesetz räumt uns dabei umfassende Möglichkeiten ein. Wir nehmen den Datenschutz sehr ernst, aber wenn es darum geht, infektiologische Gefahren für die Bevölkerung abzuwehren, dann sind wir ermächtigt, die Personendaten zu bekommen, die wir brauchen.
Wir arbeiten auch mit dem Robert-Koch-Institut zusammen, das den Kontakt zu den internationalen Gesundheitsbehörden aufnimmt. Für den Fall, dass zum Beispiel mögliche Kontaktpersonen aus einem Flugzeug gar nicht in Frankfurt wohnen, sondern hier nur umgestiegen sind, fordern wir von der Airline die Passagierlisten an. Das ist ein weltweites Netz, das erforderlich ist, um übertragbare Krankheiten über die Grenzen hinaus so schnell wie möglich einzudämmen.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie keine Namen haben?
Dann müssen wir kreativ werden. Wenn der Infizierte sich zum Beispiel in einer öffentlichen Einrichtung aufgehalten hat, dann würde man dort vielleicht einen Aufruf machen. Wenn es eine sehr gefährliche Krankheit ist, und wenn es gar keinen anderen Weg gibt, dann suchen wir Kontaktpersonen auch über die Medien. Einen solchen Fall hatten wir aber noch nicht in hier in Frankfurt.
Insgesamt scheinen Sie aber eher im Verborgenen zu arbeiten, zumindest bekommt man von Ihrer Arbeit eher wenig mit, wenn man nicht selbst betroffen ist.
Unsere Befugnisse sind zwar sehr weitreichend, aber wir müssen auch immer auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel achten. Wenn wir mit Hilfe der Medien nach Kontaktpersonen fahnden, dann muss die Gefahr für die Bevölkerung auch groß sein. Bislang haben wir unser Ziel, die Betroffenen in möglichst kurzer Zeit aufzuspüren, noch immer mit anderen Recherchemitteln erreicht.
Wie nehmen Sie Kontakt auf? Schreiben Sie einen Brief? Fährt da jemand hin, oder schicken Sie eine SMS?
Normalerweise versuchen wir es zuerst über das Telefon. Der Brief wäre das allerletzte Mittel, wenn wir niemanden ans Telefon bekommen und wir auch unter der Adresse niemanden antreffen. Wir wollen die Kontaktpersonen ja nach Möglichkeit innerhalb von Stunden kontaktieren und nicht Tage vergehen lassen. Wir schreiben auch E-Mails, wenn wir eine Adresse finden.
Erreichen Sie die meisten Leute ohne Probleme?
Unsere Erfahrung zeigt, dass immer weniger Menschen über reguläre Festnetznummern zu erreichen sind. Mobil-Nummern sind die beste Lösung – wenn die denn irgendwo angegeben sind. Aber Sie wissen ja, wie schnell sich so eine Nummer heute ändern kann. Es ist schwieriger geworden als zu den Zeiten, in denen alle nur einen Telefonanschluss hatten, mit einer Nummer, die allgemein bekannt war.
Benutzen Sie auch soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter?
Noch nicht, aber das wird kommen. Das ist uns sehr wichtig.
In anderen Ländern geschieht dies ja bereits.
Ja, vor allem jüngere Bürger erreicht man auf diesen Kanälen heutzutage schneller. Ein fiktives Beispiel: Wir haben einen infektiösen Patienten, der kurz zuvor noch in einer Disco unterwegs war. In einem solchen Fall sind mögliche Kontaktpersonen wahrscheinlich leichter über Facebook oder ähnliche Netzwerke zu finden, als über die herkömmlichen Wege.
Betrachten Sie die Netzwerke nur als Trägermedium für Informationen oder können Sie sich auch vorstellen, gezielt einzelne Personen darüber aufzuspüren, von denen sie keine anderen Kontaktinformationen haben?
Wenn wir zu einer möglichen Kontaktperson eines Infizierten nur einen Twitter-Account haben, dann benutzen wir auch den. Manchmal müssen wir auch fast kriminalistisch im persönlichen Umfeld einer möglichen Kontaktperson recherchieren, dann suchen wir Verwandte und Bekannte auf, die hoffentlich eine Telefonnummer von der gesuchten Person haben. Wenn wir gar keine Informationen finden, dann benutzen wir auch normale Suchmaschinen, um Hinweise zu finden.
Ich würde mich wahrscheinlich ziemlich erschrecken, wenn plötzlich jemand vom Gesundheitsamt vor meiner Tür stehen würde. Wie reagieren die Menschen, die Sie ansprechen?
Wir wissen zu dem Zeitpunkt ja viel mehr über diese Menschen, als die über uns, da muss man sehr behutsam vorgehen. Wir haben aber sehr gut ausgebildete Mitarbeiter, die erstmal den Kontakt knüpfen und die Hintergründe erklären,warum sie sich melden und welche Maßnahmen jetzt notwendig sind.
Zum Beispiel?
Das ist immer sehr stark von den Gegebenheiten abhängig, vor allem natürlich der Krankheit, um die es geht. Nehmen wir zum Beispiel Masern. Dann müssen wir klären, ob die Kontaktpersonen des Erkrankten geimpft sind oder zweifelsfrei nachweisen können, dass sie schon mal daran erkrankt waren. Ist das nicht der Fall und handelt es sich bei der Person zum Beispiel um eine Erzieherin, dann dürfte sie so lange nicht zur Arbeit gehen, bis klar ist, dass sie sich nicht angesteckt hat. Oder – falls sie sich tatsächlich angesteckt haben sollte – wieder gesund ist. Wir können auch bei sehr gefährlichen Krankheiten, solchen die sich leicht verbreiten, schwer zu behandeln sind und schlimme Folgen haben, eine Quarantäne verhängen. Aber auch hier müssen wir die Verhältnismäßigkeit wahren. Das ist ein schwerer Eingriff in die Freiheit eines Menschen.
Die Maßnahmen sind von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Da spielt rein, um welche Krankheit es sich handelt und wann der Kontakt bestand. Ebola zum Beispiel ist in den allermeisten Fällen erst ansteckend, wenn der Infizierte bereits Symptome zeigt. Jemand, der im Flugzeug neben einer Person saß, die zwei Tage später am Ebola-Fieber erkrankt, wird anders überwacht als zum Beispiel die Person, die den Patienten ins Krankenhaus gebracht und ihn dabei berührt hat. Ebola-Patienten sind erst ansteckend, wenn sie erkrankt sind, also Krankheitssymptome zeigen.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihren Anordnungen auch gefolgt wird?
Wir können Maßnahmen nicht nur schriftlich anordnen, sondern auch kontrollieren, ob sie eingehalten werden. Wir können das auch bei Nichtbeachtung unter Strafe setzen, in der Regel ist das aber nicht notwendig. Wenn wir vernünftig erklären, haben die meisten Verständnis für die Maßnahmen. Das ist ja kein willkürlicher Akt, der sich gegen eine Person oder Personengruppe richtet, sondern dient dem Zweck, die Mitmenschen zu schützen. Das verstehen die meisten und akzeptieren die Auflagen. Wir versuchen in erster Linie über Verständnis zum Ziel zu kommen und nicht durch Strafandrohungen. Diese Strategie führt meiner Meinung nach auch eher zum Erfolg. Aber ich muss dazu auch sagen, dass wir sehr deutlich erklären, was passiert, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden.
Haben Sie schon mal jemanden unter Quarantäne gestellt?
Das kommt sehr selten vor, das haben wir zuletzt bei SARS gemacht. Im Zusammenhang mit Ebola wird momentan diskutiert, wie man mit den Kontaktpersonen eines nachweislich Infizierten umgehen würde. Enge Kontaktpersonen, die wirklich ansteckungsgefährdet sind oder waren – also in seiner unmittelbaren Nähe waren, als er bereits Symptome zeigte – würde man im Regelfall unter Beobachtung, sprich Quarantäne, stellen. Aber in einem solchen Fall haben die Betroffenen wahrscheinlich ohnehin so große Angst, dass sie bereitwillig jeden Tag Fieber messen und die Temperatur dem Mitarbeiter des Gesundheitsamtes mitteilen, oder sich auch untersuchen lassen.
Nachdem ein einzelner Ebola-Kranker Ende Juli von Liberia nach Nigeria gereist war und dort fast 20 Menschen infiziert hatte, mussten die Behörden über 800 Menschen aufspüren, die mit den Erkrankten Kontakt hatten. Nach mehr als einem Monat ohne neue Ansteckung erklärte die WHO das Land Ende Oktober wieder für Ebola-frei. Eine Erfolgsgeschichte der Seuchenabwehr. Wie viele Menschen könnte Ihre Behörde ausfindig machen?
Wir ermitteln so viele Kontaktpersonen, wie in jedem einzelnen Fall erforderlich ist. Sollten wir selbst nicht genügend Personal haben, dann können wir auch andere Stellen um Amtshilfe bitten.
Wie lange würde eine solche Mobilisierung dauern?
Die administrativen Hürden sind niedrig, aber auf Knopfdruck funktioniert das auch nicht. Es sitzen ja nicht irgendwo Menschen rum, die nur auf den Ernstfall warten, sondern die Mitarbeiter müssen aus allen Bereichen zusammengezogen werden. Aber es muss sehr schnell gehen, und deshalb reicht eine Mitteilung an andere Gesundheitsämter aus und man bekommt ad hoc Mitarbeiter, die Listen abtelefonieren und recherchieren können.
Das klappt rund um die Uhr und am Wochenende?
Jedes Gesundheitsamt hat eine permanente Bereitschaft. Entgegen manchen Vorurteilen spielen die regulären Arbeitszeiten da keine Rolle. Ein Virus wartet mit seiner Ausbreitung ja auch nicht, bis das Amt nach dem Wochenende am Montag wieder arbeitsfähig ist.
Aufmacherfoto: Ebola-Virus (CDC/ Frederick A. Murphy)