Eine Grenzmauer mit einem Kreuz darauf

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Psyche und Gesundheit

Ex-Freikirchler fragt Pastor: Wo hört Nächstenliebe auf?

Ich wurde vor 20 Jahren aus meiner Freikirche geworfen. Jetzt habe ich die Fragen gestellt, die ich mich damals nicht getraut habe.

Profilbild von Martin Gommel
Reporter für psychische Gesundheit

Als mich ein Kumpel mit 18 zu einem Gottesdienst in eine Freikirche schleppte, fühlte ich mich, als wäre ich in eine Zeitmaschine gestolpert. Vor mir standen Christ:innen, die mit geschlossenen Augen Lieder über ihre Hingabe zu Gott trällerten. Einige flüsterten etwas in einem Kauderwelsch, das ich auch mit genauem Hinhören nicht verstand. Die Frauen trugen lange Röcke, die Männer Anzug und Krawatte. Es war wie eine Reise in die Fünfzigerjahre, nur ohne die coolen Frisuren. Statt zu flüchten, blieb ich – mehrere Jahre.

Was mich faszinierte: In beinahe jeder Predigt ging es um die große Liebe Gottes uns Menschen gegenüber. Immer wieder betonte der Pastor, wie sehr sich Gott wünsche, mit uns Menschen in Kontakt zu sein und eine „lebendige Beziehung“ mit uns zu führen. Er meinte, Gott hätte einen Plan für mich, was mich mehr oder weniger an einen himmlischen Karriereberater erinnerte. Damals fand ich das super. Also hing ich jede Woche im Bibelkreis rum, traf mich mit anderen Gemeindemitgliedern, um mit Gott zu reden.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, stand permanent im Mittelpunkt des Gemeindelebens – alle strebten danach. Zur Begrüßung wurde ich umarmt, die Menschen strahlten, wenn sie mich sahen, einige flüsterten mir zwinkernd zu: „Ich bete für dich.“ Beim Bibelkreis tischten sie selbst gebackenen Streuselkuchen auf und ich fühlte mich pudelwohl.

Als mich der Pastor aus der Kirche warf, war ich sprachlos

Allerdings stellte sich heraus, dass in dieser Welt neben der Liebe ein strenges Regelbuch regierte, eine Art Bibel: „Wie man sich in einer Freikirche benimmt“. Eine der Top-Regeln: Stelle niemals eine Autoritätsperson infrage. Als ich mal den Mut hatte, beim Pastor den Gottesdienst zu kritisieren, flog ich aus der Freikirche. Der Pastor sagte, ich müsse nun alle Freundschaften, die ich in der Gemeinschaft geknüpft hatte, beenden. „Und wehe, du sagst auch nur ein schlechtes Wort über diese Gemeinde.“

Damals konnte ich nicht widersprechen. Ich brachte kein Wort heraus. Denn ich konnte nicht fassen, dass mich die Gemeinschaft, in der ich zum ersten Mal Halt im Leben gefunden hatte, plötzlich nicht mehr, naja, liebte. Heute, 20 Jahre später, bin ich kein Christ mehr – und habe einen Text darüber geschrieben, wie ich es geschafft habe, Freikirchen zu entkommen.

Dabei fiel mir auf, dass auch in vielen anderen Gemeinschaften ein enges Regelwerk für die Mitglieder gilt. Das führt auch zu Ausschlüssen. „Das kann sogar dazu führen, dass ausgeschlossene Mitglieder beschimpft oder gar bedroht werden“, sagt mir Christoph Grotepass von Sekteninfo NRW am Telefon. Ich bin mit meiner Erfahrung also nicht allein. Geblieben ist auch heute noch ein Widerspruch. Ständig ging es um Liebe, und im nächsten Moment – zack! – war es damit vorbei. Ich frage mich:

Wo hört die christliche Nächstenliebe auf?

Ich machte mich auf die Suche nach einem Pastor, der mit mir sprechen würde. Ich telefonierte mit den in Deutschland größten Verbänden, schrieb unzählige E-Mails und kassierte eine Absage nach der nächsten. Als ich meine Suche schon aufgegeben hatte, bekam ich eine Nachricht von Samuel Krauter. Er ist freikirchlicher Pastor der „Evangelischen Freikirche Ekklesia Rot am See“ in Hohenlohe. Seit 2011 leitet er diese Freikirche in Baden-Württemberg gemeinsam mit seiner Frau. Außerdem ist er 1. Vorsitzender des Mühlheimer Verbandes freikirchlich-evangelischer Gemeinden. Zum Verband gehören 44 Gemeinden mit insgesamt mehr als 4.500 Mitgliedern.

Krauter und ich verabreden uns zu einem Zoom-Call. Als sein Gesicht auf meinem Bildschirm erscheint, bin ich überrascht. Krauter trägt einen Dreitagebart, lächelt mich an und bietet mir sofort das Du an. Er wirkt auf mich sympathisch und ich mag seinen trockenen Humor. „Vor ein paar Jahren kam eine ältere Dame auf meine Frau zu und meinte: ‚Der Samuel hat toll gepredigt!‘ Meine Frau sagte: ‚Ich weiß nicht, ich würde ihn wahrscheinlich nicht mehr einladen.“ Ich lache laut auf. Das bin ich aus dem frommen Gemeindeumfeld nicht gewohnt. Ich denke: cooler Typ.

Zuerst möchte ich mit Samuel über Himmel und Hölle sprechen. Viele freikirchliche Christen eint der Glaube an ein Leben nach dem Tod, nach dem sie selbst in den Himmel kommen und alle Nichtgläubigen in die Hölle. Mir kommt es so vor, als würde der christliche Glaube schon an dieser Stelle ganz klar signalisieren: Unsere Nächstenliebe hat Grenzen.

Ich: Glaubst du, dass nur Christen in den Himmel kommen – und alle anderen in die Hölle?

Samuel: Ich habe für mich entschieden, dass die Bibel das Wort Gottes enthält. Und die Bibel ist an dieser Stelle eindeutig. Der klassische Vers dafür ist Johannes 14, Vers 6: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“

Nicht sehr eindeutig, finde ich. Da steht nichts über Christen.

Der Name „Christen“ ist eine Andichtung. Damit ist jeder gemeint, der„ in Christus“ ist, ein Christ.

Das verstehe ich nicht.

Ich spreche von Menschen, die sich selbst „in Christus sehen“ und durch Christus in den Himmel kommen. Gemeint sind aber keine Namens-Christen im Sinne von Leuten, die sagen, dass sie Mitglied in irgendeiner Landeskirche sind.

Darauf legen Freikirchen großen Wert.

Außerdem bin ich mit deiner ersten Frage nicht einverstanden.

Welchen Teil meinst du?

Dass alle Nichtchristen in die Hölle kommen.

Ist das nicht die Konsequenz?

Dieses Urteil kann ich nicht fällen, das steht mir nicht zu. Denn in Johannes 14 geht es nur darum, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Die Hölle ist an dieser Stelle nicht das Thema.

Was passiert denn mit Nichtchristen nach dem Tod?

Zuallererst müssen wir uns von irgendwelchen mittelalterlichen Bildern verabschieden, wo Dämonen mit Dreispitzzacken Leute im Feuer quälen und sie kochen.

Was ist deiner Meinung nach dann die Hölle?

Die Bibel spricht von einem Ort der Gottesferne. Von Heulen und Zähne klappern, wenn man das Matthäusevangelium zitieren will. Im Neuen Testament predigt Jesus: Leute, es gibt auch ein zu spät, ein Verpassen der Herrlichkeit, ein Verpassen des ewigen Lebens. Es läuft auf eine Zweiteilung hinaus.

Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.

Auf dem Bild ist Pastor Samuel Krauter zu sehen, der freundlich direkt in die Kamera blickt. Er hat kurze, hellbraune Haare und trägt ein einfaches schwarzes Langarmshirt. Sein Lächeln ist leicht und natürlich, und er hat eine ruhige, zugängliche Ausstrahlung.

Pastor Samuel Krauter Foto: privat

Aber das Urteil darüber sprechen weder ich noch die Kirche. Sondern der Herr selbst.

Nur der Herr entscheidet das? Du hast doch weiter oben definiert, wer in den Himmel kommt: diejenigen, die sich in Christus sehen.

Ich halte mich hier an die Bibel. An Christus vorbei gibt es kein Seelenheil, wie in der Johannes-14-Stelle steht.

Als Samuel das sagt, erinnere ich mich an mich selbst – mit einem schlechten Gewissen, einer Art Fremdschämen für den Martin, der ich mal war. Als ich mich im Alter von 18 Jahren durch mein neu gefundenes Christsein radikal veränderte und nur noch über Himmel und Hölle redete, konnte mein damals bester Freund nichts mehr mit mir anfangen. In diesem Gespräch spüre ich plötzlich, wie es sich anfühlen kann, auf der „anderen Seite“ zu sitzen.

Lass uns bitte genau sein. Die Stelle beschreibt nur, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Und nicht, wer in den Himmel kommt.

Das ist das Gleiche.

Nein. Die Stelle beschreibt das Wie, nicht das Wer.

Das hängt aber zusammen. Die Stelle sagt: Es geht nur durch Christus. Und die Menschen, die Christus nachfolgten, wurden ab dem ersten und zweiten Jahrhundert Christen genannt.

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Heute kann sich aber jeder als Christ bezeichnen.

Tatsächlich. Meine Hoffnung wäre sogar, dass möglichst viele Menschen sich dann auch in Christus wiederfinden und ihr Heil im Glauben für sich annehmen.

Im Glauben?

Das bedeutet, dass man sich das Seelenheil nicht erarbeiten oder kaufen kann. Das geht nur, indem ich akzeptiere, dass Jesus am Kreuz die Schuld der Menschheit auf sich genommen hat. Dann kann ich mich in Christus sehen und Christus lebt in mir.

Ich habe den Mitgliedern meiner Community angeboten, dir Fragen zu stellen, die sie haben. Eine Leserin wollte wissen: „Warum hat Gott Menschen geschaffen, wenn die nur in die Hölle kommen?“

Ich glaube, dass die Menschen keinen freien, aber einen befreiten Willen haben. Und dass Gott unsere Liebe will, diese aber nicht forciert.

Aber das ist doch forcierte Liebe! Entweder du wirst Christ oder du kommst nicht in den Himmel.

Keiner zwingt dich, das zu glauben.

Das ist aber ein mega Druck, wenn du jemandem sagst, du kannst leben, wie du willst, aber wenn du Jesus nicht liebst, kommst du nicht in den Himmel.

Sehe ich anders. Lass mich eine Gegenfrage stellen: Warum ist dir das so wichtig?

Ja, warum eigentlich? Ich erinnere mich an ein Telefonat vor zehn Jahren. Jens, den ich aus der Gemeinde kannte, aus der mich der Pastor geworfen hatte, rief mich mit zittriger Stimme an. „Martin, ich habe Jesus verraten!“ Ich stutzte. Jesus zu verraten, ist das Schlimmste, was man in christlichen Kreisen tun kann. Denn die Konsequenz davon ist, dass man das Ticket in den Himmel verspielt hat. „Was ist denn passiert?“, fragte ich nach. „Ich habe mit meiner Freundin geschlafen und davon in der Gemeinde erzählt. Und dann hat mich unser Pastor am Sonntag im Gottesdienst vor allen anderen aus der Gemeinde verbannt.“ Er hätte Jesus verraten, das habe ihm der Pastor noch hinterhergerufen. Jens war am Ende. Ich versuchte, ihn zu trösten, was mir nicht gelang. Ich glaube, Jens hatte Angst davor, in die Hölle zu kommen. Ich antworte Samuel …

Weil das eine Spaltung ist, die Menschen in erste und zweite Klasse teilt. Christen sehen sich, etwas provokant ausgedrückt, oft als die Guten, die in den Himmel kommen, und alle anderen werden schon sehen, wo sie landen. Das treibt Menschen auseinander. Aber nicht nur bei diesem Thema. Ich habe selbst erlebt, wie ein Mitglied von einer Gemeinschaft ausgeschlossen wurde, weil er sich nicht an die Vorgaben hielt, weil er Sex vor der Ehe hatte.

Nicht schön. Ich glaube tatsächlich, dass viele Christen im Himmel vor ihrem Herrn und Retter stehend hören werden: „Leute, ich habe euch eigentlich einen Auftrag gegeben. Dem seid ihr nicht nachgekommen.“

Einen Auftrag?

Wenn ich die Bibel ernst nehme, dann sagt Paulus ganz klar: „Jetzt habt ihr einen neuen Status erworben. Ihr seid jetzt in Christus. Ihr seid nicht mehr von dieser Welt. Dann verhaltet euch bitte auch so.“

Was bedeutet das?

Ich möchte dir ein Beispiel geben. Wir haben Kontakt zu Christen, die gerade im Gaza-Streifen sind. Denen wurde von der amerikanischen und der israelischen Regierung gesagt: Ihr müsst jetzt raus, wir können keine Garantien für eure Sicherheit übernehmen. Diese Christen haben Gaza aber nicht sofort verlassen, sondern über 3.000 Kinder mitgenommen – und vor dem Tod gerettet. Das ist der Auftrag, den wir Christen bekommen haben. Und das ist die Definition von Liebe.

Das verstehe ich.

„Ich gebe mein Leben hin, damit du an dein Ziel kommst.“ Das ist die Liebe Jesu. Die möchte ich auf dieser Welt verbreiten. Aber das sage nicht nur ich, sondern im Prinzip alle Kirchen. Ich kann es daher gut verstehen, dass du das kritisch siehst und dazu Fragen hast. Auch an mich.

Welche zum Beispiel?

Wo setzt du dich ein für LGBTQI? Wo setzt du dich ein für Menschen mit Behinderung? Für die Vielfalt?

Ich habe zum ersten Mal Hoffnung. Es klingt, als ob er bereit ist, sich und andere Christen kritisch zu hinterfragen.

Also gut. Wo setzt du dich für LGBTQI ein?

Ich war damals, als es darum ging, für die Ehe für alle. Das hat mir in eigenen Reihen auch Kritik eingebracht. Jedoch war ich dafür, nicht den Begriff „Ehe“ zu nutzen, sondern einen anderen Begriff zu finden, wie in Frankreich die eingetragene Lebenspartnerschaft. Mir geht es vorwiegend darum, dass hier keine Diskriminierung stattfindet.

Kann man als Christ deiner Gemeinde also schwul sein, ohne Probleme zu bekommen?

Die Frage der Homosexualität ist in evangelikalen Freikirchen ein heißes Thema. Entscheidend ist für uns, wie Jesus mit den Unterdrückten und Ausgestoßenen umgegangen ist.

Und zwar?

Da würde ich gerne mit dir über Johannes 8 sprechen. Dort wird von einer Frau berichtet, die beim Ehebruch erwischt wurde. Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten sie zu Jesus und sagten: „Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?“

Eine bekannte Stelle.

Jesus schreibt dann etwas in den Sand. Das heißt für mich, dass sich Jesus zu dieser Frau gebeugt hat. Und somit in die Flugkurve der Steine. Dann sagte er diesen berühmten Satz. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“

Die Pharisäer laufen weg.

Weil sie natürlich alle Dreck am Stecken haben. Und er sagt dann zur Frau: „Hat dich jemand verurteilt? Nein?Dann verurteile ich dich auch nicht. Aber sündige hinfort nicht mehr.“

Hier hat sich Jesus unter Einsatz seines Lebens zu einer Verurteilten hin gebeugt. Trotzdem sagt er ihr: „Sündige nicht mehr.“ Auch das ist die Wahrheit. Wir Christen müssen genau so handeln. Das ist bedingungslose Annahme.

Meine erste Freundin war auch Christin. Wir wussten beide, dass wir keinen Sex haben konnten, weil wir nicht verheiratet waren. Das war die Hölle auf Erden. Wenn wir uns doch mal näherkamen, beteten wir hinterher auf der Bettkante um Vergebung. Wir hatten gesündigt. Für uns beide war das eine Tortur, weil das unser Sexleben ruinierte.

Ich weiß nicht, ob ich „Sündige nicht mehr“ so bedingungslos finde. Was verstehst du unter bedingungsloser Annahme?

Ich begegne dir mit Respekt, Liebe und Ehre, unabhängig davon, welchen Fußballverein du magst, welche sexuelle Orientierung oder Hautfarbe du hast. Bedingungslos bedeutet, dass es keinerlei Hürden gibt, ob ich dich annehme oder nicht. Keine. Bedingungslose Annahme bedeutet jedoch nicht, dass wir alles beliebig akzeptieren.

Beliebig?

Beliebig würde sagen, du bist angenommen, und es ist völlig egal, wie du unterwegs bist. Es ist egal, wer du bist, was du machst und was du glaubst.

Klar, Liebe hat Grenzen. Einem frei herumlaufenden Mörder müssen Grenzen gesetzt werden – und dafür gibt es Gesetze. Aber einer Person nicht, die sagt: „Bei meiner Geburt wurde gesagt, ich sei ein Mann, aber ich bin eine Frau.“ Ich sage das deshalb, weil ich weiß, dass das in Freikirchen nur selten toleriert wird.

Gegenfrage: Woher weißt du, dass das eine schlimmer ist als das andere?

Die trans Frau schadet niemandem. Auch nicht dir.

Ich spreche mich dafür aus, dass wir Menschen voll unterstützen, die eine Genderdysphorie haben. Auch in christlichen Gemeinden. Für mich ist das keine Sünde, auch das Homosexuell-Sein nicht. Allerdings hat christliche Liebe einen Rahmen. Und der ist, wie zuvor erwähnt, nicht beliebig.

Nochmal: Was meinst du mit beliebig?

Lass uns den Schwulen nehmen, der mit seinem Freund händchenhaltend in die Freikirche kommt. Ich könnte dir selbst bei uns nicht versprechen, dass er nicht auch mal schräg angesehen wird. Und das bricht mein Herz. Da predige ich auch dagegen, weil das nicht der Liebe Gottes entspricht.

Man muss immer differenzieren zwischen dem, was die Bibel letztlich für sich für wahr hält, was Jesus als Standard vorgibt und dem, wie Menschen damit umgehen. Und da machen wir Christen den Fehler, dass wir Liebe und Annahme nicht so leben, wie Jesus es uns eigentlich vorgibt zu leben.

Das klingt, als ob gleich ein Aber kommt.

Einem schwulen Mann würde ich dazusagen: In unserer Gemeinde kannst du nicht heiraten.

Wie bitte?

Weil das nicht dem Willen Gottes entspricht. Ich bin sehr dafür, dass du in Deutschland eine homosexuelle Partnerschaft führen kannst und die gleichen Rechte hast wie in einer Ehe. Dafür setze ich mich ein. Wenn du aber sagst, dass du Teil unserer christlichen Gemeinschaft sein willst, die klar einen biblischen Rahmen hat, dann würde ich dir deutlich sagen, dass dein Lebenswandel nicht dazu passt. Das zu sagen, ist für mich überhaupt kein Problem.

Das ist ein hartes Urteil.

So steht es in der Bibel.

An dieser Stelle wird etwas deutlich, was unausgesprochen zwischen uns steht: Ich war auch mal ein überzeugter Christ, der Menschen vor der Hölle retten wollte. Aber ich habe mich vor Jahren nicht nur von Freikirchen, sondern auch vom Christentum losgelöst. Die Bibel spielt in meinem Leben keine Rolle mehr. Für Samuel ist sie das wichtigste Schriftstück, weil er sicher ist, dass sie das Wort Gottes enthält – und sein ganzes Leben richtet er darauf aus, dem zu entsprechen. Dieser Widerspruch, den ich erlebt habe, zwischen der gepredigten Nächstenliebe einerseits und dem Ausschließen von Menschen andererseits – er wird sich nicht auflösen. Für streng gläubige Christen scheint er so in der Bibel verankert zu sein.

Dein Anspruch auf die bedingungslose Liebe hat jetzt eine große Klammer bekommen.

Was sagst du dann aber zu dem Menschen, der lügt und stiehlt und sich nicht sozial verhält?

Das vergleichst du mit einem Homosexuellen?

Nein. Mir geht es um den Rahmen. Woher weißt du, dass ein Mensch, der andere bestiehlt, schwierig ist?

Wie vorhin: Diese Person schadet anderen Menschen.

Mein Rahmen ist der Exklusivitätsanspruch Christi, denn er ist die Wahrheit.

Der was?

In der Bibel steht, dass Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Das ist der Exklusivitätsanspruch. Und ich glaube nicht, dass das Ziel sein kann, dass wir diesen Exklusivitätsanspruch herunterschrauben. Nach dem Motto: „Naja, es gibt tausend Wahrheiten und jeder macht, wie er will, Hauptsache, wir sind alle happy und streiten uns nicht zu sehr.“

Warum so zynisch?

Dieser „Frieden“ würde nicht funktionieren. Denn dann landen wir in einem Einheitsbrei, dann hat niemand mehr die Wahrheit. Und wer soll dann regieren?

Geht es hier um Macht?

Nein. Aber wer sagt uns dann, was gut und was schlecht ist? Dein Gewissen oder mein Gewissen?

Na dann lieber meins. Im Ernst: Darüber muss man verhandeln.

Also wer die meisten Knarren hat?

Das verstehst du unter Verhandeln?

Ich spitze es mal zu: Wenn ich lieber kleine Kinder töte, warum soll das falsch sein? Wer bestimmt das?

Hoffentlich ein Dutzend Polizist:innen, eine Handschelle und ein Gerichtsverfahren.

Wie du schon weißt, ist die Bibel für mich genau dieser Rahmen.

Ein Arzt aus meiner Community hat gefragt: „Von den 2.000 Göttern, die weltweit angebetet werden, warum ist es wahrscheinlicher, dass dein Gott wirklich existiert und die anderen nicht?“

Mein Gott ist mir begegnet. Die anderen bisher nicht.


Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos