Foto vom Inneren eines Kernfusionsreaktors. Man sieht blau leuchtendes Plasma, das sich kegelförmig um eine senkrechte Metallstange bildet.

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Klimakrise und Lösungen

Kernfusion – ziemlich geil, aber nutzlos in der Klimakrise

Dass es kein funktionierendes Fusionskraftwerk gibt, ist noch nicht mal das größte Problem.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Kernfusion ist kinderleicht. 2008 baute der damals 14-jährige US-Amerikaner Taylor Wilson ein Gerät, in dem Atomkerne von Wasserstoffteilchen verschmolzen. Wilson war nicht einmal der Erste, dem es gelang: Mehr als zwei Dutzend Menschen hatten vor ihm in ihrer Freizeit Atomkerne fusioniert.

Trotzdem gibt es bis heute kein einziges funktionierendes Fusionskraftwerk.

Das Gerät des 14-jährigen Wilson war so gebaut, dass es keine Energie liefern konnte. Nur Neutronen. Die sind auch nützlich, aber eben nicht ganz so nützlich wie eine Energiequelle, die „alle unsere Energieprobleme lösen“ können soll (Bettina Stark-Watzinger, Forschungsministerin, FDP).

In den nächsten 25 Jahren muss die Menschheit 30 Prozent mehr Energie produzieren als heute. Wie diese Lücke klimaschonend gefüllt werden kann, diskutieren Fachleute verbissen. Sie bewegen sich dabei zwischen zwei Polen: Die einen meinen, dass wir voll auf erneuerbare Energie setzen sollten, die derzeit billigste und am einfachsten verfügbare Energiequelle. 100 Prozent Erneuerbare muss das Ziel sein.

Andere glauben, dass das nicht realistisch sei. Zu viele Probleme gebe es bei Speicherung und Transport von grünem Strom und zu viel Widerstand beim Ausbau speziell von Windrädern. Sie glauben, dass die Menschheit zusätzlich große zentrale Kraftwerke brauche, die rund um die Uhr Wärme und Strom liefern können. Das könnten Atomkraftwerke (AKWs) sein, Gaskraftwerke, bei denen das CO₂ eingefangen wird – oder eben Fusionskraftwerke.

CDU, SPD und FDP setzen auf Kernfusion

Die Unionsfraktion im Bundestag fordert die Ampel-Regierung auf, mit Kernfusion Klimaneutralität zu erreichen. Die SPD und CDU in Hessen haben Kernfusion im Koalitionsvertrag verankert und wollen ihr Bundesland zum „Leitstandort für laserbasierte Kernfusion“ machen. Das Bundesforschungsministerium wiederum hat gerade seine Unterstützung für die Fusionsforschung aufgestockt. 90 Millionen Euro sollen in entsprechende Start-ups fließen. Insgesamt fördert die Regierung die Technologie bis 2028 mit einer Milliarde Euro.

Um in der Klimakrise noch einen Unterschied zu machen, muss Kernfusion allerdings schnell kommen. Denn die meisten Länder der Erde wollen bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein.

Aber selbst wenn Kernfusion in, sagen wir, fünf Jahren einsatzbereit wäre, gäbe es eine weitere Hürde. Und sie ist höher als die technischen Schwierigkeiten, an denen Fusionsforscher gerade tüfteln.

Fusionsforscher wollen die Sonne übertreffen

Kernfusion erzeugt Energie, indem Atomkerne dazu gebracht werden, miteinander zu verschmelzen. Die dabei entstehende Wärme wird mit großen Dampfturbinen, wie auch bei Kohle- oder Gaskraftwerken, in Strom umgewandelt. Kernfusion ist ein substanziell anderer Prozess als Atomspaltung, die Technik hinter den heutigen AKWs.

Oft kann man lesen, dass es bei der Kernfusion darum ginge, die „Sonne nachzubauen“. In der Sonne wie in einem Fusionsreaktor läuft prinzipiell der gleiche physikalische Prozess ab. Aber eigentlich wollen Fusionsforscher die Sonne sogar übertreffen. Denn die Sonne produziert in einem Kubikmeter weniger Energie als ein Komposthaufen auf dem gleichen Raum. Nur weil sie so groß ist, reicht das trotzdem aus, um alles Leben auf der Erde zu ermöglichen.

Fusionsforscher allerdings haben keine Kugel mit 1,39 Millionen Kilometern Durchmesser zur Hand; denn so groß ist die Sonne. Sie brauchen die stärksten Magnete der Erde und 150 Millionen Grad Celsius, um die widerspenstigen Atomkerne dazu zu bringen zu verschmelzen und um daraus irgendwann einmal Energie zu gewinnen.

Der letzte Punkt ist entscheidend. Bisher ist es keiner Fusionsanlage gelungen, mehr Energie zu erzeugen, als für den gesamten Prozess aufgewendet wurde.

Noch immer 99 Prozent Energieverlust in den Fusionsanlagen

Zwar ging im Winter 2022 eine Erfolgsmeldung um die Welt („Durchbruch bei Kernfusion: Mehr Energie gewonnen als verbraucht“); sie hatte aber einen nur für Spezialist:innen sofort erkennbaren Haken. Es ging bei diesem Versuch im US-Wasserstoffbombenlabor Lawrence Livermore National Laboratory allein um die Energie des Lasers, mit dem die Fusion ausgelöst wurde, nicht um die Gesamtenergie. Da machte der Versuch immer noch Verlust, 99 Prozent um genau zu sein.

Sollte es aber eines Tages gelingen, mit Kernfusion wirklich Energie zu produzieren, wäre das ein epochaler Durchbruch. Denn die Menschheit hätte dann eine CO2-freie Energiequelle zur Verfügung, die bei geringem Ressourceneinsatz große Mengen Strom und Wärme liefern kann. Ein Gramm Fusionsbrennstoff kann laut Max-Planck-Institut so viel Energie erzeugen wie elf Tonnen Kohle. Und sollte es gelingen, diese Energie günstig zu produzieren, könnte die Menschheit plötzlich Ideen umsetzen, die bisher vorrangig daran scheitern, dass sie sündhaft viel Energie verbrauchen; wirklich großangelegtes Recycling von Plastik zum Beispiel.

Wegen solcher Aussichten flossen in den vergangenen Jahren 5,7 Milliarden Euro in die mehr als 30 Fusions-Start-ups weltweit. Auch deutsche Unternehmen wie Proxima Fusion aus München mischen mit. Wie groß die Hoffnungen (und Verheißungen) bei der Fusionsenergie sind, zeigt ein Blogpost des Open-AI-Chefs Sam Altman. Darin begründet er, warum er in ein Fusions-Start-up investiert hat: „Wenn das alles so funktioniert, wie wir es uns erhoffen, könnten wir einen Weg aus der Klimakrise finden.“

Über eine andere Energiequelle wurde auch schon einmal mit ähnlich warmen Worten geredet: über die Atomkraft in den 1950er und 1960er Jahren. Heute ist sie fester Bestandteil des globalen Energiesystems, die ganz großen Hoffnungen haben sich allerdings nicht erfüllt.

Warum Kernfusion herkömmlicher Atomspaltung überlegen ist (theoretisch)

Kernfusion ist der Atomkraft überlegen. Denn Kettenreaktionen sind bei der Kernfusion physikalisch ausgeschlossen. Das heißt: Die Gefahr von großen, für die Allgemeinheit gefährlichen Unfällen ist niedriger. Außerdem entsteht bei der Fusion deutlich weniger Radioaktivität; der anfallende Müll strahlt nur für 100 Jahre, bei Atomkraft sind es 200.000 Jahre. Zuletzt brauchen Fusionskraftwerke kein Uran, die meisten Typen benötigen nur Wasserstoff und Lithium als Vorprodukt.

Fusionskraftwerke teilen aber mit der Atomkraft einen Vorteil: Sie sind klein. Auf wenig Fläche wird viel Energie produziert. Atomkraftwerke brauchen nur 0,36 Prozent der Fläche eines vergleichbaren Solarkraftwerkes. Bei Fusionskraftwerken wird es noch weniger sein, weil die Uran-Minen und Endlager wegfallen.

Allerdings gibt es einen sehr großen, für die Klimakrise entscheidenden Unterschied zwischen Atomkraft und Kernfusion: Es gibt bereits funktionierende Atomkraftwerke. Solange es keine funktionierenden Kraftwerke gibt, kann Kernfusion keine Rolle bei der Lösung der Klimakrise spielen. Wann diese kommen sollen, ist Gegenstand eines berühmten Witzes („Immer nur noch 30 Jahre entfernt“) und komplett unklar.

Das erste Kraftwerk kommt Mitte der 2030er Jahre – vielleicht

Das Start-up, in das Sam Altman investiert hat, will schon in wenigen Jahren Strom liefern. Andere Start-ups sprechen von Mitte der 2030er oder gar Mitte der 2040er Jahre. Das staatliche ITER-Projekt in Frankreich rechnet nicht vor 2050 mit dem ersten Testreaktor, der ans Netz gehen kann.

Einen Eindruck von der Komplexität eines Fusionsreaktors konnte ich in Greifswald gewinnen. Dort, am Rande der Stadt, steht eines der wichtigsten Fusionsforschungszentren der Welt, eine Außenstelle des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik. In einer Halle, hoch wie ein Baukran, türmt sich ein metallenes Gebilde auf, das sich schwer beschreiben lässt: An einem metallenen Körper hängen Apparate, Türen, Steckvorrichtungen, die von Hunderten verschlungenen Röhren, Schläuchen und Kabeln verbunden werden. Von der Empore in der Halle betrachtet, sieht die ganze Anlage am ehesten aus wie ein Herz.

Läuft die Anlage einmal, beziehen die Forscher eine eigens vom öffentlichen Internet abgeschirmte Steuerungszentrale und arbeiten von dort monatelang in Zwölf-Stunden-Schichten, um ihre Experimente durchzuführen. Ziel der Forschenden ist es, Fusionsplasma 30 Minuten lang zu erzeugen. Das ist schwerer, als es sich anhört: Der Rekord der Anlage liegt bei acht Minuten und war erst zu erreichen, nachdem die Forscher den Reaktor für drei Jahre umgebaut und dabei 657 voneinander unabhängige Kühlkreisläufe installiert haben.

Das Plasma über Tage, Wochen, Monate hinweg stabil zu halten, ist aber nicht die einzige technische Hürde. Bisher weiß niemand, wie die ganze Wärme abgeführt werden soll, die der Reaktor im Dauerbetrieb produziert oder welche Materialien dauerhaft Druck, Hitze und Radioaktivität im Inneren der Anlage aushalten können.

Fusionsforscher arbeiten an all diesen Problemen; manche Startups verlassen dabei auch die bisher eingeschlagenen Wege und arbeiten an ganz neuen Lösungsansätzen. Das ist vielversprechend, aber für einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise zu wenig.

Fusionskraftwerke passen immer weniger in das Energiesystem von heute

Außerdem sind Fusionskraftwerke darauf ausgelegt, rund um die Uhr Strom zu liefern. Fachleute nennen das „grundlastfähig“, und das war die eine Bedingung, die ein Kraftwerk erfüllen musste – im Energiesystem des 20. Jahrhunderts. Heute aber ist Flexibilität im Markt wichtiger. Denn Sonne und Wind liefern nicht immer die gleiche Menge an Strom. Deswegen braucht es andere Kraftwerke, die einspringen können, wenn es zu wenig Strom gibt. Grundsätzlich könnten Fusionskraftwerke das auch leisten, aber technische Machbarkeit wird dabei nicht entscheidend sein.

Womit wir zu der einen entscheidenden Hürde kommen, die höher ist als all die technischen Probleme: Geld (wie immer). Fusions-Start-ups geben Kostenprognosen ab, die vermuten lassen, dass ihre Kraftwerke eines Tages konkurrenzfähig Strom produzieren könnten. Immer wieder hört man Zahlen von 50 bis 60 Euro pro Megawattstunde. Diese Spanne ist kein Zufall, sondern genau jene Spanne, in der sich auch die teuersten Solarkraftwerke inklusive Speicher laut Fraunhofer im Jahr 2040 bewegen werden. Die Start-ups haben ein Interesse daran, ihre Prognosen schönzurechnen. Sie brauchen schließlich Investoren. Forscher gehen eher davon aus, dass sich die finalen Kosten inflationsbereinigt in ein paar Jahrzehnten bei 80 bis 130 Euro für die Megawattstunde einpendeln werden.
Das bedeutet, dass Fusionsenergie von Beginn an eine sehr teure, vielleicht sogar die teuerste Energieform sein wird. Sie ist Stand heute nicht konkurrenzfähig im Strommarkt.

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Die Rechnung verschlechtert sich noch weiter, würden die Fusionskraftwerke nur dann einspringen, wenn Solar, Wind, Wasser, Geothermie und Biomasse zu wenig liefern. Denn dann bliebe für die Betreiber der Kraftwerke noch weniger Zeit, um die Kosten für die Anlage wieder reinzuholen.

Ein weiterer Punkt ist bedenkenswert: Der Bau von Fusionskraftwerken wäre ein Großprojekt, ähnlich wie es der Neubau von Atomkraftwerken ist. Aber in den vergangenen Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass speziell die Länder des Westens schlecht darin geworden sind, solche Großprojekte auch umzusetzen. Neu gebaute Atomkraftwerke in den USA, Frankreich und Großbritannien kommen zum Teil bis zu 15 Jahre später als geplant und kosten mehr als das Doppelte als ursprünglich gedacht.

Für Fusionskraftwerke braucht es wirklich gute Gründe – billiger Strom kann es nicht sein

Wer also ein Fusionskraftwerk in der Zukunft bauen will, braucht einen wirklich guten Grund, um hohe Kosten und lange Bau- und Vorlaufzeiten in Kauf zu nehmen. Dieser Grund kann nicht sein, billig Strom zu produzieren, sondern etwas anderes muss ausschlaggebend sein.

Fusionskraftwerke könnten so betrachtet nur in der Nische eine Rolle spielen. Etwa bei der CO₂-neutralen Wärmeversorgung in der Nähe großer Industrieparks. Denn Solar- und Windkraftwerke produzieren keine Wärme, diese aber wird in zahllosen Industrieprozessen gebraucht. Zum Teil können hier schon elektrische Wärmepumpen Gasofen ersetzen, aber speziell im Hochtemperatur-Bereich um die 1.000 Grad Celsius ist noch offen, welche klimaschonende Lösung sich durchsetzt. Außerdem könnten Länder, die viel Geld, aber zu wenig Wasser haben, Fusionskraftwerke bauen, um Meerwasser zu entsalzen. Oder Länder, die sowohl viel Geld als auch Wasser haben, nutzen die Fusionsenergie, um Wasserstoff zu produzieren. Aber auch bei all diesen Nischenanwendungen gilt: Es gibt bereits heute erneuerbare Alternativen.

Ein letztes Argument bringen Fusionsforscher vor allem seit dem Russland-Ukraine-Krieg für die Technologie vor: Energieunabhängigkeit. Kernfusion wäre geeignet, um sich von Ländern wie Russland oder Katar unabhängig zu machen, weil sie so wenig Ausgangsstoffe benötigt. Praktisch könnte die Technologie am Ende aber vor den gleichen Problemen stehen wie die ebenfalls autarke Solarenergie: Die Lieferketten wären anfällig.

Es ist ein Szenario denkbar, in dem endlich das erste Fusionskraftwerk ans Netz gehen könnte, es aber niemand mehr so richtig braucht. Weil dann im Jahr 2060, 2070 oder wann auch immer es soweit ist, das Energiesystem komplett anders aussieht als heute: dominiert von erneuerbaren Energien, hier und da ergänzt durch herkömmliche Atomkraft oder Gaskraftwerke.

Oder auf andere Art formuliert: Sollte Fusionsenergie wirklich helfen können, die Klimakrise zu lösen, wäre das eine schlechte Nachricht. Denn das würde bedeuten, dass alle Klimaziele gerissen wurden.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer und die Community des BANG-Discord; Schlussredaktion: Susan Mücke; Fotoredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

Kernfusion – ziemlich geil, aber nutzlos in der Klimakrise

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