Was ist passiert?
- Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse fehlten der Ampel viele Milliarden Euro.
- Die Regierung brauchte mehrere Wochen, um sich auf einen Kompromiss zu einigen, könnte aber für das aktuelle Jahr trotzdem die Schuldenbremse wieder aussetzen.
- Deshalb ist es wichtiger denn je, die Debatte um eine Reform der Schuldenbremse zu verstehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. November geurteilt, dass die Bundesregierung aus der Corona-Krise übriggebliebene Milliarden nicht einfach umwidmen kann, um sie für den Klimaschutz zu verwenden. In der Corona-Krise hatte die Regierung den Notstand ausgerufen, um 460 Milliarden Euro neue Schulden aufzunehmen. Nach dem Urteil war klar: Die Ampel kann Gelder aus der Corona-Zeit nicht einfach für spätere Jahre und andere Zwecke weiterbenutzen. Das widerspricht der Verfassung. Und brachte die Regierung in Geldnot: Dem Klima- und Transformationsfonds werden in den kommenden Jahren 60 Milliarden Euro fehlen, knapp ein Drittel dieser Summe war für 2024 eingeplant. Auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist gesperrt und soll Ende 2023 geschlossen werden. Damit fallen weitere 20 Milliarden Euro für 2024 weg. Dieses zusätzliche Geld musste die Regierung nun aufbringen.
Vier Wochen lang stritt die Bundesregierung um einen verfassungskonformen Haushalt für das Jahr 2024. Nun hat sie sich geeinigt: Sie will kommendes Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten, indem sie unter anderem den CO₂-Preis anhebt, umweltschädliche Subventionen streicht und Kaufprämien für E-Autos früher als geplant auslaufen lassen wird.
Parallel zu den Verhandlungen in der Ampel-Koalition begann eine heftige Debatte über die Regel, die alles auslöste: die Schuldenbremse. SPD und CDU hatten sie im Jahr 2009 unter Eindruck der Finanzkrise ins Grundgesetz geschrieben. Heute halten sie Politiker:innen, Ökonom:innen und Aktivist:innen angesichts zentraler (und teurer) Aufgaben wie Klima-Transformation, Anpassung an eine neue Weltordnung und den demografischen Wandel für nicht mehr zeitgemäß. Die Debatte hat die Fachkreise längst verlassen. Und sie wird wichtig bleiben, denn die Schuldenbremse wird auch in Zukunft immer wieder Verteilungskonflikte auslösen. So hat sich die Ampel offen gehalten, auch für dieses Jahr einen Notstand auszurufen, sollte Deutschland deutlich mehr Geld in die Ukraine schicken müssen.
Deshalb habe ich in diesem Text die wichtigsten Argumente von Linken und Rechten für oder gegen eine Reform der Schuldenbremse gesammelt. Danach erkläre ich, welchen Standpunkt ich nach meiner Recherche zu diesem Thema habe.
Was genau ist die Schuldenbremse?
- Sie begrenzt die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des BIP.
- Je nach wirtschaftlicher Lage darf die Regierung etwas mehr oder weniger Schulden machen.
Eine Grenze für die Staatsverschuldung gab es in Deutschland schon vor der Gründung der Bundesrepublik. Sie soll unter anderem verhindern, dass eine Regierung übermäßig viele Wahlgeschenke mit Schulden finanziert und so nachfolgende Generationen belastet. Außerdem sollen durch die Schuldenbremse die Finanzmärkte das Vertrauen darin behalten, dass Deutschland ihnen die Zinsen auf seine Schuldscheine, die Staatsanleihen, zurückzahlen wird. Anders als bei der berühmten schwäbischen Hausfrau müssen Staaten ihre Schulden nämlich niemals komplett zurückzahlen, weil sie potenziell unsterblich sind. Ist die Laufzeit der einen Staatsanleihe vorbei, geben sie einfach eine neue aus. Das funktioniert so lange, wie die Menschen an den Finanzmärkten darauf vertrauen, dass ein Staat wirklich seine Schulden zurückzahlt. Denn diese Märkte basieren auf Vertrauen – und was passiert, wenn das entzogen wird, haben wir in der Staatsschuldenkrise 2009 bis 2012 gesehen: Dann steigen die Zinsen auf die Schulden, die Staaten müssen einen immer größeren Anteil ihres Haushaltes dafür ausgeben, was die Wirtschaft in eine Krise stürzen und damit das Problem noch verschlimmern kann.
Eine Schuldenbremse soll so etwas verhindern. Die Argumentation dahinter: Je höher die Staatsverschuldung, desto schneller könnten die Finanzmärkte ihre Meinung ändern und desto mehr würden höhere Zinsen schmerzen.
Die aktuelle Schuldenbremse in Deutschland ist besonders streng. Jedes Jahr darf sich der Bund um 0,35 Prozent des BIP neu verschulden und die Länder gar nicht. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten dürfen sie allerdings de facto etwas mehr Schulden aufnehmen und in wirtschaftlich guten Zeiten etwas weniger. Diese Differenz schätzen Expert:innen im Bundesfinanzministerium.
Nach Naturkatastrophen oder „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen”, kann die Regierung eine Notlage ausrufen und so die Schuldenbremse aussetzen. Sie hat aber auch die Möglichkeit, mithilfe von sogenannten Sondervermögen Schulden auszulagern. Diese tauchen dann nicht im Bundeshaushalt auf. Das bekannteste Sondervermögen sind die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, die im Grundgesetz verankert sind.
Das sagen die Rechten:
- Politisch ist das rechte und konservative Lager größtenteils geeint: Die Parteichefs von FDP, CDU und AfD sind für den Erhalt der Schuldenbremse.
- Ihr Hauptargument: Nur so hinterlassen wir nachfolgenden Generationen einen soliden Staatshaushalt. Jetzt gerade wirke die Schuldenbremse doch richtig, sie müsse Regierungen auch mal weh tun.
- Statt die Schuldenbremse zu lockern, müsse die Bundesregierung sparen und klarer priorisieren, wofür sie jetzt Geld ausgeben will.
- Manche konservativen Ökonomen fordern allerdings eine Reform der Schuldenbremse, auch einige Länderchefs der CDU sind dafür.
FDP-Chef Christian Lindner ist klar gegen eine Reform der Schuldenbremse, er sagte im Deutschlandfunk:
„Wir haben kein Einnahmeproblem. Wir werden bald die Marke von einer Billion Euro Staatseinnahmen passieren. Wir haben ein Problem damit, Prioritäten zu setzen und effektiver mit den Staatseinnahmen umzugehen. Und aus dem Grund geht es aus meiner Sicht darum, nicht immer mehr Geld auszugeben, sondern intelligenter, smarter mit den bestehenden Mitteln umzugehen.“
CDU-Parteichef Friedrich Merz spricht sich für die Schuldenbremse aus, etwas anders sehen das aber manche CDU-Länderchefs. Als erster und am deutlichsten hatte sich dazu Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner im Stern positioniert:
Er halte die derzeitige Ausgestaltung der Schuldenbremse für „gefährlich“: „Es ist zu befürchten, dass die Schuldenbremse mehr und mehr zur Zukunftsbremse wird.“ Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe deutlich gemacht, „wie investitionshemmend die derzeitige Schuldenbremse ist – angesichts von Megabedarfen etwa beim Klimaschutz, den bröckelnden Verkehrswegen, dem riesigen Investitionsstau bei unseren Schulen, der vernachlässigten sozialen Infrastruktur, dem nötigen Umbau unserer Energieversorgung.“
Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen bringt das konservative Hauptargument für die Schuldenbremse gut auf den Punkt:
„Die Einführung der Schuldenbremse des Grundgesetzes 2009 war ein Meilenstein der finanziellen Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit gewesen. Denn der Erfolg einer politischen Partei misst sich an ihrer Wahl bzw. Wiederwahl. Eine Partei, die die nächste Wahl gewinnen will, hat einen Anreiz, Schulden aufzunehmen oder zukünftige Einnahmen vorzuziehen, anstatt heute die Ausgaben zu kürzen oder Steuern zu erhöhen. Da die Zinslasten erst in Zukunft spürbar werden, die positiven Folgen von Ausgaben für Soziales oder Subventionen hingegen bereits die heutige Wählerschaft befriedigen, entstehen strukturelle Anreize, kurzfristige Mehrausgaben und „Wahlgeschenke“ über Schulden zu finanzieren. Die negative Hypothek wird kommenden Generationen überlassen. Mit der Aufnahme von Schuldenbremsen in die Verfassung hatte die politische Klasse in Deutschland (aber auch in anderen EU-Ländern) in einem Anflug von Weisheit ihrem Gestaltungsdrang Grenzen gesetzt.“
Auch sie fordern allerdings mehr Investitionen: „Am Grundgesetzartikel 115, also der Schuldenbremse, sollte kein Buchstabe geändert werden. Aber zusätzlich dazu sollte in einem neuen Artikel ein Investitionsgebot festgeschrieben werden. Denn eine Generation darf durch ihre Politik nicht mehr Kapital (aller Art) verzehren, als sie neu aufbaut. Es ist eine beständige Gefahr, dass Zukunftsinvestitionen zu kurz kommen, weil Gegenwartsausgaben den Vorrang erhalten. Wünschenswert ist ein ausgeglichener Staatshaushalt bei gleichzeitig hoher Investitionsquote.“
Veronika Grimm sitzt im Rat der Wirtschaftsweisen. Auch sie ist gegen eine Reform der Schuldenbremse, wie sie in der Zeit sagt:
„Ich glaube durchaus, dass man auf dieses Urteil reagieren kann, indem man den Geist der Schuldenbremse ernst nimmt und wieder stärker auch auf fiskalische Nachhaltigkeit setzt. Schließlich hat der Gesetzgeber der Schuldenbremse Verfassungsrang gegeben. Natürlich sehen diejenigen, die die Schuldenbremse schon immer loswerden wollten, jetzt dafür die Gelegenheit. Fakt ist aber: Wir haben Schuldenregeln und aktuell keine Mehrheit, diese zu ändern. Also müssen wir bei den Staatsausgaben priorisieren und weniger Wichtiges streichen. Eine Zweidrittelmehrheit für zusätzliche Mittel aus Schulden in begrenztem Umfang erscheint mir nur realistisch, wenn die Regierung zunächst einmal den Kurs ändert.“
„Für die Finanzierung von Infrastruktur gäbe es auch heute die Möglichkeit, im Einklang mit der Schuldenbremse auf Infrastrukturgesellschaften zu setzen, die nutzerfinanziert und dadurch verschuldungsfähig sind. Durch die Beteiligung privater Geldgeber würde zudem das Geld in die lohnenderen Projekte gelenkt. Zum Beispiel für Autobahnen könnten dann die Nutzer bezahlen.“
Michael Hüther ist Präsident des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Er sagt im Interview mit dem Freitag:
„Aus meiner Sicht ist […] sowohl die kurzfristig sinnvollste als auch die wahrscheinlichste Variante: ein Sondervermögen nach Machart des Sondervermögens Bundeswehr. Denn wir sollten jetzt eine Lösung finden, die mittelfristig tragfähig ist und nicht eine, die nur ein Jahr lang hilft. Fürs Sparen gilt: Das kann man für den Haushalt 2024 sicherlich irgendwie tun, aber schon 2025 wäre der Ausgabendruck und damit Kürzungsdruck noch einmal deutlich höher, allein aufgrund des Wirtschaftsplans des Klima- und Transformationsfonds (KTF). Das Aussetzen der Schuldenbremse per Notlagen-Erklärung scheint mir für 2024 relativ schwierig, da hat das Verfassungsgericht eine hohe Hürde gelegt. Und eine Reform der Schuldenbremse wird kurzfristig nicht möglich sein, weil so etwas einen intensiven Diskussionsprozess erfordert, den wir momentan nicht in der gebotenen Tiefe und nötigen Breite durchlaufen können. Bleibt also der Ausweg eines Sondervermögens, der obendrein den politischen Charme hätte, dass im normalen Haushalt und für konsumtive Ausgaben die Schuldenbremse weiterhin gelten würde. […] Anders als bei der Bundeswehr bräuchte es hier aber ein begleitendes Verfahren, etwa in Form einer Bund-Länder-Kommission. Die Transformation ist eine Aufgabe von mindestens zehn Jahren, wofür ein Betrag in der Größenordnung von sicher 400 Milliarden Euro anzusetzen ist. Und zwar nur für alle Infrastruktur; begründete Subventionen für Unternehmen müssten künftig aus dem normalen Haushalt gestemmt werden.“
Das sagen die Linken:
- SPD und Grüne plädieren für eine Reform der Schuldenbremse, die Linke will sie abschaffen.
- Viele linke Ökonom:innen forderten schon vor der Haushaltskrise eine Reform der Schuldenbremse.
- Ein wichtiges Argument: Für nachfolgende Generationen sei es fatal, wenn wir jetzt nicht genügend in einen Umbau unserer Wirtschaft investieren würden, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen.
Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag dafür ausgesprochen, die Schuldenbremse 2024 noch einmal auszusetzen und mittelfristig zu reformieren. Sie lehnt die „starren Begrenzungen der Kreditaufnahme von Bund und Ländern“ ab, schreibt der Spiegel.
Auch Spitzenpolitiker:innen der Grünen sprechen sich immer wieder für eine Reform der Schuldenbremse aus. Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte in den Tagesthemen: „Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Art, wie die deutsche Schuldenbremse konstruiert ist, für zu wenig intelligent halte.“ Er plädiert dafür, Investitionen von ihr auszunehmen. Aktuell sei das aber nicht realistisch, weil dafür Mehrheiten fehlten. Linkspartei-Chefin Janine Wissler fordert, die Schuldenbremse ganz abzuschaffen.
Die Taz hält nichts vom konservativen Argument der Generationengerechtigkeit:
„CDU/CSU und FDP gerieren sich in der Debatte über die Schuldenbremse als Anwalt der Jugend. Sie suggerieren, dass wir ohne die rigide Begrenzung neuer Staatskredite unseren Kindern einen Schuldenberg hinterlassen würden, an dem sie zugrunde gingen. In Wirklichkeit ist es anders: Die Schuldenbremse schadet den Jungen. Deshalb muss sie entschärft oder abgeschafft werden.“
„Denn wenn Deutschland jetzt zu wenig in Klimaschutz investiert und international nicht mit gutem Beispiel vorangeht, wird die Erderwärmung noch stärker und der Schaden noch größer. Das werden nicht vor allem die heutigen, sondern die zukünftigen Generationen spüren. Und bezahlen müssen.“
„Unsere Kinder werden auch darunter leiden, dass Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verliert, etwa weil wir nicht genügend in unser Schienennetz investieren. Oder weil wir zu wenig dafür zahlen, Kinder aus der Armut zu holen, die sonst als Erwachsene von Sozialleistungen leben.“
Ein möglicher Vorschlag für eine Reform der Schuldenbremse kommt vom wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
„Anstatt starr vorzuschreiben, dass bei einem Umfang von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Schluss ist mit zusätzlicher Verschuldung, brauche es eine ‚Goldene Regel plus‘: eine Ausnahme für zusätzliche Investitionen. Das ‚plus‘ ist wichtig, denn eine ‚Goldene Regel‘ gab es schon, bevor die Schuldenbremse eingeführt wurde. Sie ließ die Neuverschuldung zu, wenn sie staatlichen Investitionen diente. Allerdings war der Begriff ‚Investitionen‘ dehnbar. ‚Es gab immer einen Anreiz, Ausgaben aus dem regulären Haushalt rauszuschieben‘, sagt der Münchner Wirtschaftsprofessor Klaus M. Schmidt, ebenfalls Mitglied im Beirat. Genau das aber gelte es zu verhindern.“
„Das ‚Plus‘ soll deshalb die ‚Goldene Regel‘ auf Investitionen beschränken, die wirklich Neues schaffen und nicht bloß Altes erhalten. Nur sie wären von der Schuldenbremse ausgenommen. Kontrollieren soll dies eine unabhängige Institution, vielleicht sogar eine, die aus Ökonomen besteht. Auch für Projekte, die bisher der ‚Klima- und Transformationsfonds‘ finanzieren sollte, ließen sich so Kredite aufnehmen. Schließlich kämen Investitionen, etwa in den Klimaschutz, künftigen Generationen zugute, wirbt Janeba.“
Philippa Sigl-Glöckner ist Gründungsdirektorin des progressiven Thinktanks Dezernat Zukunft. Sie will die Schuldenbremse reformieren und sagt im Magazin Capital:
„Es ist absolut sinnvoll und notwendig, eine Regel für staatliche Kreditaufnahme zu haben. Die Schuldenbremse ist in einem Teil sogar recht fortschrittlich, da sie keynesianische Finanzpolitik erlaubt. Der Staat darf mehr Schulden aufnehmen, wenn die Wirtschaft nicht ausgelastet und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Im Gegenzug sollte der Staat sparen, wenn die Wirtschaft voll ausgelastet ist. Das ist eine gute Idee, die sollte man umsetzen. Dennoch sollte die Schuldenbremse unbedingt reformiert werden.“
Ihr Vorschlag ist etwas kompliziert, aber interessant. Sie will diese von der Wirtschaftslage abhängige Komponente der Schuldenbremse großzügiger gestalten. Bisher gehen Expert:innen dabei immer von der Vergangenheit aus, etwa dabei, wie viel Frauen arbeiteten. Sie fordert, dass die Regierung in die Zukunft blicken soll, um diese Komponente zu gestalten – und etwa bessere Erwerbsquoten bei Frauen fördern.
Was ich denke
- Ich finde es gut, dass diese Debatte jetzt an Dynamik gewonnen hat und fände es fatal, wenn daraus nichts folgen würde.
- Denn die Schuldenbremse sollte reformiert werden, aber das wird in absehbarer Zukunft nicht passieren.
- Jeder der Reformvorschläge hat seine eigenen Vor- und Nachteile, hier braucht es eine weitere Diskussion.
Ich halte es für richtig, dass die Schuldenbremse 2024 nicht ausgesetzt wird. Die Begründungen, mit denen ein Notstand auch im nächsten Jahr erklärt werden sollte, waren nicht schlüssig. Die Gefahr wäre groß gewesen, dass das Bundesverfassungsgericht wieder eingreift und die Ampel in die nächste Haushaltskrise stürzt. So etwas sollte eine Regierung nicht leichtfertig riskieren.
Trotzdem bin ich überzeugt: Zu viele Schulden können ein Problem sein, zu wenige aber auch. Das Land muss mehr investieren, sonst haben wir in 30 Jahren eine marode Infrastruktur, miserable Bedingungen an Schulen und brauchen zu lange, bis unsere Wirtschaft halbwegs mit der Klimakrise kompatibel ist.
Aber es wäre trotzdem keine gute Idee, die Schuldenbremse komplett abzuschaffen. Deutschland muss auch deshalb vergleichsweise wenig Zinsen auf Staatsanleihen zahlen, weil Anleger diese für extrem sicher halten. Die Märkte sind zu mächtig und wankelmütig, als dass eine Regierung das Risiko auf sich nehmen sollte, sie zu verunsichern. Was passiert, wenn es zu einer Staatspleite kommt, habe ich hier beschrieben.
Die Schuldenbremse gehört also reformiert. Das denken inzwischen immer mehr Expert:innen. Ich finde dabei besonders interessant, dass laut einer aktuellen Umfrage ungefähr die Hälfte der deutschen Ökonom:innen inzwischen für eine Reform sind. 2019 waren nur 28 Prozent gegen die aktuelle Form der Schuldenbremse. Darunter auch tendenziell konservative Ökonomen wie Michael Hüther vom Institut der Wirtschaft. Denn auch er macht sich Sorgen, wie es Deutschland in ein paar Jahrzehnten geht, wenn wir nicht endlich anfangen, massiv zu investieren.
Welche Art der Reform richtig wäre, ist schwieriger zu beantworten. Man könnte die Grenze von 0,35 Prozent des BIP anheben, die ohnehin nur ein politischer Kompromiss war, für den es keinerlei wissenschaftliche Grundlagen gibt. Allerdings wäre auch eine höhere Ziffer eine rein politische Entscheidung. Dazu kommt, dass auch die aktuelle Schuldenbremse die Große Koalition nicht davon abgehalten hat, Geld für politische Liebhaberprojekte wie die Mütterrente auszugeben, anstatt wirklich in die Substanz Deutschlands zu investieren.
Deswegen wäre ein Weg, dass Deutschland wieder bei Investitionen unbegrenzt viel Geld ausgeben kann. Diese „goldene Regel“ galt bis zur neuen Schuldenbremse im Jahr 2009. Und sie wieder einzuführen, klingt auf den ersten Blick verlockend. Die alte Regel war aber zu schwammig. Denn in der Praxis ist es nicht immer leicht zu sagen, was eine sinnvolle Investition ist: Sind kommunale Schwimmbäder etwa wichtig für unsere Zukunft? Die damaligen Regierungen erklärten auch Ausgaben zur Investition, die im Nachhinein betrachtet keine waren. Hier bräuchte es also zum Beispiel ein unabhängiges Gremium, das sicherstellt, das so etwas verhindert wird.
Die meisten Ökonom:innen sind dafür, nur die Netto-Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen. Reparaturen und Wartungen an Infrastruktur zählen dann nicht als Investitionen. Das ist ein Problem, weil gerade bei diesen Reparaturen in der Vergangenheit gespart wurde. Das Schienennetz der Deutschen Bahn etwa ist so kaputt, weil alte Schienen zu wenig instand gehalten wurden.
Und die Lösung sollte nicht sein, ein Sondervermögen nach dem anderen zu schaffen, sodass der Haushalt immer intransparenter wird. Was für Folgen das haben kann, zeigt ja der Klima- und Transformationsfonds, aus dessen Geldern längst alles Mögliche bezahlt wird, etwa Subventionen für Chip-Fabriken.
Ich finde die Idee von der Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner nicht schlecht, die Konjunkturkomponente großzügiger zu gestalten, es also in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie momentan zu erlauben, mehr Kredite aufzunehmen. So könnte man zum Beispiel berücksichtigen, dass das Potenzial der Arbeitskräfte nicht ausgeschöpft ist, wenn viele Frauen nicht oder nur Teilzeit arbeiten. Das ginge wohl auch, ohne dass es dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht, da dafür keine Grundgesetzänderung nötig ist. Gleichzeitig ist es nicht die Aufgabe des Bundestags, eine solche technische Frage zu entscheiden. Genau das schlägt sie aber vor. Und auch wenn noch nicht klar ist, wie genau: Christian Lindner hat angekündigt, die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse 2024 zu reformieren.
Es ist ein Gewinn der vergangenen Wochen, dass die Debatte um eine Reform der Schuldenbremse an Fahrt aufgenommen hat. Umso bitterer ist es, dass diese Reform in den kommenden Jahren absehbar nicht kommen wird. Die CDU hält an ihrer Vorstellung fest, dass ein Staat möglichst nicht mehr Geld ausgeben soll, als er einnimmt. Ende November hat sich noch eine Mehrheit der Deutschen in einer Umfrage des ZDF dagegen ausgesprochen, die Schuldenbremse zu lockern. Ein erster Schritt wäre deshalb, wenn mehr Deutsche einsehen würden, dass die Schuldenbremse die Stabilität des Landes nicht garantiert, sondern sie sogar gefährden kann.
Nachtrag 18.12.2023: In einer vorherigen Fassung hieß es, das Sondervemögen der Bundeswehr betrage 100 Millionen Euro. Richtig sind 100 Milliarden Euro. Außerdem stand in der Zusammenfassung, was die Schuldenbremse ausmacht, diese begrenze die Staatsverschuldung auf 0,35 Prozent des BIP. Richtig ist, dass sie die Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des BIP begrenzt. Wir haben beide Fehler korrigiert.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger