Ein heller Raum mit Instrumenten: zwei akustische Gitarren, zwei E-Gitarren und ein Keyboard

Wes Hicks/Unsplash

Kinder und Bildung

So lernst du als Erwachsener ein neues Instrument

Du denkst, du bist zu alt? Dir fehlt die Zeit? Es ist zu teuer? Nein! Erfahrene Musiklehrerinnen und die KR-Community erklären, wie es dir gelingt.

Profilbild von Christian Düring

Aua. Soll ich mir den Finger etwa ausrenken? Drei Wochen lang hatte ich keine Zeit, um Gitarre zu üben. Jetzt sitze ich auf dem Bett, blicke auf den Handybildschirm und versuche, dem Musiklehrer im Youtube-Video Griff für Griff, Akkord für Akkord, langsam nachzuspielen. Nach einigen gescheiterten Versuchen, „Yesterday“ von den Beatles zu spielen, steigt Frust in mir auf.

Es ist einer von gut 30 Songs, die sich in meiner Notizen-App zu digitalen Karteileichen entwickeln. Noch fast keines der neuen Stücke kann ich komplett spielen, die meisten habe ich nicht ein einziges Mal probiert. Dabei mache ich schon mein Leben lang Musik: Mit fünf lernte ich Geige und spiele noch heute mühelos Bach oder Mozart. Auf der Gitarre dagegen rutscht meine linke Hand orientierungslos das Griffbrett hoch und runter, als sei sie gelähmt. Mein Können reicht für ein paar Akkorde am Lagerfeuer, doch für weitere Fortschritte fehlt mir die Strategie. Bin ich zu alt, um ein neues Instrument zu lernen?

Der KR-Community geht es ähnlich: In einer Umfrage haben mir Dutzende von euch geschrieben, dass sie durch den Beruf, die Familie oder das Studium zu wenig Zeit hätten, um regelmäßig zu üben. Nur wenigen gelingt es, sich nach dem Kindesalter aus eigener Motivation an ein neues Instrument zu wagen. KR-Leserin Andrea fällt es schwer, sich immer wieder selbst zu motivieren. „Ich muss mich aufraffen, das haben früher die Eltern übernommen“, schreibt sie. Und Uwe fasst zusammen: „Ich habe zu spät angefangen.“

Erwachsene haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber Kindern, wenn sie ein Instrument lernen

Dabei hätten Erwachsene, so antworten andere KR-Leser:innen auf die Umfrage, einen entscheidenden Vorteil: Sie wissen, was sie wollen. Erwachsene entschieden sich bewusst für ein Instrument und hätten häufig auch ein klares Ziel vor Augen.

Allerdings sei „die Auffassungsgabe als Kind intuitiver“ gewesen, schreibt ein anonymes KR-Mitglied. In manchen Internetforen kursiert entsprechend der Mythos: Wer früher anfängt, ein Instrument zu spielen, der ist erfolgreicher. Kinder lernen einfach schneller, denken viele. Die Forschung zeigt jedoch: Das stimmt nicht ganz. Laut einer Studie des Karolinska-Instituts in Stockholm ist nicht unbedingt das Alter entscheidend, in dem jemand ein Instrument lernt. Vielmehr bestimme die Anzahl der Übungsstunden den Erfolg am Instrument, heißt es. Für die Studie untersuchten die Forscher:innen mehr als 7.000 ein- und zweieiige Zwillinge sowie über 300 professionelle Musiker:innen, die zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrem Leben ein neues Musikinstrument lernten oder zu singen begannen.

Das Erfolgsrezept lautet demnach: üben, üben, üben. Unabhängig vom Alter. Egal, ob jemand mit sieben oder mit 37 Jahren ein neues Instrument lernt, es kommt auf die Stundenzahl an, die man in das Instrument investiert. Es gibt also vermutlich kein „sensibles Zeitfenster“ im Kindheitsalter, wie die Forscher:innen es nennen, in dem es besonders einfach ist, ein Instrument zu lernen.

Erwachsene wollen alles perfekt machen und verbauen sich damit den Weg zum Erfolg

KR-Leserin Eva sieht das Problem hauptsächlich darin, dass „Erwachsene viel verkopfter sind als Kinder.“ Für eine andere KR-Leserin, Vera, ist das ein bekanntes Problem. Sie gibt älteren Schüler:innen Klavierunterricht. „Erwachsene kennen nur noch perfekte Musik“, sagt sie. „Sie machen sich dann Gedanken, dass sie selbst schon mehr können müssten.“ Für Vera ist daher eines besonders wichtig: Wer sich bewusst dafür entscheidet, ein Instrument zu lernen, sollte vor allem Spaß daran haben. Es dürfe kein Projekt mit Leistungsdruck sein.

Vera gibt ihren erwachsenen Schüler:innen eine Reihe von Tipps an die Hand. Tipp Nummer eins für konstante Motivation: abwechseln zwischen „alten und neuen Stücken“, also solchen, die ihre Schüler:innen bereits spielen können und solchen, die sie neu lernen möchten. Die neuen Stücke stillten das Bedürfnis, dass Vera viel eher bei älteren Schüler:innen feststellt: „Sie denken, sie müssten produktiv sein.“ Gleichzeitig hätten ihre Schüler aber erst den Eindruck, ein Instrument tatsächlich zu beherrschen, wenn sie aus dem Gedächtnis jederzeit ein paar Stücke wie auf Knopfdruck spielen könnten.

In ihrem Unterricht versucht sie daher, so lange mit ihren Schüler:innen an neuen Stücken zu üben, bis es einmal etwas länger hakt. Statt jetzt das Instrument frustriert wegzulegen, lenkt Vera den Fokus auf eine andere Aufgabe. Wenn ihre Schüler:innen beispielsweise in einem neuen Song gelernt haben, einen Akkord anders als bisher zu greifen, dann sollen sie die neue Fähigkeit nun in einen alten Song einbauen, den sie schon gut spielen können.

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Denn das Langzeitgedächtnis ruft die bekannten Strukturen ohne Mühe ab. Bei mir wäre es ein Song wie „I see fire“ von Ed Sheeran, den ich fast auswendig auf der Gitarre spielen kann. Nun kann ich mich darauf konzentrieren, einen neuen Griff einzubauen, zum Beispiel den F-Akkord im Barré-Griff. Dabei drücke ich mehrere Saiten mit einem Finger herunter, daran muss sich meine Hand erst gewöhnen. Funktioniert der neue Griff im bekannten Song, kann ich ihn auch in allen neuen Songs anwenden. Mit dieser Methode habe ich gelernt, mehrere Akkorde in den schwierigeren Varianten zu greifen, die meist schöner klingen oder schnelle Wechsel erlauben. Dadurch kann ich wieder neue Songs spielen.

Wer diesen Schritt häufiger wiederholt, kann bald improvisieren. Für viele bedeutet das, ein Instrument tatsächlich zu beherrschen, wie Vera sagt. Denn plötzlich stehen pro Akkord drei oder vier Griffmöglichkeiten zur Verfügung. Oder es passt eine Zwischenmelodie aus einem neuen Song auch an einer Stelle von „I see fire“. Es löst sich ein Knoten in meinem Kopf, die Musik wird flüssiger, ohne dass ich darüber nachdenke, was ich tue.

Zum Musizieren gehört auch ein bisschen Psychologie

Um sich noch „produktiver“ zu fühlen und dadurch zufriedener zu sein, gibt Vera einen zweiten Tipp. Einfach, aber wirksam, so beschreibt sie ihn: Ihre Schüler sollten sich immer wieder kleinteilige Ziele notieren. Mit einem Haken hinter einem Ziel seien sie sich viel bewusster über ihre Fortschritte. „Häufig vergessen wir, den Fokus auf das Positive zu lenken“, sagt Vera. Erwachsene müssten sich viel häufiger bewusst selbst belohnen als Kinder, um langfristig Spaß zu haben.

Denn im Unterschied zu den jüngeren Schülern kommen die Älteren häufiger mit schlechten Vorerfahrungen zu ihr. „Sie haben zum Beispiel von außen gesagt bekommen, dass sie unmusikalisch seien“, sagt Vera. Solche Glaubenssätze müssten Erwachsene erst einmal auflösen. Das sei ebenso ihre Aufgabe als Klavierlehrerin, wie das Musizieren selbst.

Auch Clara Duncker gibt Musikunterricht, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, in ihrer „Musikschule Mut“ in Bonn. Sie sagt, dass der Unterricht mit Erwachsenen meistens individueller sei als der Unterricht mit Kindern. Bislang sei keiner ihrer Schüler zu unmusikalisch oder talentfrei gewesen. Aber ihre erwachsenen Schüler hätten mit individuellen Hürden zu kämpfen. Eine ihrer älteren Geigenschülerinnen hätte zum Beispiel nicht mehr genug Kraft im kleinen Finger gehabt. „Dann muss man um die Ecke denken“, sagt Duncker. Sie trainierten zusammen, schneller umzugreifen und andere Finger für die Griffe zu nutzen. In ihren 20 Jahren Berufserfahrung lernte sie, nicht nur körperliche Einschränkungen zu berücksichtigen, sondern auch individuelle Übungen zusammenzustellen.

Insbesondere Erwachsene wüssten häufig, wie sie am besten lernen, sagt die 48-Jährige. Dadurch könnten sie häufig Abkürzungen nehmen. „Erwachsene kann ich gezielt nach ihren Wünschen und Stärken fragen“, sagt sie. Wer beispielsweise weiß, dass auditives Lernen besser funktioniert, den lässt Duncker mehr mit einer Begleitung vom Band mitspielen. Dann achten sie gemeinsam auf schwierige Sequenzen, hören diese Stellen immer wieder und spielen sie nach. Anderen fällt das visuelle Lernen leichter, dann konzentriert sich Duncker beispielsweise zuerst darauf, dass diese Schüler:innen vernünftig Noten lesen können. Damit können sie dann weiter arbeiten.

Apps und Videos, aber auch Musizieren in der Gruppe sind eine gute Motivation

Als Unterstützung nähmen ihre Schüler:innen teilweise Youtube-Videos oder Apps zur Hilfe, sagt Duncker, mit denen sie das Wissen vertieften. Sie sieht aber auch einige Probleme in den digitalen Angeboten. Wenn der Schüler die Hand falsch halte oder zu fest drücke, könne sie es direkt korrigieren. „Eine App kann so etwas nicht ersetzen“, sagt sie.

Einige Mitglieder aus der KR-Community haben mit Youtube-Videos gelernt, die richtigen Klaviertasten zu der Zeit zu drücken, wenn sie im Video farblich markiert sind oder zum Beispiel Anfängerhefte genutzt, um Querflöte zu lernen. Das Angebot für Selbstunterricht wächst. Auch für Instrumente wie Klarinette, Saxophon und beliebige andere. Eine KR-Leserin, Andrea, lernte sogar Didgeridoo.

Während meiner Recherche wurde mir klar, dass es vor allem wichtig ist, konsequent zu üben. Mit welcher Methode, scheint vorerst zweitrangig zu sein. Einfach anfangen und probieren, was für einen funktioniert, heißt es auch in vielen Internetforen. Viele KR-Leser:innen schwärmten auch davon, gemeinsam mit anderen zu musizieren, von Beginn an steigere das die Motivation.

Ein Instrument lernen kann teuer sein – es gibt aber Möglichkeiten zu sparen

An einer klassischen Musikschule, zum Beispiel der Musikschule Mut von Clara Duncker, kostet eine Unterrichtsstunde im Durchschnitt circa 60 Euro für 60 Minuten. Dafür gibt es dann Einzelunterricht vom Profi. An Volkshochschulen ist der Unterricht meist günstiger: An der Volkshochschule Hannover zum Beispiel finden Gruppenkurse für rund neun Euro pro Stunde statt. Auf Internetseiten wie „Superprof“ oder „Kleinanzeigen“ bieten Laien oft günstigen Unterricht an.

Wer nicht singt, muss sich noch ein Instrument besorgen. Auch das kann teuer werden. Dunckers klare Empfehlung ist daher: „Ein Instrument sollten sich Anfänger einfach mieten.“ An der Musikschule Köln zum Beispiel kann man sich Instrumente wie eine Blockflöte, Geige oder Saxophon für zehn bis zwanzig Euro im Monat ausleihen. So könne man auch gleich mit besserer Qualität spielen, statt billige Einsteigerinstrumente mit ernüchterndem Klang zu kaufen, sagt Duncker. Ihre Präferenz sei die „Mietkaufoption“. Wenn jemand am Ende einer Leihe das Instrument übernimmt, wird die bereits bezahlte Miete dann in der Regel vom Kaufpreis abgezogen.

Anfänger:innen sollten sich mit dem neuen Instrument sofort eine Routine zurechtlegen, empfiehlt Duncker. Am besten stehe das Instrument ausgepackt an einem gut sichtbaren Platz. Somit sei die Hemmschwelle geringer, es immer mal wieder für ein paar Minuten in die Hand zu nehmen. „Regelmäßiges Üben ist besser als blockweises“, sagt sie. Jeden Tag ein paar Minuten zu spielen, sei nachhaltiger als einmal in der Woche für mehrere Stunden. Sie empfiehlt ihren Schülern daher, eine regelmäßige kurze Übungseinheit an eine Alltagstätigkeit zu knüpfen. „Nach dem Zähneputzen greife ich 20 Minuten zur Geige“, wäre ein Vorschlag.

Dunckers zweiter Tipp für die Routine: einen Termin mit sich selbst ausmachen. „Ich reserviere mir eine halbe Stunde für die Geige“, sagt sie. Wenn Freunde dann beispielsweise am Freitagabend für ein paar Getränke in eine Bar wollten, dann komme man eben eine halbe Stunde später. Es bewirke Wunder, diesen Termin „mit sich selbst“ ernst zu nehmen.

Nun steht also ein Termin in meinem Kalender. Nächste Woche Mittwoch habe ich um 19.30 Uhr ein Date mit meiner Gitarre. Und den Mittwoch danach auch. Einmal die Woche halte ich mir ab jetzt regelmäßig eine halbe Stunde frei. An den anderen Wochentagen möchte ich nun ein paar Minuten spielen, nachdem ich mein Abendessen weggeräumt habe. Das fällt mir hoffentlich künftig leichter, weil die Gitarre von nun an ausgepackt neben meinem Bett steht.

Dazu kaufe ich noch ein Notizbuch, nur für meine Lernfortschritte. Darin schreibe ich meine Wünsche und kleinteiligen Ziele auf, hinter die ich kleine Kästchen zum Abhaken setze. Auf den nächsten Seiten möchte ich meine Liste mit Songs füllen, bei denen ich mich schon sicher fühle. Wenn ich etwas Neues lerne, spiele ich einen dieser Songs, die schon gut funktionieren und versuche, mit ihnen zu improvisieren. Das könnte was werden.


Vielen Dank an alle KR-Leser:innen, die sich beteiligt haben: Claudia, Brigitte, Andrea, Sonja, Tilly, Astrid, Kate, Kirsten, Laurenz, Gunnar, Martin, Dunja, Stefanie, Carina, Chrisi, Matthias, CaMel, Franziska, Patricia, Max, Miriam, Uli, Ulrike, Matthias, Michael, Rainer, Nikodemus, Bes, Sandra, Karola, Dieter, Constanze, Christina, Tobias, Jette, Christina, Stephan, David, Eva, Tabea, Ulf, Bastian, Raphael, Kathleen, Steffi, Eva, Daniel, Marion, Sabine, Susie, Kai, Wolfgang, Martin, Luise, Andrea, Johanna, Uwe, Ulrike, Andrea, Johanna, Lea, Julia, Hilde, Angelika, Sven, Bentje, Alexa, Annette, Louisa, Ulli, Vera, Axel, Till, Manfred, Conny, Kirsten.

Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

So lernst du als Erwachsener ein neues Instrument

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