Vor wenigen Monaten geschah etwas, das uns irritiert hat und uns mit anderen Augen auf UFOs schauen lässt. Und ja: Damit sind wirklich „unidentifizierte Flugobjekte“ gemeint, wie wir sie aus Science-Fiction-Filmen kennen. Plötzlich tauchten UFOs in seriösen Medien auf, wie im Podcast des renommierten New-York-Times-Kolumnisten Ezra Klein, der sonst für kluge Analysen zur Lage der US-amerikanischen Innenpolitik oder internationaler Konflikte bekannt ist. Im Juni lockte eine Folge seines Podcasts mit dem unschlagbaren Titel: „What the Heck Is Going on With These U.F.O. Stories?“ Als regelmäßiger Hörer musste man zweimal lesen, um wirklich sicher zu sein, dass es diesmal nicht um Bidens Präsidentschaft oder den Krieg in der Ukraine ging, sondern wirklich um UFOs. Das letzte extraterrestrische Flugobjekt, das wir gesehen hatten, landete schließlich in Asteroid City, einer fiktiven Wüstenstadt – auf Veranlassung des Regisseurs Wes Anderson. Und eben dorthin gehörten UFOs bis dahin doch auch: in die Welt der popkulturellen oder verschwörungsmythischen Fantasien. Nun hielten sie Einzug in eine andere, in unsere Wirklichkeit, ja, sogar ins US-amerikanische Repräsentantenhaus. Was war passiert?
Ein ehemaliger Luftwaffenoffizier berichtet über Objekte nicht-menschlichen Ursprungs
David Grusch, ein ehemaliger Luftwaffenoffizier und Geheimdienstmitarbeiter, behauptete, die US-Regierung sei im Besitz von Objekten nicht-menschlichen Ursprungs, die auf die Erde gestürzt seien, darunter „intakte Fahrzeuge“ (womit je nach Übersetzung auch so etwas wie Raumschiffe gemeint sein könnten – es ist unklar, wie man sich diese Vehikel genau vorstellen soll). Laut einem Artikel, den das Online-Tech-Medium The Debrief Anfang Juni dazu veröffentlichte, hatte sich der Ex-Offizier und Afghanistan-Veteran Grusch dazu entschlossen, zum Whistleblower zu werden. Er behauptete, von einem geheimen Programm erfahren zu haben, das seit Jahrzehnten daran arbeite, diese nicht-menschlichen Artefakte zu bergen und zu rekonstruieren. Es finde außerdem eine Art globales Wettrennen mit anderen Ländern statt, wem es zuerst gelingen würde, diese – sozusagen vom Himmel gefallenen – Objekte nachzubauen. Eine dem Menschen möglicherweise überlegene Technologie könnte ein mächtiges Land schließlich noch mächtiger machen.
Ein Science-Fiction-Autor hätte sich das nicht viel besser ausdenken können. Und es wurde noch spektakulärer, als Grusch in einem anderen Interview andeutete, die Regierung habe auch Beweismaterial für biologisches außerirdisches Leben. Er sagte: „Well, naturally, when you recover something that’s either landed or crashed, sometimes you encounter dead pilots … And believe it or not, as fantastical as that sounds, it’s true.“ Bitte was? Es wurden die Überreste toter Alien-Piloten gefunden?
Dazu muss man wissen, dass Grusch nicht einfach nur öffentlich vor sich hin behauptete, sondern sogar unter Eid vor dem Kongress aussagte. Im Juli fand eine Anhörung dazu statt, die zwar nicht die erste UFO-Anhörung war, aber die erste, seit die amerikanische Luftwaffe vor über 50 Jahren ihre „Project Blue Book“ genannte Untersuchung unidentifizierter Flugobjekte beendet hatte. Gruschs „Enthüllungen“ lassen sich also nicht so ohne Weiteres ignorieren, auch wenn sie Verschwörungsmythen befeuern.
In den USA wurden sie, wie so vieles, in zwei Extremen diskutiert: Das eine Lager tat sie als Unsinn ab, das andere eskalierte in Richtung „News des Jahrtausends! Die Aliens sind da!“ Was ist also dran an der Sache? Und warum werden Gruschs Behauptungen, anders als die vieler anderer, so ernst genommen? Wer sich ins Thema einliest, stellt bald fest, dass es UFOs schon seit einiger Zeit wieder auf die politische Agenda geschafft haben, dass eine Art „Paradigmenwechsel“ stattgefunden hat. Die Sache mit den UFOs und den Aliens ist allerdings ein bisschen komplizierter, als man vermuten würde.
Einige bestätigen die Glaubwürdigkeit des Whistleblowers
Fangen wir mit der Glaubwürdigkeit des Whistleblowers Grusch an: Ein wichtiger Grund dafür, weshalb er ernst genommen wird, obwohl er die Objekte nach eigener Aussage gar nicht gesehen hat, ist seine unmittelbare Vergangenheit als Mitglied von US-Behörden wie der National Geospatial Intelligence Agency (NGA) und der UAP-Taskforce. UAP ist eine Abkürzung für „Unidentified Aerial Phenomena“, also für unidentifizierte Luftraum-Phänomene (wobei inzwischen eher allgemeiner von „Unidentified Anomalous Phenomena“ die Rede ist, um zum Beispiel Unterwasser-Phänomene mit einzubeziehen, siehe hier oder hier). Hinter der Taskforce wiederum steht das „Office of Naval Intelligence“, das Teil des US-Verteidigungsministeriums ist. Über seine offiziellen Funktionen hatte Grusch also tatsächlich Zugang zu anderen (anonym bleibenden) Geheimdienstmitarbeiter:innen, die sich ihm wegen des angeblich geheim gehaltenen Programms anvertraut haben sollen. Ob das stimmt und wenn ja, ob sie ihm die Wahrheit gesagt haben, wissen wir nicht. Es gibt jedenfalls einige, die Gruschs Aussagen bekräftigten und seine Glaubwürdigkeit bestätigten.
In der besagten Kongress-Anhörung sagte neben Grusch auch der ehemalige Kampfpilot Ryan Graves aus. Graves gehört zu einer Gruppe von Navy-Pilot:innen, die 2015 an der US-amerikanischen Ostküste UAPs gesichtet haben (wobei es ähnliche Sichtungen auch zuvor schon gab, im Jahr 2004 etwa an der Kalifornischen Küste). Von diesen Sichtungen gibt es sogar Video-Aufnahmen, die vom Pentagon offiziell als echt bestätigt wurden.
Sie zeigen eigenartige kleine Objekte, die wie Drohnen aussehen, sich aber anders verhalten als die Drohnen, die wir kennen: Sie bleiben viel länger in der Luft, bewegen sich nicht mit dem Wind, stehen unbeweglich in der Luft, so beschreibt es Graves. Sie scheinen außerhalb physikalischer Gesetze zu operieren, innerhalb kurzer Zeit unfassbare Geschwindigkeiten zu erreichen, in einigen Fällen sogar unter die Wasseroberfläche tauchen zu können. Auch Tragflächen oder Flügel sind nicht zu erkennen. Einmal sei so ein Objekt sogar zwischen zwei Jets hindurchgeflogen, es habe beinahe einen Crash gegeben.
Ein Pentagon-Bericht von 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass 143 solcher Phänomene aus zwei Jahrzehnten rätselhaft bleiben. „Das ist deshalb ein Paradigmenwechsel, weil man 70 Jahre lang das Gegenteil behauptet hat“, sagt Hakan Kayal, Professor für Raumfahrttechnik an der Uni Würzburg. Dazu gehört auch, dass sich die Datenlage verändert hat. Wir müssen längst nicht mehr nur auf körnig-verschwommene Schwarz-weiß-Videos oder Augenzeugenberichte vertrauen, die natürlich auf optischen Täuschungen beruhen oder Fehlinterpretationen beinhalten können. Im Vergleich zu früher hätten wir heute viel besseres Equipment und ausgereiftere Sensoren, um Daten von solchen Objekten zu sammeln, sagt die Investigativjournalistin Leslie Kean im Gespräch mit Ezra Klein. So seien 80 der untersuchten Objekte von mehreren Sensoren gleichzeitig erkannt worden, dem Bericht zufolge etwa von Radar oder Infrarot. Und obwohl es prominente Stimmen gab, die es für sehr wahrscheinlich hielten, dass diese Objekte chinesischen oder russischen Ursprungs seien, konnte man keine Belege dafür finden.
Dass wir den Ursprung des Flugobjekts nicht kennen, heißt nicht, dass Aliens drinsitzen
Halten wir an dieser Stelle also fest: Es gibt offiziell bestätigte UFO- oder UAP-Sichtungen. Man muss das aber wörtlich nehmen: Das U steht für „unidentifiziert“, was nichts anderes bedeutet, als dass diese Objekte bisher nicht erklärt werden können. Wer von der vorläufigen Unerklärbarkeit eines Phänomens auf eine außeriridische Herkunft schließt, der hat vielleicht doch zu viele Science-Fiction-Filme gesehen. Ein Mangel an Daten bedeute keinesfalls, dass Aliens die wahrscheinliche Antwort sind, sagt der britisch-amerikanische Wissenschaftsautor Mick West, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, pseudowissenschaftliche Behauptungen und Verschwörungserzählungen zu entkräften – und der offenbar eine gewisse Freude daran hat, UFO-Enthusiast:innen zu enttäuschen. Das Problem, dass da etwas Unidentifiziertes im Luftraum herumfliege, sollte man aber dennoch sehr ernst nehmen, sagt er, schließlich seien Drohnen schon für terroristische Anschläge genutzt worden.
In einem Artikel des Scientific American kritisierte der Astronom Andrew Fraknoi, dass Sensationsbehauptungen von angeblich außerirdischen Gefährten zu viel Medienaufmerksamkeit geschenkt werde. UFO-Sichtungen könnten bei ausreichender Datenlage immer durch irdische oder astronomische Phänomene erklärt werden, etwa durch Lichter, die von menschengemachten Flugobjekten ausgehen, Wetterballons oder Weltraummüll, der wieder in die Atmosphäre eintrete. Das seltsame Flugverhalten dieser Objekte könnte überdies auch auf Messfehler zurückgehen, sagt Fraknoi.
So auch beim wohl bekanntesten Beispiel für einen vermeintlichen Alien-Fund, dem Roswell-Zwischenfall von 1947. Als damals in New Mexico Trümmer gefunden wurden, waren sich UFO-Gläubige sicher, dass es sich um Fragmente einer fliegenden Untertasse handeln musste. Dabei war es ein Air-Force-Ballon, der dafür vorgesehen war, das sowjetische Nuklearprogramm auszuspionieren und der bei einem Test abgestürzt war. Das Problem dabei: Die Geheimhaltung des Tests und der Versuch, den Absturz durch eine erfundene Coverstory zu vertuschen (durch die Behauptung, es sei nur ein Wetterballon gewesen), nährte die UFO-Fantasien. Roswell wurde daraufhin zu einem Hotspot für Alien-Tourismus (hier ab Minute 30:05), für die Kleinstadt eine nette Einnahmequelle. Und zugleich wiederum eine Vorlage für Fiction-Stoffe wie Roland Emmerichs Film „Independence Day“ oder eben Wes Andersons „Asteroid City“. Auch in der Wüste Nevadas machen sich UFO-Touristen bis heute auf die Suche nach Außerirdischen, wie man hier oder hier nachlesen kann. Im militärischen Sperrgebiet der Air-Force-Basis „Area 51“ vermuten Verschwörungsanhänger Wrackteile und Alien-Leichenreste. Es gibt dort auch einen „Extraterrestrial Highway“ und eine Kneipe, die Alien-Burger verkauft.
Man ist also gut beraten, skeptisch zu bleiben und sich nicht allzu vorschnell in der Fantasie zu verlieren, die UFOs seien aus einer anderen Welt. Zumal die Frage offen bliebe, weshalb die Aliens nicht einfach auf dem Rasen des Weißen Hauses landen und sich vorstellen, wie der Astrophysiker Adam Frank argumentiert. Angenommen, sie wollten sich nicht zeigen, fragt Frank weiter, weshalb sollte es ihnen dann nicht gelingen, vollkommen verborgen zu bleiben – angesichts der unfassbaren Technologie, über die sie verfügen müssten, um zu uns zu finden?
Auch was das vermeintliche Geheimprogramm der US-Regierung betrifft, von dem Grusch erfahren haben will, ist die Realität komplizierter als eine simple Verschwörungserzählung: Grusch ist nämlich ein Whistleblower mit offizieller Genehmigung. Er bat das Pentagon tatsächlich um Erlaubnis, die Öffentlichkeit informieren zu dürfen, und er bekam die Freigabe („Clearance“) innerhalb kurzer Zeit, quasi über Nacht (siehe hier ab Minute 48:30). Über die Gründe kann man spekulieren, das Pentagon jedenfalls hat nun eine Website eingerichtet, die nicht nur häufig gestellte Fragen beantworten, Informationen zur Verfügung stellen und über gelöste UAP-Phänomene aufklären, sondern auch die Möglichkeit geben soll, Sichtungen zu melden, zunächst Beschäftigten der Regierung und anderen, die Kenntnis von US-Programmen haben, später auch der breiteren Öffentlichkeit. Wohl auch, um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass da im Verborgenen etwas Geheimnisvolles stattfinde – bekanntlich der ideale Nährboden für Verschwörungsmythen. Dabei ist das, was sich durch die wissenschaftlichen Untersuchungen und astrophysikalischen Erkundungen in naher Zukunft noch ergeben wird, auch ohne grüne Männchen schon spannend genug.
Redaktion: Johannes Laubmeier, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert