Markus Söder und Friedrich Merz prosten sich mit einer Maß Bier in der Hand in einem bayerischen Bierzelt zu

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Politik und Macht

Mit diesen 5 Punkten verstehst du bayerische Politik

Was die freien Wähler von der CSU unterscheidet, wo Bayern grün und rot wählt und wieso Söder und Aiwanger so gerne gegen Berlin pöbeln.

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Reporterin für eine faire Wirtschaft

Manche Sachen laufen im selbsterklärten besten Bundesland der Welt einfach anders. Das gilt insbesondere für bayerische Politik, die auch ich oft nicht verstehe, obwohl ich als Teenager sechs Jahre dort gelebt habe.

Dabei muss man kein Oktoberfest-Fan sein, um bayerische Politik wichtig zu finden – gerade jetzt, wo am 8. Oktober die Landtagswahl ansteht. Deshalb habe ich für diesen Text nicht nur mit Politikwissenschaftler:innen geredet, sondern auch bayerische KR-Mitglieder zu der Politik ihres Bundeslandes befragt. Dabei herausgekommen sind diese fünf Punkte, die mir (und hoffentlich auch euch) helfen, die bayerische Politik zu verstehen – auch über diesen Wahlkampf hinaus. Es geht darum, wieso wir dem Bierzelt das Maut-Debakel zu verdanken haben, in welchen Gegenden die Grünen beliebter sind als die CSU und warum es Hubert Aiwanger hilft, dass er im Dialekt spricht. Mit Aiwanger und seiner Partei starten wir.

1. Die Freien Wähler sind die bessere CSU

Bayern ist das einzige Bundesland, in dem die traditionelle konservative Partei nicht nur eine, sondern gleich zwei Konkurrenten im rechten Spektrum hat: neben der AfD sind das die Freien Wähler. Was die CSU von der AfD unterscheidet, dürfte den meisten Menschen klar sein, der Verfassungsschutz stuft immerhin nur zweitere als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Aber oft heißt es, die Freien Wähler seien „Fleisch vom Fleische der CSU“. Jasmin Riedl, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr, sagt: „Politisch liegen die beiden Parteien nicht weit auseinander, sie sind sowohl bei gesellschaftlichen als auch bei wirtschaftlichen Fragen konservativ.“

Sowohl CSU als auch Freie Wähler sprechen sich beim Wahlomat etwa für eine bayerische Grenzpolizei aus und für gut sichtbare Kreuze in Behördenräumen. Und sie wollen, dass nach 2024 noch reine Öl- und Gasheizungen eingebaut werden können, um nur einige Punkte aus einer sehr langen Liste zu nennen. Trotzdem sind die Freien Wähler erfolgreich, aktuell liegen sie in einer Umfrage von des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap bei 17 Prozent, bei der letzten Landtagswahl waren es noch 11,6 Prozent.

Kommen wir also zu den Unterschieden, die ihren Erfolg erklären.

Der erste liegt in ihrer Geschichte. Denn während die CSU seit Ende der 1950er Jahre Bayern ununterbrochen regiert, zogen die Freien Wähler erst 2008 in den bayerischen Landtag ein. Die Partei entstand in den Kommunen, in denen sich Bürger:innen in Wählervereinigungen zusammengeschlossen hatten, um vor Ort bei Problemen mitzubestimmen, etwa einer Autobahnumgehung.

Welche Themen die Freien Wähler angehen, zeigt die sogenannte Strabs besonders deutlich. Dabei geht es nicht um sexy Unterwäsche, sondern Strabs steht für Straßenausbaubeitragssatzung. Klingt trocken, betraf aber potentiell viele bayerische Bürger:innen. Denn die Strabs legte fest, dass Hausbesitzer:innen Geld dazugeben mussten, wenn die Gemeinde die Straße vor ihrer Haustür in Schuss brachte – oft Tausende bis Zehntausende Euro. Die Freien Wähler drohten 2018 mit einem Volksbegehren dagegen, weshalb die CSU die Straßenausbaubeitragssatzung schon vorher abschaffte.

Um den Erfolg der Freien Wähler einzuordnen, sollte man folgenden Hinweis von einem KR-Mitglied im Blick behalten: „Die Landbevölkerung wählt die Menschen, die wirklich ein Ohr für sie haben und nicht auf sie herabschauen.“ Besonders deutlich wird das, wenn man Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Markus Söder (CSU) miteinander vergleicht: Söder muss im Bierzelt viel kaschieren. Denn er ist Großstädter, Franke und trinkt lieber Cola light als Bier – deshalb spricht er so oft über Fleisch, weshalb ihn die Taz einen „Würstchen-Populisten“ nannte.

Dagegen kommt Hubert Aiwanger, auch Hubsi genannt, nicht nur aus dem niederbayerischen Dorf Rahstorf, er spricht bis heute Niederbayerisch. Auch wenn das für viele Nicht-Bayer:innen Grund zum Witzeln ist – für Menschen, die selbst Dialekt sprechen, kann das ein großer Sympathie-Bonus sein. Außerdem ist er gelernter Landwirt und bis heute Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr. Ähnlich wie Franz Josef Strauß nimmt Aiwanger kein Blatt vor den Mund. Teilweise schlägt er sogar rechtspopulistische Töne an, etwa als er im Juni forderte, die „schweigende Mehrheit“ müsse sich die Demokratie zurückholen, als ob wir gerade nicht in einer Demokratie leben würden. Das sorgte auch in der CSU für viel Kritik.

In den vergangenen vier Jahren hat Aiwanger immer wieder Opposition in der Regierung gespielt. So ließ er sich als zweitwichtigster Mann der bayerischen Politik monatelang nicht gegen Corona impfen und stänkerte oft gegen den Kurs der Regierung. Mit all dem kommt Aiwanger in manchen Teilen Bayerns gut an. Für Aiwanger-Wähler:innen ist das wichtiger als Jahrzehnte zurückliegende antisemitische Hetze.

2. Bayern wählt grün und rot! Zumindest in den Städten

Für meine Recherche habe ich bayerische KR-Mitglieder gefragt, was Nicht-Bayer:innen über ihr Bundesland wissen sollten. Am häufigsten genannt: Bayern ist mehr als die CSU. So schreibt KR-Mitglied Victoria: „Es gibt hier viele Menschen, die nicht mit Söder oder der CSU übereinstimmen und ein ‚mir san mir‘ ablehnen.“ Ist ja klar: Natürlich entsprechen nicht alle Bayer:innen Klischees, genauso wenig, wie alle Kölner:innen Karneval lieben oder Hamburger:innen „Moin“ rufen. Zwar ist Bayern ein sehr konservatives Bundesland, aber gerade das Bild in den Städten ist viel diverser.

Die SPD stellt zum Beispiel seit der Kommunalwahl 2020 insgesamt 20 Oberbürgermeister:innen in bayerischen Großstädten. Und München wird seit dem Zweiten Weltkrieg fast ununterbrochen von der SPD regiert.

Auch der Aufschwung der Grünen lässt sich in Bayern beobachten: In vielen Städten mit über 100.000 Einwohner:innen bekamen die Grünen im Schnitt 30 Prozent der Stimmen – und damit mehr als die CSU. Und auch das bayerische Volksbegehren für mehr Artenschutz unter dem Motto „Rettet die Bienen“ bekam 2019 mehr als 1,7 Millionen Unterschriften – und war damit so erfolgreich wie noch keines vor ihm.

3. Bayerische Politik geht nur mit Bierzelt

Käme in diesem Artikel kein Bierzelt vor, hätte ich etwas falsch gemacht. Denn für relevante Teile der bayerischen Politik entscheidet sich dort, ob ein Politiker oder eine Politikerin Potenzial hat. Das kann sogar Auswirkungen auf den Rest Deutschlands haben: Das Bierzelt brachte die CSU auf den Gedanken, die sogenannte Ausländermaut sei eine gute Idee, weil das jahrelang verlässlich für Jubel im Bierzelt sorgte, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Ohne die bayerische Bierzelt-Kultur hätten wir uns vielleicht nie mit Andi Scheuers Maut-Debakel herumschlagen müssen.

Die Ausländermaut zeigt, wie Bierzeltpolitik funktioniert: Dort geht es nicht um die Feinheiten des Europarechts, sondern um ja oder nein, schwarz oder weiß. Die Süddeutsche Zeitung schreibt, dass die CDU lange dachte, am Erfolg von Bierzeltreden würde sich zeigen, ob man verstehe, was das Volk bewegt. Und vielleicht erklärt sich hieran auch, warum Söders kurzzeitige Ausflüge ins Naturschützermilieu längst wieder beendet sind: Nur weil Millionen ein Volksbegehren zum Artenschutz unterschreiben, kommt es noch lange nicht gut bei der CSU-Basis an, Bäume zu umarmen. Schon seit einer Weile sind die Grünen wieder erklärter Hauptfeind von Söder und Aiwanger.

Wie groß der Grünen-Hass im Bierzelt sein kann, machte der Besuch des Grünen Landwirtschaftsministers Cem Özdemir klar. Als er eine Rede im oberbayerischen Chieming hielt, musste zwischen Bühne und Publikum eine Polizeikette gebildet werden. Während das Publikum vorne klatschte, störten einige weiter hinten den Auftritt systematisch, indem sie „Hau ab!“ riefen und Özdemir ausbuhten, schreibt der Bayerische Rundfunk.

4. Die CSU will eigentlich nur pöbeln. Jetzt kann sie es endlich

Die CSU hat schon seit ihrer Entstehung eine merkwürdige Doppelrolle in der deutschen Politik. Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, schlossen sich überall Landesverbände zu einer neuen konservativen Partei zusammen, der CDU. Nur der bayerische Landesverband wollte selbstständig bleiben und nannte sich CSU. Und weil die Partei über Jahrzehnte mit in der Regierung saß, konnte die CSU als einzige Regionalpartei Deutschlands die Bundespolitik prägen. Gleichzeitig muss sie sich von der CDU abgrenzen und ihre eigene, bayerische Linie vertreten, damit die beiden Parteien unterscheidbar bleiben. Denn das Bundesland Bayern hat naturgemäß andere Interessen als der Bund.

Das erklärt auch, warum 2015 der damalige CSU-Chef Horst Seehofer die damalige Kanzlerin Angela Merkel beim CSU-Parteitag auf der Bühne eine 13-minütige Standpauke hielt, als er mit ihrem Kurs in der Migrationspolitik nicht einverstanden war.

Nun regieren die Unionsparteien nicht mehr, und während das die CDU in eine tiefe Krise gestürzt hat, bietet das für die CSU eine Chance: Endlich kann sie ganz ungestört gegen „die da oben in Berlin“ wettern. So erklärte Söder im September 2023 im Keferloher Bierzelt: „In jedem bayerischen Dorf steckt mehr Verstand als in allen Berliner Regierungsbezirken.“

Auch die Politikwissenschaftlerin Riedl sagt: „Das starke Wettern aus der CSU gegen den Bund hat vor allem nach der Bundestagswahl zugenommen. Das ist nichts, was jetzt nur für den Landtagswahlkampf gilt.“ So macht die Partei doppelte Oppositionsarbeit: Einmal von Bayern als Regionalpartei aus gegen „Berlin“ im Allgemeinen und dann als Berliner Bundestagspartei gegen die Ampel im Speziellen.

5. Bayern ist wie Kreuzberg – zumindest bei der Themenwahl im Landtagswahlkampf

Natürlich gibt es auch spezifisch bayerische Themen, zum Beispiel debattierte man in Bayern vergangenes Jahr, wie schützenswert Wölfe sind, die den Almbauern das Leben schwer machen. Seit dem Frühjahr hat der Freistaat den Abschuss der Wölfe erleichtert.

Doch die Themen, die die Menschen am meisten beschäftigen, sind Migration, die verschleppte bayerische Energiewende und die Klimapolitik im Allgemeinen. Das war das Ergebnis einer Umfrage des Bayerischen Rundfunks. Und während die KR-Mitglieder Migration nicht für ein drängendes Thema halten, sagten mir in meiner Umfrage fast 70 Prozent, dass für sie die Energiewende und die Klimapolitik die wichtigsten Themen der Landtagswahl seien.

Der Politikwissenschaftler Thomas Leuerer von der Universität Würzburg sagt: „Im bayerischen Wahlkampf spielen größtenteils Themen eine Rolle, die auch ansonsten die deutsche Bevölkerung beschäftigen.“

Auch die bayerischen Parteien haben die gleichen Probleme wie im Rest Deutschlands, so muss die FDP um den Wiedereinzug in den Landtag bangen und die SPD schwächelt seit Jahren. So weit weg ist Bayern dann eben doch nicht.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Christian Melchert

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