Wenn Politiker auf einem Volksfest Reden halten, wird es zünftig. Wenn diese Reden mitten im bayerischen Wahlkampf stattfinden, wird es oft noch ein wenig zünftiger. Aber wenn diese Reden in einem bayerischen Wahlkampf stattfinden, kurz nachdem herausgekommen ist, dass der bayerische Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger als junger Mann rechtsradikal und ein Antisemit gewesen sein soll, dann kommt es in diesen Reden zum Schwur. Es geht um eine gut sichtbare, öffentliche Positionierung. Was im Festzelt passiert, soll auf keinen Fall im Festzelt bleiben.
Deswegen schaute das politische Deutschland vergangenen Montag nach Abensberg in Bayern, wo beim Gillamoos, dem ältesten Jahrmarkt des Landes, zum politischen Frühschoppen geladen wurde. Traditionell nutzen die Spitzen der Politik diesen Anlass, um markige Reden gegen die politische Konkurrenz zu halten. Zu Gast war dabei auch der Sauerländer Friedrich Merz – nicht als Sauerländer, sondern als CDU-Chef –, und die Rede, die er auf dem Gillamoos hielt, sorgte in den Stunden danach für große Empörung. Er sagte, wörtlich:
„Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland.“
Und im Kontext der Aiwanger-Affäre:
„Ich möchte auch an die Medien appellieren: Überlegen Sie, was Ihre Verantwortung ist. Die Bevölkerung hat den Anspruch darauf, dass in den Medien verschiedene Meinungen zumindest vorkommen – besonders in denjenigen, die von Gebühren finanziert werden.“
Es gibt einen größeren Zusammenhang dahinter
Wie hört sich das in deinen Ohren an? Kritiker von Merz hörten hier einen Rechtspopulisten, einen, der versucht, die Sprache der AfD zu kopieren. „Kreuzberg“ mit seinem hohen Migrant:innenanteil sei in diesem Kontext eine rassistische Anspielung, eine sogenannte Dog Whistle. Merz hätte ja auch das (eher weiße) „Berlin-Mitte“ als Symbol nutzen können, wenn er schon unbedingt den Stadt-Land-Konflikt bespielen will. Und seine Angriffe auf die Medien? Ja, das sei klarer Rechtsaußen-Sound, wie wir ihn von Trump kennen, so die Kritiker.
Mir geht es in diesem Beitrag nicht darum zu bestimmen, ob diese Einschätzungen richtig sind (in der Tendenz halte ich sie aber für zutreffend). Mir geht es um die Aufregung und Beachtung, die diese Rede erhielt und die selbst Gegenstand von Kritik war. Dabei ist sie berechtigt.
Denn es gibt einen größeren Zusammenhang dahinter.
Die Frage, ob die CDU eine Partei der gemäßigten Mitte bleibt oder offen nach rechts abbiegt, hat historische Dimensionen. Gerade, weil die CDU eine sehr wichtige Partei für Deutschland ist. Sie hat fünf Kanzler gestellt und Dutzende Ministerpräsidenten. Sie war eine für das demokratische Deutschland staatsbildende Kraft und ist jetzt eine zentrale Stütze dieser Demokratie. Bricht diese Stütze nach rechts weg, hat das in einem strukturkonservativen, immer älter werdenden Land mit Hitler-Vergangenheit Folgen, die wirklich alle Menschen in diesem Land betreffen.
Das wissen auch Menschen, die eher nicht CDU wählen
Das wissen auch viele Menschen, die nicht zum CDU-Milieu gehören. Ich habe mal in unser Krautreporter-Archiv geschaut: Über die CDU oder den Konservatismus haben im Laufe der Zeit fünf verschiedene Autoren für uns geschrieben. Dabei sind bei uns mehr Texte erschienen als über Linkspartei, Grüne und SPD zusammen.
Alle Autoren haben erkannt, dass die CDU vor einer großen Entscheidung steht: Soll sie Meloni-Kurz-Johnson-LePen kopieren und nationalkonservativer werden, oder bleibt sie eine Partei, wie die frühere Vorsitzende Angela Merkel sie geformt hat, die „machtpragmatisch“ überall dorthin springt, wo die wahrgenommene Mitte Deutschlands ist und damit in der Vergangenheit sehr erfolgreich war.
Darauf muss der Rest Deutschlands in den kommenden Wochen und Monaten achten. Aber eigentlich muss auch jeder darauf achten, der sich um die CDU sorgt. Denn egal, in welches Land man schaut: Wenn die traditionellen konservativen Parteien die Rechtspopulisten einfach kopiert haben, sind nicht die Rechtspopulisten in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, sondern die traditionellen konservativen Parteien.
Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert