Wer süß-sauer hört, denkt meist zuerst an die chinesische Küche. Dabei ist diese Idee auch hierzulande heimisch. Der klassische deutsche Sauerbraten zum Beispiel müsste eigentlich Süßsauerbraten heißen, denn die Beize, die das Fleisch zart macht, enthält neben Essig und Gewürzen eben auch süßende Zutaten. Manchmal sind es Rosinen, beim badischen Sauerbraten kommen Lebkuchengewürz oder gar ganze Lebkuchenstücke zum Einsatz.
Da Sauerbraten früher aus zähem Pferdefleisch gemacht wurde, war das Beizen unumgänglich. Pferd landet heute nur noch selten auf dem Teller, aber Sauerbraten gibt es immer noch, jetzt eben meist aus Rind, denn das scheinbar widersprüchliche Aroma hat über die Jahrhunderte nichts von seinem Reiz verloren.
Was ein deutscher Braten mit einem italienischen Gemüse zu tun hat
Sauerbraten mit Klößen war ein Leibgericht meiner Kindheit. Meine Mutter hat quer durch alle Küchen gekocht: Sie konnte schwäbische Hausmannskost genauso wie indische oder thailändische Currys. Oder das fantastische, aber nicht gerade ansehnliche Gericht, das meine Schwester und ich zuhause immer nur „Auberginenmatsch“ nannten. Erst vor kurzem erfuhr ich, dass dieser vegane Brei tatsächlich „Auberginencaviar“ heißt. Der Name wurde wohl erfunden, um von dem fragwürdigen Aussehen abzulenken. Der Geschmack (mit Dill, viel Knoblauch und Zitrone) war nämlich über jeden Zweifel erhaben.
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Die Sizilianer rüschten schon vor Urzeiten das bescheidene Multitalent Aubergine mit süß-saurer Sauce auf. Sie brachten genau diese beiden Zutaten zusammen, die ich schon im Kindesalter liebte. Vermutlich aus der arabischen Welt kam die Kombination aus Süßem und Saurem nach Italien. Dort heißt sie aber andersrum, nämlich Agrodolce, also sauer-süß. Diese Benennung ist eigentlich treffender, denn der süßsaure Geschmackseindruck ist meist tatsächlich zuerst sauer; was dann aber bleibt, ist eindeutig süß.
Das ist die allerbeste Sauce
Agrodolce bezeichnet aber nicht nur eine Geschmacksrichtung, sondern ist auch der Name einer unglaublich vielseitigen Sauce, die man hierzulande vermutlich am ehesten von den eingelegten Antipasti-Zwiebelchen kennt. Immer wenn ich diese von der Sauce fast schwarz gefärbten Zwiebeln sehe, muss ich sie sofort aufessen. Von mir aus könnten Zwiebeln in Agrodolce ein Hauptgericht sein, so sehr mag ich diese Sauce!
Zum Glück hat man in Sizilien für Leute wie mich eine bessere Speise zum Transport des süß-sauren Aromas, nämlich die Caponata! Manche sagen, Caponata sei einfach sizilianische Ratatouille, aber nach dieser Logik ist ein Cheeseburger auch einfach ein amerikanisches Käsebrot.
Die Caponata ist ein sauer-süßes Gemüseragout mit der Hauptzutat Aubergine. Das Gericht gehört zum Besten, was diesem Gemüse passieren kann (und ihm ist ja nun schon so viel Gutes passiert: griechisches Moussaka, das indische Püree Baingan Bharta oder das chinesische Schmorgericht Yu Xiang Qie Zi). Die Caponata kann man kalt, lauwarm und heiß essen (lauwarm ist am besten). Sie kann problemlos vegan zubereitet werden und ist überhaupt eine hervorragende Vertreterin zeitloser Gemüseküche.
Ein Gericht so divers wie die Gesellschaft, aus der es kommt
Im Gegensatz zu dogmatischen Rezepten wie Carbonara gibt es nicht die eine, richtige Caponata. Im Gegenteil: Ihr Variantenreichtum fächert sich so weit auf wie die sizilianische Gesellschaft. Es gibt alles von der Arme-Leute-Variante mit Kartoffeln bis zur Adels-Caponata mit Hummer oder Tintenfisch, auch bitterer Kakao steht manchmal auf der Zutatenliste. Aber so lange Auberginen drin sind und die Agrodolce, ist es eine Caponata.
Der einzige Grund, warum dieses Gericht nicht so berühmt ist wie andere italienische Spezialitäten, liegt in seiner relativen Unansehnlichkeit. Wenn man Caponata im Restaurant bestellt, merkt man oft, wie sich die Küche redlich müht, diesen braunen Matsch irgendwie auf dem Teller zu verstecken. Eine gute Lösung ist es, die Caponata als Bett für einen Klops Burrata (den feineren Mozzarella) zu verwenden. Dann sieht der Matsch besser aus und man hat auch ohne Mehrarbeit ein vollständiges Gericht, insbesondere zum Herbstbeginn empfehle ich dieses wärmende, leicht scharfe Ragout. Etwas Weißbrot dazu und alles wird gut!
So muss die Aubergine sein, damit das Gericht hinhaut
Bevor du deine Version der Caponata zubereitest, hier zwei wichtige Hinweise zur Aubergine:
Erstens: Die Caponata ist ein Ragout – kein Brei. Die einzelnen Bestandteile müssen identifizierbar sein. Was nicht passieren darf: feste oder gar zähe Aubergine. Sie muss unbedingt weich gekocht werden! Sonst wird das ganze Gericht ungenießbar.
Zweitens: Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Aubergine vor der Zubereitung mit Salz entwässert werden soll. Das Entwässern frisst nämlich Zeit und wird in einigen Rezepten weggelassen. Mein Freund Jamil, der für diesen Beitrag mehrere Caponatas testgekocht hat, ist Team Entwässern: Weil eine zu feuchte Aubergine sich nur schlecht anbraten lässt und dann nicht richtig braun wird, also nicht karamellisiert. Aber das soll passieren, auch wenn sie danach richtig weich gekocht wird.
Die Caponata wird durch das nächtliche Ziehen im Kühlschrank im Übrigen deutlich besser, insofern besser am Vortag zubereiten. Und dann immer wieder!
Caponata (4 Portionen als Vorspeise oder Beilage)
Reine Zubereitungszeit 45 Minuten; vorher 1 Stunde für das Entwässern der Aubergine, danach mindestens 1 Stunde im Kühlschrank ziehen lassen, noch besser über Nacht.
Zutaten
- 2 mittelgroße Auberginen (ca. 800 Gramm)
- 1 gelbe oder rote Zwiebel
- 2 Stangen Sellerie
- 2 Esslöffel Kalamata-Oliven
- 2 Esslöffel Kapern
- 2 Esslöffel Rosinen, am besten helle
- 1 kleine Dose geschälte Tomaten
- 2 EL Tomatenmark
- 1 bis 2 Anchovis oder 2 Spritzer No-Fish-Sauce
- 1 Prise Chiliflocken
- 3 Esslöffel Salz zum Entwässern der Auberginen
- 1 Esslöffel raffinierter Zucker
- 2-3 Esslöffel Olivenöl
- 25 Gramm Pinienkerne oder Mandeln
- 10 Blätter frischer Basilikum
- 1 Esslöffel Rotweinessig
- Salz und Pfeffer
Utensilien
- Schneidebrett und Messer
- Schüssel mit mindestens. 1 Liter Fassungsvermögen
- Nudelsieb
- große Pfanne
Zubereitung
- Auberginen waschen, abtrocknen und in Würfel schneiden (Kantenlänge ca. 2 Zentimeter). 3 Esslöffel Salz ordentlich untermengen. Auberginen in einem Nudelsieb eine Stunde lang abtropfen lassen. Dabei kann es helfen, wenn man die Auberginen beschwert, zum Beispiel mit einem Teller, auf den man eine Konservendose stellt.
- In der Zwischenzeit die Pinienkerne oder Mandeln ohne Fett in der Pfanne bei niedriger Temperatur leicht anrösten. Wenn die Pinienkerne oder Mandeln leicht gebräunt sind und duften, sind sie fertig geröstet. Aus der Pfanne nehmen und beiseite stellen.
- Zwiebel und Sellerie würfeln.
- Oliven entsteinen, grob hacken.
- Haben die Auberginen eine Stunde im Salz gelegen, werden sie jetzt nochmal leicht ausgepresst, um das restliche Wasser loszuwerden. Anschließend das Salz mit klarem Wasser von den Auberginenwürfeln waschen. Würfel abtrocknen und beiseite stellen.
- Olivenöl, Zwiebeln und Sellerie mit etwas Salz und Pfeffer in der Pfanne bei mittlerer Hitze anbraten, bis der Sellerie weich geworden ist,etwa 5 bis 10 Minuten.
- Auberginenwürfel dazugeben. Nochmal etwas salzen und pfeffern. Anbraten, bis die Aubergine braun ist. Ggf. die Hitze etwas erhöhen.
- Tomatenmark und Anchovis oder No-Fish-Sauce hinzugeben und zusammen anbraten, bis das Tomatenmark rotbraun wird, etwa 8 Minuten.
- Chiliflocken hinzugeben und etwa 30 Sekunden mit erhitzen.
- Tomaten hinzugeben und mit dem Kochlöffel zerteilen, sodass keine ganzen Tomaten mehr zu erkennen sind.
- Rosinen, Zucker, eine weitere Prise Salz und etwas Pfeffer hinzugeben, gut umrühren und 20 Minuten ohne Deckel bei kleiner bis mittlerer Hitze leicht köcheln lassen. Es sollen sich nur vereinzelt Blasen bilden. Regelmäßig umrühren.
- Wenn die Auberginen völlig weich sind, die Oliven und die gerösteten Pinienkerne oder Mandeln, den Rotweinessig und die Kapern hinzugegeben und 3 bis 5 Minuten zusammen erhitzen.
- Pfanne vom Herd nehmen, Basilikumblätter leicht zerrupfen und unterheben. Caponata in eine Schüssel geben und abkühlen lassen. Ist die Caponata etwas abgekühlt, die Schüssel mit einem Teller o.ä. abdecken und für mindestens eine Stunde in den Kühlschrank stellen, besser noch über Nacht.
- Die Caponata bei Zimmertemperatur oder leicht erwärmt mit Weißbrot (und zum Beispiel Burrata) servieren.
Mitarbeit: Jamil Yassine, Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert