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Vor drei Jahren veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Liste der zehn größten Gesundheitsbedrohungen. Auf Platz fünf: Resistenzen von Erregern. Die WHO sagte damit, dass Infektionskrankheiten lebensgefährlich sind.
Eine Studie aus dem Jahr 2022 zeigt, wie lebensgefährlich. Demnach gingen 2019 weltweit 4,95 Millionen Tote. Und 1,27 Millionen Todesfälle werden mit Antibiotika-Resistenzen assoziiert.
Mit circa 100 Toten pro 100.000 Einwohner:innen gehören bakterielle Infektionen zu den häufigsten Todesursachen. In Afrika südlich der Sahara sind es sogar 230 Tote pro 100.000 Einwohner:innen. In den reichen Regionen der Erde sterben hingegen 52 pro 100.000 Menschen an Infektionen.
Das macht auch Krautreporter-Leserin Andrea nervös. Sie fragt: Wie ist das mit den Antibiotika-Resistenzen, von denen man immer liest? Sind davon auch Menschen betroffen, die in ihrem Leben sehr wenig oder vielleicht niemals Antibiotika genommen haben?
Aus Andreas Frage lese ich noch zwei weitere: Wie kann ich mich vor der Gefahr schützen, die durch resistente Erreger entsteht? Und: Hilft es, wenn ich möglichst wenig Antibiotika nehme?
Bei diesem Thema ist aber nicht nur interessant, was jede:r selbst tun kann, sondern auch, was Gesundheitsbehörden tun. Deshalb geht es am Schluss des Textes auch um die Frage von Krautreporter-Leserin Heike: Was unternimmt die Bundesregierung gegen die zunehmenden Antibiotikaresistenzen?
Danke an alle, die mir bereits eine Frage zugeschickt haben. Hast du auch eine Frage? Mach hier mit bei meiner Umfrage!
Machen wir aber erst einmal einen Sprung zurück: Es ist noch gar nicht lange her, da waren Infektionskrankheiten die Todesursache Nummer eins. Erst 1928 fand der schottische Bakteriologe Alexander Fleming einen Pilz, der antibiotische Wirkung hatte – sprich: einen Pilz, der in der Lage war, Bakterien zu töten. Fleming entdeckte den Wirkstoff Penicillin. Mit dieser Entdeckung veränderten sich die Möglichkeiten, Infektionen zu behandeln, grundlegend. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte die Wissenschaft weitere Antibiotika und die meisten Menschen dachten, Infektionskrankheiten seien für immer besiegt.
Das stimmte zwar noch nie, weil es Bakterien gibt, die unempfindlich gegenüber bestimmten Antibiotika sind. Außerdem entstehen nicht alle Infektionskrankheiten durch Bakterien. Schließlich gibt es auch Viren, gegen die wir nur begrenzt wirksame Medikamente kennen.
Dennoch ist heute die Sorge groß, dass die Menschheit im Kampf gegen Infektionen wieder ins Hintertreffen geraten könnte. Denn es gibt immer mehr Bakterienstämme, die gegen gängige Antibiotika unempfindlich werden. Besonders multiresistente Keime sind eine Gefahr, weil gegen sie manchmal gar kein Antibiotikum mehr hilft.
Allein im Jahr 2019 waren multiresistente Erreger (MRE) für weltweit 1,27 Millionen Todesfälle direkt verantwortlich und mit weiteren 3,68 Millionen zumindest assoziiert. Ein Beispiel: Tuberkulose. 2017 waren weltweit bereits 600.000 Fälle von Tuberkulose bekannt, bei denen das wichtigste Medikament nicht mehr wirkte. Noch schlimmer war aber, dass bei 82 Prozent dieser Patienten gleich mehrere Präparate versagten.
Doch werfen wir, bevor es um die Multiresistenzen geht, einen Blick in die Trickkiste der Antibiotika.
Antibiotika sind Killer-Queens
Bakterien kommen überall vor – sogar auf und in unserem Körper. Es sind winzige Lebewesen, mit denen wir zusammen leben. Jeder Mensch trägt circa 39 Millionen Bakterien mit sich herum. Und viele von ihnen sind äußerst nützlich: Sie helfen uns, Nahrung zu verdauen und Angriffe von Pilzen und anderen Erregern abzuwehren.
Wie alle Lebewesen nehmen Bakterien Nahrung auf, verstoffwechseln sie und vermehren sich. Das alles bietet Angriffspunkte für Antibiotika. Diese können an verschiedenen Stellen jener Vorgänge eingreifen: Etwa, indem sie den Aufbau der Zellwände stören, sodass die Bakterien platzen. Oder, indem sie den Stoffwechsel behindern, sodass Bakterien ihr Erbgut nicht mehr ordentlich kopieren und aufbauen können. Oder aber, indem sie das Erbgut direkt schädigen.
Da Antibiotika jedoch nicht zwischen “bösen” und “guten” Bakterien unterscheiden können, kommen bei jeder Antibiotika-Einnahme auch nützliche Bakterien zu Schaden. Deshalb ist es so wichtig, im Einzelfall abzuwägen, ob ein Antibiotikum notwendig ist und wenn ja, welches. Zudem spielt der Gesundheitszustand der Patientin oder des Patienten eine Rolle, ebenso wie andere Medikamente, die sie bereits einnehmen.
Antibiotika einnehmen heißt: Man muss sich an Regeln halten
Alles aufzuzählen, was bei der Einnahme von Antibiotika zu beachten ist, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Aber die wichtigste Regel lautet, die Medikamente genau so einzunehmen, wie es dein Arzt oder deine Ärztin anordnet. Das bezieht sich auf die Dosis, die Dauer, den Zeitpunkt und auf Dinge, die du während der Einnahme vermeiden solltest.
In der Regel sollten Antibiotika mit Wasser und nicht mit Milchprodukten und Säften eingenommen werden. Man sollte die Tabletten nicht teilen. Und du solltest dich vor der Einnahme erkundigen, ob du sie auch dann nehmen kannst, wenn du gleichzeitig Nahrungsergänzungsmittel schluckst, da Kalzium beispielsweise die Wirkung hemmen kann.
Außerdem sollte die verordnete Menge an Tabletten aufgebraucht werden, auch wenn die Krankheitssymptome bereits verschwunden sind. So verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass Krankheitserreger überleben und Strategien entwickeln, wie sie unempfindlich gegenüber dem Wirkstoff werden. Schließlich versucht man mit Antibiotika, die Krankheitserreger im Körper auszurotten.
Was ist eine Resistenz?
Der Begriff Resistenz bedeutet Widerstand. Resistente Bakterien sind also widerstandsfähig gegen die Tricks der Killer-Queens geworden. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Manche Bakterien erwerben zum Beispiel durch zufällige Genveränderungen (Mutationen) eine neue Eigenschaft, die sie unempfindlicher gegen ein Antibiotikum macht. Geben sie diese neue Eigenschaft dann an ihre Nachkommen weiter, entsteht ein evolutionärer Vorteil, der dazu führen kann, dass irgendwann alle Bakterien dieses Stamms unempfindlich gegen dieses bestimmte Antibiotikum sind.
Und dann gilt: Je öfter dieses Antibiotikum eingesetzt wird, desto größer wird der Überlebensvorteil der resistenten Bakterien-Variante und desto erfolgreicher kann sie sich verbreiten.
Resistenzen entstehen also aus dem Zusammenspiel eines bestimmten Falls (vielleicht, weil du aus Sorge vor Nebenwirkungen zu früh mit dem Antibiotikum aufgehört hast), vielen Fällen (vielleicht, weil noch mehr Menschen wie du handelten) und einem strukturellen Problem: Weil generell zu schnell und zu oft Antibiotika eingesetzt werden (dazu gleich mehr).
An dieser Stelle wird klar: Andreas Frage beruht auf einem Mythos. Denn es sind nicht die Menschen, die resistent gegen Antibiotika werden. Es sind die Bakterien. Aber menschliche Fehler können dazu beitragen, dass sich ein Mensch mit resistenten Keimen infiziert und darauf hoffen muss, dass ein anderes Antibiotikum noch gegen seine Erreger wirkt.
Warum nehmen Resistenzen zu?
Es gibt circa 15 verschiedene Antibiotika-Gruppen. Eigentlich sind das genug, um in zahlreichen Fällen eine wirksame Alternative zu finden. Doch im Laufe der Zeit haben immer mehr Bakterien Resistenzen gegen mehrere Antibiotika entwickelt. Das sind die gefürchteten Multiresistenzen. Sie nehmen zu. Ein Indiz dafür: Laut der Krankenkasse AOK wurden 2019 in 18 Millionen Fällen Reserve-Antibiotika verschrieben. Diese sind eigentlich für den Notfall gedacht und sollen nur ausnahmsweise eingesetzt werden.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum es schwieriger wird, wirksame Alternativen zu finden: Es kommen zu wenig neue Antibiotika auf den Markt. Und damit verringern sich die Chancen, neue Wirkstoffe gegen multiresistente Keime zu finden. Dieser sehr hörenswerte Podcast erklärt die Schwierigkeiten rund um die Antibiotika-Entwicklung.
Weil Antibiotika so wirksam und inzwischen auch sehr billig sind, werden sie insgesamt leider zu oft verwendet. Das kann verschiedene Gründe haben: Manchmal liegt es daran, dass das Arztgespräch nicht gut läuft. Manchmal werden sie bei Krankheiten gegeben, gegen die sie gar nicht wirken, etwa bei Erkältungssymptomen (dafür sind Viren verantwortlich). Manchmal werden sie auch zu früh verschrieben, zum Beispiel bei Blasenentzündungen, die vielleicht mit Ruhe und Schmerzmitteln von allein besser geworden wären.
In Deutschland werden in der Humanmedizin pro Jahr circa sechs Tonnen unnötige Antibiotika verordnet. Eine Studie stellte fest, dass Ärzt:innen elf Prozent weniger Antibiotika verschrieben, wenn sie zuvor ein spezielles Kommunikationstraining erhalten hatten.
Ein Problem ist auch, dass viele Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt werden. Ein Bereich, der stark in der Kritik steht, ist die Massentierhaltung. Doch auch hier muss man differenzieren: Erreger können nicht nur durch unnötige Antibiotika gefährlicher werden, sondern auch, wenn sie die Chance bekommen, durch den Kontakt mit verwandten Stämmen neue, gefährlichere Eigenschaften zu erwerben.
Das passiert schneller, wenn unterschiedliche Tierarten auf engem Raum zusammen leben. Das kommt in ärmeren Ländern viel öfter vor als in Deutschland. Zudem fehlt es dort häufig an Kontrollen. Und Antibiotika sind zum Teil an jeder Straßenecke zu haben (zum Beispiel in Pakistan). Das birgt ein hohes Risiko für die Infektionskontrolle auf der ganzen Welt. Denn resistente Erreger reisen mit den Menschen mit.
Diese Regeln helfen gegen Resistenzen
Antibiotika werden in der Landwirtschaft und in Aquakulturen, in der Human- und in der Tiermedizin eingesetzt. Als Folge findet man in all diesen Bereichen resistente Erreger. Da die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt stark miteinander verknüpft ist, kann jedes unnötige Antibiotikum am Ende Menschen schaden. Kein Wunder, dass Krankenhäuser ein Hotspot für MRE sind. Hier infizieren sich besonders oft Menschen mit multiresistenten Keimen. Und hier kann man besonders effektiv Infektionen verhindern.
Das zeigt das Beispiel Niederlande. Dort sind nur circa ein Prozent der Infektionsfälle in Krankenhäusern MRE-Infektionen (in Deutschland sind es elf Prozent). Dieser Erfolg beruht auf der Einhaltung strikter Leitlinien. Auch in Deutschland gibt es Leitlinien, um MRE-Infektionen in Krankenhäusern zu vermeiden und zu bekämpfen. Eine Bedingung dafür ist jedoch ausreichend qualifiziertes Personal, das diese Leitlinien auch umsetzt. Und hier läuft bekanntermaßen einiges schief: Der Pflegenotstand und die prekäre wirtschaftliche Lage vieler Kliniken verleiten sie zu oft dazu, fachliche Standards hintenan zu stellen.
Was ist der One-Health-Ansatz?
International verfolgt man bei der Bekämpfung von Resistenzen den sogenannten One-Health-Ansatz. Er berücksichtigt, dass Keime aus allen Lebensbereichen und aus jeder Region der Erde überall auf der Welt Probleme erzeugen können. One Health heißt: Die Gesundheit eines Lebewesens hängt von der aller Lebewesen ab.
Auch Deutschland versucht, diesen ganzheitlichen Ansatz umzusetzen. Seit April 2023 gibt es dafür eine Strategie des Bundesgesundheitsministeriums. Sie nennt sich DART 2030 und besteht aus sechs Punkten. Es beginnt damit, Infektionen zu vermeiden, zum Beispiel durch regelmäßiges Händewaschen und die empfohlenen Impfungen. Dazu kann jede:r beitragen. Aber auch die Fachwelt soll sich mehr anstrengen: weniger Antibiotika, mehr passgenaue Antibiotika, eine bessere Überwachung von Infektionen, neuen Erregern und Resistenzen und schließlich eine bessere Zusammenarbeit der einzelnen Beteiligten.
Das hört sich gut an, aber so lange die vorhandenen Antibiotika vergleichsweise billig sind und zu wenig wirksame neue Antibiotika entwickelt werden, wird es wohl schwierig bleiben. Vielleicht helfen Projekte wie dieses aus dem Saarland. Dort bitten Forscher:innen alle, die Lust dazu haben, im Matsch zu wühlen und ihnen Bodenproben zu schicken, da in diesen besonders viele Bakterien stecken. Vielleicht finden die Wissenschaftler:innen ja so die nächste Killer-Queen?
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Die Zahlenangaben im zweiten Absatz wurden am 8. August 2023 korrigiert.
Redaktion: Andrea Walter, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert