Auf dem Bild sieht man eine Stadt mit einem Fluss, die modern aussieht und sehr grün ist

AI GENERATED IMAGE - KI GENERIERTES BILD: Midjourney

Klimakrise und Lösungen

Energiewende geschafft!

Das ist ein Text für alle Leute, die denken: Wie soll das jemals funktionieren? Er beschreibt einen Tag aus eurem Leben im Jahr 2040.

Profilbild von Ein Buchauszug von Jan Hegenberg

Es gibt so viele Zweifel an der Energiewende, dass es schade ist, dass wir sie nicht in Strom umwandeln können. Denn dann hätten wir die Energiewende schon längst gemeistert.

Das wichtigste Bedenken: Viele Menschen, darunter auch einige Mitglieder von Krautreporter, können sich nur schwer vorstellen, dass wir eines Tages ein hoch industralisiertes Land wie Deutschland ausschließlich mit Energie aus CO₂-freien Quellen versorgen können. Diese Skepsis ist gut, weil sie zeigt, wo Wissenschaft und Wirtschaft noch bessere Antworten liefern müssen. Diese Skepsis ist aber auch schlecht, weil sie verdeckt, wie weit wir eigentlich schon bei der Energiewende gekommen sind und was bald alles möglich sein wird. Selbst ich werde davon immer wieder überrascht – und bisher hat noch niemand in meinen Augen die gerade entstehende Energiewelt besser, unterhaltsamer und leichter verständlich auf den Punkt gebracht als Jan Hegenberg.

Jan schreibt seit Jahren über die Energiewende, auch in seinem ersten Buch „Weltuntergang fällt aus“. Ich habe daraus ein Kapitel ausgesucht, das einen Tag im CO₂-neutralen Deutschland im Jahr 2040 beschreibt. Es ist witzig geschrieben, es ist konkret und bleibt in Erinnerung. Jan beschreibt darin, warum wir die Nachbarn in dieser neuen Welt bald öfter grüßen werden und wie Bakterien dabei helfen werden, vielleicht nicht das drängendste, aber ein auch nicht ganz unwichtiges Problem zu lösen: wie wir die Kaffeeversorgung in einer immer heißeren Welt sicherstellen. Viel Spaß beim Lesen!


Tja, würdet ihr per Zeitmaschine 17 Jahre in diese Zukunft reisen, wäre das Überraschendste vermutlich, wie viele Dinge im Alltag scheinbar vollkommen unverändert geblieben sind.

Es ist das Jahr 2040: Die Klimaneutralität ist erreicht, Putin sitzt im Knast und günstiger Strom fließt in Massen

Im Hintergrund wurde natürlich richtig in die Hände gespuckt, sodass jetzt die komplette Energiewirtschaft anders funktioniert, aber wenn ihr an einem kühlen Aprilmorgen aufsteht, barfuß in die Küche schlurft und an der Kaffeemaschine die Wärme der Fußbodenheizung genießt, könntet ihr fast den Eindruck bekommen, es sei immer noch 2023: Die Bude ist warm und hell, der Kaffee heiß und die Schlagzeilen der Tagesschau flimmern über das Display des Kühlschranks.

  • EU-Kommissionspräsident Rezo verkündet europäische Klimaneutralität.

  • Wieder massive Demonstrationen vor Landtag in Dresden für mehr Windkraft, Ministerpräsident Michael Wendler hat sich seit fast 60 Tagen im Keller der Staatskanzlei verbarrikadiert.

  • Wladimir Putin beschwert sich erneut via Tiktok über „übelriechenden“ Gefängnisfraß in Den Haag.

  • Deutscher Filmpreis geht an „Sixpack Romance“ von und mit Matthias Schweighöfer.

Okay, es ist 2040 nicht alles besser. Aber die Wohnung ist angenehm temperiert, und eure Kaffeemaschine arbeitet brav vor sich hin, ohne dass dabei ein Gramm CO2 entsteht. Dafür passiert natürlich eine Menge im Hintergrund: Um euren Wohnort Rostock herum wurden in den letzten 20 Jahren moderne Windkraftanlagen errichtet, die zusammen mit den anderen Anlagen im Land viermal so viel Strom erzeugen wie 2020.

Es sind mehrheitlich recht große Anlagen, die viel Strom pro benötigter Fläche erzeugen, sodass es trotz des Zubaus mehr Wald und ausgedehnte Naturschutzgebiete gibt als früher. Durch die nochmals gestiegene Effizienz der Technik ist seit letzter Nacht deswegen mehr Windstrom im deutschen Netz, als insgesamt benötigt wird. Dazu bedarf es keines Sturms oder so, denn für den April typische, durchschnittliche Winderträge übersteigen jetzt bereits den gesamten Bedarf.

Damit all der Strom auch genutzt werden kann, laufen die Verbraucher gerade auf Hochtouren: Eine Flotte von E-Bussen, E-Lkw und E-Autos werden aufgeladen, große Maschinen in Fabriken zersägen, walzen, erhitzen und schmelzen gerade Rohstoffe und lagern diese dann zwischen, Recyclingbetriebe zerhäckseln alte Batterien, Elektrostahlwerke mit Lichtbogenofen fahren ihre Temperatur hoch, weil der Strom aktuell zu billig ist, um das alles nicht zu tun.

Mehr zum Thema

Zumindest bei euch im Norden ist das der Fall, im Süden weht der Wind heute eher schwach und es ist neblig, folglich liefern Sonne und Wind weniger Energie. Der Strom im süddeutschen Netz ist dadurch an diesem Tag etwas teurer als im Norden, sodass alle Privatleute und Firmen abwägen, welche Verbraucher sie anstellen und welche bis morgen ausbleiben oder mit eigenen Batteriespeichern versorgt werden.

Damit es auch in Wohnungen und Fabriken in Süddeutschland hell und warm bleibt, kommt dort zusätzliche Energie aus mehreren Quellen an:

  • Zu dieser Zeit ist viel Biomassestrom im Netz. Anstatt wie im Jahr 2022 nach indonesischem Mondkalender zu laufen, wurde den Biomasse-Kraftwerken eine intelligente Steuerung spendiert, sodass sie ihre wertvolle Leistung besonders dann erbringen, wenn sie am dringendsten gebraucht wird: bei Flaute und nachts.

  • Es laufen Gaskraftwerke, die anstatt mit Erdgas mit grünem Wasserstoff, grünem Methan oder einem anderen, im Sommer hergestellten Gas Strom erzeugen. Unsere früheren Erdgasspeicher haben wir nun am Ende des Septembers zu 95 Prozent mit synthetisch hergestelltem Gas gefüllt. Früher hätte das „nur“ für ein Viertel des Jahresverbrauchs gereicht, aber da die meisten Unternehmen ihren Wärmebedarf für die Produktion aus Kostengründen von Gas auf Strom umgestellt haben und unsere Wohnungen und Häuser nur noch an sehr kalten Tagen mit Verbrennung die Wärmepumpen unterstützen, reichen die Gasspeicher theoretisch für den kompletten Winter.

  • Ein Teil des Windstroms aus Norddeutschland oder dem Ausland wird per neu gebauter Hochspannungskabel relativ verlustfrei nach Süddeutschland übertragen.

An so einem Tag braucht der Süden außerdem weniger Strom, weil der leicht erhöhte Strompreis die Menschen dazu motiviert, die Energie cleverer zu nutzen. Wer ein E-Auto, einen E-Lkw oder andere batteriebetriebene Maschinen im Fuhrpark hat, die in der Regel nur alle fünf Tage aufladen müssen, checkt die Wettervorhersage und wartet mit dem Laden lieber die zwei Tage, bis der Nebel sich wieder verzogen hat, das Wetter windiger und sonniger und die Energie damit billiger wird. Beziehungsweise tut das niemand manuell, das wird von ein paar schlauen Steuergeräten übernommen, die unseren Bedarf kennen.

Nach britischem Vorbild: „Unser Kraftwerk, unser Vorteil“

Die bayerische Landesregierung hatte sich lange gegen diese Ausbaupläne gewehrt, stattdessen sollte die fehlende Energie mithilfe vieler Gebete und positivem Denken erzeugt werden. Nach der Strommarktreform im Jahr 2023 jedoch, durch die der Strom auf einmal pro Bundesland unterschiedlich viel kostete, drohten mehrere große Firmen, darunter BMW, Audi und Siemens, ihre neuen Werke im Norden und Westen zu errichten. BMW hatte sogar schon eine PR-Kampagne entworfen, um sich in „Brandenburger Motorenwerke“ umzubenennen, woraufhin Bayern sich vom Konzept „Beten für Strom“ verabschiedete und ebenfalls in Windkraft und saisonale Speicher investierte.

Um auch die Bevölkerung für die neuen Anlagen zu begeistern, wurde das Programm „Unser Kraftwerk, unser Vorteil“ ins Leben gerufen, das nach britischem Vorbild die Bevölkerung in der Nähe von Windenergiestandorten automatisch an der Vergütung beteiligt, indem ihr Strom billiger ist als im Rest des Landes. Immer mehr Kommunen bewarben sich seitdem aktiv für Projekte, sodass das Rückgrat der Stromerzeugung viel gleichmäßiger im Land verteilt werden konnte.

In eher windschwachen Jahren importiert die EU zusätzlich noch synthetische Kraftstoffe aus Ländern mit Standortvorteilen, um vollständig von Öl und Gas unabhängig zu bleiben, Kommissionspräsident Rezo kündigte aber bereits an, auch diese Energiemengen in Zukunft auf den vier Millionen Quadratkilometern der EU ernten zu wollen.

Über all das denkt ihr aber gar nicht groß nach, es ist so selbstverständlich geworden wie die Jahreszeiten und primär Thema unfassbar langweiliger Bundestagsausschüsse und nerdiger Podcasts. Die direkte Auswirkung auf euren Alltag sind hauptsächlich viel stabilere Energiepreise, denn die Höhe des Erdölpreises hat auf die deutsche Wirtschaft mittlerweile so wenig Auswirkung, dass Jugendliche auf das Wort „Ölpreis“ ähnlich verwirrt reagieren wie heutige auf das Konzept eines Wählscheibentelefons. Ihr genießt ferner eine seit dem Mittelalter nicht mehr so saubere Atemluft, wodurch Asthma und andere Erkrankungen der Atemwege auf ihrem Tiefststand seit Aufzeichnungsbeginn liegen.

Die Straßennetze funktionieren anders

So, der Kaffee ist ausgetrunken und ihr macht euch für die Arbeit fertig, denn ihr habt heute noch einiges vor. Spätestens dann, wenn ihr vor die Tür tretet, wird ganz offensichtlich, dass das nicht mehr 2022 ist. Es ist nämlich viel, viel leiser. Selbst an den Hauptstraßen einer Großstadt wie Rostock sind auf einmal Geräusche wahrnehmbar, die über Jahrzehnte wie selbstverständlich vom Verkehrslärm überlagert wurden: Ihr hört Vogelgezwitscher, das Rauschen der Bäume im Wind, das Geplätscher eines Springbrunnens im Vorgarten, das Lachen von Kindern auf dem Weg zur Schule.

Wo sich vor 18 Jahren noch Tausendschaften großer Autos, besetzt mit jeweils einer (oftmals recht unzufriedenen) Person darin, durch die Straßen gequält haben, ist das Straßenbild heute kaum wiederzuerkennen: Es sind nur ein paar wenige Autos und Lieferwagen zu sehen, die aufgrund ihres Antriebs leise und emissionsarm durch die Gegend surren. Keine Zweitakt-Mopeds knattern durch die Straßen, keine schweren Dieselaggregate wummern in euren Ohren, niemand versucht sein wackeliges Selbstvertrauen durch aggressives Anfahren in hohen Drehzahlen zu kompensieren. Es herrscht geschäftige Betriebsamkeit und dennoch lädt der Ort zum Verweilen ein anstatt zum Durchhetzen und anschließendem Buchen eines Entspannungsurlaubs.

Die allermeisten Menschen sitzen in Bussen und Bahnen, fahren auf diverse Arten zweirädrig auf breiten, für sie reservierten Spuren, oder sie laufen auf großzügigen Gehsteigen. Nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Viele Städte wurden umgebaut, um auf die Auswirkungen der bereits stattgefundenen Erderwärmung vorbereitet zu sein, und so wurde den Stadtbäumen als natürlicher Klimaanlage viel mehr Budget und Fläche eingeräumt. Ampelschaltungen und Kreuzungen bevorzugen nicht mehr das Auto, sodass die neuen Wege durch begrünte, verkehrsberuhigte Gegenden viel mehr Menschen dazu einladen, sie aktiv zu erleben.

Wer mit dem Auto fahren will oder muss, kann das nach wie vor tun, aber die Straßennetze funktionieren im Jahr 2040 anders, sodass die Autofahrt innerhalb der Stadt immer der langsamere Weg sein sollte. Es gibt kaum direkte Verbindungen zwischen den einzelnen Vierteln, sondern stattdessen nach Vorbild der niederländischen Gemeinde Houten Ringstraßen, über die der Autoverkehr geleitet wird. Der schnellste Weg in Städten führt daher so gut wie nie über eine Autostraße, sondern über die vielen separaten Direktverbindungen, die nur Fahrrädern, Rollern, dem Fußverkehr und dem ÖPNV vorbehalten sind.

Im Kontrast zum Jahr 2022 seht ihr auf diesen Wegen Menschen aller Altersgruppen. Vom 6-jährigen Grundschulkind bis zur 80-jährigen Oma, vom Student im Rollstuhl bis zur Großfamilie werden die neuen Wege aufgrund ihrer Sicherheit eher angenommen als früher, was all diesen Menschen viel mehr Unabhängigkeit verschafft. Es gilt als altmodische Marotte, seine Kinder in den Sportverein oder zu Verabredungen zu fahren – erstens dauert das viel zu lange und zweitens sind die ja nicht aus Zucker und können da ganz einfach selbst hinradeln oder -laufen.

Auf dem Weg zum Büro grüßt ihr deutlich mehr Menschen als früher, denn im Jahr 2040 kennen wir wieder die Leute, die in unserer Straße leben. Wenn das Wetter es hergibt, sitzen benachbarte Familien zusammen an Tischen und Bänken auf der Straße, essen was, quatschen oder debattieren miteinander. Sie leihen sich gegenseitig Bohrmaschinen, Campingausrüstung, Hochdruckreiniger und Lastenräder, helfen sich gegenseitig und lassen ihre Kinder auf der Straße spielen.

Für all das gibt es genug Platz, seit dort keine Unmengen von Autos mehr stehen. Viele wurden abgeschafft, weil es in Städten zunehmend unpraktisch und umständlich war, ein Auto nur für ein paar Fahrten in der Woche selbst zu besitzen, andere werden in Parkhäusern oder außerhalb des Viertels an sogenannten Mobility-Hubs abgestellt. Das sind meist an größere Haltestellen des ÖPNV angegliederte Knotenpunkte, an denen es auch Autoparkplätze, Radverleihsysteme, Carsharing und Mikro-Depots für Speditionen gibt, von wo aus deren Lastenräder in alle Richtungen ausschwärmen.

In jeder Straße gibt es festgelegte Lieferzonen, deren Poller von DHL, DPD und all den anderen Firmen per Fernsteuerung abgesenkt werden können und deren Personal nicht mehr aus lauter Not auf Rad- und Fußwegen und in Kreuzungsbereichen halten muss. Die meisten Lieferungen in dicht besiedelten Regionen finden aber mit Lastenrädern statt, sodass die Lieferzonen oft genug leer sind. Wer in der gleichen Straße wohnt, kann die Poller deswegen per App selbst einmal pro Tag absenken, um etwas aus- oder einzuladen.

Leider könnt ihr heute nicht mit eurem Fahrrad ins Büro fahren. Erstens hat der Vorderreifen seit einer Woche einen Platten und zweitens geht es heute ausnahmsweise 40 Kilometer zum neuen Industriepark MeckPommLabs, wo eure neue Zweigstelle eröffnet wird. Was für ein Ding, fragt ihr? Ach ja, den gab es 2022 ja noch gar nicht. Das war so:

Billiger Strom macht neue Geschäftsmodelle möglich

Nachdem es sich bei den Kommunen rumgesprochen hatte, dass der Windkraftausbau für sie eine Menge Chancen bereithält, entstanden insbesondere an der Ostseeküste und im Inland zwischen Rostock und Greifswald so viele Windparks, dass die Region mehr Strom zur Verfügung hatte, als sie jemals sinnvoll verbrauchen konnte. Aus dem Problem, nicht genug klimaneutrale Energie zu erzeugen, wurde das „Problem“, sehr, sehr viel klimaneutralen Strom zur Verfügung zu haben.

Die Landesregierung konnte so ein vollkommen neues Förderungsprogramm für Firmen-Neugründungen auflegen: Unternehmen mit innovativen, nachhaltigen Konzepten werden in den ersten drei Jahren nach Gründung bei entsprechender Wetterlage mit kostenlosem Strom versorgt und zahlen auch nach dieser Frist weniger als irgendwo sonst im Land. In der Folge entstanden vollkommen neue Geschäftsmodelle, die mit den früheren Strompreisen schlicht nicht lukrativ waren und damit eben auch ein immer größer werdender Industriepark mitten im ehemaligen Nirgendwo an der A20.

War das Recycling von Plastik im Jahr 2022 eine Tätigkeit, die aufgrund der Kosten nur sporadisch mit sehr sortenreinen Kunststoffen stattfand, ist Plastikmüll im Jahr 2040 ein begehrter Rohstoff für alle möglichen Arten von Recycling-Kunststoffen. Erdöl kommt als Ausgangsstoff ja nicht mehr infrage, deswegen werden Kunststoffe in der Regel auf der gleichen Basis wie E-Fuels hergestellt: Aus regenerativem Strom und CO2 aus der Luft, was aber teurer ist, als bereits vorhandene Kunststoffe zu recyceln.

In der Folge wurde die bisherige globale Mülllogistik auf den Kopf gestellt: Anstatt weit entfernte Strände mit deutschen Tetrapaks und Kunststofffolien zu verunstalten, kommen nun regelmäßig Schiffsladungen voller Müll (der diesen Namen nicht mehr verdient) in Rostock an, um ihn 30 Kilometer weiter im Inland wieder in Kunststoffgranulat umzuwandeln. In der Folge wurde Mecklenburg-Vorpommern zu einer boomenden Region für Kreislaufwirtschaft und zieht nun Menschen aus ganz Europa an.

Aber das ist nur ein Beispiel, lasst uns das mal direkt vor Ort angucken. Ihr schnappt euch also ein Leihrad der Stadt, indem ihr euer Handy an das Fahrraddisplay haltet und seid in fünf Minuten zum Hauptbahnhof Rostock gefahren. Dort fragt euch die App für die Fahrradausleihe, ob ihr mit dem Zug weiterfahren wollt und weil sie eure beliebtesten Ziele kennt, wählt ihr direkt den Bahnhof von Tessin aus. Also nicht das Schweizer Kanton Tessin, sondern eine Kleinstadt gleichen Namens etwa 30 Kilometer östlich von Rostock.

Früher fuhren die Züge dorthin nur stündlich, was bisweilen frustrierend sein konnte, wenn man nach zu viel morgendlichem Getrödel dazu verdammt war, 55 Minuten Wartezeit im Bahnhof von Rostock totzuschlagen. Im Jahr 2040 fahren solche Verbindungen viertelstündlich, was den Blick auf Fahrpläne bundesweit eher überflüssig macht und die Auslastung der Züge wieder auf ein zivilisiertes Niveau absenkt, anstatt Passagieren eine Fahrt mit an die Scheibe gepresster Nase zuzumuten.

Der Regionalzug bietet ein exzellentes W-Lan und so scrollt ihr ein bisschen durch den Nachrichtenfeed. Schon wieder Werbung für „Sixpack Romance“ mit Matthias Schweighöfer. Laut Trailer datet darin der häufig leicht bekleidete Norbert Dutzende hübsche, aber uninteressante Frauen, um dann am Ende doch noch die wahre Liebe zu finden, indem er einfach seine eigenen Bauchmuskeln heiratet. Ja, so ein Schmu gewinnt den Deutschen Filmpreis, 2040 ist auch nicht perfekt.

Ihr steigt am beschaulichen Bahnhof in Tessin aus, an dem ihr vor 20 Jahren noch recht verloren gewesen wärt, denn bis auf ein zum Hotel ausgebautes Bahnhofsrestaurant gab es nur eine Bushaltestelle, deren Frequenz sich eigentlich nur mit einer gewissen Angst beim dortigen Verkehrsverbund erklären lässt, die Bevölkerung könne sich vor zu vielen Bussen erschrecken.

Heute findet ihr dort eines der besagten Mobilitäts-Hubs, wo ihr euer Handy an den Sensor eines der (selbstverständlich elektrisch fahrenden) Leihautos haltet und in der gleichen App, mit der ihr auch Fahrrad und Zug gebucht habt, den Preis pro Stunde angezeigt bekommt. Ihr bestätigt den Vorgang und fahrt die letzten zehn Kilometer bis zum Industriepark MeckPommLabs, wo ihr das Auto in einer ähnlichen Station wieder zurückgeben könnt und für den Bruchteil der Kosten unterwegs seid, die ein eigenes Auto bedeutet hätten.

Auf dem Weg fallen bereits einige sehr große Windkraftanlagen auf, die von Weitem zu sehen sind, aber inmitten von Äckern und Feldern eingebettet sind, auf denen weiterhin Landwirtschaft stattfinden kann. Die Bewirtschaftung dieser Felder war um 2020 aufgrund der Häufung von Dürren immer schwieriger, sodass euer Blick heute auf viele Felder mit darüber installierten Solarmodulen fällt.

Nicht nur können die Landwirtinnen und Landwirte den Strom für gutes Geld verkaufen, die Module verringern durch die Verschattung und geringere Verdunstung den Bewässerungsbedarf, verringern Winderosion und schützen die Pflanzen vor Dürreschäden. Mit den Mehreinnahmen wurde außerdem in Sammlung von Regenwasser und Bewässerungssysteme investiert, so ist Landwirtschaft im Nordosten Deutschland wieder sorgenfreier möglich.

Die Windräder zwischen den Ackerflächen drehen sich alle, denn trotz des stetigen Windes muss keines wegen drohender Netzüberlastung abgeschaltet werden (2023 war das noch der Fall). Sollte der Bedarf bereits komplett gedeckt sein, werden große Elektrolyseure im Süden Rostocks hochgefahren, die mit dem überschüssigen Windstrom grünen Wasserstoff als Basis für Schiffstreibstoffe herstellen.

Häppchen machen auch in der Zukunft noch nicht satt

Auf dem Firmengelände angekommen ist alles voller Ballons, die das Geschehen dominierende Fabrikhalle ist feierlich geschmückt und in ihre Fassaden, Fenster und Dächer sind selbstverständlich überall Solarmodule integriert. Irgendwer hat eine Oldie-Playlist angestellt, die „Get Lucky“ von Daft Punk in Dauerschleife abspielt, was die Stimmung aber nicht trübt. Servicepersonal reicht euch Orangensaft und ein Tablett mit albern kleinen Häppchen – sorry, von denen werdet ihr auch in der Zukunft nicht satt – und drängt euch, weiterzugehen.

Vor einer kleinen Bühne hat sich eine Menschentraube versammelt und ihr kommt gerade noch rechtzeitig zur Eröffnungsrede eurer Chefin, die sich eine dieser neumodischen grünen Windeln umgeschnallt hat und einen Schnuller um den Hals trägt – die Modebranche ist 2040 immer noch leicht bekloppt.

Die Musik wird ausgeblendet und weicht einer leicht schrillen Stimme: „… danke ich allen, die dieses Projekt möglich gemacht haben. Noch vor vier Jahren waren wir ein kleines Start-up mit vier Angestellten, und nun eröffnen wir unser viertes und größtes Werk hier in den MeckPommLabs und sind damit größter Arbeitgeber der Region. Nicht zuletzt dank meiner persönlichen Weitsicht konnten wir Partner finden, die diese Erfolgsgeschichte möglich gemacht …“

Ja, Chefinnen können auch in der Zukunft selbstverliebte Egozentriker und Eröffnungsreden langweiliger Business-Blabla sein. Pffft, dank ihrer Weitsicht … kompletter Blödsinn, sie hat die ganze Idee am Anfang komplett unterschätzt. Es gibt die Firma in der Form überhaupt nur, weil ihr euch wochenlang dahintergeklemmt habt, dem Fermentationsprozess im Labor eine Textilfaser abzuringen. Was letztendlich auch geklappt hat und nun auf dem Weg ist, den globalen Bekleidungsmarkt zu revolutionieren.

Aber okay, immerhin war es ihre Kohle, mit der ihr die ersten Prototypen hergestellt habt, also trinkt ihr noch drei Orangensaft auf Firmenkosten, daddelt auf eurem Handy rum und wartet geduldig bis zum Ende. Na endlich: … „freue ich mich im Namen der gesamten Belegschaft und der Kinder dieses Planeten, hiermit die erst Solar Fashion Gigafactory zu eröffnen!“

Applaus. Ihr fällt das Mikrofon auf den Boden, was zu einer unangenehmen Feedbackschleife führt. Sie rettet die Situation aber, indem sie mit einer übergroßen Schere beherzt ein rotes Samtband durchschneidet. Dazu setzt „It’s my life“ von Bon Jovi ein, und die Anwesenden auf der Bühne bewegen sich rhythmisch dazu und klatschen mit. Okay, 2040 wird wirklich nicht perfekt, aber das wäre ja auch langweilig.

Der Applaus ebbt schlagartig ab, eine Horde von Journalistinnen und Journalisten umringt die Bühne und wird später alle Wirtschaftsteile überregionaler Zeitungen mit Superlativen dazu fluten, wie die Textilbranche nach Jahrzehnten asiatischer Dominanz ausgerechnet im Nordosten Deutschlands Fuß fassen konnte, anstatt zu hinterfragen, dass das Ding für eine Gigafactory ganz schön klein ist.

Naturfasern aus dem Bioreaktor

Ihr geht am überreizten Geschehen vorbei, betretet den großen Fabrikkomplex und sucht den Raum auf, in dem sich das Herzstück der ganzen Unternehmung und damit euer Baby befindet: der Bioreaktor. Naja, „Raum“ trifft es vielleicht nicht ganz, es ist eher eine von zukünftig 20 Hallen, zehn Meter hoch und in der Mitte befindet sich ein gewaltiger Stahlzylinder, in den massive, Bullaugen gleichende Fenster eingelassen sind und den Blick freigeben auf eine unscheinbare, aber revolutionäre Flüssigkeit.

Wobei, die Flüssigkeit ist eigentlich langweilig, interessant sind vielmehr die Bewohner dieser Flüssigkeit, die auf den Namen „Agrobacter Thunbergius“ hören, oder kurz: Aggi. Aggi ist eine Bakterie, also in menschlichen Maßstäben erst mal nicht sonderlich beeindruckend, dafür kann dieses possierliche Wesen aber etwas ganz Besonderes: Es produziert Naturfasern und zwar nur mithilfe von Luft, Wasser und Strom – die Firma müsste also eigentlich eher Wind Fashion heißen, aber zwei extrem gut bezahlte PR-Beraterinnen haben euch zum Namen „Solar Fashion“ überredet.

Dass Mikroben irgendwelche Proteine oder Enzyme produzieren, ist nun wahrlich nichts Neues, auf diese Weise kommen Menschen schon seit Jahrhunderten an Bier und Hefe. Seit 2023 stellten die ersten Firmen bereits auf die gleiche Weise Proteine für die menschliche Ernährung her, was schon damals 20-mal effizienter als Photosynthese und 200-mal effizienter als konventionelle Fleischerzeugung war.

Vermutlich kennen im Jahr 2040 alle die Produkte von Solar Foods aus Finnland und Air Protein aus Kalifornien, die heute Hauptlieferanten von McDonald’s, Rügenwalder und Meica sind, aber vor 20 Jahren war das alles noch Zukunftsmusik. Seitdem konnte der globale Bedarf für Ackerfläche, Kunstdünger und Pestizide massiv reduziert werden, denn diese Verfahren wurden immer weiter verfeinert, um besonders die ökologisch eher problematischen Feldfrüchte im Labor nachzubauen: Der Anbau von Kakao, Kaffee und Kraftfutter verschlang im Jahr 2022 noch gigantische Flächen, welche sich in direkter Konkurrenz zu artenreichen Naturgebieten befanden.

Seit wir Kaffee- und Kakaopulver in solchen Reaktoren aus Luft und sauberem Strom herstellen, konnten Millionen Quadratkilometer ehemaliger Monokulturen renaturiert werden, der Waldbestand und die Zahl der Insekten nimmt weltweit wieder zu. Die weltweite Anbaufläche für Baumwolle ist aber immer noch größer als die von ganz Deutschland, und der soll es nun dank eurer Mikrobe an den Kragen gehen: Durch die neue Faser aus eurem Reaktor ist nicht nur der Anbau auf ehemaligen Regenwaldgebieten nicht mehr lukrativ, eure bakteriell hergestellten Fasern sind extrem stabil und langlebig, sodass das obere Management aller Fast-Fashion-Konzerne seit Monaten eine Schmutzkampagne gegen euch fährt.

Um den Stahlzylinder herrscht wie immer emsiges Treiben, da euer weißbekitteltes Team das Gedeihen der wertvollen Kreaturen genauer überwacht als jedes Helikoptereltern-Pärchen das je könnte. Ihr bekommt die Werte der letzten Versuchsreihen gezeigt, und ein kurzer Blick auf die Überwachungsprotokolle zeigt, dass euer Verfahren auch in dieser Größe robust bei schwankender Stromzufuhr funktioniert – heutzutage ein wichtiger Faktor, um in energieintensiven Branchen konkurrenzfähig zu sein.

In Zukunft stellen Spinnereien in der Region aus euren Fasern verschiedene Stoffe her und beliefern damit den gesamten Weltmarkt, was alle Superlative in den morgen erscheinenden Artikeln rechtfertigt und euch motiviert, die Maschine auch heute auf die Revolution einer kompletten Branche vorzubereiten. Gegen 15 Uhr ist aber früh Schluss, denn ihr müsst los: Morgen feiert euer Bruder Geburtstag, und der lebt seit drei Jahren in Marokko.

Per Hypertrain mit 280 Stundenkilometern nach Casablanca

Früher hätten sich die meisten Menschen zu diesem Zweck in ein Flugzeug gesetzt, und das tun auch heute noch einige, aber auf Strecken über 1.000 Kilometern wird synthetisches Kerosin genutzt, was immer noch deutlich teurer ist, als fossiles Kerosin früher war. Jetzt gerade ist es besonders teuer, denn die europäischen Fluggesellschaften setzten auf „günstige“ E-Kerosin-Importe aus Saudi-Arabien und Katar, deren Elektrolyseure seit zwei Monaten von schiitischen Rebellen besetzt sind und daher genauso wenig grünen Wasserstoff herstellen wie ein handelsüblicher Toaster.

Zudem wird dieses grundsätzlich klimaneutrale Kerosin in der höheren Atmosphäre verbrannt, was sich aufgrund der Tröpfchenbildung immer noch negativ aufs Klima auswirkt. Die Fluggesellschaften sind deswegen verpflichtet, pro geflogenem Kilometer eine entsprechende Menge CO2 aus der Umgebungsluft zu entfernen und in Basaltgestein einzulagern. Wer will, kann also fliegen, aber durch den gestiegenen Preis wurden Alternativen interessant, sodass es im Jahr 2040 ein recht beliebtes eurasisches Hochgeschwindigkeitszugnetz gibt.

Statt zum Flughafen fahrt ihr mit dem Zug also zurück nach Rostock und von dort zum Hamburger Hypertrain-Terminal, das nach Vorbild des japanischen Shinkansen-Netzes separat vom übrigen Schienenverkehr funktioniert und fast alle Millionenstädte Europas miteinander verbindet. In einem futuristischen, eher einem Hotel als einer Bahnhofshalle gleichenden Wartesaal, scrollt ihr gelangweilt auf eurem Handy rum, und nachdem ihr fünf Werbungen für „Sixpack Romance“ wegklicken musstet, gleitet gegen 17.30 Uhr lautlos eure Verbindung der Linie Stockholm-Casablanca in den Bahnhof ein.

Die Hypertrains fahren auf breiteren Gleisen als die restlichen Züge und erreichen dadurch einen höheren Komfort, was das ganze Erlebnis eher an einen Hotelaufenthalt erinnert als an eine Zugfahrt. Euer Abteil ist sinnvollerweise platzoptimiert, aber dennoch lichtdurchflutet und sehr komfortabel. Wem es das wert ist, kann auch Suiten mit Pagendienst reservieren, die die erste Klasse im Flugzeug in Sachen Exklusivität noch mal in den Schatten stellen.

Nach einer Stunde sitzt ihr im Restaurant und blickt auf das am Fenster vorbeiziehende Ruhrgebiet und verliert euch im unwirklichen Farbenspiel, das die Abendsonne im Wasserdampf auslöst, der aus dem Kühlturm des Kohlekraftwerks Westfalen in Hamm austritt. Hä, was? Kohlekraftwerk? Haben die Morgennachrichten gelogen, als sie von europäischer Klimaneutralität gesprochen haben?

Steine als gigantische Wärmespeicher

Nein, denn das ist gar kein Kohlekraftwerk mehr, sondern ein Energiespeicher: Dort, wo früher in einer riesigen Verfeuerungsanlage große Mengen Steinkohle zu Hitze und CO2 verbrannt wurden, stehen heute riesige, mit Spezialgestein gefüllte Behälter in einer Halle. Wenn viel Solar- und Windstrom im Netz ist, wird dieses Gestein auf 1.300 Grad Celsius erwärmt, und es empfiehlt sich, sich in dieser Zeit nicht ohne Schutzkleidung in der Nähe dieser Behälter aufzuhalten.

Sollten Sonne und Wind nun auf einmal ein Motivationstief erleiden und sich spontan verabschieden, kommt der Teil des Kraftwerks zum Tragen, der auch während des fossilen Zeitalters schon genau so funktioniert hat: In Block E strömt heißer Dampf in einen Generator, der damit 800 Megawatt elektrische Leistung erzeugt – also in etwa so viel wie 160 moderne, große Windkraftanlagen bei frischer Brise. Der Dampf wird halt nur nicht mittels Kohlefeuer erzeugt, sondern indem das 1.300 Grad heiße Gestein Wasser in den deutlich fluffigeren Aggregatszustand hebt. Vorteil: Die gesamte Infrastruktur, die Generatoren, die Trafostationen und Leitungen waren alle schon vorhanden und mussten nicht extra neu gebaut werden.

Wieder zurück in eurem Abteil checkt ihr die Mediathek und widersteht nur knapp dem Impuls, ins vom Menü als „superlustig“ angepriesene „Sixpack Romance“ reinzugucken, zieht euch irgendwelchen nicht ganz so belanglosen Blödsinn rein, bis der Zug gegen 22 Uhr in Paris hält. Ihr stellt das Wecksystem des Zugs auf 7 Uhr, bestellt für den nächsten Morgen Croissants und Kaffee, legt euch hin und nur die wenigen Vibrationen, die vom Dämpfungssystem des Zuges nicht eingefangen wurden, lassen erahnen, dass ihr gerade mit 280 Stundenkilometern auf die Côte d’Azur zurast.

Da ihr euch für die Wecker-Option „Aufwachen im Wald“ entschieden habt, erhellt sich ab 6.55 Uhr langsam euer Abteil zu Vogelgezwitscher. Im Abteil nebenan wurde aus Versehen das „Habe Probleme beim Aufwachen“-Paket bestellt, sodass der Passagier dort mit einem „JETZT STEH VERDAMMT NOCH MAL AUF, DU FAULES STÜCK!“ und schrillem Sirenengeheul aus dem Bett gebrüllt wird.

Während ihr 15 Minuten später in der Nasszelle steht und das Shampoo aus den Haaren wascht, befindet sich der Zug 500 Meter unter dem Meeresspiegel in der Straße von Gibraltar, wo seit drei Jahren ein Tunnel das europäische mit dem afrikanischen Festland verbindet. Das macht die Reise einerseits wunderbar praktisch, aber der Ausblick aus dem Fenster ist aus nachvollziehbaren Gründen entsetzlich langweilig. Deswegen steht ihr ja auch unter der Dusche.

Würdet ihr aus dem Fenster sehen, würden euch eine Menge Güterzüge auffallen, die tonnenweise Obst und Gemüse in Richtung Europa transportieren, aber diesem alltäglichen Schauspiel extra Aufmerksamkeit zu widmen, wäre, als würdet ihr heute staunend an der Straße stehen und mit weit aufgerissenen Augen die Müllabfuhr bestaunen.

Um 7.30 Uhr klopft es an der Tür, eine Servicekraft der EBT (Europe Bullet Train) reicht euch euer Croissant und den Kaffee, während die riesigen Solarfelder Marokkos an euch vorbeiziehen. An der Küste werden damit Entsalzungsanlagen für Süßwasser betrieben, mit dem im trockenen, heißen Süden immer größere Teile der Wüste begrünt werden – teils für den Obst- und Gemüseanbau in gekühlten Gewächshäusern, teils für genügsame Gewächse, aus deren Samen Öl hergestellt werden kann, welches immer mehr das problematischere Palmöl vom Weltmarkt drängt.

Um 9 Uhr steigt ihr nach gut 15 Stunden Fahrt ausgeruht mitten im Stadtzentrum von Casablanca aus. Ihr hättet auch zu Hause schlafen und um 4 Uhr zum Flughafen fahren können, um zur selben Zeit hier zu sein, aber die Frage, ob das im Sinne eures Schlafbedarfs und Budgets sinnvoll gewesen wäre, beantworten heutzutage viele Menschen mit „Nein“.

Und auch die Hauptstadt von Marokko hat sich stark verändert: Der Straßenverkehr ist wie in Deutschland fast ausschließlich elektrisch, allein schon, weil Verbrennungsmotoren kaum noch hergestellt werden und die Versorgung mit Sonnenenergie im Gegensatz zu teuren Ölimporten einen nie da gewesenen Wohlstand ermöglicht. Würdet ihr einer Marokkanerin im Jahr 2040 vorschlagen, aus Kosten- und Komfortgründen lieber ein Benzinauto zu fahren, wird sie denken, ihr wolltet sie veräppeln.

Grundsätzlich haben viele andere Länder einen Vorteil gegenüber Deutschland, um die eigene Energiewende auf die Beine zu stellen: Die meisten sind weit weniger dicht besiedelt als Deutschland, weniger stark industrialisiert und haben aufgrund ihrer geografischen Lage mehr Sonneneinstrahlung und Wind zur Verfügung. Gerade für viele arme Länder im globalen Süden, in denen der Zugang zu Strom leider noch keine Selbstverständlichkeit ist, bietet das eine Chance, Unabhängigkeit und Wohlstand zu erreichen, ohne dass deren Naturräume darunter leiden müssen.

Entgegen der Sorge vieler Facebook-Kommentare im Jahr 2023 hat die Energiewende euch also weder arm gemacht, noch lebt ihr in Höhlen und müsst rohe Baumwurzeln essen. Die Welt im Jahr 2040 ist nicht nur klimaneutral, sondern auch grüner, nachhaltiger und gerechter als heute.

Ihr könntet mit eurem Bruder auf seiner Dachterrasse sitzen, auf seinen Geburtstag anstoßen und sagen: „Hey, stell dir mal vor, wir hätten vor 20 Jahren auf diese Leute gehört, laut denen wir alle arm werden, wenn wir aufhören, Kohle und Öl zu verbrennen.“

Und er könnte antworten: „Ja, das wäre ganz schön blöd gewesen.“


Hier ist das Cover des Buches „Weltuntergang fällt aus“ zu sehen

Mal angenommen, es war nicht früher alles besser – sondern wird es erst in der Zukunft: Wie würde die ideale Welt 2040 in Bezug auf fossile Brennstoffe, Mobilität und Ernährung aussehen? Und wäre sie auch praktisch umsetzbar? Jan Hegenberg zeigt in seinem Buch faktenbasiert, aber trotzdem mit einer ordentlichen Prise Humor, wie wir die Energiewende angehen können und wie Städte ohne Autos aussehen und funktionieren würden. Dabei seziert er genussvoll und unterhaltsam die Fehlinformationen, denen wir zu dem Thema Klimawende aufgesessen sind, und zeigt, wie gut wir 2040 klimaneutral leben können. Das Buch „Weltuntergang fällt aus!“ von Jan Hegenberg ist im August 2022 im Komplett Media Verlag erschienen. Hier könnt ihr es bestellen: Amazon, Genial Lokal, Buch7.

Schlussredaktion: Susan Mücke; Fotoredaktion: Philipp Sipos; Illustration: Philipp Beck; Audioversion: Christian Melchert

Energiewende geschafft!

0:00 0:00

Einfach unterwegs hören mit der KR-Audio-App