Es gibt eine ganz bestimmte Dummheit der menschlichen Psyche, die die Gasindustrie in den vergangenen Wochen und Monaten während der Verhandlungen um das Heizgesetz der Ampel-Regierung ausnutzte. Wo es ging, unterstrich sie, wie viel das deutsche Gasnetz wert sei: 270 Milliarden Euro. Das entspricht etwa der Hälfte des deutschen Bundeshaushaltes. Während die Industrie diesen Wert herausstellte, betonte sie auch, dass dieses Netz bereits voll abbezahlt sei.
Was sie nicht sagte, aber unterstellte: Wer dieses Gasnetz nun stilllegen will, ist ja schön blöd!
Sie machte sich damit zunutze, dass es Menschen, selbst den kühlsten Rationalisten, schwerfällt, einmal getroffene Investitionen komplett aufzugeben, selbst wenn sie sich als falsch erweisen. Lieber investiert man weiter Zeit, Geld und Energie.
Die Verhandlungen über das Heizgesetz waren chaotisch. Politiker der regierenden Ampel-Parteien stachen Papiere und vertrauliche Informationen durch, die Bild-Zeitung machte daraus eine Kampagne gegen den „Heizwahnsinn“, auf die Politiker wie Bayerns wahlkämpfender Ministerpräsident Markus Söder mit Freude und dreisten Verdrehungen aufsprangen und am Ende führte das Land zwei Debatten: eine über das, was die meisten für das Heizgesetz hielten und eine über das, was tatsächlich darin stand. (Nein, niemand wird gezwungen, seine funktionierende Heizung zum Jahresende auszubauen!)
Inmitten dieses Chaos ist der Gaswirtschaft ein echter Coup gelungen. Denn voraussichtlich wird der Bundestag nun ein Klimaschutzgesetz zur Wärmewende beschließen, mit dem zwar unter anderem der Einbau von Wärmepumpen gefördert wird, aber unter bestimmten Bedingungen auch der Einbau von Gasheizungen aus dem Energie- und Klimafonds bezahlt wird.
Das Heizgesetz sollte einmal das Ende fossiler Energie bei der Wärmeversorgung besiegeln. Jetzt schreibt es deren Nutzung für weitere zehn, fünfzehn Jahre fort und gibt plötzlich auch großen Teilen des deutschen Gasnetzes wieder eine solide Perspektive.
Die Lobbyarbeit der Gaswirtschaft war am Ende also erfolgreich. Niemand will mehr das Gasnetz stilllegen, im Gegenteil: Mit Bio-Methan und grünem Wasserstoff, von Lobbyisten als „grüne Gase“ vermarktet, soll es ein zentraler Teil der deutschen Wärmewende werden. Das Problem daran ist aber, dass niemand weiß, wann, in welchen Mengen und zu welchem Preis diese Gase jemals zur Verfügung stehen werden.
Unter dem Deckmantel der „Technologieoffenheit“ haben SPD und FDP stellvertretend für die Gasbranche eine Option in das Heizgesetz hineinverhandelt, die noch gar nicht zur Verfügung steht, die im Zweifel nur mit großen Subventionen des deutschen Staates, also der Allgemeinheit, funktionieren kann und die am Ende die einzelnen Kunden richtig teuer zu stehen kommen könnte – ja, genau jene Kunden, in deren Namen die Bild-Zeitung eine Kampagne gegen die Kosten des Heizgesetzes fuhr.
Die Gaswirtschaft hat Verbündete in der Regierung
In der ursprünglichen Fassung des Heizgesetzes tauchten Gasheizungen gar nicht auf. Was durchaus verständlich war, da dieses Gesetz dabei helfen soll, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Und Erdgas, das zu großen Teilen aus dem extrem klimaschädlichen Methan besteht, ist dafür keine Option.
Der inzwischen zurückgetretene Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Patrick Graichen, hatte deswegen die Gasnetzbetreiber auf einer Tagung im Mai 2022 schon aufgefordert, den Rückbau ihrer Gasnetze zu planen. Das sorgte für viel Unruhe. Denn eine Gasbranche ohne Gasnetz ist wie eine Modebranche ohne die großen Ketten und Shoppingportale: nur noch in der Nische existent. Dort lässt sich zwar auch überleben, aber nicht mehr das große Geld verdienen.
Für die Gasbranche begann also irgendwann im vergangenen Jahr ein Kampf um ihre Zukunft und Substanz. Sie musste unter allen Umständen verhindern, dass sich das Heizgesetz einseitig auf allein elektrische Lösungen wie die Wärmepumpe festlegt.
Sie hatte dabei Verbündete in der Regierung: die FDP, die grundsätzlich gegen alles zu sein scheint, was von den Grünen kommt. So will sie ihr Profil in der Koalition wahren. Der Gasbranche halfen allerdings auch manche SPD-Politiker, die über das SPD-geführte Bauministerium unter Klara Geywitz direkten Einfluss auf das Gesetz nehmen konnten und dabei oft die Stadtwerke ihrer Heimatkommunen im Blick hatten. Für die ist das Gasgeschäft ein wichtiger Umsatzbringer. Fällt es weg, fällt auch dieser Umsatz weg.
Allerdings hatte die Gaswirtschaft ein echtes Problem in ihrer Argumentation: Es gibt heute überhaupt keine Gase, die nicht klimaschädlich sind und für die Wärmeproduktion eingesetzt werden könnten. Jedenfalls nicht in solchen Mengen, dass sie einem großen Industrieland wie Deutschland weiterhelfen könnten. Was es aber natürlich schon gibt, sofort und überall einsetzbar: Wärmepumpen.
Wie also kann man etwas verteidigen, das es noch nicht gibt? In dem man sich auf höhere Prinzipien und Erwägungen beruft. Deswegen sprach die FDP immer wieder von „Technologieoffenheit“ und deswegen betonte die Gaswirtschaft, wie viel Wert das Gasnetz doch habe. Beides sind keine Erwägungen, die im engeren Sinne etwas mit Klimapolitik zu tun haben. Und doch haben sie das wichtigste klimapolitische Gesetz dieser Regierung entscheidend geprägt.
Wann die Wasserstoffwirtschaft kommt? Unklar
In ihrer Argumentation setzt die Gasindustrie auf die Angst vieler Politiker, heute eine Entscheidung zu treffen, die sich morgen rächt. Wer heute die Stilllegung des Gasnetzes einleitet, muss sich genau dafür vielleicht später rechtfertigen. Denn Wasserstoff und Bio-Methan werden – da sind sich alle Experten und Expertinnen einig – eine Rolle in der Energiewelt von morgen spielen. (Hier habe ich mir im Detail angeschaut, wie Wasserstoff in der Klimakrise weiterhelfen kann.)
Wie groß diese Rolle allerdings ist, ist heftig umstritten. Diejenigen, die mit Gasen ihr Geld verdienen, glauben, dass Deutschland in Zukunft einen sehr großen Bedarf an Wasserstoff haben wird, vor allem, um seine Industrie zu versorgen. Andere Stimmen sind skeptischer: Ja, Wasserstoff wird gebraucht, aber nicht überall dort, wo wir es heute vermuten. Wasserstoff sei wie ein Taschenmesser, sagt etwa der Energieanalyst Michael Liebreich. Zwar extrem vielseitig, oft gäbe es aber immer ein anderes Werkzeug, das besser funktioniere. Übertragen auf das Heizgesetz heißt das: Warum sollten Gebäude mit wertvollem und gleichzeitig energetisch sehr ineffizientem Wasserstoff beheizt werden, wenn sie auch direkt per Wärmepumpe beheizt werden könnten?
Für die Gasindustrie ist der Fall hingegen klar: Dort, wo es bereits „Ankerkunden“ gibt, die Wasserstoff brauchen, so argumentiert sie, sei auch das Heizen mit Wasserstoff sinnvoll. Wenn also die Chemiefabrik sowieso via Leitungen Wasserstoff geliefert bekomme, könnten über die gleichen Leitungen auch die Heizungen der angrenzenden Wohnquartiere versorgt werden. Praktischerweise könnten dabei, das zeigen Studien der Industrie, auch große Teile des Gasnetzes für Wasserstoff verwendet werden. Die Umrüstungen hielten sich in einem überschaubaren Rahmen. Zehn bis fünfzehn Milliarden Euro veranschlagen die Lobbyisten.
Aber: Zurzeit gibt es weder diese Ankerkunden noch den Wasserstoff, den sie verbrauchen sollen. Außerdem gibt es keine Gasheizungen, die auch mit Wasserstoff funktionieren. Die kommen frühestens 2026. Was es aber schon heute und schon seit Jahrzehnten gibt: Erdgas. Und solange die groß angekündigte und geplante „Wasserstoffwirtschaft“ auf sich warten lässt, solange wird eben das klimaschädliche Erdgas weiterverwendet. Das ist gut für die Gaswirtschaft.
In der Industrie hat ein Wettlauf begonnen
Noch wichtiger ist für sie allerdings, dass sie auch im Anschluss noch ein Geschäft hat. Denn hinter den Kulissen findet gerade ein Wettlauf um die Industrietechnologien der Zukunft statt. Erdgas wird heute für eine ganze Reihe von Industrieanwendungen benötigt, unter anderem um gleichmäßig Wärme bereitzustellen, extrem hohe Temperaturen zu erzeugen oder als Kontaktstoff für die chemische Industrie. Circa zwei Drittel des gesamten Erdgases verbraucht die Industrie zur Wärmeerzeugung, ein Drittel als Vorprodukt. Überall, wo Erdgas ein Vorprodukt ist, wird auch in Zukunft vermutlich ein anderes Gas eingesetzt werden müssen, aber der komplette Wärmebereich kann vielleicht auch elektrifiziert werden.
Eine Studie des Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) aus dem Jahr 2020 zeigt, dass schon heute mehr als drei Viertel aller Industrieprozesse, in denen Wärme benötigt wird, elektrifiziert werden können. In ein paar Jahren werden es 99 Prozent sein. Für die Gasindustrie würde ein großes Geschäftsfeld einfach verschwinden. Wenn es ihr aber jetzt gelingt, den Wasserstoffpfad festzuschreiben, behält sie ihr Geschäft.
Das Heizgesetz reicht dafür allein natürlich nicht, es hat aber in seiner jetzigen Form die Tür weit aufgestoßen, weil es Wasserstoff als prinzipiellen Energieträger auf die gleiche Stufe stellt wie die Erneuerbaren. Das wird wichtig sein für zukünftige Verhandlungen und Gesetze. Die Gasindustrie kommt ihrem Ziel näher, sich selbst und das Gasnetz als Lösung der Energiewende zu verkaufen, obwohl sie das Problem sind und es noch Jahrzehnte bleiben werden, mindestens so lange bis es ausreichend billigen grünen Wasserstoff gibt.
Selbst die größten Optimisten glauben nicht, dass das bald der Fall sein wird. Wer mit Vertretern der Gasindustrie spricht, hört immer wieder, dass nun ein Kraftakt nötig sei, um eine nationale Importstrategie für Wasserstoff umzusetzen. Der grüne Wasserstoff, mit dem irgendwann die deutsche Industrie laufen soll, soll aus dem Ausland kommen. Allerdings gibt es dort zwar Absichtserklärungen, aber bisher kaum Projekte, die schon die Planungsphase hinter sich haben. Der echte Start der Wasserstoffwirtschaft wird noch Jahre dauern. Bis dahin bleibt Deutschland: Erdgas-Wirtschaft.
Als das Heizgesetz in den Bundestag ging, stand darin, dass Gasheizungen nur noch dann eingebaut werden dürfen, wenn sie spätestens bis zum 31.12.2034 mit Wasserstoff versorgt werden können. Als das Heizgesetz allerdings im Bundestag beraten wurde, änderte sich diese Regel: Plötzlich galt eine neue Frist, der 31.12.2044. Ein Tag, bevor Deutschland klimaneutral sein muss – und zehn Jahre mehr, in denen in deutschen Heizungen Gas verbrannt werden kann.
Aber Kunden, die darauf vertrauen, bald mit Wasserstoff heizen zu können, werden vermutlich dreifach draufzahlen. Erstens wird Gas teurer werden. Stetig steigende CO2-Preise verteuern es, egal, wie sich Angebot und Nachfrage entwickeln. Zweitens wird der Gas-Anschluss teurer werden, weil immer weniger Kunden das Netz finanzieren müssen und damit die Netzentgelte steigen. (Die Gaswirtschaft fordert für diesen Fall schon Subventionen.) Drittens, wird auch der Wasserstoff auf Jahre hinaus noch sehr teuer bleiben, schlicht, weil er so rar ist.
Solche Warnungen konnten die Menschen natürlich nicht in der Bild-Zeitung lesen. Aber wenn man es recht bedenkt, ist das der wahre Heiz-Hammer: Deutschland beschließt im Jahr 2023 im Namen des Klimaschutzes den Einbau von Gasheizungen staatlich zu fördern – in der Hoffnung auf einen Stoff, den es noch überhaupt nicht in ausreichenden Mengen gibt. Und mit Fristen versehen, die mit Ansage dazu führen werden, dass Deutschland seine Klimaziele reißt.
Redaktion: Andrea Walter, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger