Illustration: Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch am Computer.

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Leben und Lieben

Protokoll: „Sobald etwas stressig war, habe ich Pornos geschaut“

Johannes, 40, war jahrelang pornosüchtig. Er masturbierte ständig, manchmal stundenlang. Erst aus Spaß, dann um sich zu beruhigen. Er dachte, das sei normal.

Profilbild von Tarek Barkouni

Als Reporter für digitale Kultur habe ich mich in den letzten Texten immer wieder mit Pornografie auseinandergesetzt. Dabei war mein Ansatz, Pornos nicht grundsätzlich zu verteufeln, sondern sie als das zu betrachten, was sie meiner Erfahrung nach sind: ein großer Teil der Gesellschaft, der gerne verschwiegen wird. Daraufhin schrieb mir Johannes Ebert von seinen Erfahrungen, die sehr gegenteilig waren, denn Johannes war jahrelang pornosüchtig. Ich fragte ihn, ob er seine Erfahrungen teilen würde. Johannes sagte zu, seine Geschichte zum ersten Mal öffentlich zu erzählen.


Am Anfang fühlte sich jeder Porno nach großer Freiheit an. Ich tat etwas, das nur die Großen und nicht meine Altersgenossen taten. Das Wissen, etwas Dreckiges, Verruchtes und Verbotenes zu tun, war stark. Ich war Teil einer Clique, die die größte Kollektion an Filmen hatte. Wir waren mit 16 Jahren so etwas wie Vorreiter.

Zu der Zeit war es noch nicht so einfach wie heute, an Pornos zu kommen. Aber natürlich bekam ich meinen ersten Porno über Freunde. Ich wollte aber ziemlich schnell mehr und fand einen Weg, an die guten DVDs aus Amerika zu kommen. Gleichzeitig gab es in meinem Heimatdorf einen mobilen DVD-Verleiher, der uns Jungen unter der Theke mit Pornos versorgte.

Dann kamen die DVD-Brenner und das Internet – Online-Plattformen, auf denen täglich neues Zeug landete. Die Auswahl war riesig und wir mussten nichts machen, außer auf den Button „Herunterladen“ zu klicken. Am Ende hatten wir viele Gigabyte an Pornos auf einer DVD-Spindel, die unter uns herumging– wir nannten sie die „Pornospindel“.

In dieser Zeit hat sich meine Pornosucht entwickelt. Es gab Tage, an denen ich endlose Stunden vor dem Laptop verbrachte und nichts anderes tat, als Pornos zu schauen und bis zur Erschöpfung zu masturbieren. Wenn ich heute zurückschaue, dann war der Ablauf immer der gleiche: Sobald etwas stressig war, zum Beispiel in der Schule, habe ich Pornos geschaut. So lange, bis einfach keine Energie mehr in meinem Körper war. Dieses Verhalten war lange Teil meiner Strategie, mit Druck umzugehen – sei es Stress bei der Arbeit oder wenn etwas im persönlichen Umfeld nicht funktionierte. Es schien der einzige Ausweg zu sein.

Es hat nicht mehr gereicht, mir Kuschelsex anzuschauen, es musste härter und mehr sein.
Johannes

Ich hielt mein Verhalten lange Zeit für normal. Ich war der festen Überzeugung, dass jeder Mann abends vor dem Schlafengehen masturbiert. Gleichzeitig wollte ich aber immer mehr haben. Es hat nicht mehr gereicht, mir Kuschelsex anzuschauen, es musste härter und mehr sein. Aber auch das ist irgendwann ausgeschöpft und man sucht sich Neues, weil die Rezeptoren im Gehirn einfach nicht mehr anspringen. Das ist so, als würde man jeden Tag zwei Gläser Wein zur Beruhigung trinken. Irgendwann reichen auch die nicht mehr.

Druckabbau durch Masturbation

In stressigen Situationen im Büro entstand bei mir oft Druck, den ich versucht habe, mit Masturbation zu bekämpfen. Der viele Kaffee verstärkte das nur, weil der anstatt zu Entspannung zu führen, den inneren Stress nur förderte. In dieser Zeit wusste ich noch nicht, was ich stattdessen tun kann, bin also kurz auf die Toilette, um mit Masturbation den Druck abzulassen und gewöhnte meinen Körper so daran.

Mein Pornokonsum hatte irgendwann auch Auswirkungen auf meine Beziehungen. Ich hatte immer Hunger, Hunger nach mehr Sex. Meine Ex-Partnerin sagte mir, ich sei nie zufrieden, weil immer noch ein Kick dazukommen musste. Beim Sex selbst bin ich in dieser Zeit dann aber immer wahnsinnig schnell gekommen, weil meine Gedanken so besessen von Pornografie waren und ich mich selbst auf einen schnellen Orgasmus konditionierte.

Ich brauchte sehr lange, bis ich merkte, dass ich ein Problem habe. Ich lehnte es über viele Jahre auch ab, mich damit zu beschäftigen. Ich sagte mir: Ach, das macht doch jeder. Dann aber machte ich einen sehr intensiven Prozess durch. Ich merkte, dass Teile von mir geheilt werden müssen und fing an, mich sehr stark mit mir und meinem Verhalten auseinanderzusetzen.

Woher kommen meine Fantasien?

Vor zwei Jahren bin ich dann in eine Klinik gegangen. Auf eigene Initiative, weil ich gemerkt habe, dass viele Dinge in meinem Leben nicht so sind, wie ich sie gerne hätte. Dort habe ich mich auch mit der Sucht nach Pornografie beschäftigt. Und mit Fragen wie: Woher kommen diese Wünsche? Woher kommen die Fantasien? Muss ich eine Frau mit zusammengebundenen Armen und einem Knebel im Mund auf dem Schreibtisch nehmen? Oder muss ich jemandem ins Gesicht pinkeln, um erregt zu werden? Ist das die Normalität? Ist das die Realität? Natürlich nicht, aber das musste ich erst lernen.

Heute bin ich 40 Jahre alt und brauche immer noch Zeit, nicht den Weg über die Pornografie, sprich Masturbation und Ejakulation zu gehen, um Stress abzubauen. Diese Versuchung, diesem Impuls nachzugehen, ist immer noch da. Das kann man vergleichen mit jemandem, der eine Zigarette raucht oder ein Bier trinkt, wenn er oder sie Stress hat.

Aber ich habe gelernt, mit diesen Mechanismen umzugehen. Ich mache Achtsamkeitsübungen, um den Druck und Stress zu vermeiden, den ich mit der Masturbation abbauen wollte. Sport hilft mir sehr, ich mache zum Beispiel Qigong.

Ich hätte es auch gerne gehabt, dass mein Internetprovider Pornoseiten für mich sperrt, um mich noch stärker abzugrenzen, so wie es Spielsüchtige zum Beispiel bei Spielbanken machen können. Das ist aber nicht möglich, weil es in Deutschland als Zensur gilt, wenn mein Internetprovider mir den Zugang zu verschiedenen Seiten verwehrt.

Dabei wollte ich mich eigentlich nur schützen, denn der Süchtige findet immer einen Weg. Aber mir ist klar, dass ich die Welt nicht ändern kann und ich will sie auch nicht ausblenden oder mich verkriechen. Ja, ich konsumiere Medien, bin aber nur sehr sporadisch auf Social Media unterwegs. Zusätzlich habe ich zu Hause und auf meinem Handy mit Apps und Filtern alle pornografischen Inhalte gesperrt, um einfach den schnellen Klick auszuschließen. Denn aus dem „Ach komm, ich schaue nur mal schnell“ können eben schnell zwei Stunden werden, gerade weil die Algorithmen so gut funktionieren und mich in eine Spirale hineinziehen.

Fast wie Alkoholiker

Trotz allem hatte ich vor ein paar Monaten einen Rückfall, so würde es vermutlich ein Alkoholiker nennen. Es war ganz typisch: Ich geriet in Stress und legte mich in dieses immer noch geebnete Bett, das sich so heimisch anfühlte. Letztlich, obwohl ich weiß, dass es nicht gut für mich ist, ist die Flucht dahin immer noch so attraktiv und so einfach.

Zum Glück habe ich heute Methoden, um mich aus solchen Situationen wieder zurückzuholen. Ich bin sehr dankbar, dass mich so ein Rückfall jetzt nicht mehr eine ganze Woche kostet, sondern vielleicht nur noch ein paar Stunden.

Dass ich süchtig geworden bin, hatte sicher mit meiner Geschichte zu tun. Ich glaube, dass es Menschen gibt, die ihr Leben lang Pornos gucken können, ohne süchtig zu werden. Es kommt immer darauf an, wie wir es einsetzen. Wenn ich jetzt mit meiner Freundin einfach nur so auf dem Sofa sitze und wir einmal im Monat gemeinsam einen Porno anschauen, ist es vielleicht nicht so gefährdend. Nutze ich dagegen Pornografie als Ventil, wenn ich mit meiner Freundin Stress habe, dann schon.

Trotzdem bin ich der Meinung, dass deutlich mehr Menschen süchtig sind, als wir wissen. Das Thema wird in unserer Gesellschaft so ausgeblendet, dass vielen ihre Sucht gar nicht bewusst ist.

Natürlich würde ein Pornografieverbot das Problem nicht lösen. Wäre es aber nicht mehr so einfach, an Pornos zu kommen, wäre die Gefahr, süchtig zu werden, meiner Meinung nach ein bisschen niedriger. Als die Zigarettenautomaten in den Straßen weniger wurden, wurde es auch für Zwölfjährige schwieriger, an Zigaretten zu kommen. Außerdem ist es wichtig, über die Risiken von Pornografie aufzuklären.

Ich habe zwar keine Kinder, aber gerade bei diesem Thema wäre mir eine offene Kommunikation sehr wichtig, dass es eben möglich ist, ohne roten Kopf am Tisch über Pornokonsum zu sprechen. Mein Ziel wäre es, meinem Kind ans Herz zu legen, dass die Lust oder der Genuss nicht aus dem Monitor kommen, sondern aus dem eigenen Körper. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich Heranwachsende mit den eigenen Händen, mit den eigenen Fingern erkunden und gucken, wie der Körper auf gewisse Stimulationen reagiert. Damit die Inspirationen und die Fantasien aus einem selbst und nicht aus Pornos kommen.



Redaktion: Andrea Walter, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Christian Melchert

„Sobald etwas stressig war, habe ich Pornos geschaut“

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