Mein Internet ist gerade unbenutzbar. Es liegt nicht an der Leitung – meine Verbindung ist top. Aber die für mich wichtigste Plattform, die ich täglich nutze, verweigert mir gerade die Arbeit. Der Grund ist ein Streik. Nicht von Mitarbeiter:innen, sondern von den Nutzer:innen selbst.
Es geht um Reddit. Die Seite, die ich morgens noch vor Twitter aufmache, auf der ich recherchiere, bevor ich etwas kaufe, wo ich Musikempfehlungen bekomme und die meinen Humor mitgeprägt hat. Ich habe hier schon einmal darüber geschrieben, warum Reddit der beste Ort des Internets ist. Heute geht es aber um die Frage, wie viel Macht Nutzer:innen gegenüber ihrem liebsten sozialen Netzwerk haben – und ob Streik und Boykott helfen können.
Nicht ganz Reddit streikt. Sondern die ehrenamtlichen Moderator:innen der themenspezifischen Unterforen, wie zum Beispiel der Sammlung süßer Bilder und Videos von r/aww. Sie haben sich kollektiv dazu entschieden, über zwei Tage ihre jeweiligen Foren zu schließen, auf privat zu stellen und damit praktisch unerreichbar zu machen. Aktuell sind über 6.200 von mehr als 7.200 solcher Unterforen unzugänglich – unter anderem auch das größte deutsche Unterforum /r/de.
Selbst der CEO von Reddit, Steve Huffman, konnte sich nicht mit spitzen Kommentaren zurückhalten und hat das Drama sogar noch befeuert. Huffman schrieb über einen Entwickler einer kleinen App, die Reddit nutzt: „Sein Verhalten und seine Kommunikation mit uns waren völlig daneben.“
Auf einmal will Reddit Geld
Bei dem Streit bei Reddit geht es (natürlich) um Geld. Reddit hat nämlich vor Kurzem verkündet, künftig bei den Betreiber:innen von Apps abzukassieren, mit denen man Reddit benutzen kann. Das sind zum Beispiel Wissenschaftler:innen, aber auch Unternehmen wie OpenAI, deren Trainingsdaten für ihre Chat-KI auch von Reddit kommen. Sie alle nutzen die API von Reddit. Das heißt also sehr vereinfacht gesprochen: Sie rufen die Inhalte von Reddit (auch automatisiert) ab.
Es geht um bis zu 20 Millionen Dollar, die zum Beispiel der Entwickler der beliebten App Apollo zahlen müsste, selbst wenn die App niemals so viel einspielen kann.
Was hier passiert, ist ein Streit zwischen den Bossen eines sozialen Mediums und den Nutzer:innen, die überhaupt erst die Inhalte auf die Plattform spielen und gleichzeitig auch dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Das wäre so, als müsstest du auf einmal mittags die Zutaten für dein Essen selbst in deine Kantine mitbringen, damit kochen und anschließend die Küche putzen. All das, damit dir das Kantinenpersonal das von dir und deinen Freund:innen gekochte Essen anschließend verkauft.
Die Macht der Nutzer:innen
Reddit ist seit Langem stark, wohl zu stark, von der unbezahlten Arbeit seiner Nutzer:innen abhängig. Das gilt insbesondere für die Moderator:innen, von denen viele auf Lösungen über Apps zurückgegriffen haben, um ihre (zur Erinnerung: ehrenamtliche) Arbeit besser erledigen zu können, zum Beispiel Spam effektiv zu löschen oder Hasskommentare zu moderieren.
Auf Twitter ist seit der Übernahme durch Elon Musk Ähnliches passiert. Hier wehren sich die Nutzer:innen gegen Twitter-Blue oder die Kosten für API-Abfragen. Auch hier haben sie protestiert oder mit Boykott gedroht. Bis heute aber ohne große Auswirkungen. Wird also auch auf Reddit bald alles wieder so, wie es war?
Möglich ist es. Die Unterforen kommen dann wieder online, die Nutzer:innen verbringen wieder ihre Zeit dort und posten weiter, als sei nichts gewesen. Meine Hoffnung ist aber eine andere: Im Gegensatz zu Twitter ist Reddit nämlich deutlich stärker auf die Communitys angewiesen. Die sind teilweise so spezialisiert, dass ich zum Beispiel viele meiner Google-Anfragen immer mit Reddit verbinde.
Probiere es einfach mal aus mit „site:reddit.com“ und deinem Suchbegriff – aber vielleicht nicht heute.
Produkttests auf Reddit sind größtenteils ungefilterte Erfahrungen von Millionen Menschen und nicht ein für Google optimierter, mit Werbung und Referral-Links zugeballerter Text. Reddit war auch immer etwas, das die Nutzer:innen mit Identität und Zugehörigkeit verbunden haben. Das war auch einer der Gründe, warum Reddit sich in einem schnell verändernden Markt für soziale Medien so lange halten konnte und eben nicht „stirbt“ wie zum Beispiel Facebook.
Um zurück zum Kantinenvergleich zu kommen: Klar könntest du auch die Pommesbude auf der gegenüberliegenden Straßenseite benutzen, wenn dir deine Kantine nicht mehr gefällt. Aber in der Kantine sind eben die langjährigen Kolleg:innen, die Straße ist gefährlich viel befahren und eigentlich war das Essen dort immer ziemlich spitze.
Redaktion: Bent Freiwald, Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert