Ein beunruhigender Gedanke: Der Körper bekämpft sich selbst. Genau das passiert bei der häufigsten Autoimmunerkrankung in Deutschland: eine chronische Schilddrüsenentzündung namens Hashimoto-Thyreoiditis. Das ist der Fachbegriff, viele kennen sie einfach kurz als Hashimoto. Sie betrifft besonders Frauen: Vier von 1.000 Frauen bekommen sie im Laufe ihres Lebens (bei Männern ist es nur einer von 1.000).
KR-Leserin Sandra möchte wissen: Was hilft wirklich bei Hashimoto-Thyreoiditis? In diesem Text versuche ich, ihre Frage zu beantworten.
Bei Hashimoto schüttet der Körper Antikörper aus, die dafür sorgen, dass das Schilddrüsengewebe zerfällt. Warum er das tut, weiß bisher niemand. Die Unterfunktion der Schilddrüse führt dann dazu, dass dem Körper wichtige Hormone fehlen.
Bevor sich die Schilddrüse auflöst, kann sie aber erst einmal größer werden. In diesem Stadium der Krankheit versucht der Körper, den Hormonspiegel im Normalbereich zu halten und regt das noch funktionierende Gewebe dazu an, mehr Hormone zu produzieren. Dabei wächst die Schilddrüse häufig, oft sieht man das an einem geschwollenen Hals (Kropf). Die Schilddrüse ist vorübergehend überaktiv – manchmal hat der Körper dann zu viele Schilddrüsenhormone. Auch deshalb ist Hashimoto nicht immer leicht zu erkennen: Sie kann sehr unterschiedliche Symptome hervorrufen: Haarausfall etwa, Verstopfung, Müdigkeit, Zyklusstörungen – die Liste geht noch lange weiter (mehr dazu weiter unten).
Diese Symptome können die Lebensqualität manchmal ziemlich stark beeinträchtigen. Es geht bei der Behandlung einer chronischen Schilddrüsenentzündung deshalb darum, die Symptome zu lindern. Standardmäßig gehören dazu Medikamente, die den Wirkstoff L-Thyroxin enthalten. Diese Hormonersatztherapie normalisiert die Hormonwerte, und die Beschwerden verschwinden in der Regel nach zwei bis drei Monaten. Das klingt gut, aber: Man muss die Tabletten dann ein Leben lang nehmen. Manche sind damit unzufrieden. Vielleicht auch KR-Leserin Sandra: Sie möchte wissen, ob es einen Unterschied zwischen der Standardtherapie L-Thyroxin und natürlichem Schilddrüsenextrakt gibt. Außerdem möchte sie wissen, welche Ernährung und welche Nahrungsergänzungsmittel bei einer Schilddrüsenunterfunktion empfehlenswert sind.
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Die Schilddrüse ist kein Mauerblümchen, sondern ein Schmetterling
Bevor es weitergeht, sollten wir etwas Wichtiges über die Schilddrüse wissen. Sie ist nämlich ein ziemlich bedeutsames Organ, wird aber chronisch unterschätzt. Dabei ist sie an vielen Körperfunktionen beteiligt: dem Stoffwechsel, dem Wachstum, der Gehirn- und Sexualreifung, dem Herzrhythmus, der Knochengesundheit, der Reflexe und der Konzentrationsfähigkeit, um nur einige zu nennen.
Die Schilddrüse hat die Form eines Schmetterlings und befindet sich unterhalb des Kehlkopfes. Sie ist von zwei Bindegewebskapseln umhüllt, und die äußere dieser Kapseln ist mit vielen wichtigen Gefäßen und Nerven verbunden. Das Organ besteht aus kleinen Läppchen, in denen sich Bläschen befinden, die die Hormone speichern. Die wichtigsten Schilddrüsenhormone heißen T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin). Die Drüse bildet aber auch noch Kalzitonin, das für den Knochenstoffwechsel wichtig ist.
Symptome? Es sind viele!
Bei einer chronischen Schilddrüsenentzündung, die zu einer Unterfunktion führt, verursachen das fehlende T3 und T4 verschiedene Symptome, die häufig diffus bleiben und deshalb leicht übersehen oder fehlgedeutet werden.
Nicht selten haben Menschen mit einer chronischen Schilddrüsenentzündung noch andere Autoimmunerkrankungen, wie zum Beispiel einen Diabetes mellitus vom Typ 1, Rheuma oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Die Ursachen für Hashimoto sind nicht bekannt. Da aber überwiegend Frauen betroffen sind, vermutet man neben genetischen Faktoren auch geschlechtsspezifische. Wer schwanger war, hat ein höheres Risiko, an Hashimoto zu erkranken. Eine Vermutung ist, dass kindliche Zellen in die Schilddrüse einwandern und so eine Autoimmunreaktion in Gang setzen. Als weitere Ursachen diskutieren Expert:innen Infektionskrankheiten und einen Mangel an Vitamin D, Eisen und Selen (ein Spurenelement, das zum Beispiel in Fleisch und in manchen Nüssen vorkommt).
Wie fahndet man nach Hashimoto?
Wenn du die oben beschriebenen Symptome oder einen geschwollenen Hals bemerkst, der vielleicht sogar manchmal wehtut oder du Schwierigkeiten beim Schlucken hast, wird dein:e Ärzt:in einige Untersuchungen veranlassen. Man wird deinen Hals abtasten, vielleicht bekommst du auch eine Ultraschalluntersuchung. Ob du wirklich Hashimoto hast, kann aber nur ein Bluttest zeigen. Dabei sucht man nicht nur nach freiem T3 und T4 (im Fachjargon: fT3, fT4), sondern auch nach typischen Antikörpern, die sich gegen dein Schilddrüsengewebe richten. Außerdem sucht man nach einem im Gehirn gebildeten Hormon, genau genommen produziert es die Hypophyse (Hirnanhangdrüse), das die Schilddrüse dazu anregt, mehr Hormone zu produzieren. Es nennt sich TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon).
Das ist ziemlich faszinierend, denn die Hypophyse ist ein Teil des hormonellen Regelkreises des Körpers. Zusammen mit dem Hypothalamus (Zwischenhirn) reguliert sie die Arbeit der Schilddrüse (und weiterer Körperdrüsen). Die Organe dieses Regelkreises informieren sich gegenseitig darüber, wie der Hormonspiegel ist und ob mehr oder weniger von einem bestimmten Hormon produziert werden muss. So halten sie gemeinsam den Hormonspiegel im Gleichgewicht.
Stellt dein:e Ärzt:in bei der Blutuntersuchung fest, dass TSH in deinem Blut erhöht ist, deutet dies stark auf eine Schilddrüsenunterfunktion hin. Denn wenn der Spiegel der Hormone T3 und T4 im Blut abfällt, teilt die Hypophyse der Schilddrüse mit: Mach mehr! Es kann also sein, dass du trotz einer Unterfunktion genügend fT3 und fT4 im Körper hast, weil das noch funktionierende Gewebe versucht, den Mangel auszugleichen. Dann spricht man von einer latenten Schilddrüsenunterfunktion. Die meisten Expert:innen empfehlen bereits in diesem Stadium eine Hormonersatztherapie. Man hofft, dass Beschwerden dann erst gar nicht entstehen.
Was hilft bei Hashimoto wirklich?
Wenn du eine chronische Schilddrüsenentzündung hast, wird man dir standardmäßig eine sogenannte Monotherapie mit L-Thyroxin verschreiben. Sie ersetzt das fehlende Hormon T4 und liefert dem Körper gleichzeitig den Rohstoff, um selbst T3 zu bilden. Patient:innen sollen dafür in der Regel morgens eine halbe Stunde vor dem Frühstück eine Tablette einnehmen, weil man annimmt, dass der Wirkstoff nüchtern besser wirkt (zwei Stunden nach dem Abendessen ist aber auch möglich). Nebenwirkungen sind bei der richtigen Dosierung selten. Als Faustformel gilt: 1,6 Mikrogramm Thyroxin pro Kilogramm Körpergewicht.
Produziert die Schilddrüse noch Hormone, muss die richtige Ersatzdosis durch langsames Steigern erst gefunden werden. In den ersten Wochen der Behandlung überprüft die Ärztin deshalb die Schilddrüsenwerte regelmäßig. Ist die korrekte Dosis gefunden, schaut man in der Regel einmal im Jahr auf die Blutwerte.
Manchmal sind Patient:innen unzufrieden mit der Standardbehandlung, weil sie sich weiterhin schlapp und antriebslos fühlen. Vielleicht geht es auch Sandra so? Es kann dauern, bis Ärzt:innen die optimale Dosis von L-Thyroxin finden. Es ist mühsam, wenn die Dosis immer wieder verändert werden muss. Wer eine zu hohe Dosis nimmt, fühlt sich zum Beispiel nervöser als üblich. Bei einer Überdosierung steigt langfristig außerdem das Risiko für Osteoporose (Knochenschwund) und Knochenbrüche. Manche Patient:innen bekommen mehr Symptome, wenn ihr gewohntes Präparat plötzlich nicht lieferbar ist. Das passierte in den vergangenen Jahren häufiger. Außerdem muss man bedenken, dass sich die richtige Dosis ändern kann, wenn Patient:innen älter werden.
Deshalb interessieren sich viele für Alternativen zu L-Thyroxin. Der Wirkstoff steht in verschiedenen Versionen zur Verfügung: künstliche (synthetisch hergestellt, Molekülstruktur kann von körpereigener abweichen) oder als bioidente Hormonextrakte (auch synthetisch hergestellte, aber mit körperidentischer Molekülstruktur). Man kann also durchaus ausprobieren, ob man mit einem anderen Mittel besser zurechtkommt.
Es gibt auch Präparate mit Hormonextrakten von Schwein oder Rind. Befürworter dieser Mittel sehen den Vorteil darin, dass sie ein natürliches Mischungsverhältnis der Schilddrüsenhormone enthalten. Allerdings ist der T3-Anteil in ausgerechnet vielen dieser Mittel unnatürlich hoch, außerdem schwanken die Anteile der Hormone darin. Da die Mittel zudem teurer sind und die Langzeitfolgen bisher nicht erforscht, empfehlen die meisten Expert:innen diese Alternative nicht. In einer Studie schätzten die meisten Patient:innen, die mit natürlichen Schilddrüsenhormonen behandelt wurden, ihre Lebenszufriedenheit jedoch höher ein als die Vergleichsgruppe, die eine Standardtherapie erhielt. Warum das so ist? Unklar.
Interessant sind die Ergebnisse einer Studie, die zeigen, dass Patient:innen, die Beschwerden hatten, aber noch normale Schilddrüsenwerte, durch eine operative Entfernung der Schilddrüse zufriedener waren. Deshalb kann eine Operation manchmal eine Alternative sein.
Welche Rolle spielt die Ernährung?
Einige Expert:innen setzen bei der Behandlung standardmäßig das Spurenelement Selen ein. Es soll dafür sorgen, dass der Körper weniger Antikörper ausschüttet, die das Schilddrüsengewebe angreifen. Eine große Vergleichsstudie fand allerdings nicht genügend Belege dafür, dass Hashimoto-Patientinnen tatsächlich von Selen-Gaben profitieren. Bei einer Überdosierung haben sie nämlich auch ein höheres Risiko an Diabetes zu erkranken.
Manche Expert:innen empfehlen, auf zusätzliche Jodaufnahme zu verzichten, also zum Beispiel lieber unjodiertes Speisesalz zu benutzen. Das gilt aber nicht für Schwangere, sie haben einen erhöhten Jodbedarf. Zu viel Jod steht im Verdacht, eine Schilddrüsenentzündung zu begünstigen. Viele Expert:innen gehen jedoch davon aus, dass man mit der Ernährung gar keine derart hohe Jodkonzentration erreichen kann. Sie sehen als Auslöser eher Röntgenuntersuchungen mit jodhaltigem Kontrastmittel.
Manche Hashimoto-Betroffenen haben eine Gluten-Unverträglichkeit oder einen Eisen- oder Vitamin-D-Mangel. Deshalb kursieren auch diverse Empfehlungen für spezielle Diäten und Nahrungsergänzungsmittel. Viele Patient:innen berichten, dass es ihnen besser geht, wenn sie hohe Dosen von Eisen oder Vitamin D nehmen. Der Effekt ist aber wissenschaftlich nicht belegt. Es gibt sowohl Studien, die einen Zusammenhang zeigen, als auch solche, die keinen sehen.
Diese Studie hat sich verschiedene Diäten angeschaut und die Effekte untersucht. Die Autor:innen kommen zu dem Schluss, dass sich eine anti-entzündliche Ernährungsweise günstig auf den Verlauf der Erkrankung auswirken kann und sogar den Bedarf an Medikamenten reduzieren könnte. Dafür soll man Speisen meiden, die Entzündungen begünstigen. Nur: Welche das sind, ist recht individuell. Es gibt einige Grundzüge dieser auch Perfect Health genannten Diät, die sich überwiegend mit den üblichen Ernährungsempfehlungen decken. Ein Überblick dazu (in deutscher Sprache) ist im Journal „Springer Nature“ erschienen. Darin heißt es: „Die Ursache für die Entzündung liegt nicht allein im Essen.“
Und da schließt sich leider der Kreis: Die Ursachen für Hashimoto sind im Moment unklar. Klar ist nur: Ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Schlaf und einer ausgewogenen Ernährung wirkt sich günstig aus, sowohl präventiv als auch zur Behandlung. Einen allgemeingültigen Rat, wie man sich bei einer chronisch entzündeten Schilddrüse ernähren sollte, habe ich nicht gefunden. Stattdessen aber den altbekannten Hinweis: „Zu dieser Frage ist mehr Forschung nötig.“
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert