Illustration: Ein Mensch schaut durch ein Fenster in einer gelben Wand. Er hält einen Papierflieger in der Hand.

© Karina Tungari

Leben und Lieben

Darf ich meiner Familie erst nach Wochen antworten?

In meiner Kolumne „Die bessere Frage“ helfe ich bei Problemen des Alltags. Folge sechs ist für alle, die von Chats und Mails mit Familie und Freund:innen überfordert sind.

Profilbild von Gabriel Yoran

Elisabeth (Name geändert) fragt: Ist es okay, wenn ich Freunden/Familie erst drei oder vier Wochen, nachdem sie mich kontaktiert haben, antworte?

Gabriel antwortet: Hallo Elisabeth, bevor ich auf deine Frage eingehe, zuerst ein genereller Tipp. Wechsele von Kommunikation zu Meta-Kommunikation, also zu Kommunikation über Kommunikation. Das heißt: Anstatt auf den Inhalt der Kurznachrichten oder Mails, die du bekommst, direkt einzugehen, antworte zum Beispiel: „Momentan ist bei mir sehr viel los, eine Antwort dauert deshalb gerade länger. Wenn es brennt, ruf mich bitte an.“

Das verschafft dir Aufschub – und erst einmal Freiheit. Aber für dein Gegenüber ist eine solche Antwort langfristig natürlich nicht befriedigend. Die Person, die dich kontaktiert hat, wird weiter auf eine inhaltliche Antwort von dir warten. Das erzeugt für dich einen unterschwelligen, andauernden Stress, denn die Aufgabe ist ja nicht aus der Welt. Im Gegenteil: Sie gesellt sich zu dem Berg anderer zu erledigender Dinge.

Wir müssen also die Frage klären, warum du Menschen, von denen ich annehme, dass sie dir wichtig sind, erst nach Wochen antwortest.

Oft schieben wir Dinge auf, für die wir nicht unmittelbar belohnt werden

Üblicherweise schiebt man Dinge auf, die man als mühsam empfindet und für die es keine sofortige Belohnung gibt. Es ist sofort befriedigender, ein Toffifee zu essen, als die Masterarbeit weiterzuschreiben. Es ist sogar sofort befriedigender, den Müll herunterzubringen, als die Masterarbeit weiterzuschreiben, denn das führt zu einem unmittelbaren Ergebnis. Deshalb räumen so viele Leute lieber auf, als wichtigere Dinge zu tun. (Was gar nicht so schlimm ist, denn dann hat man immerhin eine aufgeräumte Wohnung.)

Ich nehme also an, dass es dir mühsam ist, Eltern und Freund:innen zu antworten, weshalb du es aufschiebst. Ich gehe weiterhin davon aus, dass du die Personen, denen du erst nach Wochen antwortest, nicht zwischenzeitlich im realen Leben triffst. Was mich zu der Frage bringt: Wie gut ist das Verhältnis zu deiner Familie und zu diesen Freund:innen? Du kennst vermutlich Menschen, denen du schneller antwortest. Es gibt bei dir wie bei jedem Menschen eine Beziehungshierarchie: Manche Menschen sind einem wichtiger als andere (bei vielen stehen zum Beispiel die Partnerin oder der Partner und die eigenen Kinder an erster Stelle). Daran ist nichts verwerflich.

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Elisabeth, du hast mich gefragt, ob es okay ist, Freund:innen und Familie erst nach Wochen zu antworten. Die bessere Frage lautet: Wie viel möchte ich mit (diesen) Freund:innen und meiner Familie tatsächlich zu tun haben?

Bei manchen Menschen ist das Verschleppen von Antworten nämlich ein (kaum) verdeckter Wunsch nach Autonomie. Sie sehnen sich nach agency, also dem Gefühl, etwas in ihrem Leben ausrichten zu können und nicht nur Opfer der Umstände oder eben Dienstleister für Bekannte und Verwandte zu sein. Das Nicht-Antworten ermöglicht ihnen, diesen Wunsch mit einem geringem Einsatz zu vermitteln: Nichts zu tun, kostet ja erstmal nichts. Es wird nur später unter Umständen sehr teuer.

Denn Kommunikationsverweigerung verursacht Frust und Missverständnisse. Zudem fallen die Interessen derer, die schweigen (das bist in diesem Fall du), tendenziell hinten runter. Wenn du nicht sagst, was du willst, bekommst du nur, was am Ende übrig ist.

Ich finde noch einen weiteren Aspekt wichtig, aus ethischen oder einfach aus praktischen Gründen: Was du nicht willst, dass man dir tut – du kennst es. Frei nach Kant: Handle so, wie du selbst behandelt werden möchtest. Konkret: Es wird der Moment kommen, in dem du Hilfe von genau jenen Freund:innen und Familienmitgliedern brauchst, die du gerade am langen Arm verhungern lässt.

Es ist sinnvoll, Erwartungen zu steuern

Du kennst sie vielleicht auch, diese Leute, die in ein komplettes Kommunikationskoma fallen, sobald sie eine:n neuen Partner:in haben – aber kaum ist der neue Lover wieder weg, bekommst du eine Nachricht, wann ihr mal wieder einen Kaffee zusammen trinken könnt? Bei dieser Person bist du gerade auf der Hierarchie hochgerutscht, aber nur, weil ein Platz frei wurde. Nicht der beste Stil. Willst du so jemand sein?

Gleichzeitig kann man es nicht allen recht machen, vor allem nicht, wenn man von mehr Menschen angeschrieben wird, als man Menschen anschreibt. Kommunikativ klarzukommen in einer Welt, die aus Whatsapp, Signal und iMessage besteht, bedeutet nämlich zweierlei. Erstens: Die eigene Autonomie sichern. Sonst brennt man aus. Zweitens: Gleichzeitig die soziale Verantwortung wahrnehmen, die jede:r hat, der in einer Beziehung mit anderen Menschen steht. Kommunikationsverweigerung ist keine Option. Denn während Schweigen einerseits bedeuten kann, seinen Einfluss aufzugeben, ist es andererseits auch eine subtile Form der Machtausübung. Diese Ambivalenz bedeutet Ärger. Mein Lösungsvorschlag für dein Problem heißt deswegen: Erwartungssteuerung.

Meta-Kommunikation ist eine Form dieser Erwartungssteuerung. Lass die Leute wissen, was sie kommunikativ von dir erwarten können und welches Medium du bevorzugst. Es ist eine Generationen- und Stilfrage, ob man lieber angerufen oder angetextet werden möchte oder sich direkt persönlich treffen will. Deine Kommunikationspartner:innen sollten wissen, auf welchem Wege du erreicht werden möchtest – vor allem aber auch weswegen. (Und wie du mit Sprachnachrichten umgehst. Ich persönlich finde diese Minipodcasts ja unerträglich, vor allem wenn Leute vor sich hin monologisieren und meine Zeit in Anspruch nehmen, ohne dass ich sie unterbrechen und um Abkürzung bitten kann. Aber das ist ein anderes Thema.)

Menschen, die sich überfordert fühlen von Kurznachrichten und Mails, können aber auch etwas von dir lernen, liebe Elisabeth: Bei den nicht so wichtigen Personen ist es okay, nicht so schnell zu antworten. Es ist sogar absolut zu empfehlen. Wer schnell antwortet, bekommt mehr Nachrichten. Denn dann bleibst du im Kurzzeitgedächtnis deiner Kommunikationspartner, das heißt du fällst ihnen bei Fragen oder Problemen schneller ein. Zudem zeigen viele Kommunikationstools die Personen, mit denen man zuletzt geschrieben hat, deutlich sichtbar an. Beide Phänomene verstärken einander, weshalb gilt: Kommunikation führt zu mehr Kommunikation. Im Job kann genau das gewünscht sein, aber nicht im Privatleben, wo du entscheiden können solltest, mit wem du wie viel Zeit in den Messengern verbringst. Zumal die Menschen, die dich kontaktieren, nicht wissen können, wie viele Mails und Messages du sonst noch bekommen hast. Sie legen ihren Kommunikationswunsch einfach oben auf den Stapel. Und noch einen.

Bei Menschen, die in deiner Beziehungshierarchie sehr weit oben stehen, wie etwa enge Freund:innen, Partner:innen oder Familienmitglieder, ist es nicht okay, sie wochenlang auf eine Antwort warten zu lassen. Eben weil bei solchen Personen deine soziale Verantwortung eine andere ist.

Liebe Elisabeth, sprich mit deinen Kommunikationspartner:innen über eure Kommunikation. Steuere ihre Erwartungen. Damit entlastest du dich selbst von dem Stress, direkt und inhaltlich antworten zu müssen, trittst für deine Interessen ein und verhältst dich verantwortungsvoll. Dein Gegenüber entlastet du damit aber auch. Nämlich von der Unsicherheit, die das Warten immer mit sich bringt.


Das moderne Leben ist eine Zumutung: Wir haben so viel Freiheit wie nie – und müssen uns ständig entscheiden. Ich helfe dir dabei. Egal, ob das kleine Dilemma oder die ganz große Frage: Schreibe mir eine E-Mail an: die-bessere-Frage@krautreporter.de! In meiner Kolumne nehme ich die verschiedenen Seiten deines Problems in den Blick. Und wie es sich für einen Autor mit einem Philosophie-Doktor gehört, gilt für meine Kolumne wie so oft im Leben: Die beste Antwort ist eine bessere Frage!


Redaktion: Esther Göbel, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Christian Melchert

Darf ich meiner Familie erst nach Wochen antworten?

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