Laura Malina Seiler sitzt im Schneidersitz mit ausgebreiteten Armen in einem Wintergarten. Sie trägt eine weiße Hose und eine violette Bluse.

Screenshot Laura Malina Seiler

Psyche und Gesundheit

Warum mich Laura Malina Seiler traurig und wütend macht

Ich habe bei einer der bekanntesten Influencer:innen der spirituellen Szene einen Kurs gemacht, der mir Fülle und Freude im Leben versprach. Aber eigentlich sollte ich nur mein Hirn ausschalten.

Profilbild von Martin Gommel
Reporter für psychische Gesundheit

Laura Malina Seiler ist in Deutschland die – ich sage es einfach mal so – Matriarchin der spirituellen Szene. Ihr Podcast „Happy, Holy & Confident“ ist laut ihrer Webseite mit über 55 Millionen Downloads der erfolgreichste Podcast im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und modernen Spiritualität. Mit über 360.000 Follower:innen ist Instagram ihr wertvollster Kanal. Noch dazu veröffentlicht Seiler ein Magazin, das „I AM“ heißt und kürzlich in der 15. Ausgabe erschienen ist. Es kostet 12 Euro. Natürlich ist sie selbst auf jeder (!) Titelseite.

Ich hatte meinen ersten Kontakt mit Seiler vor ein paar Jahren, als ich mit Eifersucht in Liebesbeziehungen kämpfte und ihren Podcast dazu hörte. Er half mir tatsächlich. Laura Malina Seiler erklärte mir, wie wichtig es ist, herauszufinden, woher das Gefühl eigentlich kommt und bei sich selbst zu bleiben. Bis heute folge ich ihr deshalb auf Instagram, wo ich regelmäßig auf zweifelhafte Videos der Coaching-Szene reagiere. Als ich kürzlich ein Reel von ihr entdeckte, in dem sie eine Metapher benutzte, die die Lebensrealität psychisch Kranker lapidar ignoriert, wurde ich hellhörig und begann zu recherchieren.

In ihrem Reel erzählt sie eine Geschichte: Ich solle mir vorstellen, jeder Mensch wache morgens mit 100 Energietalern auf. Jeder wäre vollkommen frei darin, wie er diese Energietaler investieren möchte. „Manche investieren sie in ihre Hobbys, in positive Gedanken, in Affirmationen.“ Andere würden ihre Energietaler aber in Menschen investieren, die ihnen nicht guttun, in einen negativen Selbstdialog, blockierende Gedanken.

In meiner Reaktion auf das Video schüttele ich den Kopf. Was mich daran stört: Nicht alle Menschen haben morgens 100 Energietaler zur Verfügung. Viele Menschen, die etwa von Depressionen betroffen sind, wachen sogar mit einem Energietaler-Minus auf, weil sie krank sind und nicht mal die Kraft dafür haben aufzustehen.

Ich habe mir vorgenommen, mir die Spirituellenszene genauer anzugucken, weil ich sehe, dass sich dort etwas Finsteres entwickelt: eine Art Turbokapitalisierung unserer Gefühle, Lebenssituationen und Krisen, die Coaches wie Seiler sich zunutze machen.

Schaut man sich die alten Insta-Posts von Seiler an, sieht man Coachingsprüche wie: „Ein Regenbogen kann nur dann entstehen, wenn Sonne und Regen aufeinandertreffen.“ Ihre Inhalte waren bisher im besten Fall hilfreich, im schlechtesten hatten sie die Qualität eines beigefarbenen Wandtattoos aus dem Baumarkt: „live, love, laugh“.

Nur eines waren sie nie: gefährlich. Sie haben mir weder das Geld aus der Tasche gezogen, noch haben sie mich verletzt. Das scheint sich zu ändern. Deshalb habe ich angefangen, mir Laura Malina Seilers Inhalte genauer anzuschauen.

Auf ihrer Webseite fand ich einen Kurs, der mich neugierig machte: Total Abundance. „Erlebe Transformation in allen Lebensbereichen – Finanzen, Beziehungen, Gesundheit & mehr.“ In allen Lebensbereichen? Nice. Etwas naiv überlese ich Worte wie „Manifestieren“, „Frequenz“ und „energetische Fülle“ und hoffe, dass diese Themen nur angeschnitten werden.

Wir sehen einen Screnshot vom Kurs: Darauf ist geschreiben: 4 H Onlinekurs. TOTAL ABUNDANCE. Weniger Mangeldenken. Mehr Fülle & Freude im Leben.

Auf der Webseite des Kurses werde ich gefragt:

Kennst du das?

„Du glaubst, nicht genug zu sein und für viele Dinge im Leben nicht auszureichen.“ Check. Kenn ich. Ich habe den Eindruck, dass meine Depression wie eine Behinderung ist, die mich daran hindert, glückliche Liebesbeziehungen zu führen. Jedes zweite Mal, wenn ich mich verliebe, lande ich in der Psychiatrie.

„Du bist neidisch darauf, was andere erreicht haben.“ Auf jeden Fall! Ich vergleiche mich ständig mit erfolgreicheren Journalist:innen auf Twitter und beneide sie um ihren Erfolg. Ich hätte auch gerne hunderttausend Follower:innen und frage mich, wie viel besser mein Leben dann wohl sein würde.

„Du machst dir Sorgen um deine Finanzen, aber auch generell um deine Zukunft.“ Allerdings. Ich habe mir zum Lebensstil gemacht, auf minimaler Sparflamme auszukommen, stemme drei verschiedene Jobs – und bin trotzdem knapp bei Kasse.

Der Kurs „Total Abundance“ kostet 111 Euro, die ich (zum Glück!) im Rahmen meiner Recherche von Krautreporter bezahlt bekomme. Der Kurs ist ein aufgenommenes Video von einem Live-Workshop, der im September 2022 mit zugeschalteten Teilnehmer:innen veranstaltet wurde.

Schön! Geil! Megagut!

Ich setze mich mit Kaffee und Notizblock an den Laptop in der Küche unserer WG und drücke gespannt den Play-Button. Gelaunt bin ich eher mittel, denn vor einer halben Stunde las ich eine E-Mail von einem Verlag, der meine Preisvorstellungen für ein Buchprojekt rigoros abgelehnt hatte.

Seiler begrüßt mich halb singend, halb lachend: „Guten Morgeeeeeen! So schön, geil, megagut, euch alle zu sehen.“ Dann wünscht sie mir, dass ich mich „an so ner riesigen Energiesteckdose aufladen“ kann und dass dieser Tag sicher ganz „magic“ wird. Ich merke schon, sie ist offensichtlich unter Strom. Woran das liegt, werde ich gleich erfahren.

Ein wenig nervt mich das Positivity-Glitzer-Abo, aber einen Schuss MAGIC könnte ich wirklich gebrauchen. Neben meinen finanziellen Struggles bringe ich 130 Kilogramm auf die Waage, mein Leben ist ein einziger Jo-Jo-Effekt. Die Corona-Kilos bleiben an mir kleben, egal, wie viel Sport ich treibe. Ich nippe an meiner Tasse und stelle mir vor, wie Seiler mit einem Zauberinnen-Hut und rosa Filzstift „Simsalabim“ sagt, in die Kamera zwinkert und mir der Kaffee aus der Hand fällt, weil ich, piffpaff, 40 Kilo abgenommen habe und mich vom Küchentisch aus Zehntausende in Münzen eingestanzte Laura-Gesichter anlächeln.

Habe ich mich verrechnet?

Am Original-Event zu diesem Kurs sollen über 4.000 Menschen teilgenommen haben, sagt Seiler. Bitte was? Ich rechne im Kopf: 4.000 mal 111 ist gleich … Ich tippe in die Taschenrechner-App. Es stimmt. 444.000 Euro. Fast eine HALBE FUCKING MILLION Umsatz hat Laura schon mit diesem Kurs gemacht – und noch nicht mal mit dem Workshop angefangen! Da würde ich auch strahlen wie ein Castortransport, denke ich, schätze die Fixkosten für Produktion, Booking, Steuern und Angestellte, die da natürlich noch abgezogen werden, und schmiere mir ein Käsebrot.

Seiler lädt nun zur Eröffnungsmeditation ein. Sie will den „Raum auch energetisch aufmachen“, ein Prayer, um die Intention zu setzen. Wer noch nie meditiert hat, soll mit dem Flow gehen. Es sei wichtiger, was heute energetisch geschehe, „als das, was in deinem Kopf passiert.“ Energetisch falle ich drei Kilometer unter Meeresspiegel, denn mir wird langsam klar, dass ich wahrscheinlich keine klugen Gesundheits- und Finanztipps bekommen werde und die echte Transformation draußen warten muss.

In der Meditation lädt Seiler „alle Lichtwesen ein, die heute hier unterstützend wirken können“, ich schreie reflexartig laut „FUCK“ und drücke die Stopp-Taste. Soll ich mir das wirklich antun? Vier Stunden lang? Ich sammle mich kurz, atme ein und wieder aus, mache meine eigene Mädyteyschän.

Mein inneres Kind stampft und schreit wie am Spieß. Es hat einen hochroten Kopf und trägt ein Slayer-T-Shirt mit Pentagramm. Es muss sich die Ohren zuhalten, weil Mama Panflötenmusik hört und die Wohnung nach Räucherstäbchen stinkt. Ja, auch meine Mutter glaubte an Engel, Lichtwesen und ihren supernatürlichen Einfluss auf unsere Welt. Aber unsere Familienprobleme, unter denen ich täglich litt, löste das nie. Deshalb ist das alles hier schwer für mich zu ertragen.

Wenn es sich richtig für die Teilnehmer anfühle, sollen sie ihre Ahnen einladen – „all die Menschen, die vor dir da gewesen sind“, so Seiler. Ich bin lost. Das letzte Mal, dass ich in Kontakt mit meinen Ahnen war, heulte ich auf der Beerdigung meines Opas.

Während der Meditation wird Musik eingeblendet, die Seilers sanfte Stimme untermalt und ich bemerke, wie perfekt die ganze Show abgestimmt ist. Seiler meditiert in einem Haus, das mitten im Wald steht, und mich an die megaperfekten Pinterest-Tinyhouses mit Ikea-nur-dreimal-so-teuer-Innenausstattung an einem zugefrorenen See in Schweden erinnert, das sich ohnehin keine Sau leisten kann, wovon man aber mit dem Partner schwärmt, wenn man frisch verliebt ist. Genauso wie man davon träumt, irgendwann mal huckepack nach Kanada auszuwandern und es dann, naja, doch nicht tut. Träumchen. Ob Seiler darin wohnt? Oder ist die Kiste nur für die totale Abundance gemietet?

Die Farben im Raum knallen, und das passt zu Seiler selbst, die bunt angezogen, mit rosa lackierten Fingernägeln und Lippenstift fresh und zeitgemäß wirkt. Sie ist keine alternative Lady mit Dreadlocks und Batikshirt, wie man sie von verschwörerischen Friedensdemos kennt, sondern zeigt sich edgy und cool. Würde ich sie auf der Straße sehen, würde ich ihr vielleicht hinterherschauen (nicht: pfeifen!). Ach, eigentlich ist mir Seiler sympathisch.

Sie macht auch eigentlich alles richtig. Sitzt mit offener Körperhaltung da, blickt freundlich, kommuniziert klar und verständlich, lacht dabei und hält den Augenkontakt, diktiert nicht ihr Weltbild, will, dass wir unser eigenes finden. Eine Therapeutin, bei der ich in der Psychiatrie vor einigen Jahren verschiedene Kommunikationsstrategien lernte, würde Seiler garantiert zehn von zehn Punkten für Ausstrahlung, Mimik und Tonfall geben.

Meine Aura ist ein grüner Zombie

Seiler lädt die Teilnehmer:innen ein, weniger mit dem Verstand dabei zu sein und mehr mit dem Herzen. Ich soll also Kritik und Zweifel heute mal zur Seite legen. Klar. Wenn man etwas Neues probiert, tut eine gewisse Offenheit gut. Wenn ich keinen Bock habe, stricken zu lernen und es trotzdem versuche, wirds hakelig. Aber hier geht es um mehr. Finanzen, Gesundheit und Beziehungen. Große Themen. Mein Herz sagt mir: „Fühlt sich nicht gut an.“ Mein Kopf: „Achtsam bleiben, Martin. Nicht den Verstand aus-, sondern einschalten.“

Ich spüre, in mir macht alles dicht, meine Arme und Beine verkrampfen sich, plötzlich höre ich das Fiepen in meinem Ohr wieder, der alte Tinnitus, der immer dann laut wird, wenn ich unter Stress stehe. Ich versuche wirklich, Seiler ernst zu nehmen. Aber ich fühle mich als Mensch überhaupt nicht ernst genommen, wenn ich gesagt bekomme, mein Hirn auszuschalten. Ich komme mir komplett verarscht vor.

Aber Seiler setzt noch einen drauf:

„Du hast ja nicht nur deinen physischen Körper, den du jetzt gerade hier bei mir siehst – manche können vielleicht auch meine Aura sehen, manche können vielleicht mein Energiefeld sehen –, ich habe ja nicht nur meinen physischen, materiellen Körper, genauso wie nicht nur du deinen materiellen Körper hast. Sondern du hast ja auch noch einen energetischen Körper um dich herum. Und vor allen Dingen hast du ein energetisches Magnetfeld von deinem Herzen. Und das ist quasi wie das, was alles in deinem Leben anzieht.“

Wir sehen, wir Laura Malina Seiler im Schneidersitz mit geschlossenen Augen meditiert.

Seiler sagt das so selbstverständlich, als würde sie über das Wetter in Hannover sprechen. Energiefelder …, falls jemand das an dieser Stelle braucht: Wissenschaftlich betrachtet, existieren Energiefelder nicht. Langsam werde ich aggro. Ich breche ab und spiele zehn Minuten Call of Duty, um runterzukommen.

Nach einer kalten Dusche drücke ich wieder auf Play. Meine Hände zittern ein wenig. Meine Aura ist jetzt vermutlich ein riesiger, hässlich-grüner Zombie. Seiler grinst in die Kamera.

„Wir manifestieren immer. Weil wir geistige Wesen sind. Und weil wir alles von der geistigen Ebene in die materielle Ebene holen.“

Manifestieren ist ein feststehender Begriff in der spirituellen Szene. Er beschreibt das bewusste Erschaffen von Dingen oder Ereignissen in der eigenen Realität. Menschen wird dabei vermittelt, dass sie mit Hilfe von Affirmationen und positiven Gedanken ihre Wünsche erfüllen können: eine Traumbeziehung, ein Haus am Strand oder fett Kohle auf dem Konto.

Manifestieren basiert auf dem Glauben an das sogenannte Gesetz der Anziehung: Gleiches zieht Gleiches an. Sprich: Wir manifestieren das in unserem Leben, woran wir glauben.

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Es mag sein, dass das sinnvoll ist für Menschen, denen es grundsätzlich gut geht und die auf ihr Glück noch eine Sahnehaube draufsetzen wollen. Aber was ist mit Menschen auf der Flucht, die ihre halbe Familie auf dem Mittelmeer verloren haben? Menschen im Krieg in der Ukraine? All die Toten. Den Opfern der Klimakatastrophe, den getöteten oder eingekerkerten Menschen im Iran. Wer hat das manifestiert?

Ich merke, wie mir eine Träne die Wangen herunterkullert. Mich macht das alles furchtbar traurig. Wenn es doch nur so einfach wäre, Laura. Mir ist jetzt wirklich übel.

Laura hat mich verloren

Zu Beginn des Kurses hatte ich gehofft, ein Körnchen Wahrheit zu finden, die alte Laura zu sehen, die mir dabei hilft, mit meiner Körper-Unzufriedenheit zurechtzukommen und die vielen Baustellen meines Lebens anzugehen. Aber jetzt weiß ich: Die neue Laura hat mich verloren. Ich kann dem Ganzen nicht mehr zuhören, ohne ständig STOP zu drücken. Ich lege mich auf mein Bett, mache Atemübungen, mein Kopf im Kissen vergraben.

Im Off höre ich Seiler sagen: „Dieses Universum ist ein neutraler Ort der unbegrenzten Möglichkeiten!“ Total Abundance läuft weiter, ich habe komplett vergessen, das Video auszumachen.

Wenn mein Herz mein Magnet ist, mit dem ich Dinge in mein Leben ziehe und ich nicht nicht manifestieren kann, wie Seiler behauptet, habe ich dann auch die Misshandlungen in meiner Kindheit manifestiert? Habe ich dann auch meine Suizidalität manifestiert, damals mit zwölf Jahren, oder das Mobbing in der Schule? Alles läuft auf diese Frage hinaus: Bin ich selbst am Unglück meiner Kindheit schuld?

Wenn ich Seiler höre, dann weiß ich: ja. Natürlich sagt sie das nicht. Sie betont die guten Dinge, die man manifestieren kann. Alles was glitzert. Geld. Liebe. Erfolg. Glück.

Das Problem in diesem Kurs, das Problem beim „Manifestieren“, sind nicht der Glitzer oder die imaginären Energiefelder. Das Problem ist, dass Seiler in diesem Kurs ihren Teilnehmenden sagt: Du allein bist verantwortlich für alles, was in deinem Leben passiert.

Wenn du steinreich sein willst, wirst du es.

Wenn du körperlich und psychisch gesund sein willst, zack, bitteschön.

Wenn du megatolle Liebesbeziehungen haben willst, you can have it all.

Aber was, wenn man arm ist – und bleibt? Was, wenn man krank ist, vielleicht Krebs hat – und deshalb sterben muss? Ist man dann auch selbst dafür verantwortlich oder vielleicht sogar schuld daran?

Wenn es darum geht, ein bisschen Glück und Gutes anzuziehen, sein Herz zu öffnen. Klar, bitte! Aber wenn man psychisch vorbelastet ist, wenn man finanziell ruiniert ist oder in einem Umfeld steckt, in dem die Mutter täglich trinkt, dann ist dieser Kurs, dann sind solche Weisheiten extrem gefährlich. Denn dann ist nicht die Mutter schuld, nicht das Finanzamt, nicht die Gene.

Dann bist es du allein. Dann ist es aus mit live, love, laugh.

No Shit, Sherlock

Am nächsten Morgen setze ich mich ausgeschlafen an den Küchentisch, öffne meinen Laptop, sehe Laura Malina, doch dann fällt mir ein, dass ich mein Handy nicht aufgeladen habe. Also schließe ich es an, setze mich hin, stehe wieder auf, weil das Küchenfenster offen ist und es zieht. Ich bin kurz davor, auf Play zu drücken, eine Stunde habe ich noch vor mir, aber dann knurrt mein Magen und ich öffne den Kühlschrank. Was ist nur mit mir los? Ich drücke mich vor dem Kurs und würde am liebsten in der Redaktion anrufen und sagen: „Sorry, wir machen den Text nicht. Ciao Kakao.“

Aber wenn ich eine Sache gut kann, dann, mich zu disziplinieren. Das Leben ist kein Pappenstiel, denke ich, nehme meinen Laptop und setze mich direkt ins Bett. Das mache ich immer, wenn ich überhaupt keine Lust habe, aber einen Text schreiben muss. Im Bett ist es gemütlich und ich vermute, dass ich ohnehin gleich wieder heulen muss.

Seiler: „Wenn ihr dir sage: Möchtest du eine Million Euro haben? In dir gibt es einen Teil, der sofort sagt: Ja, auf jeden Fall möchte ich eine Million Euro haben. Und ich bin mir aber auch 100 Prozent sicher, dass es irgendwo in dir auch einen Anteil gibt, wo es sich irgendwo unwohl anfühlen würde, eine Million Euro zu haben, weil du gar nicht weißt, wie du damit umgehen kannst, gar nicht weißt, wie du das halten kannst.“

JA, NO SHIT, SHERLOCK.

Das ist doch zynisch. Menschen, die finanziell struggeln, werden mit solchen Phrasen gecatcht. Sie wünschen sich, dass endlich mal der Staat eingreift, ihnen finanziell hilft oder sie vernünftiger bezahlt werden würden für ihre Arbeit. Und weil das alles nicht passiert, geben sie 111 Euro für einen Kurs bei Laura aus.

Das hat Hassan nicht manifestiert

Dabei muss ich an ein Video von der Multimillionärin Marlene Engelhorn denken, das ich kürzlich auf Insta gesehen habe. Sie sagt:

„Alle haben die gleichen Chancen, reich zu werden. Du glaubst das wirklich? Stimmt aber nicht. Ich bin Marlene Engelhorn und Millionenerbin. Für meinen Reichtum habe ich genau nix getan. Reich wirst du nicht durch extremen Fleiß. Und auch nicht durch einen starken Willen. Was du nämlich wirklich brauchst, sind reiche Eltern. Oder reich heiraten.“

Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Sicher hilft das richtige „Mindset“ beim Geldanlegen. Nur muss man dafür auch erstmal welches haben. Seiler propagiert das Gegenteil und macht die Betroffenen für ihre Situation verantwortlich. „Wenn du denkst, es ist schwer, dass Geld in dein Leben kommt, ist es schwer, dass Geld in dein Leben kommt. Das Leben wird dich immer in dem bestätigen, wovon du überzeugt bist.“

Ich denke an einen geflüchteten jungen Erwachsenen, den ich vor Jahren als Erzieher betreut habe. Hassan war ohne Eltern aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Die Taliban hatten seine Familie getötet – und er wäre als Nächster rekrutiert worden. Hassan war ein zuvorkommender, freundlicher Jugendlicher, doch jede Ausbildung, die er begann, musste er abbrechen, weil er schwerst traumatisiert nicht dazu in der Lage war, arbeiten zu gehen.

Hassan wird vielleicht ein Leben lang darum kämpfen, wirklich in Deutschland anzukommen und Geld zu verdienen. Es ist nicht schwer, dass Geld in sein Leben kommt, weil Hassan schlecht über Geld denkt. Hassan hat Dinge gesehen, die wir niemals sehen werden, und das hat ihn kaputt gemacht.

An dieser Stelle stoppe ich die totale Abundance und entscheide mich, das Video erst weiterzuschauen, wenn ich einen richtig guten Tag habe. Diese toxische Positivität geht mir an die Nieren. Das ist nicht gut für meine psychische Gesundheit.

Ich wünsche mir echte Empathie

Was mir von Laura Malina Seiler fehlt, was ich mir wünsche, ist Empathie. Nicht mit den Menschen, die an ihrem Event teilnehmen – dass sie die mag, ist logisch.

Ich wünsche mir aufrichtiges Mitgefühl mit denen, die sich das nicht alles leisten können, armutsbetroffen sind, psychisch krank oder jeden Tag an ihrem Arbeitsplatz sexuell belästigt werden. Mit Geflüchteten, Queeren oder People of Color. Menschen am Rande dieser Gesellschaft.

Mit Empathie meine ich kein Mitleid, sondern das Anerkennen, dass ihre Situation furchtbar ist – und sie nicht selbst daran schuld sind, weil sie noch das falsche Mindset haben. Und ich meine das Auslassen latenter Unterstellungen, Betroffene hätten ihre Misere mit ihrem Herzen selbst manifestiert.

So etwas macht mich wütend. Und traurig.

Ergänzung 20. Juli 2023: Laura Malina Seiler legt Wert darauf mitzuteilen, dass sie in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen und FAQs darauf hinweist, dass sie sich mit ihrem Angebot nicht an psychisch Kranke und an Personen richtet, die medizinischer, psychologischer, psychiatrischer oder psychotherapeutischer Hilfe bedürfen.


Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Warum mich Laura Malina Seiler traurig und wütend macht

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