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Was ist gerade wichtig?
Der amerikanischer Journalist Evan Gershkovich vom Wall Street Journal ist in Russland festgenommen worden. Ihm wird Spionage für die US-Regierung vorgeworfen, so der Inlandsgeheimdienst FSB in einer Mitteilung. Im schlimmsten Fall drohen Gershkovich bis zu 20 Jahre Haft. Die Vorwürfe sind höchstwahrscheinlich konstruiert – und Russland hat eine weitere unsichtbare rote Linie überschritten.
Was bedeutet die Verhaftung?
Freie Presse gibt es nicht mehr in Russland. Kritische Medien, zum Beispiel Meduza, sind verboten, andere haben ihre Arbeit in Russland eingestellt, etwa die Nowaja Gaseta. Unabhängige Journalist:innen haben das Land verlassen oder sitzen hinter Gittern, wie Iwan Safronow, der 2020 zu 22 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Platz 155 von 180.
Vor einem Jahr hat Krautreporter Meduza geholfen, eine Finanzierung durch Mitglieder auf die Beine zu stellen. Wenn du Meduza unterstützen möchtest, kannst du hier Mitglied werden.
Die Verhaftung eines Journalisten wirkt auf den ersten Blick nicht sehr überraschend. Der Unterschied aber liegt in der Nationalität. Russische Journalist:innen leben schon lange gefährlich – ausländische Korrespondent:innen aber konnten bis jetzt relativ frei in Russland arbeiten. Zumindest mussten sie keine Angst vor einer Verhaftung haben.
Jetzt hat Russland einen US-amerikanischen Journalisten verhaftet – das erste Mal seit Ende des Kalten Krieges. Der Kreml verfolgt damit wahrscheinlich zwei Ziele. Erstens will er alle anderen ausländischen Korrespondent:innen einschüchtern, die noch in Russland leben und für ihre Medien kritisch berichten. Jede:r ist jetzt potenziell in Gefahr.
Zweitens könnte Russland einen Gefangenenaustausch anstreben. So war es zum Beispiel bei der US-Basketballerin Brittney Griner. Sie wurde im Februar 2022 an einem Moskauer Flughafen verhaftet, weil sie ein halbes Gramm Cannabisöl im Gepäck hatte. Sie wurde zunächst zu neun Jahren Haft verurteilt und nach einigen Monaten gegen den russischen Waffenhändler Wiktor But eingetauscht, der in den USA inhaftiert war.
Gershkovich recherchierte gerade im Ural, möglicherweise zur russischen Rüstungsindustrie oder zur berüchtigten Wagner-Gruppe. Seine Verhaftung hat eine Signalwirkung – und zwar keine gute.
Die Frage der Woche
KR-Leserin Jana fragt: „Wem nutzt dieser Krieg?“
Ich war mir erst nicht sicher, ob ich diese Frage beantworten soll. In ihr schwingt ein verschwörungsgläubiger Unterton mit. Häufig soll die Frage nach den Profiteur:innen des Krieges nahelegen, dass diese den Krieg auch angefangen oder provoziert haben. Deshalb schicke ich vorweg: Das ist nicht meine Absicht. Denn es ist klar, dass Russland die Ukraine freiwillig angegriffen hat.
Und so zynisch es klingen mag, es gibt verschiedene Branchen und Länder, die von diesem Krieg profitieren. Eine der größten Profiteur:innen ist, wie zu erwarten, die Rüstungsbranche. Nach der russischen Großinvasion schossen die Aktienkurse der Rüstungsunternehmen nach oben. Für den größten deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall bedeutete das ein Rekordjahr: Der Umsatz stieg um 13 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro, der Gewinn vor Steuern um 27 Prozent auf 754 Millionen Euro.
Auch die Energiekonzerne, etwa BP oder Chevron, verzeichnen Rekordgewinne, denn die Preise für Öl und Gas sind stark gestiegen. Der Energiekonzern Shell erwirtschaftete 2022 einen Gewinn von mehr als 36 Milliarden Euro – doppelt so viel wie im Vorjahr. Aber nicht nur die Öl- und Gasbranche profitiert, sondern auch die erneuerbaren Energien. Beispielsweise ist die Aktie von SMA Solar stark gestiegen, ein Unternehmen, das Technologie für Photovoltaikanlagen herstellt.
Wenn die Energiebranche profitiert, dann profitiert auch Norwegen. Rund 33 Prozent des von Deutschland importierten Gases kamen 2022 aus Norwegen. Das Land erwartet für 2023 ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent – während die deutsche Wirtschaft vor einer Schwächephase steht. Norwegens Energieminister Terje Aasland sagte dazu: „Es gibt Zeiten, in denen es keinen Spaß macht, Geld zu verdienen.“
Auch die USA profitieren vom Krieg. Ein EU-Beamter sagte der Zeitung Politico: „Nüchtern betrachtet sind die USA das Land, das am meisten von diesem Krieg profitiert, weil sie mehr Gas zu höheren Preisen verkaufen und weil sie mehr Waffen verkaufen“. Aber auch China hat Vorteile durch den Krieg: Wegen der Sanktionen verkauft Russland sein Öl zu sehr günstigen Preisen an China. Umgekehrt muss Russland wegen der Sanktionen viel mehr Waren aus China importieren.
Insgesamt gibt es mehr Branchen und Länder, die unter dem Krieg leiden als davon profitieren. Die Chemie- und Pharmaindustrie leidet unter den hohen Preisen, auch die Gastronomie und der Einzelhandel. Weltweit schwächelt die Wirtschaft.
Der Link der Woche
Vielleicht kennst du die Bilder von Kriegshochzeiten, Männer und Frauen, die sich in Uniform trauen lassen. Doch insgesamt ist Krieg keine gute Zeit für die Liebe. Soldat:innen fällt es oft schwer, Smalltalk zu machen, wenn sie Heimaturlaub machen. Oder sie können ihre Gefühle gegenüber Nahestehenden nicht mehr ausdrücken, weil sie traumatisiert sind. Reporter:innen der Washington Post haben sich gefragt, wie der Krieg Liebe und Sex in der Ukraine verändert hat. Dafür haben sie mit Soldat:innen, Inhaber:innen von Sexshops und Psycholog:innen gesprochen. Den ganzen Text auf Englisch gibt es hier.
Die Hoffnung der Woche
Die ukrainische Organisation Repair Together veranstaltet „Aufräum-Raves“. Die Gruppe junger Menschen fährt in Dörfer, die von der russischen Armee zerstört worden sind. Dann legen sie auf – und räumen gleichzeitig auf oder bauen sogar ganze Häuser wieder auf.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Bent Freiwald, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger