Frau Wester, werden wir beide sterben müssen?
Ich persönlich denke: ja. Ich glaube nicht, dass wir in dem Zeitalter leben, in dem wir uns der Unsterblichkeit hingeben können.
Warum nicht?
Das ist eine der Fragen, die wir am Max-Planck-Institut erforschen: Warum altern wir und wie passiert das? Es gibt eine grundlegende Definition des Alters, die wir Biologen gerne zitieren: Altern ist der Zerfall von Zellfunktionen über eine Zeit hinweg. Dieser Verlauf lässt sich in unserem Universum so einfach nicht aufhalten. Alles altert. Das ist meiner Meinung nach ein unumgänglicher Prozess.
Im Interview: Laura Wester
Alles altert? Ich würde widersprechen. Was ist mit der Qualle Turritopsis nutricula, die sich im Erwachsenenalter in ihren jugendlichen Daseinsstatus zurückverwandeln und diesen Prozess unendlich oft wiederholen kann?
Es gibt natürlich Ausnahmen, aber die sind sehr selten. Das sind spannende Forschungsobjekte, aber die Ergebnisse sind nicht direkt auf den Menschen übertragbar. Wir versuchen allerdings, uns die biologischen Kniffe der Tiere abzuschauen.
Ich habe es noch nicht verstanden, wenn ich ehrlich bin: Warum sterben Menschen überhaupt?
Wir häufen Schäden in den Zellen an, die irgendwann unumgänglich sind. Diese Schäden sorgen dafür, dass die Organfunktionen abbauen. Aus biologischer Sicht sind der Körper und die Zellen einfach nicht dafür gemacht, für immer zu leben.
Ich könnte mich aber zum Beispiel für 200.000 Euro einfrieren lassen. Wäre das nicht eine Möglichkeit, den Zerfall aufzuhalten und somit unsterblich zu werden?
Das ist nicht realistisch. Ich würde sagen, dass vieles, was in der Altersforschung gerade einen kleinen Hype auslöst, in Zellkulturen funktioniert. Also in einem Modell mit tierischen oder menschlichen Zellen. Die Ergebnisse können auch angewandt werden, zum Beispiel bei der Behandlung von Krankheiten. Aber einen kompletten Menschen wirklich einzufrieren und erfolgreich wieder aufzutauen, mitsamt aller Funktionen, die die Organe übernehmen, das funktioniert meines Wissens nach nicht.
Aber mit einzelnen Zellen schon?
Einzelne Zellen kann man einfrieren, wieder auftauen und beispielsweise für Forschungszwecke verwenden, ja. Ich weiß, dass es Forscher:innen gibt, die diesen Vorgang als ausgewiesenes Ziel verfolgen. Und es gibt auch viele Altersforscher:innen, die davon ausgehen, dass wir unsterblich werden, dass dies sogar schon bald der Fall sein wird. Aber wenn Sie mich fragen: Ich persönlich glaube nicht daran.
Meinen ihre Kolleg:innen das wirklich so: für immer leben?
Ich würde das selbst gerne mal diskutieren. Ich finde, wenn wir über Unsterblichkeit sprechen, müssen wir gleich mehrere Probleme mitbedenken, von denen ich nicht genau weiß, wie man sie lösen würde. Zum Beispiel gesellschaftliche Aspekte. Selbst wenn wir es hinbekämen, einzelne Menschen unsterblich zu machen: Wem würden wir dieses Privileg zugestehen? Und wem nicht? Solche Fragen müsste man gemeinsam als Gesellschaft lösen. Das können die Forschenden nicht allein entscheiden. Für mich als Biologin stellt sich aber auch noch eine andere Frage, nämlich die nach der Evolution. Wir Menschen haben uns durch diese ja auch entwickelt. Es gibt Genvarianten, die sich durchsetzen und die von Vorteil für eine Population sind. Auf diese Weise passt der Mensch sich Umweltbedingungen an, so funktioniert Evolution. Momentan verändert sich so einiges auf der Welt, schauen wir uns nur den Klimawandel an. Wollen wir als Spezies wirklich in dem fixen Status bleiben, in dem wir uns gerade befinden, nur um auf ewig weiterzuleben? Wir könnten uns dann nicht mehr anpassen.
Angenommen, wir lebten einfach weiter. Was wäre dann zum Beispiel mit der Fortpflanzung?
Das ist die Frage. Entscheiden wir uns dann gegen Reproduktion und für das ewige Leben? Ich denke, dass das in der Natur einfach nicht vorgesehen ist. Und selbst wenn wir einen Weg finden, unendlich lange zu leben, gibt es immer noch das Risiko von Unfällen. Oder Krebserkrankungen. Um weiter zu leben, müssen sich unsere Zellen im Körper unendlich oft teilen. Bei diesem Prozess gibt es immer die Chance, dass zum Beispiel Krebs entsteht. Das Risiko für einen alten Organismus zu sterben, ist viel höher als für einen jungen. Und junge Organismen pflanzen sich fort, für ältere Organismen aber hat es biologisch einfach keinen Sinn, unendlich zu leben.
Wenn wir uns fortgepflanzt haben, braucht man uns aus biologischer Sicht also eigentlich gar nicht mehr?
Zumindest ist es in der Evolution so, dass vorteilhafte Genvarianten nicht ausgewählt werden können, wenn sie sich erst spät im Leben, also nach der Fortpflanzung, positiv auswirken. Das ist eine der Grundannahmen vieler Alterstheorien. Man nennt diesen Sachverhalt auch Selektionsschatten. Wenn wir Genvariationen haben, die uns im hohen Alter vor Alterserkrankungen schützen, lässt sich das evolutionär gesehen nicht mehr gezielt weiter vererben, weil wir uns ja schon fortgepflanzt haben und das im hohen Alter auch gar nicht mehr können. Gene, die für das gesunde Altern förderlich sind, liegen also in einer Art Schatten und können in der Evolution nicht weitergegeben werden.
Sie beschäftigen sich am Max-Planck-Institut damit, wie ein gesundes und langes Leben möglich sein kann. Was heißt das genau?
Mein persönliches Ziel ist es zu erforschen, wie wir besonders lange und gesund leben. Wir haben immer bessere medizinische Möglichkeiten und werden tatsächlich immer älter. Zumindest fast überall auf der Welt. Damit steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit, an Alterserkrankungen zu leiden. Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkte: Das sind klassische Todesursachen in der westlichen Welt, aber auch neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer tauchen besonders im hohen Alter auf. Wir erforschen, warum man im Alter eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, diese Erkrankungen zu bekommen und auch, wie man diese Krankheiten verhindern kann. Dann steigt die Gesundheitsspanne des Lebens.
Also länger gesund leben, anstatt die Lebensdauer an sich zu verlängern?
Genau. Es gibt die Lebensspanne und die Gesundheitsspanne. Mir geht es aber in erster Linie darum, die Gesundheitsspanne zu verlängern, um im Alter fitter zu bleiben. Wahrscheinlich steigt dadurch auch die mittlere Lebenserwartung der Menschen. Das vollzieht sich jetzt auch schon. Wir haben seit den frühen 1990er Jahren das Wissen, dass im Alter Stoffwechselprozesse aktiv am Altern beteiligt sind. Und dass wir durch deren Manipulation die Gesundheits- und Lebensspanne von Modellorganismen verändern können. Diese Stoffwechselwege untersuchen wir gezielt. Und fahnden auch nach weiteren, die das Altern beeinflussen.
Was sind Stoffwechselwege?
Prozesse in Zellen. Wenn zum Beispiel ein Botenstoff oder ein Hormon gebildet werden, die dann irgendwo in der Zelle andocken und wiederum eine Veränderung des Zustands der Zelle auslösen. Das passiert permanent. Diese Prozesse sind hochkomplex und werden im Laufe des Lebens ein wenig unspezifischer. Das kann in verschiedenen Geweben auch unterschiedlich sein. Deswegen altern manche Gewebe schneller als andere. Das ist auch einer der Punkte, warum ich sage, dass es schwierig ist, das Altern komplett zu stoppen. Weil so viele verschiedene Prozesse auf so viele verschiedene Arten altern. Wir müssten das alles in Einklang bringen.
„Wären wir unsterblich, gäbe es immer nur die gleichen Menschen auf der Welt. Langweilt man sich dann nicht auch?“
Laura Wester
Hört sich in der Tat sehr kompliziert an.
Ist es auch. Aber: Wir können die Funktionen in unseren Zellen verbessern. Wir sind auch schon auf einem guten Weg, zum Beispiel bei Stoffwechselwegen, die an bestimmten Krankheiten beteiligt sind. Wir haben vieles schon verstanden. Früher dachte man eher, dass Altern ein zufälliger Prozess ist. Und jetzt merken wir, dass es gar nicht so zufällig läuft. Wir müssen aber unterscheiden zwischen dem Altern und dem Tod. Generell ist es in der Natur insgesamt schwierig zu sagen: Wir haben ein Thema jetzt durchdrungen.
Können Sie mir mal ein konkretes Beispiel geben, um diese Komplexität zu illustrieren?
Es gibt zum Beispiel Stoffwechselwege, die dafür sorgen, dass wir wachsen. Das ist natürlich wichtig, wenn wir uns vom Kind zum Erwachsenen entwickeln, auch für die Fortpflanzung. Später aber nicht mehr so sehr. Wenn diese Stoffwechselwege dann aber weiter sehr aktiv sind, ist die Chance viel höher, dass Fehler eingebaut werden. Das heißt, es gibt Stoffwechselwege, die sind in jungen Jahren wichtig. Im hohen Alter könnten wir aber zum Beispiel versuchen, diese Stoffwechselwege ein bisschen herunterzuregulieren und dadurch in der Folge gesünder und länger leben. In diesem Gebiet wird gerade viel geforscht, wir machen wirklich große Fortschritte. Auch darin zu verstehen, wie Zellen im Laufe des Lebens funktionieren.
Während meiner Recherche habe ich gelesen, Sie arbeiten besonders gern mit einem Wurm. Warum ausgerechnet mit einem Wurm? Was ist an C. elegans so toll?
C. elegans ist ein Fadenwurm. In der Biologie ist er ein sogenannter Modellorganismus, an dem wir gerne forschen, weil er normalerweise nur drei Wochen lebt. An diesem Fadenwurm konnten wir zum Beispiel zeigen, dass die Würmer länger leben, wenn wir bestimmte Gene verändern. Solche Ergebnisse greifen wir auf und schauen, welche anderen Veränderungen zum Beispiel in der DNA der Würmer dafür sorgen, dass sie länger leben. Wir können den Würmern auch bestimmte Compounds, also Verbindungen oder Wirkstoffe, füttern und schauen, wie sich diese Veränderungen auf ihre Lebensdauer auswirken. Oder wir geben ihnen mehr oder weniger zu essen und schauen, was auf zellulärer Ebene passiert.
Leben fastende Würmer länger?
Einer der bekanntesten und am besten erforschten Mechanismen für ein langes und gesundes Leben ist tatsächlich ein Leben im kalorischen Defizit. Also intermittierendes Fasten, was ja gerade auch ein Trend ist. Das Fasten hat durch die Bank in allen Modellforschungsorganismen für ein längeres und gesünderes Leben gesorgt. Deswegen finde ich es so verrückt, dass Leute immer direkt ans Einfrieren denken, wenn es eigentlich so simple Dinge gibt, die man als Menschen machen kann, um länger zu leben. Vielleicht nicht für immer, aber gesünder und länger. Man kann auf Alkohol verzichten, auf Rauchen auch. Ganz einfache Dinge also, die in unserer Gesellschaft allerdings oft schwieriger umzusetzen sind, als man denkt.
Ich bin Mitte 30 und habe vor ein paar Jahren aufgehört zu rauchen. Ich möchte weniger Alkohol trinken, mache neuerdings auch Sport. Weil ich selbst merke, ich muss jetzt was tun, um fit zu bleiben.
Ich finde es auch spannend zu sehen, was man selbst für die Gesundheit tun kann. Was dann ja wieder förderlich für die Lebensspanne ist. Das Thema Altern erlebt gerade einen Hype. Man sollte sich aber klar machen: Das Altern können wir steuern. Der Tod am Ende ist aber unausweichlich.
Na toll!
Ich bin mir sicher, dass es auch Leute gibt, die etwas anderes sagen. Zum Beispiel gab es vor einigen Jahren einen Nobelpreis für die Entwicklung von induzierbaren pluripotenten Stammzellen. Das ist ein Thema, das die Forschungswelt wirklich beeindruckt hat.
Von was? Was sind induzierbare pluripotente Stammzellen, um Himmels willen?
Als pluripotent bezeichnet man Stammzellen, die eigentlich nur im Embryo vorkommen und sich dann in alle Zelltypen des Körpers entwickeln können. Durch diese Entdeckung ist es möglich, zum Beispiel aus normalen Hautzellen Stammzellen zu bilden oder, in Fachsprache, zu induzieren. Und diese Stammzellen können dann für therapeutische Zwecke genutzt werden. Das Induzieren funktioniert sehr gut in der Petrischale, also in der Zellkultur. Aber eben noch nicht, um einen gesamten menschlichen Organismus komplett zu verjüngen und uns Menschen damit unsterblich zu machen.
„Wenn wir den Tod biologisch überwinden möchten, müssten wir einen Zustand finden, in dem der Körper für immer existiert. Was dann mit unserer Psyche passieren würde: keine Ahnung.“
Laura Wester
Was ist eigentlich mit sogenannten guten Genen? Welchen Anteil machen die aus?
Es ist nachgewiesen, dass Gene einen Einfluss auf die Lebensspanne haben. Wir finden in den Fadenwürmern Genvarianten, die die Würmer lange leben lassen. Diese Genvarianten finden wir auch in menschlichen Populationen. Es gibt zum Beispiel Familien, in denen besonders viele Mitglieder 100 Jahre und älter werden und in denen diese bestimmte Genvariante gehäuft auftritt. Man hat das wissenschaftlich untersucht, schätzt aber, dass Gene nur einen Einfluss von 15 bis 25 Prozent haben. Die Gene werden also auch nicht dafür sorgen, dass Menschen plötzlich 150 Jahre alt werden.
Ich möchte zum Schluss unseres Gespräches gern noch einmal philosophisch werden: Angenommen, der Körper könnte unsterblich werden, was wäre mit unserem Denken?
Wenn wir den Tod biologisch überwinden möchten, müssten wir einen Zustand finden, in dem der Körper für immer existiert. Was dann mit unserer Psyche passieren würde: keine Ahnung. Ich finde die Vorstellung persönlich auch ein bisschen gruselig. Dann fehlt ja auch eine gewisse Flexibilität. Es gäbe, wenn wir unsterblich wären, immer nur die gleichen Menschen auf der Welt. Langweilt man sich dann nicht auch?
Gute Frage!
Es vollziehen sich so viele Entwicklungen gerade, zum Beispiel auch in der Künstlichen Intelligenz. Wer weiß, was es allein durch diese Entwicklungen einmal für Möglichkeiten geben wird, das Leben zu gestalten. Hier könnte es in Zukunft mehr Verbindungen geben zwischen biologischem Leben und künstlicher Intelligenz. Aber das ist wirklich Science-Fiction. Ich wüsste auch gern, wie es in eintausend Jahren auf der Welt aussieht. Aber so lange warten und immer das gleiche Leben leben? Ich weiß nicht.
Das wäre wirklich noch ganz schön lange hin.
Wir betrachten das Altern immer nur als Zerfall von Zellen, also als negativ. Als Gegenentwurf dazu und Heiliger Gral wird dann das ewige Leben ausgepackt. Ich finde es aber wichtig zu sagen, dass Altern auch etwas Positives haben kann. Zum Beispiel, weil mit dem Altern Weisheit assoziiert wird. Ein gesundes, langes Leben ist doch ein tolles Ziel! Auch wenn ich graue Haare und Falten habe, kann ich im Alter noch einen Marathon laufen. Wir sollten das Altern deswegen auch positiv sehen. Auch wenn wir letztlich sterben müssen, ist das Leben nicht verwirkt.
Redaktion: Esther Göbel, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert