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Vor einigen Monaten wurden die Nord-Stream-Pipelines sabotiert. Ermittler:innen haben eine Spur gefunden, die in die Ukraine führt – auch wenn noch einiges im Dunkeln liegt. Was genau, erkläre ich in diesem Newsletter. Außerdem beantworte ich die Frage von Eberhard und gebe dir wie jede Woche eine kleine Portion Hoffnung mit. Solltest du diesen Newsletter zum ersten Mal lesen, kannst du ihn hier kostenlos abonnieren.
Was ist gerade wichtig?
Im September vergangenen Jahres blubberte es in der Ostsee: Unbekannte hatten drei von vier Strängen der Nord-Stream-Pipelines mit Sprengstoff beschädigt. Damals fragten sich alle: Wer war’s?
Ich hielt damals für wahrscheinlich, dass Russland dahintersteckt. Jetzt haben Ermittler:innen einen Durchbruch erzielt – und die Spuren führen in die Ukraine.
Was bedeutet das?
Nach Recherchen von ARD, SWR und der Zeit haben die Ermittler:innen ein Boot identifiziert, das mutmaßlich für die Sprengung verwendet wurde. Das Boot, eine Yacht, wurde von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet, die wiederum zwei Ukrainern gehört. An der Geheimoperation sollen sechs Personen beteiligt gewesen sein, deren Nationalität allerdings unklar ist.
Wer genau den Anschlag auf die Pipelines beauftragt hat, bleibt weiterhin offen. Die New York Times berichtet unter Berufung auf US-Beamte, dass eine „pro-ukrainische Gruppe“ hinter dem Anschlag stecke. Nach Erkenntnissen von US-Geheimdiensten handele es sich bei der Gruppe um Gegner:innen von Wladimir Putin, wobei aber unklar sei, wer sie bezahlt oder befehligt.
Politisch sind diese Recherchen, vorsichtig formuliert, brisant. Eines ist nämlich klar: Die Ukraine steht ziemlich schlecht da. Zwar betonen die Recherchen, dass die wahren Auftraggeber:innen nach wie vor unklar sind. Aber allein die Tatsache, dass Spuren in die Ukraine führen, lässt sie wie ein Land dastehen, das möglicherweise kritische Infrastruktur seiner Partnerländer beschädigt. Und das zu einem Zeitpunkt, wo längst kein russisches Gas mehr durch die Pipelines nach Deutschland floss.
Bei dem Anschlag könnte es sich auch um eine False-Flag-Operation handeln, also eine Aktion, die absichtlich falsche Spuren in Richtung Ukraine legt. Janis Kluge, ein Experte für Russland und Handelsbeziehungen, schrieb auf Twitter: „So viel ist sicher: Entweder die Gruppe ist sehr dumm oder sie ist nicht pro-ukrainisch …“ Entscheidend sind jetzt weitere Ergebnisse der Ermittlungen. Denn die können Auswirkungen darauf haben, wie stark Deutschland die Ukraine in Zukunft unterstützt.
Die Frage der Woche
KR-Leser Eberhard fragt: „Ist der ukrainische Präsident Selenskyj ein Held oder ein Schauspieler? Wie kann er als Person eingeordnet werden?“
Er war ein ungewöhnlicher Quereinsteiger in die Politik: Wolodymyr Selenskyj, ein Schauspieler, Komiker und Unternehmer, gewann die Präsidentschaftswahlen 2019 mit mehr als 73 Prozent der Stimmen. Er konnte die Stimmungen in der Bevölkerung gut lesen und punktete mit seiner direkten Ansprache an die Menschen. Seine großen Ziele waren die Korruptionsbekämpfung und der Frieden in der Ostukraine.
Vor der russischen Invasion steckte Selenskyj viel Kritik ein: weil er keinen Frieden in der Ostukraine erreichte, Korruption nicht mal eben abschaffen konnte und weil er viel Macht im Präsidialamt konzentrierte.
Dieses Bild änderte sich mit der russischen Invasion am 24. Februar 2022. In der ersten Kriegsnacht veröffentlichte Selenskyj ein Video, das ihn mit anderen Spitzenpolitikern (nur Männern) im Zentrum Kyjiws zeigt. „Wir sind alle hier“, sagt er darin, „und verteidigen unsere Unabhängigkeit, unser Land.“ Am Tag darauf lehnte er ein US-Angebot ab, außer Landes gebracht zu werden und sagte: „Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit.“ Diese Sätze sind ikonisch geworden.
Selenskyjs Gesicht wurde schnell auch in anderen Ländern bekannt und er zu einem Präsidenten, dem die Bevölkerung glaubt, dass er ihren Schmerz fühlt. Bekannt geworden ist zum Beispiel sein gramerfüllter Gesichtsausdruck bei seinem Besuch in Butscha. Selenskyj wurde zu einem Präsidenten, den viele Ukrainer:innen schätzen – auch wenn sie ihn vorher kritisiert haben.
Ist er jetzt ein Held oder ein Schauspieler? Ich finde, das ist kein Gegensatz. Seine Fähigkeiten als Schauspieler helfen ihm mit Sicherheit dabei, gute Reden zu halten und Empathie auszudrücken. Aber wenn das der Bevölkerung hilft, ist das ja vielleicht nichts Schlechtes.
Die meisten Ukrainer:innen stehen aktuell hinter Selenskyj: Laut einer Umfrage ist das Vertrauen in das Amt des Präsidenten stark gestiegen. Der Wert hat sich innerhalb eines Jahres verdreifacht, von 27 Prozent im Dezember 2021 auf 84 Prozent im Dezember 2022. Wenn der Krieg einmal vorbei ist, sinkt Selenskyjs Beliebtheit womöglich. Die innenpolitischen Probleme aus der Vorkriegszeit hätte er vermutlich immer noch nicht gelöst. Aber dann würde er eben die nächsten Wahlen verlieren. Denn auch Held:innen können abgewählt werden.
Der Link der Woche
An der Front riskieren nicht nur Soldat:innen ihr Leben, sondern auch Sanitäter:innen und Ärzt:innen. Sie retten andere und sind dabei oft selbst in Gefahr, müssen beispielsweise unter Beschuss operieren. Dieses kurze Video von Radio Free Europe/Radio Liberty zeigt, wie Rettungskräfte in einer kleinen, improvisierten Station in Donezk verletzte Soldat:innen versorgen.
Die Hoffnung der Woche
Jede Woche trifft sich eine Gruppe älterer Menschen in einer Kyjiwer U-Bahn-Station und tanzt gemeinsam. Die Reporterin Liz Cookman findet das inspirierend.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger