Ich traf Johanna vor acht Jahren auf einer Blaubeerfarm in Neuseeland. Wir freundeten uns über einige Gläser Wein in der Hostel-Küche hinweg an und teilten eine Abneigung: Keine wollte aufstehen und das Geschirr abspülen. Also quatschten wir bis spät nachts. Johanna zog nach der Zeit in Neuseeland nach Köln. Ich studierte in Mannheim, dann lebte ich in Los Angeles und heute in Schweden.
Am neuen Wohnort Freund:innen zu finden, ist gar nicht so einfach, vor allem, wenn man nicht mehr so jung ist. Darüber hat mein Kollege Tarek hier geschrieben. Ich bin zwar noch keine 30, kann Tarek aber gut verstehen. Ich mag es nicht, neue Freund:innen suchen zu müssen. Früher haben sich Freundschaften durch die Uni leicht ergeben, heute muss ich mich mehr anstrengen. Und es ist nicht nur ein Klischee, dass die Menschen in Schweden distanzierter sind. Am liebsten hätte ich meine Freund:innen einfach eingepackt und überallhin mithingenommen.
Über die Jahre habe ich viele Fernfreundschaften angesammelt. Manche haben die dauernde Distanz nicht überlebt. Da ist zum Beispiel Tom: Wir studierten in derselben Stadt und haben uns damals fast jeden Tag gesehen: in der Mensa, bei WG-Partys und zum gemeinsamen Spieleabend. Als wir in verschiedene Städte gezogen sind, hielten wir anfangs wöchentlich Kontakt über Whatsapp. Nach ein paar Monaten hörte ich fast gar nichts mehr von ihm. Ich schrieb noch ein paar Mal, aber meistens kam wenig oder nichts zurück. Erst machte ich mir Sorgen. Hatte ich etwas falsch gemacht? Mit der Zeit gab ich auf.
Johanna aus Neuseeland blieb. Wir machen manchmal Witze darüber, dass wir eine solidere Fernbeziehung führen als viele Long-Distance-Paare. Dabei haben wir noch nie in derselben Stadt gewohnt. Warum klappte mit ihr, was mit Tom nicht ging?
Ich weiß noch nicht, wann ich wieder nach Deutschland ziehe. Und selbst wenn ich den Schritt gehe, wohnen meine Freund:innen nicht in der gleichen Stadt, sondern sind quer über das Land verteilt. Wie kann ich dafür sorgen, dass meine Freundschaften trotzdem halten? Ich habe mit einer Soziologin gesprochen und die KR-Community gefragt.
Was passiert, wenn ein Freund plötzlich weg ist?
KR-Leserin Anna geht es ähnlich wie mir. Sie zieht berufsbedingt viel um und sieht ihren Freundeskreis nur sehr unregelmäßig. Anna schreibt: „Ich träume von einem geselligen Zusammenleben im selbst zusammengebastelten Dorf.“ Cornelia ist Anfang 1993 von West- nach Ostdeutschland gezogen. Trotzdem hat sie sich ihr soziales Umfeld erhalten. „Ich habe Freundschaften, die trotz der Entfernung jetzt über 30 Jahre lang gehalten haben.“ Robert hat andere Erfahrungen gemacht. Über zwanzig Jahre hinweg lebte er immer wieder im Ausland. Der Kontakt mit seinen Freund:innen ist dabei irgendwann eingeschlafen: „Ich fürchte, das ist ein Prozess, der die meisten normalen Freundschaften betrifft, wenn man so mobil ist.“
Ist das so? Ich habe die Soziologin Julia Hahmann angerufen. Sie forscht an der Universität Vechta zu Freundschaften. „Eine richtige Anleitung für Fernfreundschaften gibt es nicht“, sagt sie. Freundschaften verändern sich, wenn eine Person den Ort wechselt. Vor allem die alltäglichen Freund:innen, mit denen man wöchentlich beim Yoga ist oder die man jeden Samstag beim Flohmarkt sieht, können dann einfach weg sein.
Hahmann sagt, wichtig sei es, frühzeitig genau darüber zu sprechen. Will man die Freundschaft aus der Ferne fortsetzen – oder nicht? „Unter Freund:innen muss man sich darüber verständigen, ob es so weitergehen soll. Und darüber, wie man das ersetzen kann.“ KR-Leserin Corinna hat so ihre beste Freundin behalten. „Wir haben uns einmal tief in die Augen geschaut und uns gegenseitig versichert, wie wichtig uns die Freundschaft ist und dass wir uns sehr lieb haben. Das war für mich persönlich ein enorm wichtiger Schritt, um diese Freundschaft aufrechtzuerhalten.“ Sie schicken sich viele Sprachnachrichten, telefonieren regelmäßig, treffen sich alle paar Monate und fahren zusammen in den Urlaub.
Wie oft muss ich meinen Fernfreund:innen schreiben?
KR-Leser Jo hat Glück. Viele seiner Freundschaften finden im Internet statt, zum Beispiel über Online-Games. Auch mit seinem besten Freund trifft er sich im Netz, den besucht er aber auch mehrmals im Jahr.
Sind meine Freund:innen und ich nicht am selben Ort, gebe ich mir viel Mühe. Mit manchen telefoniere ich alle paar Wochen stundenlang, anderen muss ich nur ab und zu ein Meme auf Instagram schicken. Die meisten meiner Freund:innen bekommen regelmäßig eine unnötig lange Sprachnachricht. Meistens beginnt sie mit einer Entschuldigung für meine späte Antwort.
Johanna schreibe ich mehrmals in der Woche über Whatsapp, wir sehen uns etwa alle halbe Jahre. Sollte ich sie öfter anrufen? Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mich eine Weile gar nicht melde? Und wie viel Einsatz muss ich bringen, um eine Fernfreundschaft zu behalten?
Die Frequenz des Zusammenseins sei gar nicht so wichtig, sagt Soziologin Hahmann. Es ist okay, wenn man nur noch ab und zu mit dem ehemaligen Lieblingskollegen einen Wein trinken gehe. Nur weil eine Freundschaft in ihrer Kontakthäufigkeit einschlafe, heiße das nicht, dass sie auch ihr Wesen verliere. Das liege daran, dass Freundschaften ganz unterschiedlich aussehen und unterschiedlich viel Kontakt beinhalten. Hahmann sagt: „Es gibt solche Menschen, die stark in den eigenen Alltag eingebunden sind oder solche, die man nur selten sieht.“ Eine Norm für Mindestkontakt in Freundschaften gibt es also nicht. Ganz anders als beispielsweise in der Liebe. „Einerseits bietet das Raum für Diversität, aber hat auch zur Konsequenz, dass wir wenig Vorwissen und Routinen haben.“
Wie bleibe ich Menschen nahe, die ich kaum sehe?
Ich denke an Kami. Wir sind seit der fünften Klasse gut befreundet. Wir teilten die Abneigung gegen Matheunterricht. Manchmal braucht es zwei Monate, bis einer von uns auf eine Nachricht antwortet und ich weiß wenig aus Kamis Alltag. Aber immer wenn ich in der Heimat bin, treffe ich sie zum Frühstücken oder Gassigehen mit ihrer französischen Bulldogge. Jedes Mal denke ich: „Es ist, als wäre nie Zeit vergangen.“ Die Gesprächsthemen gehen uns nie aus. Und ich weiß, dass ich sie auch mitten in der Nacht anrufen könnte, wenn es mir schlecht geht. Wie haben wir das geschafft?
KR-Leserin Amina geht strategisch dabei vor, Freund:innen zu behalten: Sie investiert Zeit und Arbeit. Ihre Freundesgruppe besteht seit 30 Jahren. „Seit ich so weit weg wohne, sehen wir uns zwar nicht mehr wöchentlich zum Kaffee aber viele Male im Jahr länger. Wir unternehmen mehr und treffen immer die ganze Gruppe.“ Vor 20 Jahren hat sie außerdem einen Newsletter gestartet, der regelmäßig informiert, was sich in der Gruppe tut und wann das nächste Wiedersehen ist.
Oder stattdessen direkt einen eigenen Podcast? Die Autorinnen und besten Freundinnen Aminatou Sow aus New York und Ann Friedman aus Los Angeles bleiben so in Kontakt. Acht Jahre lang nahmen sie wöchentlich den Podcast „Call your Girlfriend“ auf. In einer Folge fragt eine Zuhörerin nach Rat für eine bevorstehende Fernfreundschaft mit ihrer besten Freundin. Sow empfiehlt, sich zu fragen: Wie schaffe ich es, dass mein:e Freund:in sich gut fühlt? Und wie sorge ich dafür, dass er oder sie sich an mich erinnert?
Die Podcasterinnen raten, auch aus der Ferne der besten Freundin Vorrang zu geben. Außerdem warnt Friedman davor, eifersüchtig auf neue Freund:innen zu werden: „Versuche, es nicht so zu sehen, als gebe es eine neues Leben versus einem alten, sondern als Erweiterung des gemeinsamen Freundschaftsnetzwerks.“
Die richtigen Fragen erhalten die Freundschaft
Es könnte übrigens sein, dass ich besonders gut darin bin, meine Fernfreund:innen zu behalten. Eben weil ich so oft umgezogen bin. Das haben Forscher:innen des Instituts für Demoskopie Allensbach 2014 untersucht. Die Ergebnisse der Befragung zeigen: Wer häufig umgezogen ist und nicht mehr in seiner Heimatregion lebt, habe nicht nur mehr Freunde in der Ferne, sondern halte auch den Kontakt zu seinen Fernfreund:innen intensiver als Menschen, die in ihrer Heimatregion leben. Auch die Soziologin Hahmann sagt: Menschen, die viel umgezogen sind oder häufig die Partner:innen wechseln, haben oft bessere Strategien entwickelt, um dauerhaft Freundschaften zu pflegen.
„Wichtig ist, dass ein gegenseitiges Interesse aneinander besteht“, sagt Hahmann. In einer Fernfreundschaft bedeutet das, auch den Alltag mitzunehmen. Egal, wie häufig man voneinander hört: nicht nur über Politik und die großen Lebensfragen sprechen, sondern auch über den neuen, nervigen Kollegen, das gute Café, das man neulich entdeckt hat. „Das muss die eine Person erfragen und die andere anbieten.“
Hahmann empfiehlt mir eine Reihe von Fragen, die helfen können, eine Freundschaft ganz pragmatisch fortzuführen. Was schätze ich an genau dieser Freundschaft, stehe am Anfang. Und: Wann habe ich am meisten Sehnsucht, meine Freundin in den Arm zu nehmen? Die Aspekte der Freundschaft, die sich daraus ergeben, könne man in etwas überführen, das nicht ortsgebunden ist.
An der Freundschaft zu Johanna schätze ich besonders, dass Johanna so albern ist. Bei unseren Besuchen ist es Traditon, dass wir uns ein Poster der Influencerin Katja Krasavice mit der Aufschrift „Boss Bitch“ heimlich unterjubeln. Woher das Plakat eigentlich kam, weiß ich schon gar nicht mehr. Sehen wir uns mal länger nicht, kommt das Plakat stattdessen per Post. Auch bis nach L.A.
Vielen Dank an alle KR-Leser:innen, die sich beteiligt haben: Robert, Anna, Jo, Cornelia, Dieter, Ruth, Julia, Simone, Corinna und Amina.
Redaktion: Thembi Wolf, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert