Ich habe eine Spotify-Playlist, die „Nochmal 16 sein“ heißt. Ja, die Playlist macht, was sie verspricht: Sie sorgt dafür, dass ich vergesse, ein 34-jähriger, arbeitender Mann zu sein. Einer, der sich vor dem Schreibtischstuhlkauf den passenden Stiftung-Warentest-Artikel kauft. Aber Linkin Park, The Used, Bob Marley, blink-182 und die Beginner beamen mich in die Jahre 2000 bis 2007. Schulalltag. Unverstandene Wut auf die Welt. World of Warcraft.
Bis heute kann ich fast alle Songs mehr oder weniger gut mitgröhlen, selbst wenn ich sie im Alltag kaum noch höre. Aber ab und zu sitze ich mit – meist gleichaltrigen – Freund:innen zusammen und wir spielen „Kennt ihr noch den Song“? Jede:r von uns kennt ein Lied und die dazugehörige Geschichte. Mal eine stressige Beziehung, mal ein Festivalbesuch, ein alkoholinduzierter Absturz oder, ganz banal, die Fahrt im Bus zur Schule. Es ist pure Nostalgie. Und das Internet hilft dabei, dieses Gefühl auf Knopfdruck zu erzeugen. Davon will ich dir in meinem Newsletter kurz erzählen – schließlich ist die Vorweihnachtszeit die Zeit der Nostalgie und großen Erinnerungen.
So bekommst du das gute Gefühl
Es muss keine Spotify-Liste sein, die dich in diese Stimmung versetzt, eine Lesezeichenliste im Browser geht auch, oder eine Youtube-Liste. Vor kurzem habe ich dem Streamer Donnie O’Sullivan dabei zugeschaut, wie er alte Werbespots aus den Neunzigern und Zweitausendern geschaut hat. Obwohl mein Fernsehkonsum als Kind stark eingeschränkt war, weil es ein 30-Minuten-Limit gab, kannte ich den Großteil der Werbung sogar. Wer sich die Kommentare unter solchen Clips anschaut, merkt schnell: Die Zuschauer:innen lieben die kurzen Zeitreisen in ihre Vergangenheit. Und das Internet ist ein Nostalgie-Maschinengewehr: das ultimative Archiv, auf das wir von überall zugreifen können. Es bezahlt für unsere Aufmerksamkeit mit dem wohligen Gefühl von „ früher war ja auch schön“. Oder lassen dich diese Serienintros nicht auch an alte Zeiten vor der Glotze zurückdenken?
Übrigens geht es da nicht nur um Werbung oder Videos. Kennst du die „Wayback-Machine“? Die zeigt dir Webseiten, die noch so aussehen wie in der Zeit, als wir uns einwählen mussten und uns mit den Eltern um den einzigen Computer im Haus streiten mussten. Oder wir zocken im „Internet-Archive“ gleich die Spiele, für die man noch Disketten brauchte.
Wer Nostalgie verkauft, ist schlau!
Diejenigen, die Inhalte im Internet liefern, haben längst verstanden, dass hier eine Menge Aufmerksamkeit und damit Geld wartet. Streamer, wie zum Beispiel auch O’Sullivan, machen solche Zeitreisen deshalb immer wieder. Andere schreiben Texte über die erfolgreichsten One-Hit-Wonder aus den 2000ern. Die Spieleindustrie legt alte Spiele nochmal neu auf oder produziert nach Jahrzehnten nochmal Fortsetzungen. Die Spielefirma Blizzard ist da Meister drin: Erst bringen sie mit World of Warcraft Classic eine Version des Spiels heraus, die spielerisch und technisch wie die 2005 erschienene Grundversion ist. Dann erneuern sie den zweiten Teil der Diablo-Reihe über 20 Jahre nach Erscheinen und verkaufen sie für 30 Euro an nostalgische Spieler:innen.
Bitte nicht falsch verstehen, in den meisten Fällen bin ich großer Fan davon. Während Generationen vor dem Internet noch alte Fotos herauskramen oder den Plattenspieler entstauben mussten, reicht es heute, den Browser zu öffnen. Deswegen gehe ich jetzt auch „Der kleine Vampir“ schauen!
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Fotocredit: Federica Galli | Unsplash, Audioversion: Christian Melchert