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Wer sich gerade mit Journalismus, den Medien oder dem Internet befasst, oder einfach nur den Fernseher anschaltet, kommt um eine Sache kaum rum: die Übernahme von Twitter durch den Milliardär Elon Musk. Es ist eine riesige Shitshow geworden, die jeden Tag neue absurde Entwicklungen hervorbringt.
Im Zentrum steht eine Person, na klar: Elon Musk. Was der gerade abbekommt, ist wohl einer der größten Shitstorms, die Twitter je gesehen hat. Aber das war auch zu erwarten – er hat schließlich ordentlich gezündelt. Aber: Musks Niedergang als eine der meistgehassten Menschen im Internet hat schon lange vor seinem Bösewicht-Wandel auf Twitter angefangen.
Um dich mitzunehmen, fasse ich mal zusammen, wie die Twitter-Übernahme ablief. Im März kaufte Musk heimlich 9,2 Prozent der Twitter-Aktien und wurde damit zum größten Aktionär. Das kam bei einer Untersuchung von US-Finanzbehörden heraus. Prompt bot Twitter Musk einen Sitz im Board an, also im Verwaltungsrat, was er ablehnte, um nur ein paar Tage später ein feindliches Übernahmeangebot zu machen. Die Summe: 44 Milliarden Dollar. Twitter akzeptierte das nach Meinung vieler Analysten viel zu hohe Angebot.
Einen Monat später versuchte sich Musk aber auf einmal, aus dem Angebot herauszuwieseln, ihm seien viele Bots und Fake-Accounts „aufgefallen“. Darauf folgte ein Gerichtsverfahren.
Im Oktober dann pausierte das Gerichtsverfahren plötzlich, Twitter und Musk einigten sich. Seit dem 28. Oktober gehört Twitter nun Elon Musk. Jetzt prahlt er damit, die Plattform möglichst schnell aus den roten Zahlen zu holen. Damit könnte die Geschichte vorbei sein. Ist sie aber nicht.
Ab jetzt geht alles abwärts
Am 3. November berichteten zahlreiche Medien, dass Musk rund die Hälfte der Mitarbeiter:innen entlässt, die meisten per formloser E-Mail. Bei Twitter herrscht seitdem Chaos. Niemand weiß, wie es weitergehen wird. Manchen, denen erst gekündigt wurde, wurde wenig später mitgeteilt, sie sollten ihre Kündigung doch ignorieren, andere bekamen neue Angebote.
Ein Beispiel zeigt, wie unwirklich die Situation auch für Mitarbeiter:innen ist. Sarah Personetti, Chief Customer Officer (CCO) bei Twitter, twitterte Ende September: „Ich hatte ein super Gespräch mit Elon Musk!“ Und: „Ich freue mich auf die Zukunft!“
Fünf Tage später kündigte sie.
So viel zu den Leuten, die bei Twitter arbeiten. Aber es gibt ja auch noch Millionen von Menschen, die Twitter nutzen. Es war klar, dass die meisten Nutzer:innen die Übernahme nicht besonders gut aufnehmen werden.
Viele große Accounts (zum Beispiel der Autor Stephen King oder selbst der Twitter-Gründer Jack Dorsey) haben von Anfang an Musks Pläne kritisch begleitet. Sowohl den vergeblichen Rückzug als auch seinen Umgang mit der frisch gekauften Plattform haben viele als Katastrophe für Twitter verurteilt. Andere sind gleich abgehauen und suchen nun einen Ersatz für den großen digitalen Marktplatz, der Twitter für sie war.
Man muss sich einmal diese Frage stellen: Warum hat Elon Musk das eigentlich gemacht? Er stellt sich ja gerne als Retter der Freiheit im Internet dar – weshalb er auch Donald Trump seinen Account zurückgab. Aber Musk ist nicht unbedingt ein liberaler Freiheitskämpfer. Er ist vor allem ein Geschäftsmann. Er will also Geld verdienen. Aber selbst das scheint nicht so richtig zu klappen.
Sein Plan, für Twitter nun Geld zu verlangen und dafür unter anderem den „blauen Haken“ zu vergeben (das ist das Zeichen dafür, dass es sich um einen verifizierten Account handelt), endete in einem Desaster. Das Zeichen, das eigentlich Vertrauen schaffen soll, ließe sich mit einfachsten Mitteln missbrauchen.
Gleichzeitig hat Musk es geschafft, zahlreiche Werbekunden – die bisher einzige relevante Einnahmequelle – von Twitter zu verscheuchen.
Musk sieht das alles nicht ein. Seiner Meinung nach ist das alles eine große Verschwörung von Aktivist:innen, die „Free Speech in America“ zerstören wollen.
Wie er darauf kommt? Musk ist eben nicht besonders beliebt bei vielen „progressiven Menschen“, so schreibt es das US-Online-Magazin Politico. Das kam so:
Es gab eine Zeit, in der Musk der Coverboy der Investor:innen-Szene war. Manche haben ihn mit Bill Gates und Steve Jobs verglichen. Ein Revolutionär mit Visionen, die unseren Planeten verändern und Gutes tun (etwa E-Autos bauen).
Aber mit jedem öffentlichen Auftritt, mit jedem Tweet ist dieses Image weiter in sich zusammengebrochen.
Er mimt die beleidigte Leberwurst
2018 schaute die Welt nach Thailand, wo eine Schulklasse in einer Höhle feststeckte. Alle wollten helfen, Höhlenrettungsteams wurden zusammengestellt und nach Thailand geflogen. Und Elon Musk wollte auch helfen – mit einem elektrischen Tauchgerät. Das hat zwar nicht wirklich geholfen und hätte auch nicht durch die engen Gänge gepasst, aber ein Versuch war das wert. Hier hätte die Geschichte vorbei sein können, aber das konnte Musk scheinbar nicht auf sich sitzen lassen. Anstatt einfach „Schade, kann ich irgendwie anders helfen?“ zu sagen, bezeichnete er einen der Retter:innen öffentlich als „Pedo“, also Pädophilen.
Er ist der egozentrische Milliardär
Als reichster Mensch der Erde könnte man Vieles auf eben jener verbessern. Das Geld in Projekte anlegen, die Menschen in Not helfen etwa. Musk macht aber gerne das Gegenteil. Er setzt seine Macht nur für sich ein. Dass er die Meme-Kryptowährung Dogecoin mit ein paar Tweets auf einmal wertvoll gemacht hat, den Bitcoin-Kurs mal hoch- und mal runterschraubt, je nachdem ob er erlaubt, damit Teslas zu kaufen oder nicht, sind nur zwei Beispiele. Oder, dass er die Sorge um die Ausbreitung von Corona „dumm“ nannte.
Er gibt den Edgelord
Musk erinnert mich in seinem öffentlichen Auftreten an einen Spruch: „Spiele nie mit einer Taube Schach. Egal, wie gut du spielst, sie wird alle Figuren umstoßen, aufs Spielfeld kacken und herumstolzieren, als hätte sie gewonnen.“ Nur, dass diese Taube das Schachbrett auch noch kaufen kann und den Park, in dem ihr spielt. Er ist der Prototyp eines sogenannten „Edgelords“. Lass mich kurz erklären, was das ist: Ein Edgelord ist jemand, der (oder – deutlich seltener – die) möglichst provokante Dinge sagt, schreibt, trägt oder gut findet. Einfach nur, um eine Reaktion auf seine Anti-Haltung zu erzeugen. In einem Podcast wurde diese Haltung mal „Nihilistic Terrorism“ genannt, die auch zu Amokläufen führen kann.
… und seine Fans
Musks Fans sind im Internet schon ein eigenes Meme geworden. Für die ist Musk nämlich so etwas wie der Heiland – ein moderner Jesus, der sie alle mal reich machen wird. Sie analysieren in einem eigenen Subreddit jeden Tweet und jede Regung. Und wenn jemand öffentlich gegen Musk spricht, kommen sie und verteidigen Musk bis aufs Blut. Deswegen sind solche Memes entstanden:
Und er macht es aktuell nicht besser: Auf Twitter kackt er nur noch aufs Spielfeld, indem er Kritiker:innen blockt (und als Boss jetzt auch offiziell von Twitter schmeißen kann). Er nimmt die Sorgen von Menschen nicht ernst und macht Memes aus sich selbst und der Twitterübernahme. Er bestätigt also einfach nur alles, was ich in den Zeilen oberhalb dieses Satzes geschrieben habe.
Wo Musk vielleicht doch Recht hat
Musk rotiert gerade. Er muss Dinge ausprobieren. Sein Versuch, Geld mit Twitter zu verdienen und die Nutzer:innen bezahlen zu lassen, ist sicher ein erster Schritt. Und damit hat er auch Recht, denn soziale Netzwerke haben ein Problem: Das große Geld ist weg. Facebook musste vor Kurzem 11.000 Mitarbeiter:innen entlassen. Das sind mehr Menschen als bei der Stadt Leipzig angestellt sind. Mein Kollege Sebastian hat es hier aufgeschrieben: Geld mit dem Internet zu verdienen, ist verdammt schwer und Musk probiert halt gerade viel aus. Die Betreiber anderer Plattformen beobachten mit Sicherheit sehr genau, was sie aus dem Twitter-Hickhack lernen können. Twitter symbolisiert aber jetzt schon eine Zeitenwende. Die Zeit der riesigen sozialen Plattformen ist (in ihrer heutigen Form) vorbei. Darum wird es aber in meinem nächsten Text gehen (Arbeitstitel: „Das Ende der sozialen Medien“).
Redaktion: Lisa McMinn; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert