Deutschland ist alt. Das merkt man daran, wie Medien sich auf das Jugendwort des Jahres stürzen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass du es noch nicht mitbekommen hast: Dieses Jahr ist es „Smash“ geworden. Smash kommt von dem Party-Spiel „Smash or Pass“. Das Spiel funktioniert nach dem Tinder-Prinzip: Würdest du mit einer Person etwas anfangen, ja oder nein? Smash heißt „ja“ und ist eine Umschreibung für alles, was danach passieren kann – knutschen, kuscheln, Sex oder was auch immer Menschen glücklich macht.
Soweit die Grundlagen. Weil Deutschland aber alt ist, passiert dann jedes Jahr das Gleiche: Man echauffiert sich. „Wer kennt denn sowas?” – „Das benutzt doch keiner!”. Gefolgt von Straßenumfragen wie etwa im NDR-Format buten un binnen in der Bremer Innenstadt. Verlegen kichernde Erwachsene werden vor die Kamera gezerrt und müssen ihr Halbwissen vorführen. Komplett unwissend hat sich übrigens der Moderator von WELT am Morgen gezeigt, als er – vermutlich ungewollt – seine Co-Moderatorin sexuell belästigt hat, indem er sagte, dass er „total gerne mit ihr smasht“.
Anders macht es die im Internet geliebte Susanne Daubner von der Tagesschau, deren Erklärvideo dank ihrer trockenen Art gleich ein Meme wurde. Über 20.000-Videos auf TikTok nutzen ihre Stimme – so wie hier.
Die Sprachwissenschaftlerin Eva Neuland hat im Spiegel im Jahr 2016 angezweifelt, dass die Jugendwörter überhaupt benutzt würden – oder nur „Augenblicksbildungen“ seien, die sich nie lange halten würden. Demgegenüber steht eine Untersuchung des Sprachwissenschaftlers Csaba Földes, der (Achtung, Pdf!)zeigen konnte, dass die Wörter mindestens bekannt sind.
Die eigentlichen Fragen lauten also: Welche Wörter nutzen Jugendliche wirklich? Was bedeuten sie? Und wie nutze ich sie, ohne mich zu blamieren? Um das zu beantworten, muss man da hingehen, wo junge Menschen sind: ins Internet.
Wo Jugendliche sprechen
Es ist nicht sonderlich überraschend, dass eine Abstimmung, die IM INTERNET stattfindet, auch Wörter hervorbringt, die hauptsächlich dort benutzt werden. Und die Sprachwissenschaftlerin Neuland mag recht haben, dass es sich um kurzzeitig benutzte Wörter handelt, benutzt werden sie trotzdem. Die Frage ist aber: in welchen Kontexten und mit welchen Peers (auch so ein jugendliches Wort, es bedeutet: „Gruppen“ oder „Cliquen“)? Also, willkommen bei TikTok, Instagram, reddit und natürlich YouTube!
Das Spiel „Smash or Pass“ hat der Youtuber PewDiePie nämlich schon vor fünf Jahren auf seinem Kanal gespielt. Inzwischen gibt es das Spiel auch mit Pokemon, Fortnite-Skins oder Harry-Potter-Charakteren.
Viele Internet-Jugendworte werden allerdings nie ausgesprochen. Sie werden nur getippt. Etwa „nh“. Das kannst du zum Beispiel in TikToks oder Instagram-Storys finden. Es ersetzt „ein“, „eine“, „einen”, „nen“, „ne“ und was sonst noch an Artikeln existieren. Warum? Das weiß ich auch nicht. Es ist wohl nicht mehr als Lautmalerei. nh Abkürzung halt.
Jugendsprache wird übrigens nicht erst seit heute über soziale Netzwerke und Memes beeinflusst. Falls du zwischen 25 und 40 Jahre alt bist, erinnerst du dich doch bestimmt an HDL, HDGDL oder HDGGGGGGGGGDLBZEDW. Für den Fall, dass du über 40 oder unter 25 bist: Ich hab dich ganz, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz doll lieb bis zum Ende der Welt!
Jugendkultur ist auch Gamingkultur
Ich hatte Anfang des Jahres einen Tipp für das Jugendwort 2022, der es am Ende natürlich nicht geschafft hat. „Let’s gooo“ ist für mich ein allgegenwärtiger, motivierender Ausruf – und begleitet mich jeden Morgen, wenn ich mich aus dem Bett wuchte. Wie ich gelernt habe, sagen „Let’s gooo“ aber hauptsächlich Menschen im Gaming-Bereich und ich bin durch meinen Konsum von Twitch-Streams beeinflusst worden.
Es ist ja nichts Neues, dass Subkulturen eigene Sprachcodes entwickeln – sei es im Fußball oder im Rap. Das ist es, was mich am Internet und dem Einfluss auf die Sprache fasziniert. Hier drückt Sprache eben auch Zugehörigkeit aus. Ich könnte ewig so weitermachen. Warum ich meinem Freund Matthias einfach nur „rip“ oder „F“ schreibe, wenn etwas scheiße gelaufen ist. Warum ich BEDGE viel witziger findet als einfach nur: „Ich gehe schlafen.”
Du verstehst an dieser Stelle nichts mehr? Na gut: „rip“ (Rest in peace) und „F” schreiben Zuschauer:innen in den Twitch-Chat, wenn der Streamer zum Beispiel in einem Spiel gestorben ist. Das F kommt aus dem Videospiel Call of Duty, wo man in einer Mission die F-Taste drücken musste, um bei einer Videospiel-Beerdigung „Respekt zu zollen“ Und BEDGE? Ist ein kleines Bild, das einen schlafenden Frosch zeigt und gepostet wird, wenn man ins BED GEht.
Falls dir das hier gerade alles kompliziert vorkommt, kann ich dich beruhigen. Ich sitze auch oft genug vor meinem Bildschirm und denke „Hä?”. Aber ich muss ja auch nicht alles wissen, um etwas als Teil der Sprachentwicklung anerkennen zu können.
Ich habe den Sprach-Protektionismus vieler Medien nie verstanden. Die überheblichen Witze darüber, dass Jugendliche wahlweise komisch sprechen würden oder dass so eine Sprache ja niemals existieren könne. Dazu ist meine eigene Sprache viel zu sehr durch das Internet beeinflusst worden – und zwar seitdem ich ein Kind war.
Letztens ist mir der Ausruf „SIU“ aus einem Skatepark entgegengeschallt. Das ist eine Art Siegesschrei, den ursprünglich der Fußballer Christiano Ronaldo geprägt hat. Und Wörter wie Bro, Bruder, Bre oder Diggah werden nicht nur in Rap-Songs eingebaut, sondern sind eben Alltagssprache geworden.
In diesem Sinne: BEDGE, Diggah.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Esther Göbel, Foto: Mike Von | Unspleash, Audioversion: Christian Melchert