Der Stoff in meinem Paket stinkt nach Plastik. Der Geruch füllt schnell mein Zimmer und brennt in der Nase. Und mir wird klar, dass ich kein Leinenhemd für den Sommer gekauft habe, sondern auf einen Dropshipping-Shop hereingefallen bin. Statt des 100-Prozent-Bio-Leinen-Hemdes, hergestellt in Deutschland, bin ich nun stolzer Besitzer eines 100-Prozent-Polyester-Hemdes. Aus China, wie mir der Absender des Pakets zeigt. Das war letzten Sommer.
Ich habe die Sache damals schnell als Erfahrung abgehakt und bin seitdem bei Online-Shops sehr misstrauisch. In letzter Zeit fällt mir die Geschichte aber immer wieder ein, wenn mir auf Facebook oder Instagram Werbung angezeigt wird. Oder wenn auf Tiktok ein Account mit einem lebensverändernden Gadget wirbt, das ich unbedingt haben sollte. Dropshipping ist für mich eine neue Pest im Internet geworden und zerstört mein Vertrauen in Internetshopping.
Aber lass mich erklären, was es damit auf sich hat.
So funktioniert Dropshipping
Stell dir vor, du möchtest ein Geschäft eröffnen, du hast die Idee, Wärmflaschen zu verkaufen. Du suchst dir einen Laden, richtest ihn ein, bestellst erste flauschige Exemplare, die du ausstellen kannst und stellst vielleicht sogar ein oder zwei Menschen ein, die für dich an der Kasse stehen. Um das Geschäft anzukurbeln, machst du ein bisschen Werbung in der Lokalzeitung und wartest nun auf Kund:innen. Dropshipping verzichtet auf all das.
Droppshipper:innen setzen auf den Onlinehandel und bauen Webseiten, auf denen sie ihre Ware verkaufen. Der große Unterschied: Sie besitzen die Ware nicht. Bestellst du auf einer Dropship-Seite, geht die Bestellung direkt an – meistens chinesische – E-Commerce-Plattformen wie zum Beispiel Aliexpress, wird dort verpackt und an dich versandt. Dropshipper:innen sind einfach nur Mittelsmänner und -frauen in den globalen Lieferketten.
Die Kund:innen kommen meist über Werbeanzeigen in den sozialen Netzwerken, so wie ich damals mein vermeintliches Leinenhemd gefunden habe. Die Anzeige lässt sich nämlich durch Werbetracker in unseren Browsern zielgenau platzieren. Du möchtest, dass deine Werbung nur Männern, Anfang 30, in großen Städten gezeigt wird, die in den vergangenen zwei Wochen mal einen Onlineshop für Kleidung besucht haben? Kein Problem!
In letzter Zeit beobachte ich aber, wie Dropshipper:innen dazu übergehen, Schleichwerbung zu betreiben und gerade auf Tiktok ein mieses Spiel abziehen: Sie führen eine Show auf, mimen Gründer:innen, die aus ihrer Garage heraus ein kleines Geschäft betreiben. Oft verkaufen sie das Produkt als ihre eigene Erfindung. Eine Mischung aus Elon Musk und der „Höhle der Löwen“-Jurorin Judith Williams quasi.
In den Videos – die verkaufen sich eben besser als Bilder – versprechen dir die Dropshipper:innen, dein Leben zu verändern, sei es mit Schneidhilfen in der Küche oder einem Schlüsselhalter mit Lichtschranke, der dich daran erinnert, den Schlüssel mitzunehmen.
Schau halt hin beim Online-Shopping!
Natürlich gibt es Betrug und andere krumme Geschäfte im Internet, so lange wir vor Bildschirmen sitzen. Aber Dropshipping benutzt so gut wie jede schlechte Entwicklung des Internets, um dir das Geld aus der Tasche zu ziehen: Tracking über Webseiten hinweg, die klassische Lüge durch Bild- und Videomanipulation, Influencermarketing, Spam und, dazu gleich mehr, durch das Versprechen, möglichst schnell möglichst reich zu werden. Selbst die Bundesregierung sah sich gezwungen, Dropshipping aufzuklären.
Am Ende bekommst du nämlich meist nur billige Massenware, Nachahmungen von teuren Produkten oder gleich Fälschungen. Die Zeit hat Dropshipping mal als „Traum für die Fake-Industrie“ bezeichnet und bei einem Test gezeigt, wie einfach man mittels Aliexpress und einem Baukasten-Online-Shop Geld verdienen kann. Nachhaltig ist daran nichts, es geht um ungebremsten Konsum und Impulskäufe.
Was ich noch viel schlimmer finde, ist die Kultur, die sich rund um das Dropshipping entwickelt hat. Neben dem eigentlichen Verkauf hat sich nämlich gleichzeitig eine Coaching-Blase gebildet. Es geht um freie Zeiteinteilung, keine Chef:innen, arbeiten von Bali aus, das eine Art Mekka der Dropshipper:innen ist, und natürlich teure Autos. Kurz: Luxus pur für wenig Arbeit. Das Smartphone genügt, um reich zu werden.
Auf Youtube findet man Tausende Kanäle, die solche Anleitungen mit teils absurden Summen bebildern. Solche zum Beispiel:
Oder solche:
Die vermeintlich erfolgreichen „Entrepreneurs“ zeigen das auf Instagram und machen daraus gleich ein zweites Geschäftsmodell: Coaching. Denn ihr Erfolgsgeheimnis lassen sie sich gut bezahlen. Für ein paar Hundert Euro gibt es Hilfe beim Einstieg ins Dropshipping und damit natürlich in den Reichtum. Der Spiegel hat hier die Geschichte dieser Coaches im Bereich Finanzmarketing aufgeschrieben, das Prinzip funktioniert beim Dropshipping aber genauso. Die Wahrheit ist aber, dass nur ein Bruchteil der Dropshipper erfolgreich sein wird.
Kein Wunder, dass sich auf den sozialen Netzwerken eine Gegenbewegung entwickelt hat, die Dropshipping-Accounts und die Coaches auseinandernimmt und deren Geschichten entlarvt. Bei der Geschwindigkeit, in der die Dropshipper:innen entstehen, kommt die Szene aber kaum hinterher, die Accounts zu demaskieren.
Selbst auf Amazon und anderen Onlinehandelsplattformen wie Otto sind wir nicht mehr sicher vor Dropshippern. Die Plattformen bieten nämlich Händler:innen an, dort zu verkaufen, das erkennt man zum Beispiel bei Amazon an dem „Verkauf und Versand durch …“ Zwar ist zumindest bei Amazon Dropshipping verboten, verhindern lässt sich das aber kaum.
Das heißt aber auch, dass Dropshipping nicht mehr so schnell verschwinden wird. Es ist eben auch eine Folge der Digitalisierung, der globalen Lieferketten und einer Generation, für die es selbstverständlicher ist, über das Internet Geld zu verdienen.
Über dieses neue digitale Prekariat werde ich übrigens in meinem nächsten Zusammenhang auch schreiben. Menschen, die über digitale Plattformen arbeiten, sich als Sprecher:innen anbieten, mehrere Geschäftsmodelle haben und dabei gerade mal den Mindestlohn verdienen.
Redaktion: Bent Freiwald; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Philipp Sipos; Aufmacherfoto: Sefa Ozel/getty images; Audioversion: Christian Melchert