Becca liegt seitlich auf dem Bett, ihren Kopf auf dem Kopfkissen, das zwischen ihrem linken Arm und Kopf klemmt. Sie trägt ein schwarzes Top und Unterwäsche. Ihre Augen sind geschlossen.

Alle Fotos: © Casey Kelbaugh

Leben und Lieben

„Ich habe versucht, die Fehlgeburt zu verdrängen“

Mein Freund ist Fotojournalist und wollte meine Schwangerschaft mit der Kamera begleiten. Doch in der zehnten Woche starb unser Kind in meinem Bauch. Casey fotografierte mich trotzdem weiter.

Profilbild von Becca Leitman

Triggerwarnung: Dieser Fotoessay enthält sensible Inhalte und zeigt Blutungen nach einer Fehlgeburt. Wir empfehlen, die Bilder nur anzuschauen, wenn es dir gut geht und du dich bereit dafür fühlst.


„Oh fuck.“

Das war das Erste, was mein Freund Casey sagte, als ich ihm die Nachricht per Facetime übermittelte.

Eine Hand hält einen Schwangerschaftstest in die Kamera. Das wort "pregnant" (schwanger) ist darauf zu lesen.

Ich hatte nie ein starkes Verlangen gespürt, schwanger zu werden. Manchmal fragte ich mich, ob das Universum die biologische Uhr, die Frauen immer nachgesagt wird, bei mir vergessen hatte. Vielleicht, weil ich selbst als Kind adoptiert worden bin, dachte ich immer, dass ich auch auf diese Weise Mutter werden würde: durch eine Adoption.

Ich habe mir meine Lebensentscheidungen nie von meinem Körper diktieren lassen. Ich konnte mich als Frau frei in der Welt bewegen, ohne mir Gedanken über meine alternden Eierstöcke zu machen. Und dann stand ich plötzlich da, den positiven Test in der Hand: 40 Jahre alt – und zum ersten Mal schwanger.

Becca steht an einem felsigen Strand, sie trägt einen Badeanzug und hält sich ihren Bauch, wie schwangere es oft tun. Es ist bereits ein kleiner Bauchansatz erkennbar.

Die Schwangerschaft machte sich früh bemerkbar. Mir war ständig übel, ich war müde. Meine Schwester sagte, das seien gute Anzeichen dafür, dass sich der Fötus in meinem Bauch reibungslos entwickelte und dass es wahrscheinlich ein Mädchen werden würde. Ich kaufte einen Badeanzug, der zu meinem wachsenden Bauch passte und war so aufgeregt, ihn zu tragen. Ich war in der 10. Woche. Casey und ich begannen zu diskutieren, wo wir wohnen würden und in welchem Zimmer das Baby schlafen würde. Ich stöberte im Internet nach Dekozeug fürs Kinderzimmer.

Während des Ultraschalls war es mucksmäuschenstill gewesen; wir hatten keinen Herzschlag des Babys hören können, nur das Piepen des Monitors. Casey und ich blickten uns irritiert an. Die Arzthelferin verließ leise den Raum, um die Ärztin zu holen. Ich saß auf Caseys Schoß, als sie hereinkam. Dass sie unserem Blick auswich und den Mund zusammenpresste, sagte alles. Die Schwangerschaft war nicht fortgeschritten. Wir hatten keinen Herzschlag gehört, weil es keinen gegeben hatte.

Becca sitzt auf einem Untersuchungsstuhl. Mit der rechten Hand zieht sie ihre Corona-Maske nach unten, in der linken hält sie eine Dose Limonade. Sie trägt ein geblümtes Kleid.

Ich hatte nicht gewusst, wie sehr ich mir ein Baby wünschte, bis man mir sagte, dass ich keins bekommen würde.

Becca steht im Badezimmer und wäscht ein Kleidungsstück im Waschbecken aus. Im Hintergrund ist die Toilette zu sehen, in ihr befindet sich Blut.

Die Ärztin hatte mir noch in der Praxis ein Medikament gegeben. Und noch ein weiteres für zuhause, um die Fehlgeburt auszulösen. Als Folge bekam ich starke Blutungen. Ich weiß nicht, wie oft ich aufstehen musste, um auf die Toilette zu gehen und die Einlagen in meiner Unterhose zu wechseln. Ich blutete alles voll, durch alle Lagen Kleidung hindurch. Es waren die schlimmsten Schmerzen, die ich jemals erlebt habe.

Die Medikamente, die man mir gegeben hatte, führten nicht zum vollständigen Abbruch der Schwangerschaft, so wie sie es eigentlich hätten tun sollen. Nur bei vier Prozent aller Frauen passiert das. Ich gehörte dazu. Also nahm ich eine zweite Runde Tabletten, diesmal in der Klinik. Als ich die Ärztin rief, sagte sie nur, ich solle einfach warten.

Becca sitzt auf einem Untersuchungsstuhl. Ihre Corona-Maske hängt an ihrem linken Ohr herab. Sie blickt besorgt. In den Händen hält sie einen Becher mit einer roten Flüssigkeit.
Ein Mann sitzt in einem Krankenhausflur auf einem Stuhl. Er hat der Rücken zur Kamera gekehrt und seinen Kopf gesenkt. Das Wort "Dad" (Vater) ist auf seinem T-Shirt zu lesen.

Wegen der Corona-Beschränkungen konnte Casey nicht mit rein ins Krankenzimmer. Er musste draußen warten, wie die anderen Väter. Als er hörte, was los war, konnte er nicht mehr an sich halten, ihm kamen die Tränen. Er ging raus und rief einen Freund an. Draußen schossen die Krankenwagen an ihm vorbei, die Taxis hupten. Casey stand da wie erstarrt. Auch ihm war nicht klar gewesen, wie sehr er sich gewünscht hatte, Vater zu sein, bis er es nicht mehr war.

Becca sitzt auf einem Bett. Neben ihr steht eine Frühstücksplatte mit Croissants und Marmelade.

Das Foto ist an einem Sonntagmorgen entstanden. Ich aß ein Croissant, wie man es nur in einer französischen Bäckerei bekommt, und tunkte die flockigen Stücke in meinen Kaffee, so wie mein Vater es mir beigebracht hatte.

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Nachdem die Fehlgeburt vorbei gewesen war, hatte ich versucht zu verdrängen. Ich fühlte die Depression in mir hochkriechen, aber ich sagte mir: Immerhin ist Sommer, alles ist vorbei! Plus: Paris wartete auf uns! Eigentlich hatten wir erst im Herbst fliegen wollen, zu meinem 40. Geburtstag. Aber nachdem wir herausgefunden hatten, dass ich schwanger war, hatten wir den Trip vorverlegt; später, mit Baby, würden wir keine Zeit mehr dafür haben, so unser Gedanke.

Nach der Fehlgeburt überlegten wir, die Reise zu canceln. Aber dann sagten wir uns: Nein, wir machen es! Wir würden zusammen dort sein, die Zeit genießen, uns nicht abbringen lassen! Zwei Wochen nach der Fehlgeburt flogen wir nach Europa.

Becca sitzt auf der Toilette, nur ihre Beine sind zu sehen. Sie sind blutverschmiert. Zu ihren Füßen liegt ein blutgetränktes Kleidungsstück.

Kurze Zeit später fing ich plötzlich an zu bluten; eine Nachwirkung der Fehlgeburt. Das Blut lief schwallartig nur so aus mir heraus, tränkte den Vintage-Rock, den ich am Morgen erst gekauft hatte. Irgendwann war er tiefrot.

Ich schaffte es ins Bad, nach einer gefühlten Ewigkeit kam Casey und sah mich auf der Toilette hocken, Blutstropfen schimmerten auf dem Fliesenboden, vollgeblutete Taschentücher und Handtücher überall. Ich weiß noch, dass ich sagte: „Ich muss ins Bett.“ Casey legte seine Arme um mich, mein Gesicht so weiß wie mein Spitzenhemd. Dann wurde alles dunkel.

Ein Rettungswagen kam. Die französischen Sanitäter sahen in ihrer Berufskleidung für mich eher wie Chippendales-Tänzer aus. Zügig verarbeiteten ihre Popeye-Arme die dünnen Schläuche, Pumpen und Maschinen, die sie mitgebracht hatten. Überall piepte es.

Becca liegt auf einem Bett in einem Hotelzimmer. Drei Sanitäter stehen um sie herum.
Becca wird von einem Krankenpfleger in einem Rollstuhl über den Zebrastreifen geschoben. Sie trägt einen Krankenhauskittel.

Ein freundlicher Krankenpfleger schob mich im Rollstuhl in die gynäkologische Notaufnahme des Krankenhauses, das gefühlt eine Meile entfernt war. Ich erinnere mich noch an sein Lächeln, die guten Wünsche auf Französisch. „Alles wird gut, Madame.“

Becca sitzt in ihrem Bett im Krankenhaus und isst. Zu ihrer rechten steht eine Orchidee auf ihrem Tisch.

Ich musste operiert werden. Als sie mich nach der OP in mein Zimmer brachten, war es 4 Uhr morgens; Casey hatte auf dem Boden geschlafen. Am nächsten Morgen verließen wir das Krankenhaus.

Es war alles vorbei. Ich war buchstäblich leer. Ich hatte immer noch einen Bauch, ich sah immer noch schwanger aus, aber die körperlichen Symptome waren verschwunden.

Becca liegt auf der Seite im Bett. Den linken Arm hat sie unter ihr Kissen gelegt, ihr rechter Ellenbogen ragt in die Luft. Sie trägt eine Unterhose und ein schwarzes Top.

Ich hatte mich zu einer kräftigen Eiche entwickelt. Ich war so tief verwurzelt, so präsent in meinem sich verändernden Körper geworden, der vergessen hatte, dass ich nicht mehr schwanger war. Würde jemals etwas diese dunkle Kammer in mir wieder bewohnen? Würde ich wieder die Wärme des wachsenden Lebens spüren?


Dieser Fotoessay ist im Mai 2022 zuerst auf Englisch in dem Onlinemagazin „The Cut“ erschienen. Wir zeigen eine Auswahl der dort veröffentlichten Fotos.

Fotos: Casey Kelbaugh, Redaktion: Esther Göbel, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke; Audioversion: Iris Hochberger

Wir haben das Titelbild und die Überschrift dieses Textes am 11. Juli 2022 aktualisiert und eine Triggerwarnung eingebaut.

„Ich habe versucht, die Fehlgeburt zu verdrängen“

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