Wer „Klimaschutz“ oder „Umweltschutz“ hört, denkt vielleicht an komplizierte Statistiken, abstrakte Debatten und vorwurfsvolle Blicke, wenn die fünftausendste Diskussion darüber geführt wird, wie sehr jeder Einzelne von uns mit Essen, Reisen und Einkaufen die Welt belastet. So richtig diese Fragen sind, so wenig helfen sie dabei weiter, eine Vision von der Welt zu entwerfen, wie sie sein könnte, etwas, wofür sich die ganze Anstrengung lohnt.
An anderer Stelle hatte ich es schon geschrieben: „Der Kampf für mehr Klimaschutz ist der Kampf für das gute Leben.“ Auf der Welt gibt es dafür sicher Millionen Beispiele, ich habe zehn herausgesucht, die auf ihre Art besonders sind. Wir werden sehen, wie ein gescheitertes Experiment zu überraschenden Ergebnissen führt, ein Mann Baum für Baum seine Heimat rettet – und ein Renaturierungsprojekt in Baden-Württemberg fast zu erfolgreich ist.
Forest Man, Indien
„Hat einen Nobelpreis verdient, ein Beispiel für uns alle.“ „Im Grunde hat er
getan, was Milliardäre auf dem Mars versuchen.“ „Er hat nicht nur einen Wald gepflanzt, er hat ein Ökosystem geschaffen, ganz allein.“ Das sind die Kommentare unter einem Youtube-Video über Jadav Payeng.
Dass der indische Rinderbauer eines Tages von Menschen aus der ganzen Welt auf einer Videoplattform für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden würde, hatte er nicht wissen können, als er 1979 einen Baum pflanzte. Und noch einen. Und noch einen. Und noch viele mehr.
Was er damals sah, war eine der größten Flussinseln der Welt im indischen Brahmaputra. Sie versandete und verödete stetig, also tat er das Naheliegendste: Er pflanzte, jeden Tag zog er los. Heute ist ein Wald entstanden, größer als der Central Park, sogar nach ihm benannt: der Molai-Wald, der in gewissem Sinne Opfer seines eigenen Erfolges wurde. Denn die Bäume boten Tieren Schutz, was wiederum Wilderer anlockte.
Payengs Beispiel ist extrem und nicht ohne Weiteres übertragbar. Wo schon gäbe es in Deutschland die Flächen, die man einfach so bepflanzen könnte? Seine Geschichte verkörpert aber das zentrale Prinzip eines respektvollen Umgangs mit der Natur wie keine zweite: Gib mehr zurück, als du dir nimmst.
https://www.youtube.com/watch?v=HkZDSqyE1do&feature=youtu.be
Lössplateau, China
Zur Zeit überlagert der Klimaschutz den Umweltschutz in den öffentlichen Debatten. Einer von vielen, der versucht, den Blick der Öffentlichkeit zu weiten, ist John D. Liu. Der in Nashville (USA) geborene Sohn von Sino-Amerikanern verdingte sich als Kameramann, ehe er Mitte der 1990er Jahre das erste Mal das Lössplateau in China besuchte: eine Wiege der chinesischen Kultur mit sehr fruchtbaren Böden. Aber am Ende des 20. Jahrhunderts war das Plateau zu einer Wüste verkommen. Die Menschen vor Ort hatten das Holz geschlagen, um zu heizen, sie hatten den abschüssigen Hangboden jahrtausendelang bewirtschaftet, und der starke Wind hatte peu à peu die nährstoffreichen Erdschichten abgetragen. Die chinesische Regierung startete mit finanzieller Hilfe der Weltbank ein Programm, um den Boden wieder aufzubauen und erneut zu einem Wasserspeicher für die Region zu machen.
Der Schlüssel dabei waren auch neue soziale Techniken. Zunächst bekamen die Bauern vor Ort das, was im ländlichen China dieser Zeit so nahe an Eigentum kam, wie es nur ging: sehr lang laufende Pachtverträge. Damit schafften sie Verantwortlichkeit. Gleichzeitig wurden bestimmte Landabschnitte für die Viehwirtschaft gesperrt, Bäume in großem Maßstab angepflanzt und neue Nutztierrassen eingeführt. Die Wüste ist dadurch wieder grün geworden. Wobei es auch Kritik an dem Projekt gibt: zu viele Monokulturen, zu viel von oben herab bestimmt. Kameramann John D. Liu begann nach seinem ersten Besuch, eine Dokumentation zu drehen, die ein Welterfolg wurde, gemessen an den Maßstäben für Dokumentationen über Renaturierungsprojekte.
Zugwiesen, Ludwigsburg (Deutschland)
Wie erfolgreich die Transformation am Neckar bei Ludwigsburg war, zeigte sich spätestens im Frühling 2020. Da überschrieb die dortige Lokalzeitung eine kleine Fotomeldung lapidar: „Überranntes Paradies“. Die vom Lockdown müden Bürger wollten raus aus ihren Wohnungen und suchten sich einen Ort, der lange nicht wie ein Paradies aussah, sondern etwas öde und eintönig. Auf 17 Hektar, der Fläche von 24 Fußballfeldern, entstand nach zwanzigjähriger Diskussion diese neue Flusslandschaft. Nistplätze für Eisvögel wurden gebaut, flache Tümpel für Amphibien eingerichtet und Obstwiesen angelegt. Mit Erfolg, die Tiere kehrten zurück, und auch die Menschen. Deswegen stimmt wohl, was Claus-Peter Hutter, der Leiter der Akademie für Umwelt und Naturschutz des Landes Baden-Württemberg, der Stuttgarter Zeitung sagte: Dass der Ansturm so groß ist, zeigt, dass es noch mehr solcher Gebiete braucht.
Leine, Göttingen – Isar, München – Untere Havel, Brandenburg (Deutschland)
Diesen Text hätte ich allein mit Beispielen von Flüssen in Deutschland füllen können. Die Zugwiesen am Neckar sind eines, aber auch die Leine in Göttingen, die Isar in München oder die untere Havel in Brandenburg. Allen Projekten ist gemein, dass hier etwas zurückgedreht wurde: Begradigte Flussläufe, die das Wachstum der Stadt oder die Flussschifffahrt nicht störten, wichen „natürlicheren“ Flussverläufen mit Seitenarmen und vor allem Überflutungsgebieten. In normaler Zeit sind sie Lebensraum für Tiere und Pflanzen und können nach starken Regen ihre Städte vor Überschwemmungen schützen.
https://www.youtube.com/watch?v=JAmpgEieg9o
Project Eden, Cornwall – der vermutlich aufregendste botanische Garten der Welt (Großbritannien)
Wo Tagebaue waren, ist heute häufig Wasser. Vor allem die Menschen im Osten Deutschlands können sich plötzlich über frische, neue Seen vor ihrer Haustür freuen. Die Flutung alter Braunkohletagebaue ist dort zum Standardweg geworden, um diese zu renaturieren. Die Seen rund um Leipzig sind so entstanden, aber natürlich auch jene in der Lausitz.
Dank KR-Mitglied Michael, der die Aufnahmen einer Webcam an einem ehemaligen Tagebau und heutigen Geiseltalsee gespeichert hat, können wir uns einen guten Eindruck von diesen Renaturierungen machen:
Einen anderen Weg gingen die Menschen in Cornwall, England, an der Südwestspitze der Inseln: Sie machten aus einer alten Kaolinmine ein futuristisch anmutendes Bildungszentrum, das „Project Eden“. Dazu bauten sie zwei riesige Gewächshäuser, die größten der Welt, genau in die Mitte der alten Mine. Jedes Gewächshaus steht für eine Klimaregion: die Tropen und das mediterrane Klima. Die Mission des Zentrums: vor allem junge Menschen wieder mit der Natur in Verbindung bringen.
Fort Street, Auckland (Neuseeland)
Veränderung, die hilft, Klima und Umwelt zu schützen, findet nicht nur draußen vor den Toren der Stadt statt. Ein schönes Beispiel dafür ist die Forth Street in Auckland, Neuseeland. Wo vorher Autos parkten, sitzen jetzt Geschäftsmänner unter dem Sonnenschirm und essen Lunch. Wo der rissige Teer immer wieder notdürftig geflickt werden musste, haben die lokalen Behörden nun Pflaster verlegen lassen, und alle Straßenmarkierungen komplett entfernt. Es gibt keine Bürgersteige mehr, keine Radwege, keine Straßen für Autos – es ist ein einziger großer geteilter Raum, der die Zahl der Fußgänger in die Höhe schnellen ließ, genauso wie den Umsatz in den angrenzenden Geschäften. Ähnliches wie in Auckland ist in Städten auf der ganzen Welt geschehen: Paris ist dabei einer der Vorreiter. Die dortige Bürgermeisterin hat die autofreie Stadt zum Leitbild erhoben, und in Berlin konnten die Bürger:innen im vergangenen Jahr die Friedrichstraße im Herzen von Mitte ihrer ganzen Länge nach abschreiten – ohne dabei von Hunderten Autos gestört zu werden, die sonst dort pro Stunde entlangbrausen.
High Line, New York (USA)
In fast all diesen Beispielen geht die Transformation von den Menschen aus. Hier aber, im Falle der alten Eisenbahntrasse High Line in New York, ging sie, überspitzt gesagt, von der Natur selbst aus. Denn eigentlich dürfte es diese Trasse nicht mehr geben. Nachdem sie Ende des letzten Jahrhunderts stillgelegt worden war, sollte sie abgerissen werden. Dagegen protestierte eine kleine Gruppe New Yorker:innen, unter ihnen der Fotograf Joel Sternfeld.
Und es waren vor allem seine Bilder der grünen, fast präriehaften Szenerie über den Straßen, die die Stimmung in der Stadt drehten. Oder wie es die New York Times damals formulierte: „Sie beweisen, dass das Rekultivierungsprojekt der Natur immer noch das großartigste und effizienteste ist.“
So begann die neue High Line, ein langer, schlauchförmiger Park, der sich über mehr als zwei Kilometer Länge durch die Stadt zieht und unter intensiver Mitwirkung der New Yorker Bürger:innen selbst entstanden ist.
Costa Ricas Orangenschalen
Im Jahr 1997 muss für die Geschäftsführung des costa-ricanischen Saftproduzenten Del Oro ein Traum wahr geworden sein. Denn die zwei Naturschützer:innen Daniel Janzen und Winnie Hallwachs von der US-Universität Princeton machten der Firma ein Angebot: Entsorgt euren Müll im Naturschutzgebiet nebenan. Der einzige Haken: Die Firma musste einen Teil ihres Geländes an das Gebiet abtreten. Sie willigte ein und entsorgte innerhalb des darauffolgenden Jahres 12.000 Kubikmeter Orangenschalen in dem Naturschutzgebiet, das sind circa 1.000 LKW-Ladungen.
Die beiden Naturschützer, die den Deal vorgeschlagen hatten, waren nicht etwa plötzlich korrupt geworden. Sie hatten etwas anderes im Sinn: Sie wollten dem immer weiter absterbenden Regenwald neues Leben einhauchen – mit bester Orangen-Biomasse. Jedenfalls war so ihr Experiment angelegt. Würde es erfolgreich sein, hätten sie eine dieser wichtigen Win-Win-Situationen für Umwelt und Industrie gefunden, die sonst so selten sind.
Aber nach nur einem Jahr mussten Del Oro und die Forscher das Experiment abbrechen. Eine Konkurrenzfirma hatte geklagt, da Del Oro den Nationalpark verschmutzen würde – und dafür Recht bekommen. Wenn die Geschichte an dieser Stelle zu Ende wäre, wäre die Lehre sehr pessimistisch: Nicht alles, was richtig sein könnte, ist auch rechtlich erlaubt.
Doch 17 Jahre später diskutierte ein junger Forscher in Princeton mit seiner Vorgesetzten, welches Forschungsprojekt er angehen sollte. Seine Vorgesetzte war eine der beiden Naturschützer:innen von damals und schlug ihm vor, nach Costa Rica zu fahren und sich anzuschauen, was aus den Orangenschalen geworden ist. „Der Ort war so vollständig von Bäumen und Ranken überwuchert, dass ich nicht einmal das sieben Fuß lange Schild mit leuchtend gelben Buchstaben sehen konnte, das den Bereich markierte, der nur ein paar Meter von der Straße entfernt war“, sagte der junge Forscher. Genauere wissenschaftliche Messungen bestätigten, was das bloße Auge schon sah: Auf dem Boden, der mit den Orangenschalen gedüngt worden war, lebten mehr Tiere, wuchsen mehr Pflanzen und auch mehr Pflanzenarten als nebenan, wo nicht gedüngt worden war. Die Universität Princeton gab ihrer Pressemitteilung die passende Überschrift: „Orange is the new green.“
Es gibt noch mehr Beispiele, aber nicht zu allen konnten wir Fotos finden, die wir auch verwenden konnten und durften. Deswegen empfehle ich euch diese Liste und speziell den Film „Salz der Erde“ von Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgado, in dem der Fotograf Sebastião Salgado schildert, wie er die Farm seiner Eltern in Brasilien wieder aufbaute.
Redaktion: Theresa Bäuerlein. Schlussredaktion: Susan Mücke. Fotoredaktion: Till Rimmele