Als ich ein Teenager war, interessierte sich mein Vater nicht sonderlich für die Musik, die ich gut fand. Für ihn war sie einfach nur „jede Menge Lärm“. Ganz im Gegensatz zu der Musik, die er hörte: Die war „schön“.
Diese Einstellung hat er sein ganzes Leben nicht geändert. Als er über 80 Jahre alt war, drehte er sich einmal während einer Fernsehwerbung mit einem 50 Jahre alten Beatles-Song zu mir um und sagte: „Weißt du was: Ich mag die Musik von heute einfach nicht.“
Wie sich herausstellt, ist mein Vater nicht allein mit seiner Haltung. Inzwischen bin ich älter, und oft geben Leute in meinem Alter Sätze von sich wie: „Die machen einfach keine gute Musik mehr wie früher.“
Woher kommt das? Glücklicherweise bin ich Psychologe. Mein Beruf hilft mir, dieses Rätsel Stück für Stück zu lösen.
Die meisten hören ab 33 keine neuen Musikstücke mehr
Bereits im Alter von 13 oder 14 Jahren beginnt sich der Musikgeschmack herauszukristallisieren, mit Anfang 20 ist er dann schon ziemlich festgelegt.
Tatsächlich haben Studien gezeigt, dass die meisten von uns im Alter von 33 Jahren aufhören, neue Musikstücke zu hören. Nachzulesen ist das auf dem Nachrichtenportal Businessinsider. Währenddessen bleiben populäre Lieder, die in unseren frühen Teenagerjahren herauskamen, bei den Menschen in unserer Altersgruppe wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens recht beliebt.
Dafür könnte es eine biologische Erklärung geben. Es gibt laut dem Magazin Vice Belege dafür, dass sich die Fähigkeit des Gehirns, feine Unterschiede zwischen verschiedenen Akkorden, Rhythmen und Melodien zu hören, mit dem Alter verschlechtert. Für ältere Menschen könnten also neuere, weniger bekannte Lieder alle „gleich klingen“.
Aber ich glaube, es gibt einfachere Gründe für die Abneigung älterer Menschen gegen neuere Musik. Eines der am besten erforschten Gesetze der Sozialpsychologie ist etwas, das als Mere-Exposure-Effekt oder Effekt des bloßen Kontakts bezeichnet wird. Kurz gesagt bedeutet das: Je mehr wir etwas ausgesetzt sind, desto mehr neigen wir dazu, es zu mögen.
Das passiert mit Menschen, die wir kennen, mit der Werbung, die wir sehen, und, ja, mit den Liedern, die wir hören.
Teenager haben mehr Zeit und vielleicht auch stärkere Gefühle
Wenn du in deinen frühen Teenagerjahren bist, verbringst du wahrscheinlich viel Zeit damit, Musik zu hören oder Musikvideos anzusehen. Deine Lieblingslieder und -interpreten werden vertraute, beruhigende Teile deiner Alltagsroutine.
Für viele Menschen über 30 nehmen die beruflichen und familiären Verpflichtungen zu. Es bleibt also weniger Zeit, um neue Musik zu entdecken. Stattdessen hören viele einfach alte, vertraute Lieblingslieder aus der Zeit ihres Lebens, in der sie mehr Freizeit hatten.
Natürlich waren diese Teenagerjahre nicht unbedingt sorgenfrei, bekanntlich sind sie sehr verwirrend. In den USA drehen sich deshalb viele Fernsehsendungen und Filme um den Trubel an der High School – von der Musical-Comedy-Fernsehserie „Glee“ über eine spannende Reise auf der Suche nach sich selbst in „Love, Simon“ bis hin zum Komödiendrama „Eighth Grade“.
Psychologische Forschungen haben gezeigt, dass die Gefühle, die wir als Teenager erleben, intensiver zu sein scheinen als die, die später kommen. Wir wissen auch, dass intensive Emotionen mit stärkeren Erinnerungen und Vorlieben verbunden sind. Das alles könnte erklären, warum die Lieder, die wir in dieser Zeit hören, sich so stark einprägen und so beliebt sind.
Es ist also mit deinen Eltern alles in Ordnung, wenn sie deine Musik nicht mögen. In gewisser Weise ist das alles Teil der natürlichen Ordnung der Dinge.
Gleichzeitig kann ich aus persönlicher Erfahrung sagen, dass ich eine Vorliebe für die Musik entwickelt habe, die meine eigenen Kinder hörten, als sie noch Teenager waren. Es ist also sicher nicht unmöglich, seine Eltern zum Beispiel mit Billie Eilish ins Boot zu holen. Und wer nicht weiß, wer das ist: KR-Reporterin Esther Göbel erklärt dir das so, dass auch du das verstehst.
Frank McAndrew ist Professor für Psychologie am Knox College im US-Bundesstaat Illinois. Er ist Evolutionspsychologe: Er versucht, das Erleben und Verhalten des Menschen mit Erkenntnissen über dessen Stammesgeschichte zu erklären. Seine Forschung wird von dem einfachen Wunsch geleitet, dem Alltagsleben einen Sinn zu geben. Derzeit untersucht er Klatsch, Aggression – und Gruseliges.
Seinen Artikel veröffentlichte er auf Englisch The Conversation. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen.
Übersetzung: Vera Fröhlich, Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Robert Rausch, Audioversion: Christian Melchert