Als Jessica Meir zusammen mit zwei Kollegen im September 2019 die Erde verließ, um zur Internationalen Raumstation (ISS) zu fliegen, dachte man in Deutschland noch an die schwarze Null und plante in Gedanken schon den nächsten großen Sommerurlaub. Als sie am 17. April wieder auf der Erde landete, hatten sich Menschen weltweit in ihre Wohnungen zurückgezogen. Ich möchte von Jessica Meir wissen, wie es ist, auf eine völlig veränderte Erde zurückzukommen. Auf das Interview musste ich wochenlang warten, weil sich Astronaut:innen direkt nach der Landung in Rehabilitation begeben, um ihre Körper wieder an die Erde und die Schwerkraft zu gewöhnen. Meir und ich sprechen über Skype eine knappe halbe Stunde lang.
Frau Meir, Sie haben den direkten Vergleich, wie sich die Erde zwischen September 2019 und April 2020 verändert hat. Wie war es, auf einen Planeten in Quarantäne zurückzukehren?
Es war surreal von der Raumstation aus zu verfolgen, wie sich die Situation auf der Erde entwickelt hat. Auf der ISS waren wir mit unserer normalen Routine beschäftigt und hatten keine Zeit, das Ganze zu verarbeiten. Wir wussten, dass es auf der Erde nach unserer Rückkehr anders sein würde, aber es war schwer, sich das vorzustellen. Als mein Kollege Chris Cassidy Anfang April auf die ISS kam, hat er uns vorgewarnt: „Ihr müsst wirklich darauf vorbereitet sein, dass der Planet ein anderer ist, als der, den ihr verlassen habt.“
Als wir gelandet waren und sich die Luke unserer Raumkapsel öffnete, wurden wir in eine neue Situation hineingeworfen. Das Search-and-Rescue-Team, die ersten anderen Menschen seit Monaten, nahm uns mit Gesichtsmasken in Empfang. Daran waren wir nicht gewöhnt und das war schwierig für uns. Viele fragen uns Astronaut:innen nach den Parallelen zwischen der Isolation auf der Erde und im Weltraum …
Genau das wollte ich auch gerade tun …
Naja, die Isolation da oben ist einfach Teil der Mission. Menschen können im Weltraum anders nicht überleben. Aber unsere Gesellschaft hier auf der Erde funktioniert so nicht. Wir Menschen sind es nicht gewohnt, uns voneinander zu isolieren. Mit der Isolation klarzukommen, ist also auf dem Planeten sehr viel schwieriger als im All.
Sie fühlen sich also auch auf der Erde gerade isoliert?
Ja, auf jeden Fall!
Hilft ihnen die Erfahrung aus der Zeit auf der ISS trotzdem im Moment?
Einerseits sind Astronaut:innen Isolation gewöhnt – das war unsere Mission. Andererseits habe ich gerade erst sieben Monate mit fünf Crewmitgliedern im Weltraum verbracht, in den letzten zweieinhalb Monaten sogar nur noch mit zwei anderen. In gewisser Weise ist die Isolation für uns schwieriger, einfach, weil wir so lange keinen direkten Kontakt mit anderen Menschen hatten.
Bis heute habe ich weder meine Mutter noch meine Geschwister sehen können, weil Reisen nach wie vor schwierig ist. Ich liebe Umarmungen, ich bin ein großer Hugger. Nach dieser Form von menschlicher Interaktion sehne ich mich sehr.
Jessica Meir, 43, ist promovierte Meeresbiologin und NASA-Astronautin. In ihrer Doktorarbeit forschte sie zum Leben von Tieren in Extrembedingungen und ging dafür unter anderem mit Kaiserpinguinen und Seeelefanten auf Tauchgang. Am 25. September 2019 flog sie zum ersten Mal ins All und arbeitete 205 Tage auf der ISS. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Christina Koch tauschte Meir im Oktober 2019 in einem Außeneinsatz eine Batterieeinheit an der Raumstation aus. Dieser Spacewalk war der erste, der nur von Frauen ausgeführt wurde. Auf die Lobrede von US-Präsident Donald Trump antwortete Meir: „Wir machen hier wirklich einfach nur unsere Arbeit, für die wir sechs Jahre lang trainiert haben.“
Wie waren die ersten Tage nach der Landung?
Die erste Woche haben wir in Quarantäne im Space Center Houston verbracht. Eine mögliche Auswirkung von Raumfahrt auf den menschlichen Körper ist eine Art Fehlregulation des Immunsystems – wir waren also potenziell immunsupprimiert, das heißt unsere Abwehrkräfte waren unterdrückt, und es war nicht klar, wie unser Körper auf eine mögliche Infektion reagiert. Mittlerweile bin ich seit einigen Wochen zu Hause in Texas, aber ich versuche immer noch, so viel Distanz wie möglich zu anderen Menschen zu halten. Hier hat sich die Situation etwas gelockert, aber seitdem schnellen die Infektionszahlen wieder in die Höhe. Wir müssen also weiter vorsichtig sein.
Wie sah ein typischer Tag für Sie auf der Raumstation aus – gibt es so etwas dort überhaupt?
Es gibt schon typische Tage, aber das Tolle ist, dass die trotzdem immer sehr verschieden sind. Wir öffnen jeden Morgen ein Computerprogramm mit einem Tagesplan. An einem Tag ist vielleicht ein Spacewalk geplant, um draußen an der Station etwas zu reparieren, an einem anderen fängt man mit dem Roboterarm ein Raumschiff ab, das Fracht bringt. Wir Astronaut:innen entscheiden nicht selbst, wie unser Arbeitstag da oben aussieht, die Pläne werden von der Bodencrew erstellt. Wenn wir dann auf eine Aktivität klicken, wird uns angezeigt, wie das Vorgehen aussieht und welches Material wir für eine bestimmte Sache brauchen. Diese Pläne sind sehr durchdacht, denn es gibt unheimlich viel zu tun und dabei müssen Prioritäten gesetzt werden. Neben wissenschaftlichen Experimenten fallen auch die täglichen Wartungsarbeiten an der Station an – Stromkabel reparieren, ein Temperatur-Kontrollsystem upgraden, die Toilette reparieren.
Es gibt nur eine Toilette auf der ISS?
Es gibt zwei. Eine im russischen und eine im amerikanisch-europäisch-japanischen Bereich. Wir teilen natürlich, wenn eine kaputt geht – wir sind überhaupt gut im Teilen da oben. Dieses oder nächstes Jahr wird es eine dritte Toilette geben. Das ist sehr hilfreich, denn in Zukunft werden mehr als die üblichen sechs Leute an Bord sein, allein schon durch das „Commercial Crew Program“.
Auf Instagram posteten Sie Anfang Juni zum Welttag der Ozeane ein Bild mit Blick aus der ISS auf die Erde. Sie schrieben, dass unser Planet von oben betrachtet ganz klar ein blauer Planet sei und wir als Menschen auf unsere Ozeane achtgeben müssten. Hat sich Ihr Blick auf die Erde verändert, seit Sie im Weltraum waren?
Umweltschutz war auch auf der Erde immer schon ein wichtiger Teil meines Lebens. Aber die Erde von oben mit eigenen Augen gesehen zu haben, hat diese Einstellung nochmal verstärkt. Es ist unvorstellbar berührend, diese dünne und verletzliche Atmosphäre zu sehen. Die Erde sieht so fragil aus, gleichzeitig ist sie in der Schwärze des Weltraums wunderschön.
Wir müssen alles tun, was möglich ist, um diesen Planeten zu schützen. Sein Schutz betrifft uns alle. Wenn man von dort oben all die zusammenhängenden Landmassen sieht, all die Ozeane, wird einem das unglaublich deutlich. Man begreift, dass alles, was wir tun, Auswirkungen hat – und zwar auf den gesamten Planeten. Dieser Blick gibt einem das Gefühl der Verantwortung.
Werden Sie eines Tages zum Mond reisen?
Ich würde liebend gerne zum Mond reisen, aber diese Entscheidung liegt nicht bei mir. Mit dem Artemis-Programm arbeitet die NASA gerade daran, die erste Frau auf den Mond zu bringen. Natürlich würde ich gerne diese Person sein. Zumindest aber hoffe ich, in irgendeiner Weise an dieser Mission beteiligt zu sein, ob im All oder am Boden.
Redaktion: Philipp Daum, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel