Heteros, lasst euch auf HIV testen!

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Psyche und Gesundheit

Heteros, lasst euch auf HIV testen!

Ich bin ein schwuler Mann, und HIV-Tests begleiten mich schon lange. Aber Heterosexuelle haben einen immer größeren Anteil an HIV-Neuinfektionen – und lassen sich weniger testen. Warum? Fast 1000 Menschen haben mir von ihren Erfahrungen erzählt. Es zeigt sich: Solche Tests sind noch immer mit vielen Vorurteilen verbunden.

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Ich erinnere mich noch an mein erstes Gespräch über HIV. Ich war 20, frisch geoutet, und war mit einem schwulen Kumpel ein Bier trinken. Er sprach über einen anderen Freund, den ich nicht kannte. Der war im vorangegangenen Jahr positiv auf HIV getestet worden. „Echt?“, fragte ich. „Ja“, sagte mein Kumpel: „Er wird daran sterben.“

Bäm. Seitdem ist HIV in meinem Kopf.

Dieses Gespräch war vor 13 Jahren. HIV ist immer noch eine Bedrohung, auch wenn die Diagnose heute kein Todesurteil mehr sein muss. Seit 13 Jahren spreche ich mit schwulen Freunden über anstehende Tests, mal entspannt, mal mit dieser typischen Nervosität, die das Warten auf die Ergebnisse mit sich bringt. Es ist fast ein Gemeinschaftserlebnis, ein verbindendes Element, ein Ritual, wie an Weihnachten zu den Eltern fahren oder sich gemeinsam über Silvester aufregen.

Gespräche mit heterosexuellen Freunden laufen anders ab. Wenn HIV-Tests überhaupt mal thematisiert werden, dann eigentlich immer im Zusammenhang mit Schwulen. Ich habe noch nie ein Gespräch mit einem Hetero über HIV-Tests geführt, das nicht entweder sehr schnell endete oder sich nicht in Unverständnis, Unwissen, Relativierungen und Abwehrhaltungen erschöpfte.

Die meisten Infizierten sind schwule Männer, aber es kommen auch immer mehr Heterosexuelle hinzu

HIV, so scheint es, ist ein schwules Thema, ein Thema für Männer, die mit Männern Sex haben. Viele Heterosexuelle fühlen sich davon nicht betroffen. Dabei sollten sie es, finde ich. Die Zahlen des Robert Koch-Instituts zeigen, dass es eine Tendenz gibt:

Ende 2018 lebten knapp 88.000 Menschen in Deutschland mit einer HIV-Infektion. 2.400 Menschen infizierten sich in diesem Jahr neu. Zwei Drittel dieser Neuinfizierten sind die sogenannten MSM, d.h. Männer, die mit Männern Sex haben. Schwule Männer sind also die größte Risikogruppe – aber die Zahl ihrer Neuinfektionen wird seit Jahren kleiner. Jeder Fünfte, der sich 2018 mit HIV infizierte, war heterosexuell – aber ihr Anteil stieg in den vergangenen Jahren. Um es kurz zu machen: Homosexuelle Männer stellen immer noch den größten Anteil an HIV-Neuinfektionen, aber Heterosexuelle machen einen größeren Teil der HIV-Infizierten aus als früher.

Aber beschäftigen sich Heterosexuelle überhaupt mit HIV? Ich frage bei den Anlaufstellen in Deutschland nach: Wie verbreitet sind präventive Tests in Deutschland? Die Antworten sind ernüchternd: Die Deutsche Aidshilfe hat keine Zahlen dazu, welche sexuelle Orientierung HIV-Tester haben. Sie richtet sich nach eigenem Leitbild an „besonders betroffene“ Gruppen – also vor allem an Männer, die mit Männern Sex haben. Dieser Fokus ist nachvollziehbar, impliziert aber auch, dass sich andere Gruppen, beispielsweise heterosexuelle Einzelpersonen oder Paare nicht angesprochen fühlen könnten. Schon auf der Startseite der Aidshilfe begrüßen queere Personen die Besucher:innen. Liest man da als Hetero wirklich weiter?

Das Robert Koch-Institut führt ebenfalls keine Zahlen und verweist an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Hier erhalte ich zwar Zahlen über den aktuellen HIV-Stand bei Heterosexuellen (siehe oben), Zahlen zu der Testbereitschaft nach sexueller Orientierung liegen aber auch hier nicht vor.

Dies liegt sicherlich in erster Linie auch daran, dass Heterosexuelle schlicht eine nachgelagerte Rolle in der HIV-Prävention spielen. Der Hauptfokus in der Aufklärungsarbeit sind seit jeher schwule Männer und Konsument:innen von intravenösen Drogen – das sind die zwei größten Risikogruppen. Außerdem werden viele Tests anonym abgenommen oder die Sexualität bzw. das Sexualverhalten nicht abgefragt (anders als etwa bei Blutspenden). Die offiziellen Zahlen oben zeigen mir jedoch: Breitere HIV-Tests wären nötig, um die Ausbreitung auch bei Heterosexuellen weiter einzudämmen.

Hast du schon mal vorsorglich einen HIV-Test gemacht?

Ich frage also in der Krautreporter-Community nach. Mit einer einfachen Frage: Hast du schon mal vorsorglich einen HIV-Test gemacht? Ich wollte das vor allem von unseren heterosexuellen Leser:innen wissen. Bis heute haben 920 Menschen daran teilgenommen. Damit gehört die Umfrage zu den erfolgreichsten Umfragen in der KR-Geschichte.

Die Ergebnisse sind eindeutig: 65 Prozent der Teilnehmenden haben schon mal einen Test gemacht, 35 Prozent nicht. Bei Homosexuellen sind 90 Prozent getestet, bei Heterosexuellen 60 Prozent.

Ich war positiv überrascht. HIV-Tests sind ein Thema, egal, welche Sexualität die Teilnehmer:innen haben. Das sind wirklich erfreuliche Nachrichten.

Doch es gibt zwei „Aber“: Die Testbereitschaft bei Homosexuellen ist deutlich höher als bei Heterosexuellen. Und es handelt sich natürlich nicht um eine repräsentative Umfrage, auch wenn sehr viele Menschen daran teilgenommen haben. Wir haben die Umfrage über Mails und soziale Medien verschickt (also nicht standardisiert, wie es bei wissenschaftlichen Umfragen geschieht). Außerdem gibt es sicherlich Erhebungsfehler: Menschen, die sich schon mit HIV beschäftigt haben, nehmen eher teil als Menschen, für die das Thema keine Rolle spielt.

Trotzdem liefern die Ergebnisse spannende Einblicke. Vor allem, wenn es darum geht, warum viele Heterosexuelle eben noch keinen HIV-Test gemacht haben.

Hier sind die Ergebnisse im Überblick: Viele Teilnehmer:innen gaben an, einen HIV-Test im Rahmen einer Blutspende gemacht zu haben. Nach der Spende wird das Blut auf potentielle Krankheiten überprüft, bevor es als Spenderblut infrage kommt. Hört man nach der Blutabgabe nichts von der zuständigen Stelle, wurden keine Auffälligkeiten im Blut gefunden. Ein geläufiger Weg, um den eigenen Status zu erfahren.

Viele der Getesteten sind Frauen. Das Geschlecht habe ich in der Umfrage nicht abgefragt, aber ich konnte aus den Antworten ersehen, dass sich mehr Frauen als Männer beteiligt haben.

Das hat einen einfachen Grund: HIV-Tests sind heute Teil der Schwangerschaftsvorsorge. Damit soll eine potentielle Übertragung des Virus auf das Kind ausgeschlossen oder zu Beginn der Schwangerschaft behandelt werden können. Diese standardisierte Vorsorge zeigt Wirkung: In Deutschland tendiert die Übertragung von Müttern auf ihre Kinder gegen Null.

Auch Frauen, die sich nicht im Rahmen einer Schwangerschaft mit der Thematik beschäftigt haben, geben häufig an, dass ihnen ein präventiver Test zu Beginn einer neuen Beziehung wichtig sei. Eine KR-Leserin schreibt dazu:

„Er war sich sicher, dass er keine Krankheiten habe, obwohl er über eine längere Zeit wechselnde sexuelle Beziehungen hatte.“

Und weiter:

„Als ich nun die Gespräche mit meinem Partner hatte, wurde mir wieder deutlich, wie problematisch die Beziehung gerade jüngerer Männer zu Prävention im Allgemeinen ist. Sie gehen, anders als Frauen im gleichen Alter, einfach so selten zum Arzt oder lassen sich untersuchen. Ist es dann auch noch ein stigmatisiertes Thema, wird der Test schnell zum Hindernis.“

Woran könnte es liegen, dass heterosexuelle Männer selten zum Test gehen? Ein Teilnehmer, der schon zwei präventive HIV-Tests gemacht hat, berichtet: „Ich musste mich beide Male bei der jeweiligen Arztpraxis durchsetzen, weil ich kein schwuler Mann bin und nicht im Fixer-Milieu unterwegs. Das fand ich wirklich unglaublich!“

So eine Situation ist sicherlich nicht die Regel. Trotzdem zeigt die Antwort: HIV-Tests sind, im Gegensatz zu anderen Vorsorgetests, noch mit Vorurteilen behaftet, auch von ärztlicher Seite. Oder gibt es einen anderen Grund?

Vorurteile scheint es auch bei Patient:innen noch zu geben. Eine Teilnehmerin dazu: „Viele Heteromänner nehmen es aus meiner Sicht immer noch eher so wahr, dass, wenn sie offen sagen, sie würden sich auf HIV untersuchen lassen, die Ärzt:innen denken könnten, sie wären homosexuell – und das wollen sie vermeiden.“

Auch das gibt es: hetero und HIV-positiv

Einer, der dieses Vorurteil gut kennt, ist Philipp Spiegel. Er ist heterosexuell – und HIV-positiv. Als selbst ernannter HIV-Aktivist gibt er Interviews und hält Vorträge. Dabei wird er gelegentlich für schwul gehalten – das liege aber auch an seiner etwas femininen Art, sagt er mir, als ich mit ihm telefoniere.

Spiegel steckte sich 2013 bei einer einstigen Affäre an, mit der er ein Wochenende verbrachte. Die Frau wusste nichts von ihrem Status. Auf einer Reise nach Indien musste Spiegel seinen Status routinemäßig testen – und war positiv.

Es folgten zwei Jahre Depression, erzählt er mir: „Es wird mich nie wieder eine Frau lieben! Ich werde nie wieder Sex haben! Ich werde keine Kinder bekommen!“ Damals wusste er wenig über HIV und musste sich erstmal einlesen. Er brauchte trotzdem eineinhalb Jahre, bis „es vom Kopf ins Bauchgefühl gegangen ist.“ Mittlerweile geht er offen damit um.

Philipp Spiegel stört, dass sich viele Aufklärungskampagnen immer noch auf homosexuelle Männer konzentrieren: „Am Welt-Aids-Tag liest man zu 95 Prozent Interviews von Schwulen. Erfahrungsberichte von positiven heterosexuellen Männern findet man kaum. HIV ist immer noch ein Randphänomen.“ Wenn sich dann überhaupt mal jemand kümmert, so Spiegel, so seien es eher Frauen als Männer.

Viele der Umfrageteilnehmer:innen, die sich nicht testen ließen, argumentieren mit Vertrauen. „Ich vertraue meinem Partner, ich brauche keinen Test“, oder „ich bin treu verheiratet“.

Hier und da wurde dieses Vertrauen aber enttäuscht, wenn nach Ende der Beziehung herauskam, dass der oder die Ex doch nicht so treu war, wie vermutet. Eine Teilnehmerin sagt, ein Grund für einen HIV-Test sei „Unsicherheit nach dem Ende einer Partnerschaft gewesen. Erst im Nachhinein wurde mir deutlich, dass ich meinem Ex gegebenenfalls nicht vertrauen kann.“

HIV-Tests sind kostenlos, gibt es bei allen Gesundheitsämtern

Dies soll nun nicht bedeuten, dass sich jeder in einer monogamen und festen Beziehung auf HIV testen lassen sollte, diese Antwort zeigt aber einen Urkonflikt im Umgang mit dem Virus: Vielleicht gibt es keinen Anlass, einen Test zu machen, und trotzdem wäre er sinnvoll. Vor allem, wenn man noch nie einen Test gemacht hat, auch nicht zu Beginn der neuen Beziehung. Das ist aber natürlich keine angenehme Unterhaltung, wenn man dem/der Partner:in eröffnet, man möchte sich gerne testen lassen. Für viele bedeutet das sicher auch: Er oder sie geht fremd.

Ein anderes Problem scheint zu sein, dass viele einfach überhaupt nicht wissen, wo man sich testen lassen kann. Durch jahrzehntelange Aufklärungsarbeit, beispielsweise durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Stichwort: „Gib Aids keine Chance“), sollten die Anlaufstellen eigentlich bekannt sein. Für alle Fälle hier nochmal die Anlaufstellen der Deutschen Aidshilfe und hier mehr Infos zum tatsächlichen Testablauf.

Ob das fehlende Wissen über die Testmöglichkeiten der tatsächliche Grund ist, oder doch nur ein Vorgeschobener, lässt sich natürlich nicht erheben. Viele Menschen sagen aber auch, und das dürfte der Wahrheit entsprechen: Ich habe Angst.

Das ist eine der ersten Antworten, die ich erhalte – Angst. Man hat Angst vor dem Ergebnis und macht dann lieber erst gar keinen Test. Und solange keine Symptome auftreten, wähnt man sich in Sicherheit. Man bleibt also lieber in Sorge, statt sich um die Konsequenzen kümmern zu müssen. Das ist irgendwie verständlich, aber in heutigen Zeiten eigentlich überflüssig. HIV ist zwar nicht heilbar, auch wenn man bei einzelnen Fällen bereits heute von Heilung (sprechen kann), aber sehr gut handhabbar. Niemand muss heute mehr an einer HIV-Infektion sterben, man spricht von normaler Lebenserwartung und guter Lebensqualität. Durch eine antiretrovirale Therapie (ART), die in Kombination mit anderen Wirkstoffen die Vermehrung von Viren im Körper unterdrückt, kann bei frühzeitigem Therapiestart so sogar verhindert werden, dass HIV sexuell übertragen werden kann und, dass Aids erst gar nicht ausbricht. Außerdem gibt es die „Anti-HIV-Pille“, PrEP, mit der man sich vor einer Ansteckung schützen kann.

Sehr wenige Teilnehmer:innen gehen noch einen Schritt weiter und gaben zu: Ich schäme mich. Diese Antwort ist brutal ehrlich und lässt mich länger darüber nachdenken. Wovor schämt man sich hier genau? Vor sich selbst? Weil man sich nicht geschützt hat? Vor der Reaktion anderer? Ich habe nachgefragt und leider keine Antwort bekommen. Interessant ist: Viele Heterosexuelle sprechen von Scham. Nur ein einzelner Homosexueller.

Diese Scham ist ein Problem, da sie Spätdiagnosen befördert. So kann das Virus nicht mehr so gut behandelt werden. Zudem gibt es mittlerweile auch HIV-Selbsttests, die man zum Beispiel in der Apotheke kaufen kann und dann anonym zuhause durchführen kann. Ein aktueller Bericht der Weltgesundheitsorganisation zeigt: diese HIV-Selbsttests fördern die Akzeptanz von HIV-Tests und damit auch das Wissen über den eigenen Status – vor allem bei Menschen, die bisher Hemmungen hatten, einen Test beim Arzt durchzuführen. Offensichtlich sind die Heimtests aber noch eher unbekannt, zumindest in dieser Umfrage wurden die privaten Tests von niemandem erwähnt.

Bedürfnis nach Gewissheit

Die meisten Homosexuellen haben bereits einen Test gemacht und haben mehrheitlich ein gemeinsames Ziel: Klarheit, Sicherheit und Regelmäßigkeit. Keine andere Gruppe in der Umfrage sprach so viel vom Bedürfnis nach Gewissheit, gesund zu sein – und zwar völlig unabhängig davon, ob sich die Teilnehmer in einer Beziehung befinden, ob sie Risikokontakt hatten oder nicht. Auch der Hausarzt Philipp Braun sagt dazu: „Während zum Beispiel junge Heteromänner eher verdruckst sind, wenn es um HIV geht, und die Tests bei älteren Patient:innen jenseits der 50 wenig bis gar keine Rolle spielen, sind schwule Männer entspannter im Umgang damit und haben das größte Gefühl für ihre Verantwortung.“ Warum? „Vermutlich historisch geprägt“, sagt Braun.

Ein Grund für den entspannten Umgang Schwuler mit der Thematik könnten auch die Aufklärungs- und Werbekampagnen sein, die vor allem in den Anfangsjahren einen Fokus auf homosexuelle Männer hatten. Gerne halbnackt dargestellt, dass jeder gleich erkennt, dass es sich um schwule Männer auf den Plakaten handelt (eine Übersicht der vergangenen Kampagnen und der aktuellen Strategie findet man hier). Die Zielgruppe fühlt sich angesprochen, alle anderen übersehen das Plakat. Mittlerweile ist die Bildwelt breiter aufgestellt, es werden also auch Heteropärchen und Einzelpersonen dargestellt.

HIV-Tests sind kein Thema nur für schwule Männer, das hat diese Umfrage gezeigt. Auch wenn die dargestellten Antworten nur einen Ausschnitt darstellen können, zeigen sie, dass auch viele Heteros bereits Erfahrungen mit HIV-Tests gemacht haben. Sie haben das häufig eher nebenbei beim Blutspenden erledigt, sie sind dabei weniger prinzipienfest als Homosexuelle, aber: Getestet ist getestet.

Liebe heterosexuelle Leser:innen, wenige Monate, nachdem mir die Geschichte des erkrankten HIV-positiven Bekannten erzählt wurde, ging ich das erste Mal zum Arzt, um einen Test zu machen. Es ist ein ziemlich gutes, ein befreiendes Gefühl, wenn man weiß, dass man gesund ist. Das kommt in den allermeisten Fällen beim Test heraus:

Negativ, weitermachen.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel.