1. Etappe: 50 Kilometer bis Davos – Ein Akt der Wut
Die Wanderung durch die Schweizer Alpen beginnt mit sechs Alphörnern und einer Querflöte. Als die Menschen loslaufen, stimmt noch ein Mann mit einer Kuhglocke ein, im Hintergrund thronen die Berggipfel. Was so beschaulich anmutet, ist eigentlich ein Akt der Wut.
Insgesamt 1.500 Menschen sind vom 19. bis 21. Januar zum kleinen weltberühmten Schweizer Ort namens Davos gewandert, wo zum 50. Mal das Weltwirtschaftsforum (kurz WEF) stattfand, das wichtigste Treffen der globalen Wirtschaft. Die Winterwanderung war der Auftakt der zweiten Protestwelle von „By 2020 We Rise Up“ – einer konzertierten Kampagne zahlreicher Klimagerechtigkeits-Initiativen aus Europa.
Nachdem sich die erste Welle von Aktionen im Herbst 2019 vor allem an die Politik richtete, haben die Aktivist:innen nun die Finanzindustrie im Visier. Und damit das WEF in Davos. Sie sind der Meinung, dass die Konzerne und Banken, die sich dort jedes Jahr treffen, die Klimakrise nicht lösen können. Weil sie sie selbst verursachten. Das WEF hingegen und viele der Unternehmer dort glauben, Teil der Lösung zu sein.
Dieser Konflikt köchelt schon seit Jahrzehnten vor sich hin. Aber in den letzten Monaten rückte diese Debatte langsam in den Mittelpunkt: Protestbewegungen haben die Klimakrise zu einem Top-Thema gemacht, an dem auch die Wirtschafts-Eliten nicht mehr vorbeikommen. Das Schlagwort dafür ist Divestment: Gelder sollen aus schmutzigen Firmen abgezogen werden. Einerseits. Andererseits haben just diese Eliten anscheinend begonnen, sich wirklich zu wandeln.
Bestes Beispiel ist ein Brief, den der vielleicht mächtigste Investor der Welt gerade veröffentlichte. Larry Fink, Vorstand beim Vermögensverwalter BlackRock (7.000 Milliarden Dollar schwer), kündigte an, dass seine Firma nun nach nachhaltigen Gesichtspunkten investieren wolle. Ist das nicht genau der Wandel, den die Aktivist:innen fordern?
Um zu verstehen, was die Aktivist:innen umtreibt, habe ich sie bei ihrer Wanderung begleitet – und um zu verstehen, ob die Finanzindustrie wirklich Teil der Lösung sein kann, habe ich nach meiner Rückkehr aus den Schweizer Bergen recherchiert, welche Hebel die Banken und Konzerne bedienen könnten, um die Erderhitzung zu verlangsamen. Es ist: Eine Winterwanderung in die Finanzwelt in fünf Etappen.
2. Etappe: 35 Kilometer bis Davos – Die Angst vor der Kohlenstoffblase
Tag zwei des Protestmarschs: Die großen, schneebedeckten Bergkuppen des Tals werden schon von der Sonne angeleuchtet. Das kleine Dorf namens Schiers, in dem die meisten Teilnehmer:innen des Marschs heute übernachtet haben, liegt noch im Schatten. 15 Kilometer sind geschafft, 35 liegen noch vor den Aktivist:innen. Einer ihrer Slogans: „Hey hey, ho ho, fossil fuels have got to go!“ Eine radikale Forderung, wenn man sie ernst nimmt. Doch verrückterweise schlagen manche Firmen der Finanzindustrie gerade genau diesen radikalen Weg ein.
Unsere Wirtschaft basiert seit der industriellen Revolution auf fossilen Energieträgern. In Kohle, Erdöl und Erdgas zu investieren, war deshalb lange Zeit sehr lukrativ. Unternehmen, private Anleger, Staaten und Banken – alle haben es getan und tun es noch. In den Jahren 2016 bis 2018 haben laut Umweltverbänden die 33 größten Banken insgesamt 1,9 Billionen US-Dollar für die Finanzierung fossiler Brennstoffe bereitgestellt. „Finanzieren“ bedeutet: Sie geben Kredite, mit denen dann beispielsweise in Kanada Ölsand gefördert wird oder Pipelines gebaut werden, um das Öl abzutransportieren. In Deutschland haben etwa der Energiekonzern RWE oder den Erdölproduzent Wintershall Kredite bekommen.
Tabellenführer unter den Geldgebern ist mit 196 Milliarden Dollar JP Morgan, die größte Bank der USA. Die Deutsche Bank liegt mit 54 Milliarden Dollar auf Platz 17. Etwas darüber rangiert die Schweizer Bank Credit Suisse.
Letzten Sommer blockierten Aktivist:innen den Eingang ihres Hauptsitzes in Zürich. Credit Suisse sowie UBS seien die CO2-Schleudern der Schweiz, schrieben die Organisator:innen der Blockade-Aktion damals: „Zwar wird hier kein Öl gefördert und keine Kohle verbrannt, aber von hier aus werden derartige Projekte finanziert und dadurch erst möglich gemacht.“ Für Lilian aus Lausanne waren diese Aktionen der Einstieg in den zivilen Ungehorsam. Ein halbes Jahr später marschiert die 22-jährige mit nach Davos. Trotz dicker Winterbekleidung wirkt Lilian zierlich und irgendwie brav. Aber sie ist hier und läuft 50 Kilometer bei Temperaturen um die Null.
Zwar ist die Stimmung unter den Wandernden die ganzen Tage über von Gesang und Selbstermächtigung geprägt; dass der Protestmarsch wirklich eine Veränderung bewirkt, glaubt Lilian aber nicht. „Solange es beim WEF weiterhin nur ums Geld geht, erwarte ich nicht, dass sie wirklich etwas gegen die Klimakrise unternehmen werden“, sagt sie.
Wieso hat dann der BlackRock-Chef angekündigt, nachhaltiger zu investieren? Es ist nicht so, dass das Geld plötzlich einen anderen Stellenwert bekommen hätte. Im Gegenteil: Es ist die Angst um das Geld, die einige Akteure zum Rückzug aus den fossilen Energien bewegt. Sie haben Angst vor der Kohlenstoffblase.
2015 haben sich die Vereinten Nationen in Paris darauf geeinigt, die globale Erwärmung deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten. Daraufhin warnte der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, vor einem Finanzkollaps: Wolle man das Zwei-Grad-Ziel einhalten, dürfe man große Mengen Kohle, Gas und Öl, die aber schon eingeplant waren, gar nicht mehr fördern.
Schätzungen der britischen NGO Carbon Tracker zufolge haben die fossilen Brennstoffe, die in der Erde bleiben müssten, einen Gesamtwert von 27 Billionen US-Dollar. Unternehmen, die bereits Förderrechte an diesen Reserven erworben haben, drohen drastische Verluste. Die Kohlenstoff-Spekulationsblase könnte um einiges größer sein als die US-amerikanische Immobilienblase, die 2007 zur weltweiten Finanzkrise beigetragen hat.
3. Etappe: 14 Kilometer bis Davos – Der Hebel heißt Divestment
Einen Tag nach meinem Gespräch mit Lilian sammeln sich die Demonstrant:innen auf der Straße in dem Örtchen Klosters und warten auf den Startschuss zur letzten Etappe. Am Nachmittag soll die Wanderung in Davos ankommen. Da sie keine Genehmigung haben, auf der großen Kantonsstraße zu laufen, müssen die Aktivist:innen heute auf den Wanderweg ausweichen. Dieser ist hinter Klosters steil und verschneit. Am Sammelplatz macht eine Frau deswegen eine Megafon-Durchsage: Wer sich den anstrengenden Aufstieg nicht zutraut, kann zum Bahnhof gehen und zwei Stationen mit dem Zug fahren. Um zu zeigen, wo der Bahnhof liegt, weist sie mit dem Arm in die entsprechende Richtung.
Doch wer nicht unmittelbar neben ihr steht, hat keine Chance, zu sehen, wohin sie zeigt. Blitzschnell kopieren die Umstehenden daher ihre Armbewegung, sodass nun Dutzende Menschen in die Richtung des Bahnhofs zeigen und die Information bei allen ankommt. Etwas Ähnliches könnte in der Finanzwelt passieren: Was die Großen vormachen, wird kopiert. Deswegen war die Ankündigung von BlackRock so wichtig.
BlackRock verwaltet laut Guardian Anteile an Kohle, Öl und Gaskonzernen im Umfang von rund 87 Milliarden US-Dollar, und managt über seine Beteiligungen an Minen fast 1,4 Milliarden Tonnen Kohle. Bis 2025 will sich BlackRock nun aus Unternehmen zurückziehen, die mehr als 25 Prozent ihres Umsatzes mit Kohleproduktion verdienen, verspricht Fink in dem Brief. Als Grund für die Kehrtwende nennt Fink die „erheblichen Auswirkungen der Erderwärmung auf das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand“ – ein Risiko, das den Märkten nun langsam klar werde.
Der BlackRock-Brief schlug Wellen. Medien weltweit beschäftigte die Frage, ob dies der Anfang eines „big shifts“ in der Finanzindustrie sei, weg von fossilen Energieträgern, hin zu nachhaltigen Produkten. Tritt nun ein, was Umweltaktivisten wie Bill McKibben oder die internationale Fossil-Free-Bewegung schon seit Jahren mit Divestment-Kampagnen fordern? Wer genauer hinschaut, erkennt, dass einzelne Akteure schon vor einer Weile begonnen haben, eine nachhaltige Ausrichtung zu versprechen – und dass die große ökologische Wende bisher ausgeblieben ist.
Bereits im November 2015 – kurz vor der Klimakonferenz in Paris – hat mit der deutschen Allianz Group einer der weltweit größten Versicherungskonzerne angekündigt, künftig nicht mehr in Unternehmen zu investieren, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes beziehungsweise ihrer Energieerzeugung aus Kohle generieren.
2017 haben sich über 300 Investoren mit insgesamt mehr als 32 Trillionen US-Dollar verwaltetem Vermögen unter dem Namen Climate Action 100+ zusammengeschlossen. Deklariertes Ziel war es, die 100 größten Emittenten von Treibhausgasen zur Veränderung ihrer Geschäftsmodelle zu veranlassen.
In Deutschland kündigte 2017 außerdem die Deutsche Bank an, keine neuen Kredite mehr für Minen und den Bau neuer Kraftwerke zur Verfügung zu stellen und bestehende Kredite sukzessive abzubauen.
2019 häuften sich die Divestment-Erklärungen in der Finanzwelt:
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Im September unterzeichneten gleich 130 Banken sechs Prinzipien für verantwortungsvolle Bankgeschäfte, die sich an den Nachhaltigkeitszielen der UN (Sustainable Development Goals) orientieren und sicherstellen sollen, dass Banken einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten. Kritiker bemängeln allerdings, dass den Banken zu viel Zeit gelassen werde, die Prinzipien umzusetzen.
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Im November hat die Europäische Investitionsbank (EIB) entschieden, ab 2022 keine Erdgas-Projekte mehr zu fördern. Neue Kohlekraftwerke unterstützt die Staatsbank schon länger nicht mehr.
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Im Dezember beschloss dann die US-amerikanische Großbank Goldman Sachs für Ölbohrungen in der Arktis sowie für Kohle-Tagebaue keine Kredite mehr bereitzustellen. Kohlekraftwerke sollen nur noch unterstützt werden, wenn sie mit einer CO2-Speicherung ausgerüstet sind.
Dass das alles nicht folgenlos bleibt, sieht man an der amerikanischen Fracking-Industrie. Die braucht stetig strömende Kredite genauso dringend wie gute Ölquellen. Aber die Kredite fließen nicht mehr so freigiebig, und damit vielleicht bald auch weniger Öl.
4. Etappe: Fünf Kilometer bis Davos – Was ist eigentlich „grünes“ Investment?
Aber: Gemessen an der gesamten Branche lässt sich der Ökotrend der Banken mit dem in der Landwirtschaft vergleichen. Innerhalb der eigenen Blase mag das Gefühl vorherrschen, dass fast alle Lebensmittel bio sind. Schaut man sich die Flächenverteilung in Deutschland jedoch an, merkt man, dass der Schein trügt. Nur 9,1 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurden 2018 ökologisch bewirtschaftet.
Die Anteile wirklich nachhaltiger Investments an dem gesamten Finanzvolumen, das Banken, Vermögensverwalter und Versicherungen investieren, sind noch geringer: Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind bloß etwa ein bis zwei Prozent des globalen Kapitalmarktes nachhaltig ausgerichtet. Und anders als bei der Landwirtschaft gab es im Finanzsektor bis zuletzt kein einheitliches Siegel für nachhaltige Produkte.
Das wollte die EU ändern, als sie sich im Dezember auf Kriterien einigte, nach denen Anlagen künftig als „grün“ bezeichnet werden dürfen. Demnach müssen „grüne“ Investitionen dazu beitragen, Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Die einheitliche EU-Taxonomie für Investitionen ist ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung klimafreundliche Finanzwelt.
Auch auf dem Weltwirtschaftsforum ist Klima in diesem Jahr das Thema. Im Weltrisikobericht des Forums stehen erstmals ausschließlich ökologische Themen auf den fünf Spitzenplätzen. Am gefährlichsten seien das Risiko „extremer Wetterereignisse“ und ein mögliches „Scheitern von Klima-Politik“. Klaus Schwab, Gründer des WEF, lancierte eine Initiative, mit der er in den kommenden Jahren eine Billion Bäume pflanzen lassen will. Und Greta Thunberg hatte am ersten Tag des Gipfels gleich zwei Auftritte.
Die Organisator:innen des Protestmarsch, der nun fast Davos erreicht hat, bleiben davon unbeeindruckt. „Greenwashing ist zu erwarten! Die Finanzindustrie insgesamt und insbesondere das WEF werden sich große Mühe geben, grünen Kapitalismus als Zauberlösung für die Klimakrise zu verkaufen“, steht in einem Strategiepapier für die zweite Protestwelle von „By 2020 We Rise Up“. Das Grundproblem in ihren Augen: Das WEF und die großen Banken stehen für ein System unendlichen Wachstums in einer endlichen Welt. „Die Teilnehmer des WEFs sind selbst die Verursacher der Krise. Wenn man ein Feuer löschen möchte, sollte man sich aber nicht auf die Brandstifter verlassen, sondern schnellstmöglich die Feuerwehr rufen“, sagt Payal Parekh, eine der Sprecherinnen der Winterwanderung. Die Klimagerechtigkeits-Bewegung, zu der sie sich zählt, sei diese Feuerwehr.
5. Etappe: Ankunft in Davos – Geht Klimawandel ohne Systemwandel?
Doch als „die Feuerwehr“ am Dienstagabend endlich in Davos ankommt, leitet die Polizei den Demonstrationszug gekonnt am eigentlichen Geschehen vorbei. Um den Helikopter-Landeplatz am Davoser See stehen hohe Zäune, die Auffahrt zu dem spacig anmutenden Hotel InterContinental ist komplett verbarrikadiert, Polizisten stehen in Montur bereit. Ein paar Teilnehmer des WEFs kommen gerade mit den Skiern die Piste runter, als die Demo vorbeizieht.
Auf dem Davoser Postplatz steht das Abendessen für die Demonstrant:innen in riesigen silbernen Töpfen bereit. Gegenüber von dem Postplatz steht über einem Laden: „BlackRock“. Fast alle Geschäfte in der Straße werden für die Zeit des WEFs an Banken und Großkonzerne untervermietet, die dort ihre Showrooms aufbauen. Die Fenster der BlackRock-Repräsentanz sind blickdicht mit schwarzen Aufklebern abgeklebt. Betreten dürfen den Laden nur ganz bestimmte Leute: die BlackRock-Aktionäre. Über eine kleine Anlage kommt die Durchsage, dass der Bus nach Basel gleich abfährt. Vermutlich hat kein Teilnehmer des WEF diese Demo überhaupt mitbekommen. Aber dass das große Geld langsam woanders hinwandert, das spüren sie.
Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Verena Meyer.