Es war ein bewegendes Jahr – nicht nur für unser noch junges Online-Magazin, das durch euch möglich geworden ist. Denn die vielen Krautreporter-Geschichten hätte es ohne eure Unterstützung nicht gegeben. Dieser Beitrag kann nur ein paar Beispiele nennen, was wir 2015 gemacht haben. Alle weiteren findet ihr über unsere Übersicht in der linken Spalte. Es lohnt sich.
Die weggesperrte Jugend
Über Geschichten bei Krautreporter steht oft eine ebenso einfache wie wichtige Frage: In was für einer Welt leben wir eigentlich? Und die Antwort ist nicht immer angenehm, wie es das Ergebnis monatelanger Recherchen von Alexander Krützfeldt gezeigt hat. Denn was ist eine gerechte Strafe für chronisches Schulschwänzen? Deutschland hat sich entschieden: der Knast. In einigen Gefängnissen ist jeder dritte oder vierte Insasse wegen Schulverweigerung hinter Gittern.
Die Geschichte Was, so viele Schulschwänzer im Knast? beschreibt ein Rechtssystem, das vor Jugendlichen kapituliert, die vom Unterricht fernbleiben – und sie einfach wegsperrt, statt sich um die Ursachen zu kümmern. Immerhin: Nach der Veröffentlichung der Geschichte ist Bewegung in die politische Diskussion gekommen. Es bleibt zu hoffen, dass sich nun etwas an dieser Bankrotterklärung unserer Justiz ändert.
Der Syrien-Krieg verständlich erklärt
Viele prägende Ereignisse dieses Jahres – die Attentate in Paris und die Flucht von Millionen Menschen – hängen eng mit dem Krieg in Syrien zusammen. Doch was passiert dort? Rico Grimm hat in einem sehr ausführlichen Frage-Antwort-Text die unterschiedlichen Interessen der Kriegsparteien analysiert.
Der Syrien-Krieg verständlich erklärt (auch für dich) war 2015 einer der meistgeteilten Texte bei Krautreporter. Aus seiner Geschichte haben wir ein eigenes E-Book gemacht – ebenso wie aus einigen unserer Themenwochen zur Zukunft der Menschheit, zur Atombombe und zur Griechenland-Krise. Die Krautreporter-Geschichten könnt ihr so in Ruhe auf dem E-Book-Reader lesen. Exklusiv für Mitglieder: Die Krautreporter-E-Books. Wir werden die Bibliothek 2016 ausbauen.
Eine ganz andere, aber ebenso viel zitierte Geschichte von Rico war übrigens sein meinungsstarker Appell während des Bahnstreiks. Als sich der Volkszorn über den wochenlangen Stillstand auf deutschen Schienen zum gängigen Narrativ entwickelte, plädierte er für eine komplett entgegengesetzte Sichtweise: Durchhalten, Bahn, Bürger, GDL! Dieser Streik ist der wichtigste der Berliner Republik. Es lohnt sich, diesen Text noch einmal zu lesen, auch wenn sich die Streiks angesichts anderer Ereignisse schon wie ein weit entferntes Kapitel dieses Jahres anfühlen. Denn er zeigt, dass eine Demokratie auch unbequeme Dinge aushalten muss – und kann.
Die Odyssee der Flüchtlinge
Die Flüchtlingskrise ist ein zutiefst europäischer Moment: Mit ihrer Wanderung zwingen die Flüchtlinge unseren Kontinent, auf sich selbst zu schauen und die Werte zu hinterfragen, für die er steht – im Guten wie im Schlechten. Um diesen Moment einzufangen, haben wir Kollegen aus den Ländern der Balkanroute gebeten, die große Flucht durch Europa zu beschreiben.
Auf der ersten Etappe beobachtete der griechische Fotograf Angelos Christofilopoulos, wie mit Schlauchbooten aus der Türkei kommende Flüchtlinge auf Lesbos landen. Sein Kollege Tassos Morfis wartete in Athen: Jedes Mal, wenn die Fähre aus Lesbos im griechischen Hafen Piräus anlegt, beginnt für hunderte Menschen die Odyssee auf dem europäischen Festland. Die serbische Journalistin Jovana Strahinic berichtete dann, wie sich viele Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze sammeln. Mit dem Zug gelangen sie nach Serbien, um anschließend illegal Ungarn zu erreichen. Die dritte Etappe der großen Flucht durch Europa beschrieb der ungarische Journalist Andras Petho: Die Situation am Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien und den Marsch von Budapest über die Autobahn nach Österreich – inklusive Zwangsaufenthalt im Flüchtlingslager nahe der Grenze. Dann die Ankunft in Wien, über die Krautreporter Dominik Wurnig schrieb. In der österreichischen Hauptstadt begrüßten hunderte Freiwillige die erschöpften Flüchtlinge. „You are safe“, stand auf Flugblättern der Regierung. Das vorläufige Ende einer Flucht: In Berlin, ersehntes Ziel der meisten Flüchtlinge, herrschen keine paradiesischen Zustände. Vor der Meldebehörde campen unzählige Flüchtlinge im Park, oft wochenlang. Krautreporter Christian Gesellmann hat mit ihnen gesprochen.
Dies sind nur ein paar der vielen Geschichten, die wir 2015 über Flüchtlinge geschrieben haben.
Der Krieg im Kopf
Hunderte Bundeswehr-Soldaten leiden unter der Posttraumatischen Belastungsstörung. Die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher. Johannes Clair war als Infanterist sieben Monate in Afghanistan und hat in der heißesten Kriegsphase, die die Bundeswehr je erlebt hat, an vorderster Front mitgekämpft. Zurückgekommen ist er körperlich gesund, aber psychisch schwer verwundet.
Danijel Visevic hat Anfang Januar sehr lange mit Clair gesprochen. Herausgekommen ist ein Interview in zwei Teilen – über Angst. Angst getötet zu werden, obwohl er eigentlich sicher in Hamburg lebt.
In seinem Hintergrund-Text Krieg im Kopf: Warum Soldaten nach Einsätzen krank werden beschreibt Danijel das bei der Bundeswehr zwar wohlbekannte, aber gerne verschwiegene Problem der Kriegsheimkehrer.
Die dunkle Seite der digitalen Wirtschaft
Das Besondere an den Handels-Geschichten von Peer Schader ist, dass er hinter die Kulissen von vermeintlich allgemein bekannten Vorgängen blickt. Egal ob es sich dabei um die Frage handelt, warum unsere Pakete eigentlich immer geliefert werden, wenn wir nicht zu Hause sind, oder um die Welt der Supermärkte: Er beschreibt, wie unsere Einkaufswelt eigentlich funktioniert – und was dabei auf der Strecke bleibt. So zum Beispiel seine Recherchen zu Portalen im Internet, die uns auf einen Blick Pizza-Lieferdienste in der Umgebung zeigen und den gesamten Kaufvorgang abwickeln.
Was für uns so praktisch scheint, ist ein Milliardengeschäft – für die Lieferportale des Berliner Unternehmens Delivery Hero, das mit Werbeplakaten und Rabatten immer mehr Kunden auf seine Seiten lockt. Die Gastronomen selbst sitzen dabei in der Falle: Damit Restaurants gelistet werden, müssen sie hohe Provisionen zahlen und strenge Vertragsbedingungen akzeptieren. Peer hat das Geschäft in seiner Geschichte Ausgeliefert – Wie Pizza.de und Lieferheld die Gastronomie unter Druck setzen recherchiert und zeigt, dass es in diesem Spiel am Ende nur einen Gewinner gibt.
Die rechte Gewalt gegen Flüchtlinge
Krautreporter Dominik Wurnig ist seit diesem Sommer bei uns in der Redaktion. Sein Augenmerk gilt dabei vor allem Datensätzen, die er für euch recherchiert und in Geschichten umwandelt. So auch seine Datensammlung zu einem wichtigen Thema, das uns wohl noch länger verfolgen wird: Rechte Gewalt gegen Flüchtlinge in Deutschland, kurz erklärt.
Eine der traurigen Erkenntnisse seiner Recherchen zeigt die fremdenfeindliche Gewalt als Wochenend-Phänomen: „Die Auswertungen der Brandanschläge, der Körperverletzungen sowie der sonstigen Angriffe gegen Unterkünfte zeigt, dass die Zahl der Taten am Wochenende stark steigt. Samstag ist der gefährlichste Tag der Woche für Flüchtlinge.“
Der Nazi-Aussteiger
Theresa Bäuerlein nähert sich den Themen und Protagonisten ihrer Geschichten aus einer unvoreingenommenen Perspektive – egal ob sie über unseren Umgang mit Essen, Prostitution oder emotionalen Untiefen schreibt. Dies spürt man auch bei ihrem Interview mit einem Menschen, dessen Vergangenheit eigentlich erst einmal Abwehrreaktionen erzeugt: Alex, 41, Anti-Gewalt-Coach und zur Hälfte syrischer Abstammung, war zwanzig Jahre lang eine bekannte Figur in der rechtsextremen Szene.
In „Haha, Schrei nach Liebe“ erzählt er vom Leben mit Widersprüchen, von der Suche nach Wahrheit und davon, wie die rechte Szene sich die Welt zurechtlegt. Ein wichtiges Interview, gerade in diesen Zeiten. Und auch die Kommentare sind – wie bei den meisten Krautreporter-Geschichten – eine Leseempfehlung. Denn wir haben Alex einen Gast-Zugang gegeben, damit er sich an der Diskussion über den Text beteiligen kann.
Die Medien kritisch hinterfragen
2015 war das Jahr, in dem der Journalismus seine Unschuld verlor. „Lügenpresse“ war dieses Unwort, das plötzlich durch die Gesellschaft ging – und am Ende ist es ein Weckruf an uns Journalisten. Trotzdem sollte in dieser Vertrauenskrise jeder mal darüber nachdenken, wie Informationen im digitalen Zeitalter funktionieren und wie er mit den zahllosen Geschichten im Netz umgeht. Hilfreich dabei ist ein Beitrag von Rico Grimm, der von euch wissen wollte, welche Fragen ihr zu Deutschlands neuen Rechten, Pegida, Querfrontlern & Co., habt und die Anregung eines Lesers bei Facebook aufgriff: „Welchen Zeitungen…Foren..usw… kann man überhaupt noch was glauben…?“ Herausgekommen dabei ist der Text Lügt die Presse? So erkennen Sie es. Rico beschreibt dort, wie er selbst in wenigen Minuten seine Quellen überprüft. Hier seine übersichtliche Checkliste:
Noch eine Leseempfehlung in diesem Zusammenhang: Friedemann Karig hat sich in mehreren ausführlichen Texten bei Krautreporter mit Information im digitalen Raum auseinandergesetzt. In Terrorbilder im Netz: Teile und herrsche zum Beispiel analysierte er bereits im Februar, wie der Terror mit Videos von Geisel-Hinrichtungen oder Amateuraufnahmen von Anschlägen längst in den sozialen Medien angekommen ist – und uns als Hebel für seine Propaganda nutzt. Es liegt an uns, wie wir mit dieser Herausforderung umgehen.
Das Wichtigste nicht verpassen: Unsere Newsletter
Schon seit dem Start von Krautreporter im Oktober 2014 beliefert euch Christian Fahrenbach jeden Werktag mit seiner Morgenpost. Darin gibt er einen Überblick mit drei wichtigen Nachrichtenthemen des Tages, die besten Hintergrundartikel dazu und weiteren Leseempfehlungen. Was ursprünglich hauptsächlich als Ergänzung zu unserem Programm gedacht war, ist mittlerweile ein eigener Kosmos geworden: Über 15.000 Leserinnen und Leser haben inzwischen den Newsletter abonniert, den Christian mit seiner ganz besonderen Art zu einem kleinen Informations-Lagerfeuer entwickelt hat.
Zusätzlich versorge ich euch jeden Samstag mit der Wochenpost, einem Überblick der neuesten Geschichten bei Krautreporter. Wir schicken euch bei Interesse die Morgenpost wochentäglich um 5 Uhr morgens und die Wochenpost jeden Samstag per E-Mail zu (sogar, wenn ihr noch nicht Krautreporter-Mitglied seid). Hier könnt ihr sie abonnieren. Falls ihr Mitglieder seid und die Mail noch nicht erhaltet, könnt ihr eure Einstellungen im Menü oben rechts ändern.