Dieser Artikel ist unüblich, jedenfalls für mich. Ich schreibe sonst über Klima und Politik, aber nicht über meine Arbeit als solche. Aber immer wieder stellen mir unsere Leser:innen eine Frage, die so ähnlich klingt wie diese:
Welchen Zeitungen, Foren usw. kann man überhaupt noch glauben?
Dieser Text soll dir helfen, diese Frage zu beantworten. Ich beschreibe einen Schnellcheck für Menschen mit wenig Zeit, der leicht zur Routine werden kann und eine etwas tiefere Prüfung, falls du es genauer wissen willst.
Die Fragen des Schnellchecks:
1. Wie plausibel ist das, was ich lese?
Wenn ein Bericht erzählt, dass heute Morgen ein Alien-Raumschiff vor dem Brandenburger Tor gelandet ist und Elvis Presley diesem Raumgleiter entstieg, lese ich nicht weiter. Das ist augenscheinlich Quatsch. Aber sehr viele Texte im Netz wirken plausibel. Es könnte möglich sein. Gerade das ist übrigens der Trick von Propaganda: Sie knüpft um einen kleinen wahren Kern ein ganzes Gestrick aus Verdrehungen, Auslassungen und Verfälschungen. Sehr kundige Menschen können dieses Gestrüpp auf Anhieb entwirren, sie finden die winzigen Ungereimtheiten, die dem Text seine Glaubwürdigkeit rauben. Mit viel Zeit und Geduld kann sich jeder dieses Wissen erarbeiten, aber das kann Jahre dauern. Deswegen stelle ich mir nach dem Lesen des Textes zunächst eine andere Frage.
2. In welchem Umfeld erscheint der Artikel?
Es könnte sein, dass der Artikel, den du gerade begutachtest, eine positive Ausnahme war. Es könnte sein, dass das Team hinter der Nachrichtenseite oder dem Blog, den du gerade liest, gewohnheitsmäßig haarsträubende Artikel veröffentlicht und du nur die eine Perle in die Timeline gespült bekommen hast. Schau‘ dich um!
Wenn die anderen Artikel auf der Seite Themen behandeln, die völlig abwegig sind, solltest du auch dem ursprünglichen Artikel weniger trauen. Denn Medien werden sehr oft von einem festen Team gestaltet. Wenn die Mannschaft hinter dem Blog oder der Nachrichtenseite eine Vielzahl von unplausiblen oder auch unbewiesenen Informationen verbreitet, gibt es für den Leser keinen Grund mehr anzunehmen, dass der ursprünglich gelesene Artikel korrekt ist.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Seite „Global Research“. Dort habe ich einmal einen Artikel über die vermeintlichen Steuerschulden des deutschen Baukonzerns Hochtief in Griechenland gelesen. Die Firma sei durch ihre Beteiligung am Athener Flughafen die größte Steuerhinterzieherin des Landes. Diese Meldung kam mitten in die in Deutschland äußerst heftig geführten Diskussionen über Griechenland. Wenn der Artikel wahr wäre…wow! Wäre eine Sensation! Er verteilte sich auch rasend schnell im Netz.
Andere Beiträge auf der Seite handelten von Verschwörungs-Evergreens wie Chemtrails und der New World Order – und ich wurde skeptisch. Wer mit vollem Ernst Artikel veröffentlicht, die behaupten, dass die Kondensstreifen von Flugzeugen eine Chemikalie beinhalten, um uns Erdenbewohner:innen zu manipulieren, der steigt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht hinab in den Dschungel des griechischen Steuerrechts und überprüft, was an der Meldung über Hochtief als größten Steuersünder des Landes dran ist. Ich behielt Recht. Meine Recherchen zeigten, dass die Meldung falsch war.
3. In welchem Medium erscheint der Artikel?
Ich hatte eben das Team angesprochen, das hinter jedem Gemeinschaftsblog und jeder Nachrichtenseite zwangsläufig stehen muss. Wenn ich auf eine neue Quelle stoße, überprüfe ich, ob ich schnell und ohne größere Probleme erfahren kann, wer hinter der Seite steckt. Bei „Über uns“ oder „About“ sollten die Macher:innen erklären, welche Firma oder Organisation für ein Angebot verantwortlich ist. Das Impressum kann wertvolle Hinweise liefern. Auf der Homepage sollte wiederum auch stehen, wie die Firma oder Organisation aufgebaut ist und wem sie gehört. Drittens schaue ich nach, ob es Autor:innenseiten gibt, ob also die jeweiligen Autor:innen mit ihrem echten Namen vorgestellt werden und deutlich wird, warum sie Expertise auf diesem Gebiet haben sollten. Das sind ganz grundlegende Informationen, die den Leser:innen nicht vorenthalten werden sollten.
Stelle dir doch einmal eine andere Situation vor: Ein Unbekannter kommt auf der Straße zu dir gerannt und sagt, dass dein Haus brennt. Da würdest du doch auch nicht lossprinten, sondern erstmal fragen: „Wer sind Sie denn eigentlich? Woher wissen Sie denn, wo ich wohne?“
4. Sind die Autor:innen ansprechbar?
Jemand sagt dir etwas, lässt dich aber partout nicht selbst zu Wort kommen. Ist dieser Mensch unhöflich? Aber ja. Solltest du ihm alles glauben? Aber nein. Denn dieser jemand schließt von vorneherein aus, dass jemand hinterfragen kann, was er sagt. Also schau‘ nach, ob die E-Mail-Adresse des Autors, der Autorin oder des Autors angegeben ist, ob die Leser:innen den Beitrag auf der Seite kommentieren können oder die Verfasser:innen auf Twitter oder Facebook ansprechbar ist. Und schau‘ auch mal, wenn möglich, in die Kommentarspalte: Wie reagieren Autor oder Autorin auf Kritik?
Es ist unmöglich für eine:n Autor:in – und da spreche ich aus Erfahrung – auf alle Reaktionen einzugehen – mit der Tiefe und Ruhe, die nötig wäre. Manches muss man auch mal stehen lassen. Aber, wenn sich jemand Zeit nimmt, ab und zu auf Kritik zu reagieren oder wenigstens signalisiert, dass er oder sie diese liest, ist das ein gutes Zeichen. Er zeigt Bereitschaft, die eigene Arbeit transparent zu machen. In der Diskussion solltest du vor allem auf Fragen nach den Quellen achten. Bleiben sie unbeantwortet, wackelt der ganze Artikel. Übrigens antworten nicht nur die Autor:innen von halbseidenen Seiten selten auf Kommentare, auch bei vielen großen Nachrichtenseiten ist es so.
5. Wie belegt ein Artikel seine Behauptungen und Fakten?
Hierauf solltest du ganz genau achten. Woher eine Information stammt, ist eines der wichtigsten Merkmale, um ihre Güte einzuschätzen – sonst müsste ich diesen Artikel hier nicht schreiben. Wenn ein Beitrag nicht eine Quelle zitiert oder verlinkt und gleichzeitig der Autor oder die Autorin unbekannt beziehungsweise anonym bleiben, ist der Artikel beinahe wertlos.
Schau’ vor allem, wie und ob die Aussage aus der Überschrift belegt wird. Medienmacher neigen dazu, dass „Knalligste“ in die Überschrift zu packen. Achte dabei darauf, dass erstens überhaupt eine Quelle angegeben wird (Signalwort „laut“ oder auch die Verwendung des Konjunktivs für die indirekte Rede) und was verlinkt wird – wenn überhaupt verlinkt wird. Originaldokumente sind immer besser als Zweitquellen.
Vor allem bei Beiträgen, die sich auf ausländische Medien beziehen, lohnt es sich sehr genau hinzuschauen. Manchmal setzen die Verfasser:innen darauf, dass kaum jemand die Originalquelle verstehen kann und dichten dann Details dazu, so wie sie ihnen in den Kram passen. Oder sie finden ein Zitierkartell, bei dem ein fadenscheiniges Portal ein frei erfundenes „Institut“ zitiert, das sich wiederum auf die Studien eines einschlägig bekannten „Experten“ bezieht. Gerade auf Facebook verbreitet sich vieles rasend schnell, was nicht belegt ist.
6. Werden Zusammenhänge, die nicht belegt sind, klar als „Theorie“ oder Vermutung gekennzeichnet?
Das ist ein Kriterium, das man leicht übergehen könnte, weil es so unscheinbar ist. Aber wie der Autor oder die Autorin mit Theorien und Vermutungen umgeht, zeigt sehr deutlich, ob da jemand sein Handwerk versteht und es auch respektiert. Warum? Weil viele Journalist:innen, vor allem in Nachrichtenredaktionen, die ersten sein wollen, die etwas veröffentlichen. Das bringt ihnen Prestige und Aufmerksamkeit. Das ist auf der einen Seite gut, weil sie dadurch einen Ansporn haben, nach neuen Geschichten zu suchen. Das ist aber auch schlecht, weil sie verführt werden könnten, Dinge zu veröffentlichen, die sie besser nicht oder auf andere Art veröffentlicht hätten.
Wenn ein Autor also eine Information ganz deutlich als Theorie und Vermutung kennzeichnet, widersteht er starken persönlichen Anreizen. Er hat sich unter Kontrolle, er kann seine Arbeit reflektieren. Ein Qualitätsmerkmal. Deswegen sind Artikel darüber, „was wir nicht wissen“ kein Zeichen von Schwäche, sondern von gutem Handwerk.
7. Wie finanziert sich das Medium? Ist der Artikel vielleicht eine bezahlte Anzeige?
In den sozialen Netzwerken (Instagram, Tik Tok), in manchen Podcasts, aber auch in klassischen Medien hat sich eine bestimmte Werbeform eingebürgert: native Werbung. Das ist Werbung, die nicht als klassische Werbung daherkommt, sondern wie ein Beitrag. Diese Beiträge müssen aber als Werbung gekennzeichnet werden. Oft steht dann über Artikeln „Sponsored Post“ oder „Mit Unterstützung von…“ entstanden. Ich finde, diese Art von Werbung nicht per se schlimm. Aber du solltest diese Label einordnen können, wenn sie dir begegnen. Und klar – bei staatlich finanzierten Medien wie Russia Today, der Deutschen Welle oder Radio Free Europe solltest du nochmal genauer hinschauen.
Das war die Schnellprüfung. Um die nächsten drei Fragen beantworten zu können, musst du mehr Zeit investieren. Aber keine Sorge, es gibt einen Trick, wie du das quasi nebenbei machen kannst.
8. Recherchiert ein:e Autor:in selbst?
Der Schriftsteller Gabriel Garcia Marquez machte fast im Alleingang den Magischen Realismus bekannt. Ein Merkmal seiner Bücher: Fantastische Vorkommnisse erzählt er bis zum kleinsten Detail. Marquez begründet diese Technik so: „Das ist ein journalistischer Trick, den Sie auch auf die Literatur anwenden können. Zum Beispiel, wenn Sie sagen, dass Elefanten durch den Himmel fliegen, werden ihnen die Menschen nicht glauben. Aber, wenn sie sagen, dass 425 Elefanten durch den Himmel fliegen, werden ihnen die Menschen wahrscheinlich glauben.“
Die Details machen einen Text glaubwürdig. Marquez kann als Romanautor diese Details einfach erfinden, ein Journalist kann das nicht. Er muss sie recherchieren und belegen. Deswegen ist die Detailtiefe oft ein gutes Zeichen. Wer nur bei anderen abschreibt, kann bestimmte Dinge nicht wissen und bleibt oberflächlich. Wer sich diese Details einfach ausdenkt, kann sie im Zweifel nicht belegen. Also gilt: Je mehr (belegte) Details, desto glaubwürdiger ist ein Text. Aber nicht unbedingt besser. Denn man kann auch viel schreiben, ohne etwas zu sagen. Doch das ist ein völlig anderes Thema.
9. Wie wird die Gegenseite dargestellt?
Viele Beiträge haben eine These, das heißt, sie versuchen, einen bestimmten Zusammenhang zu belegen, einen bestimmten Blick oder eine bestimmte Interpretation eines Ereignisses darzustellen. Du erkennst solche Artikel an Überschriften á la „Warum XYZ passiert“ oder emotionalen Ansprachen mit Ausrufezeichen. Ich persönlich finde solche Beiträge gut, wenn sie mich zwingen, meine eigene Meinung zu einem Thema zu hinterfragen, in dem ich mich gut auszukennen glaube. Auch andere Leser scheinen solchen Texten viel abgewinnen zu können. Denn oft sind es gerade diese Artikel, die im Internet viral gehen und sich sehr weit verbreiten. Das Problem daran: Oft sind sie verhältnismäßig einseitig recherchiert.
Damit meine ich nicht, dass beiden Seiten in dem Beitrag in gleicher Länge Raum gegeben werden sollte. Das wird gern mit „Objektivität“ verwechselt, hat aber nichts damit zu tun. Ich meine, dass die Autor:innen oft nicht den gleichen Aufwand betreiben, um beide Seiten korrekt darstellen zu können. Es geht um eine Recherche, die nach Objektivität strebt. Oder anders gesagt: Wenn jemand fair und aufrichtig die Argumente der Gegenseite darstellen kann, glaube ich ihm eher – im Zweifel eben auch, dass diese Argumente nicht stichhaltig sind.
10. Was hat die Autorin/der Autor bisher gemacht?
Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis, einen Code, den fast nur Journalist:innen kennen, der aber deutlich sichtbar bei so gut wie jedem Beitrag ist. Dieser Code besteht im Normalfall aus zwei Wörtern, manchmal drei, in Ausnahmefällen auch vier oder fünf oder mehr. Er ist für jeden lesbar, aber nur für die wenigstens interpretierbar. Diesen Code kennen fast nur Journalisten, weil fast nur sie auf ihn achten. Das Coole an dem Code ist, dass er sich erschließt je öfter man ihn liest. Der Code ist der Name des Autors oder der Autorin. (Ja, so einfach kann es sein.)
Bei „meinen Themen“ kann ich oft schon am Namen einschätzen, ob der folgende Artikel tief recherchiert ist, etwas Neues bieten wird oder wie er geschrieben sein wird. Ich kenne die anderen Arbeiten des Autors oder der Autorin, und das hilft mir dabei, die vorliegende einzuschätzen. Manchmal hatte ich vielleicht auch schon die Ehre, die betreffende Person kennenzulernen. Oder er oder sie hat bei einer Konferenz gesprochen, bei der ich auch schon war. Diese Erinnerungen fließen in die Bewertung dieser Arbeit ein.
Das ist nicht für jeden machbar, das ist klar. Ich kann es als „Arbeit“ deklarieren, wenn ich mit Kolleg:innen Bier trinken gehe. Du eher nicht. Aber du kannst in Zukunft stärker darauf achten, wer einen Beitrag geschrieben hat. Google den Namen des Autors oder der Autorin und schaue mindestens die ersten sieben Treffer an. Das wirklich Interessante steht selten ganz oben. Wenn dir die Arbeit einer Autorin oder eines Autors gefällt, solltest du versuchen, mehr davon mitzubekommen. So kannst du nachschauen, ob er oder sie das Niveau hält. Folge ihm oder ihr auf Twitter, abonniere den Newsletter. Pro-Tipp: Schau’ dir auch an, wem dieser Autor auf Twitter folgt.
Das fordert Mühe und Aufwand – und ich kann verstehen, wenn du diese Zeit nicht hast. Deswegen verrate ich dir noch einen Trick: Lies ein Medium regelmäßig. Schau‘ nicht, was da so in deine Timeline gespült wird, sondern verfolge aktiv und über einen längeren Zeitraum, was Medien schreiben, die du interessant findest. Werde Leser:in auf Zeit und beobachte, wie ein Medium bestimmte Themen bearbeitet. Erfüllt es die Kriterien von oben sehr oft? Vielleicht solltest du dann überlegen, nicht nur Leser:in zu werden, sondern sogar Abonnent:in. Wenn du Probleme hast, dich überhaupt auf ein Medium festzulegen, kann dir meine Kollegin Susan Mücke weiterhelfen: Sie hat hier Tipps gesammelt.
(Krautreporter kannst du übrigens hier abonnieren. Wir sind werbefrei, nur unsere Mitglieder finanzieren uns.)
Ein letzter Hinweis noch: Die Tipps, die ich hier gegeben habe, zielen alle auf Handwerkliches. Dir kann ein Artikel unterkommen, der alle Tests mit Bravour besteht – und dir doch nicht gefällt. Dann muss aber der Artikel nicht gleich unglaubwürdig oder dessen Fakten falsch sein. Der Autor kann einfach anderer Meinung sein als du.
Redaktion: Alexander von Streit; Schlussredaktion: Tarek Barkouni; Fotoredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Christian Melchert